Im Oktober 2020 wurde bekannt, dass der S. Fischer Verlag die fast vierzigjährige Zusammenarbeit mit seiner Autorin Monika Maron 2021 auslaufen lassen werde. Begründet wurde der Schritt ausdrücklich nicht mit dem seit einigen Jahren zu beobachtenden Rechtsruck der ehemaligen DDR-Autorin, die zunehmend als Kritikerin von Flüchtlingspolitik, Islam und Feminismus von sich reden machte, sondern mit der Veröffentlichung eines Essaybandes in der Reihe EXIL des BuchHauses Loschwitz. Weite Teile des Feuilletons reagierten mit Unverständnis und solidarisierten sich mit der Autorin. Der Verlag lege eine »unverhältnismäßige Hartherzigkeit«, eine »Geschäftsmäßigkeit ohne Traditionsgefühl«Footnote 1 an den Tag, urteilte Iris Radisch in der ZEIT. Die Entscheidung sei »unsouverän, maßlos und vielleicht auch unehrlich«, schrieben Jürgen Kaube und Jan Wiele in der FAZ – dass der traditionsreiche Verlag offensichtlich eine politisch ausscherende Autorin loswerden wolle, zeuge von einem Verlust an »Haltung« und »Werten«.Footnote 2 Differenzierter argumentierte einige Tage später der Schriftsteller Ingo Schulze in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Auch er hielt die Trennung von Maron nicht für eine ultima ratio, wies aber darauf hin, dass man den vom Fischer Verlag monierten Publikationsort von Marons jüngstem Essayband schon etwas genauer unter die Lupe nehmen müsse. Nachdem er dies getan habe, sei er »dem S.-Fischer-Verlag dafür dankbar, dass er, nicht so wie ich und viele andere auch, stillschweigend weggeschaut hat.«Footnote 3 In der Tat – das Hinschauen lohnt sich. Und zwar insbesondere dann, wenn man die Debatte um Maron im Kontext einer expandierenden neurechten Literaturpolitik betrachtet. Im Folgenden geschieht dies in einem Dreischritt: Zunächst mit engerem Fokus auf das BuchHaus Loschwitz (I), dann im Weitwinkel auf die literaturpolitischen Strategien der Neuen Rechten (II-VII), bevor zum Schluss eine zweite Literaturdebatte der letzten Jahre – um Simon Straußʼ Debutroman Sieben Nächte (2017) – in den Blick genommen wird, um an ihr zu diskutieren, mit welchen Grundsatzfragen sich eine neurechts-sensible Literaturforschung und -kritik konfrontiert sieht (VIII).

I.

Mitinhaberin des seit 1995 bestehenden BuchHauses Loschwitz – gelegen im gleichnamigen Dresdener Stadtteil – und Gründerin der 2020 mit dem Band von Maron (und Büchern von Uwe Tellkamp und Jörg Bernig) gestarteten Reihe EXIL ist Susanne Dagen. Zur Unterstützung rechter bis äußerst rechter Verlage initiierte Dagen die Charta 2017, in der sie einen »Kampf gegen rechts« kritisiert, der »nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt«Footnote 4 sei; seit 2018 tritt sie als Gastgeberin in der auf YouTube verbreiteten Literatursendung Aufgeblättert. Zugeschlagen. Mit Rechten lesen auf. Ausgewiesen ist die Sendung, die sich an das Format des Literarischen Quartetts im ZDF anlehnt, als Kooperation des BuchHauses Loschwitz mit dem Antaios Verlag von Götz Kubitschek, dem »Spiritus Rector der Nationalrevolutionäre in Deutschland«,Footnote 5 moderiert wird sie von Dagen und Kubitscheks Ehefrau Ellen Kositza. Kositza ist seit Jahren – u.a. durch YouTube-Videos – die populärste Literaturkritikerin der Neuen Rechten, verantwortlich für die Literatursparten des Antaios Verlags sowie der Zeitschrift und des Blogs Sezession, dem wichtigsten Publikationsorgan der intellektuellen Neuen Rechten. Gemeinsam mit Susanne Dagen lädt sie in jede Aufgeblättert. Zugeschlagen-Sendung einen Gast ein, so in der elften Folge vom 21. Juli 2020 Martin Sellner, den Kopf der Identitären Bewegung (IB) Österreich. Während der Verfassungsschutz das von Kubitschek betriebene Institut für Staatspolitik seit 2020 als Verdachtsfall einstuft, bezeichnet er die IB als gesichert »rechtsextremistische Bestrebung«, die »nicht mit dem Grundgesetz vereinbar«Footnote 6 sei. Dagen und Kositza ist das alles bekannt: Sellner ging vor Jahren für mehrere Monate bei Kubitschek und Kositza in Schnellroda in eine Art ideologische Lehre, ist dort weiterhin regelmäßig zu Gast, schreibt in der Sezession und veröffentlicht seine Bücher bei Antaios. Da Sellners eigene YouTube- und Twitter-Accounts eine Woche vor der Sendung mit Hinweis auf eine Verherrlichung von Gewalt und Terrorismus gesperrt worden waren, hat man sich auf ein Versteckspiel geeinigt: Kositza stellt den prominenten Gast als »österreichischen Literaturpapst Robert Wagner« vor und Dagen spielt – als es um ein Telegramm in Lutz Seilers besprochenem Roman Stern 111 geht – auf Sellners Telegram-Kanal an (»Das habe ich vorbereitet, den Spaß«),Footnote 7 auf dem er seine politischen Botschaften nach der Sperrung der anderen Kanäle weiterverbreitet. Der Deckmantel der Kultursendung verhilft Sellner zu einem ersten undercover-Auftritt nach dem YouTube-Bann. Angesichts dieser offensiven Kooperation mit der Neuen Rechten irritiert die defensive Passivkonstruktion, mit der Kaube und Wiele in der FAZ konstatieren, dass Susanne Dagen nach 2017 – als handele es sich um eine fragwürdige Fremdzuschreibung – »als rechte Buchhändlerin zu gelten [begann]«.Footnote 8

Nur beiläufig kommentieren sie das ideologische Konzept der EXIL-Reihe. Es schließt an ein Narrativ an, das seit Jahren von der Neuen Rechten verbreitet wird und darin besteht, die politische Situation im Deutschland des 21. Jahrhunderts mit den Repressionen in der DDR und vor allem im Nationalsozialismus kurzzuschließen – seit 2020 mit lautem Nachhall auf vielen Corona-Demonstrationen. Wenn Kubitschek seinen Wohn- und Verlagsort Schnellroda als ›Widerstandsnest‹ verstanden wissen will (und eine Schnellrodaer Winterakademie 2015/16 sowie das Heft 70 der Sezession dem ›Widerstand‹ widmet), im Antaios Verlag eine affirmative Hans Scholl-Biografie verlegt, Kositza sich auf Sophie Scholl und die Weiße Rose als Vorbild beruft, die IB ihre Gegner als Nazis beschimpft oder Alexander Gauland in seiner Bundestagsrede nach der Regierungserklärung Angela Merkels vom 29.10.2020 zweimal von einer ›Corona-Diktatur‹ spricht (um dann mit einem Zitat aus Friedrich Schillers Drama Die Braut von Messina zu schließen), zeugt all das von einer in der Tat neuen Strategie der äußerst Rechten, nämlich sich selbst in die Tradition der Opfer- und Widerstandskollektive der beiden deutschen Diktaturen einzureihen und dabei ursprünglich linke Ikonen für die rechte Sache zu reklamieren. Noch allgemeiner gesprochen: In einer strategischen Allianz mit wissenschaftsfeindlichen Klimawandel- und Corona-Leugnern zielt die Metapolitik der Neuen Rechten darauf ab, dem für Jahrzehnte mit der Kritischen Theorie assoziierten (und für genuin ›links‹ gehaltenen) Dispositiv der ›Kritik‹ eine neue, eine neurechte Heimat zu geben.Footnote 9

So wird es kein Zufall gewesen sein, dass die Präsentation der ersten drei EXIL-Bücher von Dagen auf den Jahrestag der Dresdener Bücherverbrennungen von 1933 gelegt wurde. Dass Maron von dieser mit dem Titel EXIL fortgeschriebenen rhetorischen Strategie nichts gewusst haben will, mag Iris Radisch der »politisch hellwachen Autorin« nicht abnehmen und stellt zudem klar, dass sich mit Maron erstmals eine »bedeutende Repräsentantin der deutschen Literaturgeschichte« (der EXIL-Autor Tellkamp scheint für Radisch in einer tieferen Liga zu spielen) »in die Arme der neurechten Parallelwelt begeben« habe – die »Symbolkraft dieses Brückenschlages sollte man nicht kleinreden«.Footnote 10 Allerdings verhindert die Warnung vor den »Ultrarechten« nicht, dass Radisch sich das neurechte Narrativ selbst zu eigen macht: Der Bruch mit dem Fischer Verlag müsse »der Autorin wie ein Déja-Vu vorkommen«, und zwar im Blick auf die Zensurerfahrungen in der DDR; auch die von Radisch ausführlich zitierte Thea Dorn mokiert sich zunächst über den »dreisten Namen Exil«, um ihn dann selbst ganz im Sinne der Neuen Rechten zu verwenden: »Dennoch sendet S. Fischer, indem er ›seine‹ Autorin nun ins verlegerische Exil schickt, ein fatales Einschüchterungssignal an alle Autoren: Wehe, ihr wandelt auf Abwegen! Wehe, ihr verstoßt gegen das moralische Reinheitsgebot! Ich frage mich, wie in einem solchen Klima Literatur und Kunst noch gedeihen sollen, wie die immer krassere Polarisierung der Gesellschaft aufgehalten werden soll.«Footnote 11 Spätestens hier wird der Umgang des Feuilletons mit dem Fall Maron zu einem Lehrbeispiel erfolgreicher neurechter Kulturpolitik.

II.

Was die Feuilleton-Debatte um Monika Maron offenbart, ist eine frappierende Unkenntnis neurechter Metapolitik. Bedeutsamer als die Frage, ob Maron wissentlich oder unwissentlich die Agenda der Neuen Rechten befördert, ist die strukturelle Position, die sie innerhalb der neurechten Bemühungen um einen langfristigen Umbau der Gesellschaft eingenommen hat. Denn die Aufnahme der Hochliteratur-Autorin Maron in die EXIL-Reihe und die daran anschließenden Diskussionen mit ihren ungewollten Werbeeffekten sind repräsentativ für genau jenen diskursiven Raumgewinn in der kulturellen Öffentlichkeit, an dem die Neue Rechte seit Jahren mit zunehmendem Geschick arbeitet.

Anders als der AfD, zu der man gleichwohl die Distanz zunehmend aufgibt,Footnote 12 ist den Thinktanks der Neuen Rechten klar, dass die angestrebte rechte Revolution in Westeuropa gegenwärtig unrealistisch ist. Zwar geht es auch der intellektuellen Neuen Rechten letztlich darum – daraus macht Kubitschek keinen Hehl –, wo immer möglich Krisen zu erzeugen und einen »Vorbürgerkrieg«Footnote 13 anzuheizen. Statt auf politische Arbeit setzt man dazu aber kurz- und mittelfristig auf eine schleichende Verschiebung des kulturellen Diskurses. Von den Linken, insbesondere dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, auf den sich – nach den Theoretikern der 68er-Bewegung – Alain de Benoist in seinem neurechten Klassiker Kulturrevolution von rechts von 1985 beruft, gelte es zu lernen, aus einer politischen Defensivposition heraus dadurch erfolgreich zu sein, dass man vor der politischen die kulturelle Macht erobert. ›Neu‹ sind nicht die politischen Positionen und langfristigen Ziele der Neuen Rechten, die im Wesentlichen in der sogenannten ›konservativen Revolution‹, also bei demokratiefeindlichen Vordenkern der 1920er-Jahre formuliert wurden,Footnote 14 sondern die metapolitische Strategie, die einhergeht mit einer »Intellektualisierung und Modernisierung«Footnote 15 des eigenen Auftritts. Angestrebt wird eine kulturelle Bewegung, in die »politicians, intellectuals, writers, academics and journalists«Footnote 16 einbezogen werden sollen. Denn »Ideen und Begriffe«, so schreibt Sellner, sind die »wahren Machtmittel«: »Die nötige Revolution ist eine kulturelle, da das Machtzentrum unserer [westeuropäischen] Gesellschaften in der Kultur liegt! […] Das Ziel ist eine Eroberung der Machtmittel der kulturellen Hegemonie […], also der Massenmedien, der Kunst, der Kultur und des öffentlichen Raums.«Footnote 17 Götz Kubitschek fasst Gramscis Ideen 2014 so zusammen:

»Wer Begriffe definiere, Debatten führe und gewinne, Slogans durchsetze und die Kultur weltanschaulich kanonisiere, werde zu einem Machtfaktor, den die Politik auf Dauer nicht ignorieren könne. Wir haben diesen Ansatz in der Sezession nicht nur etliche Male durchdekliniert – die Sezession selbst ist eine Strecke auf diesem Weg.«Footnote 18

Dabei wurde die metapolitische Marschrichtung über die Jahre durchaus nachjustiert. So geht es in Kubitscheks einflussreichem Programmtext Provokation von 2007 im Wesentlichen um eine provozierende Aufmischung des Kulturbetriebs, um eine irritierende Destabilisierung durch markante Störaktionen: »Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache«.Footnote 19 Auch Thor v. Waldstein zitiert diese Passage zustimmend in seiner erstmals 2015 bei Antaios verlegten Programmschrift Metapolitik. Theorie – Lage – Aktion, die im Wesentlichen der Kubitschekschen Linie folgt.Footnote 20 Dagegen beruft sich Martin Sellner, eine Generation jünger als Kubitschek und im Gegensatz zu diesem ohne Berührungsängste zur Popkultur, zwar ebenfalls auf Kubitscheks Provokation, weicht in seiner wichtigsten Programmschrift Identitär und in den von ihm initiierten Aktionen aber deutlich davon ab. Während er einem »verkrampften Pseudo-Tabubruch« wenig abgewinnen kann, empfiehlt er die Integration von Kreativität und Humor in die metapolitische Aktion, die einem »besonderen künstlerischen Anspruch«Footnote 21 zu genügen habe. In Sellners Version will die neurechte Intervention nicht plump provozieren, sondern »überraschend und invasiv« vorgehen; sie will »das Geschehen, in das sie eingreift, nicht unterbinden, sondern ihm einen neuen Drall geben«, wobei die Gegner »ungewollt und unbewußt zum Verbündeten werden«.Footnote 22 Die neurechte Metapolitik scheint nach ihren gelungenen Bemühungen um eine erste Aufmerksamkeitserzeugung damit in eine zweite Phase überzugehen. Erfolgreich ist sie bereits dort, wo Thea Dorn die Nicht-Verlängerung eines Verlagsvertrags mit der Exilsituation von Fischer-Autoren wie Thomas Mann assoziiert und die Kunstfreiheit des ganzen Landes bedroht sieht (während Maron offensichtlich keine Probleme hat, andere Verlage für sich zu interessieren, und keinen Monat später als Autorin des renommierten Hoffmann und Campe Verlags präsentiert wurde). Ganz in Sellners Sinn befördert Dorn das, was sie zu verhindern meint – eine Popularisierung neurechter Denkfiguren.

Was in der Theorie lange durchdekliniert ist, braucht in der Praxis Protagonisten, die im Kulturbetrieb verankert sind und auch außerhalb der neurechten Community gehört werden. Deshalb stellt Susanne Dagen – im Gegensatz zu Dorn eine dezidierte Unterstützerin der intellektuellen Neuen Rechten – einen metapolitischen Glücksfall dar. Sie ist eher kulturell als politisch sozialisiert und hat seit der Eröffnung des BuchHauses Loschwitz 1995 (und vor ihrer politischen Radikalisierung) enge Kontakte in die – insbesondre ostdeutsche – Literaturszene aufgebaut.Footnote 23 Während früher freundschaftlich mit ihr verbundene Autoren wie Ingo Schulze oder Durs Grünbein den politischen Avancen Dagens Absagen erteilten, erwiesen sich die etablierten Kontakte zu Monika Maron und Uwe Tellkamp auch politisch als fruchtbar. Scheuen diese Autoren offensichtlich eine direkte Zusammenarbeit mit Antaios (was für Tellkamp nur noch mit Einschränkungen gilt, der seit 2018 mit den neurechten Zeitschriften Tumult und Sezession kooperiert),Footnote 24 fungiert Susanne Dagen mit ihrer EXIL-Reihe als Bindeglied der Neuen Rechten zum Literaturbetrieb. Handfester Ausdruck dieser ideellen Nähe ist der Umstand, dass die EXIL-Reihe zunächst nicht über den Buchhandel oder online-Anbieter wie amazon bezogen werden konnte, sondern ausschließlich über das BuchHaus Loschwitz und Kubitscheks Antaios Verlag.

Wie der Kunstwissenschaftler Daniel Hornuff 2019 an zahlreichen Beispielen belegt hat, gelingt die »gesellschaftlich tiefenwirksame Ausbreitung rechten bis rechtsextremistischen Gedankenguts« oft recht unscheinbar, wird die Strömung doch immer geschickter darin, »weltanschauliche Inhalte subkutan zu verabreichen«.Footnote 25 Während Hornuff seinen Fokus auf das Design richtet, sich mit Wolfgang Ullrich ein weiterer Kunstwissenschaftler regelmäßig der Bildersprache der Neuen Rechten widmet (zuletzt in seiner Selbstbeobachtung Feindbild werden von 2020) und pointierte Studien zur neurechten Rhetorik veröffentlicht worden sind,Footnote 26 finden die literaturpolitischen Interventionen der Neuen Rechten – die Feuilleton-Artikel zum Fall Maron führen es vor – offensichtlich bisher weitgehend unter dem Radar der literaturkritischen wie literaturwissenschaftlichen Öffentlichkeit statt. Das ist umso erstaunlicher, als die Literatur und der Literaturbetrieb seit Jahren das vorrangige metapolitische Aktionsgebiet von Kubitschek und Kositza darstellen. Eine Sendung wie Aufgeblättert. Zugeschlagen führt in jeder Folge vor, wie sich Literatur ›weltanschaulich kanonisieren‹, also metapolitisch nutzen lässt.

Kurz gesagt: Keine andere politische Strömung nimmt die Literatur gegenwärtig so ernst wie die Neue Rechte. Literaturpolitik ist kein Nebenschauplatz der ›eigentlichen‹ politischen Arbeit, sondern gegenwärtig das zentrale Interventionsgebiet der neurechten Thinktanks. In Programmtexten werden Gedichte abgedruckt und reflektiert, in Zeitschriften, Büchern, Blogs, Podcasts und Videos Lektürehinweise gegeben sowie Literaturkritik und Literaturwissenschaft betrieben. Das Spektrum reicht dabei von Brecht bis Benn, von der Kinderliteratur bis zur ästhetizistischen Lyrik, vom »Aufruf zur Lektüre«Footnote 27 bis zum Lernbefehl (»Auswendiglernen!«).Footnote 28 Dass die Neue Rechte ausgerechnet in Zeiten erhöhter Medienkonkurrenz und eines allgemein konstatierten Bedeutungsverlustes des Lesens in die Literaturarbeit investiert, also mit elitär-anachronistischer Geste ein ›veraltetes‹ Medium privilegiert (wenn auch zunehmend unter intensiver Nutzung neuer Medien), entspricht zum einen ihrer grundsätzlichen Vergangenheitsaffinität. »Rechts zu sein« ist in der ausdrücklich unpolitisch gemeinten Deutung von Botho Strauß gleichbedeutend mit einer »Auflehnung« gegen die »Totalherrschaft der Gegenwart«, einer Absage an die »Utopie« und mit der Suche nach einem »Wiederanschluß an die lange Zeit, die unbewegte«.Footnote 29 Strategischen Sinn ergibt die Literaturemphase zum anderen im Blick auf eine Selbstdarstellung als »kulturalistische Rechte«,Footnote 30 die auf Sympathiegewinne in jenen bildungsbürgerlichen Kreisen zielt, in denen der Niedergang des Lesens ebenfalls beklagt, bisher aber nicht mit neurechten politischen Positionen verknüpft wird.

In die Parteipolitik der AfD wird diese Literaturaffinität v.a. von Björn Höcke eingespeist, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD im Thüringer Landtag und bekanntesten Rechtsaußen der Partei, der seine Nähe zum Antaios- und Kubitschek-Kreis u.a. auf der Frankfurter Buchmesse 2017 öffentlich demonstriert hat. So verfügt ein von ihm verantwortetes Positionspapier der AfD Thüringen von 2018 zum Thema »Leitkultur – Identität – Patriotismus« über eine beachtliche Literatursättigung: Neben einer großformatigen Abbildung des Goethe-Schiller-Denkmals in Weimar finden sich eine – durchaus überraschende – Namensliste kanonischer deutscher Autoren (»Goethe, Schiller, Heine, Fontane«, ergänzt um Grimms Märchen sowie Karl Mays »Winnetou«) sowie zwei komplett abgedruckte Gedichte.Footnote 31 Bei einem der Texte handelt es sich um ein neoromantisches Gedicht Hans Carossas, der schon einmal im Fokus von Politikern stand – als ihn Joseph Goebbels und Adolf Hitler 1944 in ihre sogenannte ›Gottbegnadeten-Liste‹ aufnahmen, eine nur sechs Schriftsteller umfassende ›Sonderliste unverzichtbarer Künstler‹ (Carossa hatte sich dafür mit einem 1939 verfassten Geburtstagsgedicht für Hitler angeboten). Angesichts dieser umfangreichen neurechten Literaturarbeit geht es im ›Fall Maron‹ nicht primär um Monika Maron. Die Debatte führt vielmehr vor, dass es Zeit für einen genaueren literaturwissenschaftlichen Blick auf die literaturpolitischen Strategien der Neuen Rechten ist.

III.

Die aufschlussreichsten Aussagen zur neurechten Literaturpolitik findet man im Umfeld des »politischen Ästheten«Footnote 32 Götz Kubitschek, der in Hannover und Heidelberg Germanistik für das Lehramt an Gymnasien studiert hat. Bereits Kubitscheks bis heute einflussreichste Programmschrift Provokation – 2007 veröffentlicht, also sechs Jahre vor der Gründung der AfD, und laut rückblickendem Selbstkommentar »ein richtiger AuslösertexFootnote 33 der rechten Szene – enthält nicht nur Politisches, sondern empfiehlt Romane, zitiert und kommentiert Gedichte. Wenn sich Kubitschek dabei explizit auf Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen beruft, ist das nicht so unplausibel, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, schließlich umfasst Schillers Agenda ausdrücklich eine politische Erziehung, ja will die Beschäftigung mit Kunst und Literatur als »politische Propädeutik«Footnote 34 verstanden wissen. Literarische Ahnungslosigkeit lässt sich dem Kubitschek-Kreis – das unterscheidet ihn von den meisten anderen neurechten Strömungen der letzten Jahrzehnte – nicht vorwerfen. Der 2000 von Kubitschek gegründete und seitdem von ihm geleitete Antaios Verlag, der wichtigste Verlag der Szene, veröffentlichte von Beginn an auch Bücher über Literatur, die Literaturgeschichtsschreibung aus einer dezidiert rechten Perspektive betreiben und sich dabei keineswegs auf die bekannten literarischen Ikonen der alten und neuen Rechten beschränken. Vielmehr wird man vom rechtsaffinen Literaturwissenschaftler Günter Scholdt in mehreren Antaios-Büchern dazu ermuntert, »vom (momentanen) Gegner zu lernen«,Footnote 35 zuletzt im 2020 erschienenen Buchessay Brechts ›Die Maßnahme‹ und die AfD. Wie Mladen Gladić und Erika Thomalla jüngst im Merkur gezeigt haben, zielen Scholdts Lektüren hier und in anderen Büchern vor allem darauf ab, aus literarischen Texten »moralische Gehalte und Handlungsdirektiven«Footnote 36 zu destillieren.

Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf das Ehepaar Götz Kubitschek und Ellen Kositza mit seinem publizistischen Umfeld, weil Kubitschek seit Jahren das institutionelle und charismatische Zentrum der intellektuellen Neuen Rechten darstellt. Diese Position wird von vier Faktoren gesichert: a) dem Antaios Verlag (dessen Programm neben politischen und literaturwissenschaftlichen Büchern u.a. eine Krimireihe umfasst, in deren erstem Band eine junge deutsche Frau von Flüchtlingen vergewaltigt wird), b) dem von Kubitschek im Jahr 2000 mitgegründeten Institut für Staatspolitik, das neurechte Bildungsarbeit in Form von halbjährlichen Akademien, Workshops und Veröffentlichungen betreibt (und dessen Kürzel IfS sich als polemisches Zitat des ebenso abgekürzten Frankfurter Instituts für Sozialforschung lesen lässt, der wichtigsten Institution der Kritischen Theorie), c) der Zeitschrift und dem Blog Sezession mit Kubitschek als verantwortlichem Redakteur (schon durch ihren Titel ist die Sezession eng mit der deutschen Literaturgeschichte verbunden, übernimmt Kubitschek ihn nach eigener Aussage doch aus dem viel diskutierten Essay »Anschwellender Bocksgesang« von Botho Strauß,Footnote 37 in dem Strauß 1993 den »Mut zur Sezession« und eine »Abkehr vom Mainstream«Footnote 38 einfordert) sowie d) von Kubitscheks breitem Kommunikations- und Auftrittstalent – beim intellektuell-selbstreflexiven Kamingespräch kommt es ebenso zum Einsatz wie in populistischen Reden auf Pegida-Bühnen.Footnote 39 Bezeichnend ist Kubitscheks an Ernst Jünger erinnernde Selbstdarstellung auf der Sezessions-Homepage (»Götz Kubitschek, geboren 1970, las Homer im Original und diente als Leutnant in Sarajewo«),Footnote 40 die auf programmatische Weise das Soldatische mit dem feinsinnigen Intellektuellen zusammenführt. Mit diesem Spagat ist es Kubitschek wie keinem zweiten Akteur der deutschsprachigen Neuen Rechten gelungen, in der heterogenen neurechten Szene gruppen- und flügelübergreifend von der AfD bis zu Neonazis geachtet und gehört zu werden. Alice Weidel spricht im IfS, Alexander Gauland schreibt für die Sezession und publiziert bei Antaios,Footnote 41 Björn Höcke – ein langjähriger Duz- und WanderfreundFootnote 42 Kubitscheks (der als sein Berater gilt) – bezeichnet Schnellroda als »eine Oase der geistigen Inspiration« und die Lektüre von IfS-Materialien als »geistiges Mantra«.Footnote 43 Ähnliches hört man von Martin Sellner, für den Kubitschek und seine kulturellen Institutionen »geistige Ressource und Kompass«Footnote 44 sind. Und immer wieder gehen jüngere Männer für längere Zeit in Schnellroda in die politische Lehre, darunter ausgewiesene Neonazis wie Benedikt Kaiser (heute Lektor im Antaios Verlag) oder der spätere NPD-Landtagsabgeordnete Arne Schimmer.Footnote 45 Wenn der neurechte Vordenker Alain de Benoist die Gründung von intellektuellen Kaderschmieden forderte, ist genau das hier gelungen.

All diese Aktivitäten, das ist ein wichtiger Bestandteil von Kubitscheks Selbst- und Fremdinszenierung, werden auf dem Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt konzentriert. Dort lebt das sich (zumindest in öffentlichen Auftritten) siezende Ehepaar Kositza/Kubitschek mit seinen sieben Kindern und einigen Ziegen und Hühnern. Hergestellt wird nicht nur Brot und Ziegenmilch für den Eigenbedarf, sondern auch Aura für den Weltmarkt. Nachdem u.a. SPIEGEL, ZEIT und 3sat den – so heißt es in der FAZ – »geistige[n] Führer der neuen Rechten«Footnote 46 in Schnellroda besucht hatten, wurde Kubitschek 2017 im New York Times Magazin in einer mehrseitigen Homestory zum »Prophet of Germany’s New Right«Footnote 47 erklärt. Kein anderer deutscher Protagonist der Neuen Rechten hat seit 1945 auch außerhalb der rechten Zirkel und international eine vergleichbare Beachtung gefunden. Porträtiert wird er in den nicht-rechten Medien zumeist als nachdenklicher Intellektueller mit großer Bibliothek – sinnbildlich ist die nicht etwa im Politik- oder Gesellschafts-, sondern im Kulturteil des SPIEGEL abgedruckte Homestory von 2016, die von einem Foto des vor einem Bücherregal sitzenden und in die Lektüre vertieften Kubitschek eröffnet wird.Footnote 48

Schaut man sich an, welch fundamentale Bedeutung Literatur und Literaturbetrieb für Kubitscheks Selbstinszenierung, Programm und Handeln haben, lassen sich mindestens drei metapolitische Großstrategien unterscheiden: ein Umbau des literarischen Kanons (IV.), eine in zwei Richtungen operierende ästhetische Erziehung (V. und VI.) sowie die Aktion und Provokation im Literaturbetrieb (VII.).

IV.

In seinen Artikeln für die Sezession betreibt Kubitschek eine Doppelstrategie zur Veränderung des literarischen Kanons. Zum einen fordert er die Aufnahme vermeintlich zu Unrecht marginalisierter Autoren, zum anderen die Neubewertung bereits kanonisierter Autoren. Ersteres geschieht z.B. im Blick auf Gerd Gaiser, der – so lautet Kubitscheks Vorwurf – aus ideologischen Gründen aus dem öffentlichen Bewusstsein gestrichen worden sei. Und das, obwohl es sich um das »größte Prosatalent der deutschen Nachkriegsliteratur«Footnote 49 handele. Anders als die AfD im Fall Carossas legt Kubitschek offen, dass Gaiser nicht nur ein Geburtstagsgedicht auf Hitler verfasst, sondern 1941 einen ganzen Gedichtband mit expressiven Versen gefüllt hat, die »dem Führer Gefolgschaft und Wehrbereitschaft gegen den Feind im Osten signalisieren«.Footnote 50 Ohne sich länger damit aufzuhalten, lobt Kubitschek den 1953 im politisch unverdächtigen Hanser Verlag erschienenen Roman Die sterbende Jagd, weil dort an einer Fliegerstaffel vorgeführt werde, wie die Wehrmacht trotz der absehbaren Niederlage ihre »herausragende soldatische Tugend«Footnote 51 behalten habe. Auf symptomatische Weise verbindet das Plädoyer ästhetische und ideologische Argumente.

Lohnend ist dabei ein genauerer Blick auf die angeführten Gründe für die geringe Bekanntheit Gaisers. Kubitschek lastet den in den 1960er-Jahren einsetzenden Bedeutungsverlust Gaisers v.a. dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki an: »Es ist offensichtlich, daß Reich-Ranicki [Gaiser] kaputtzuschreiben sich vornahm«.Footnote 52 Aufschlussreich ist die Metaphorik: Reich-Ranicki habe zu jener »Keule« gegriffen, »mit der er später je nach Belieben unliebsamen Autoren oder anderen Personen des öffentlichen Lebens den Schädel einschlug«, der Literaturkritiker habe mit »vernichtender Andeutung«Footnote 53 sichergestellt, dass Gaiser aus den Schulbüchern verschwunden sei. Nicht erwähnt, aber bei den Lesenden vorausgesetzt wird der Umstand, dass dieser von Kubitschek als vernichtungswütig gezeichnete Kritiker jüdischer Herkunft war und die Shoah im Warschauer Ghetto, später in einem Versteck nur knapp überlebt hat (im Gegensatz zu seinen deportierten und ermordeten Eltern). Die besondere rhetorische Pointe – mit Gottfried Benn gesprochen: »An ihren Metaphern sollt Ihr sie erkennen!«Footnote 54 – besteht also darin, ausgerechnet dem NS-Opfer Reich-Ranicki wörtlich die ›Vernichtung‹ unliebsamer Personen durch ›Schädeleinschlagen‹ vorzuwerfen.Footnote 55 Freilich nicht explizit, aber doch in der Bildersprache des Gaiser-Artikels werden die historischen Täter zu Opfern, die historischen Opfer zu Tätern verkehrt. Die Rhetorik des Artikels transportiert eine Geschichtsdeutung, die deutlich über das hinausgeht, was Kubitschek in seinen expliziten öffentlichen Äußerungen verbreitet.

Das hat Methode. Immer wieder lässt sich feststellen, dass Kubitscheks auf den ersten Blick bloß literaturgeschichtliche Artikel radikalere Positionen vertreten als seine explizit politischen Texte – und erst recht als die Interviews mit nicht-rechten Medien. Das zeigt auch der Umgang mit Gottfried Benn, zweifellos der bedeutendste Autor, der in Deutschland mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hat. In seinem Essay »Gottfried Benn – Versuch über einen Faschisten« (2006) konzentriert sich Kubitschek auf Benns etwa von 1932 bis 1934 dauernde und danach rasch abflauende Begeisterung für den Nationalsozialismus. Völlig zurecht hebt Kubitschek hervor, dass Benn – anders, als es die Germanistik lange wahrhaben wollte – sein frühes Engagement für den Nationalsozialismus auch nach 1945 verteidigt hat. Obwohl er selbst auf eine Passage hinweist, in der Benn noch 1949 ausdrücklich Sympathien für den »N.S.«Footnote 56 formuliert, besteht Kubitscheks Hauptinteresse darin, nahezulegen, dass Benn ein Faschist und kein Nationalsozialist gewesen sei – und für diesen faschistischen Benn spricht Kubitschek offene Leseempfehlungen aus:

»Wer einen faschistischen Text von Gottfried Benn lesen will, sollte zu den Essays Der neue Staat und die Intellektuellen oder Dorische Welt greifen sowie die [sic] recht kurze Rede auf Marinetti, die er hielt, als der Begründer des Futurismus aus dem faschistischen Italien zum Staatsbesuch ins nationalsozialistische Deutschland kam. Zwei Kostproben:

›Die Geschichte verfährt nicht demokratisch, sondern elementar, an ihren Wendepunkten immer elementar. Sie läßt nicht abstimmen, sondern sie schickt den neuen biologischen Typus vor […]. Und dann handelt dieser neue biologische Typ, und natürlich werden dabei zunächst gewisse Gesellschaftsverhältnisse verschoben, gewisse erste Ränge leergefegt, gewisse Geistesgüter weniger in Schwung gehalten.‹«Footnote 57

Dass Benn in der empfohlenen »Rede auf Marinetti« von 1934 gelobt, als Schriftsteller am ›neuen Reich‹ mitzuarbeiten, und sich als Wortarbeiter in den Dienst Hitlers stellt, »den wir alle ausnahmslos bewundern«,Footnote 58 ist Kubitschek keines Kommentars wert. Ob Benns Text trotz oder wegen dieses Bekenntnisses zu Hitler in die neurechte Hausbibliothek gehört, bleibt ebenso wie bei der AfD-Empfehlung für Hans Carossa auf geradezu prototypische Weise offen. Was Kubitschek von Benns biologistischen und Demokratie-verachtenden Ausführungen grundsätzlich hält, steht freilich außer Zweifel – warum sollte er sie sonst zur Lektüre empfehlen? Der Name des rehabilitierten Büchnerpreis-Trägers Benn wird genutzt, um sich vergleichsweise unverdächtig an der »zerfallenden europäischen Demokratie« zu erfreuen, um – das steht im Zentrum der Rede »Der neue Staat und die Intellektuellen« von 1933 – Argumente für eine Beschränkung der »Geistesfreiheit« zu sammeln, worunter Benn ausdrücklich das Ende von »Gedankenfreiheit, Pressefreiheit, Lehrfreiheit«Footnote 59 versteht. Es ist also keineswegs so, dass Benn – wie Kubitschek behauptet – 1933/34 den Nationalsozialismus als »politisch-soziales Programm« ablehnt oder den »Faschismus [ausschließlich] als Verhaltenslehre und ästhetisches Phänomen«Footnote 60 begriffen wissen will. Kubitschek folgt an dieser Stelle weniger Benn als vielmehr Armin Mohler, dessen Texte von Kubitschek regelmäßig empfohlen und verlegt werden. Mohler hat sich nach Ansicht von Historikern wie Volker Weiß zwar zu Unrecht, aber mit bis heute anhaltendem Erfolg darum bemüht, die sogenannte ›konservative Revolution‹ von der Ideologie des Nationalsozialismus abzugrenzen, um »der Geisteswelt des Faschismus unmittelbar nach dessen Niederlage ein Refugium«Footnote 61 zu verschaffen. Und schon Mohler dringt in seinem Essay »Der faschistische Stil« (1973) – für Kubitschek ein »Schlüsseltext« und »Pflichtlektüre«, der er mit einigem Erleuchtungspathos die Kraft zur »geistigen Neuausrichtung aufgrund lebensverändernder Lektüre«Footnote 62 bescheinigt – noch weiter in die historische Hochrisikozone vor, wenn er mithilfe von Gottfried Benn auch den Faschismus vom Nationalsozialismus entkoppeln und ihn primär als einen ›kalten Stil‹ verstanden wissen will.Footnote 63 Indem Kubitschek dieser Argumentationslinie folgt, wird es möglich, mit dem Faschismus zu kokettieren und sich gleichzeitig zum späten Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu bekennen, etwa den Hitler-Attentäter Stauffenberg zu loben.Footnote 64

Dass Benns Faschismus nicht nur die Ästhetik, sondern den gesamten Staat im Blick hat, ist letztlich aber auch Kubitschek klar, wenn er schreibt, dass die von ihm ohne jeden Vorbehalt gepriesenen Benn-Texte von 1933/34 den

»Schlußstrich unter das ewige Gerede [ziehen], und solche radikalen Setzungen können auf fruchtbaren Boden fallen, wenn die Zeit reif ist und die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat.«Footnote 65

Benns Reden geben Kubitschek die Deckung, unter der er sich faschistischen Visionen so stark annähert wie in kaum einem seiner politischen Texte. Das ›ästhetische Phänomen‹ Faschismus ist bei Benn und Kubitschek aber sehr wohl auch ein politisches – sobald »die Zeit reif ist« dafür. Noch radikaler setzt Kubitschek diese Strategie im Schreiben über Ernst Jünger um. Im Essay »Die Strahlkraft der Konservativen Revolution« von 2011, der den Vorbildcharakter für die Neue Rechte schon im Titel expliziert, heißt es:

»›Der Tag, an dem der parlamentarische Staat unter unserem Zugriff zusammenstürzt, und an dem wir die nationale Diktatur ausrufen, wird unser höchster Festtag sein‹, schrieb Jünger und wurde konkret: ›Es wird nicht protestiert in Vortragsreihen, sondern sehr sachlich und nüchtern mit Handgranaten und Maschinengewehren auf dem Straßenpflaster.‹«Footnote 66

Kubitscheks bemerkenswerter Kommentar direkt im Anschluss lautet: »Handlungsanweisungen sind das, Befehlsausgaben, Aufforderungen zur Aktion.«Footnote 67 Erst einige Absätze später heißt es dann in einer bloß impliziten Relativierung und mit unverkennbarer Sentimentalität, in der Sezession sei am Ende alles »angelegt auf Einspeisung in die große, intellektuelle Debatte – mit erkennbarer Marschrichtung zwar, aber es marschieren letztendlich doch nur die Gedanken, die wiederum zum Denken auffordern – und nicht zur Aktion, und sei sie auch nur symbolisch.«Footnote 68

Zusammengefasst: Dass der neurechte Umbau des Kanons ideologischen Kriterien folgt, ist keine Überraschung. Bemerkenswert ist die bis zum Faschismus reichende Radikalität, die in den meisten explizit politischen Veröffentlichungen Kubitscheks deutlich verhaltener zum Ausdruck kommt. In der Diskussion ästhetischer Phänomene findet sich bisweilen mehr politischer Klartext als in den genuin politischen Essays. Die Kultursparte neurechter Publikationen – das zeigt die Feigenblattfunktion des ›literarischen‹ Autors Benn mit seinem vermeintlich NS-fernen »Faschismus eines Künstlers«Footnote 69 besonders markant – ist stark politisiert und damit auf eine Weise ideologisiert, die man in neurechten Kreisen ansonsten gerne dem nicht-rechten ›Mainstream‹-Feuilleton vorwirft.

V.

Die neurechte Metapolitik interessiert sich darüber hinaus auch für ganz andere Texte und Lektüre-Effekte. Schon im Benn-Essay von 2006 beruft sich Kubitschek auf Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen und bekennt sich zur »erzieherische[n] Ausstrahlung« von Kunst, zum nachmetaphysischen Glauben »an die normative Kraft des Kunstwerks«.Footnote 70 Verlegerischen Ausdruck findet dieses Konzept gleich in zwei 2019/20 bei Antaios erschienenen Büchern, die Leseempfehlungen für ein ganzes Leben aussprechen. In Vorlesen liefern Ellen Kositza und Caroline Sommerfeld zunächst einen kundigen Abriss zur Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis heute, setzen einige Spitzen gegen die »propagandistische Wirkung« eines links-liberalen Lektürekanons (der nach Meinung der Autorinnen in ZEIT, FAZ und im »Staatsfunk« verbreitet werde) und empfehlen dann in Einzelartikeln – in denen Schillers »[ä]sthetische Erziehung«Footnote 71 bisweilen nachklingt – über 150 Bücher zum Vor- und Selberlesen bis zur Pubertät. Bei der Mehrheit der Texte handelt es sich um internationale Klassiker von Astrid Lindgren bis zu Harry Potter; zwar finden sich einzelne konservative Autoren in der Liste, daneben aber auch Empfehlungen zur Lektüre der historischen Romane des linken Autors Klaus Kordon, über die man »als rechts vom Mainstream Schwimmende«Footnote 72 zur Ideologie-Korrektur ins Gespräch mit seinen lesenden Kindern kommen müsse. Im Ganzen scheint es den beiden Autorinnen durchaus ernst zu sein mit ihrem Plädoyer für die literarische Bildung – »im humanistischen Sinne und eben nicht zweckorientiert verstanden«.Footnote 73

Einen ganz anderen Duktus prägt das ebenfalls von Ellen Kositza, nun mit Götz Kubitschek verantwortete Vorwort in dem Band Das Buch im Haus nebenan. Während Vorlesen sich ausdrücklich an die »klugen, unangepaßten, anthroposophischen, religiösen oder ›rechten‹ Eltern«Footnote 74 wendet, also ein breiteres Publikum adressiert und sich mit expliziten politischen Statements zurückhält, zielt das zweite Buch eindeutig auf eine neurechte Leserschaft. Es versammelt Artikel, in denen neun einschlägige Autoren und Autorinnen der Neuen Rechten – von Martin Sellner bis zu Caroline Sommerfeld – drei bis fünf politische, philosophische oder literarische Bücher vorstellen, die sie ideologisch geprägt haben (das Spektrum literarischer Autoren reicht von Ernst Jünger bis zu Christoph Ransmayr, umfasst aber auch ausländische Autoren wie Milan Kundera und den Faschismus-affinen Yukio Mishima). Wie Markus Steinmayr vor kurzem herausgearbeitet hat, verbindet diese Lektüren die Tendenz »zu dekontextualisieren und das Bekenntnis an die Stelle der Analyse zu setzen«, um die besprochene Literatur »politisch instrumentalisieren«Footnote 75 zu können. Schon durch das Vorwort zieht sich kein zweckfreier Humanismus mehr, sondern eine aufdringliche Waffenrhetorik: Hier sind Bücher »Geschosse«, die – so heißt es auf den drei einleitenden Seiten gleich dreimal – »scharf geladen« im Regal stehen: »Wir sind allesamt erfahrene Schützen, zielen also auf uns und dann auf andere, werden erneut getroffen und geformt von dem, was wir lesen«.Footnote 76 Solche »radikal aktualisierenden Lektüren«Footnote 77 mögen aus wissenschaftlicher Perspektive nicht satisfaktionsfähig sein. Über ihre metapolitische Wirksamkeit ist damit aber wenig gesagt. Vor literaturwissenschaftlicher Überheblichkeit sei deshalb nachdrücklich gewarnt und stattdessen eine Forschungspraxis empfohlen, wie sie Nicola Gess im Blick auf rechtspopulistische Halbwahrheiten erprobt hat: sich nicht mit einer (gleichwohl notwendigen) ideologiekritischen Analyse zufriedenzugeben, sondern darüber hinaus die »Verfahren und Codes, mit denen hier operiert wird, herauszuarbeiten«,Footnote 78 um verstehen zu lernen, worin die offenkundige Attraktivität der Neuen Rechten für ihr wachsendes Publikum besteht.

Als ergiebig erweist sich ein solches Vorgehen auch im Blick auf die Literatur-Gewalt-Metaphorik, die sich von Kubitscheks frühem Plädoyer für eine »BEWAFFNUNG DER SPRACHE«, für »Bücher voller Wort-Waffen«,Footnote 79 bis zum Titel des Literaturmagazins Aufgeblättert. Zugeschlagen zieht und dabei stets doppelt codiert ist. Zum einen legt sie einen Kurzschluss zwischen der Lektüre und der gewaltsamen (politischen) Aktion nahe. Immer wieder schwärmt Kubitschek von der einen »Tat, die das, was man bloß wußte, verdichtet und übersetzt und mit einer Überzeugungskraft auflädt, die die Lektüre einer halben Bibliothek überflüssig macht!«Footnote 80 Wie eine solche Tat konkret aussehen könnte, bleibt offen – sieht man von Kubitscheks sentimentalem Kokettieren mit Ernst Jüngers Aufruf zum Einsatz von Handgranaten und Maschinengewehren ab. Zumindest erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang, dass sich der rechtsradikale Attentäter Brenton Tarrant vom Kubitschek-Umfeld in seinen Ansichten bestätigt sah, 2018 Kontakt zu Martin Sellner aufnahm und ihm Geld spendete, bevor er 2019 in zwei neuseeländischen Moscheen 51 Menschen erschoss.

Zum anderen schließen die Gewaltmetaphern an die kunstreligiöse Überwältigungsästhetik der Romantik und das von Nietzsche geprägte Ekstase-Pathos der klassischen Moderne an. Diese zweite Lesart wird im Vorwort dort bedient, wo Kositza und (vermutlich: vor allem) Kubitschek kunstemphatisch der Literatur die Kraft zur »Daseinsaufschlüsselung« zuschreiben: »Ein Buch kann eine zweite Geburt auslösen, eine lebensverändernde Wirkung entfalten oder eine tiefe, weil lebensbestätigende Befriedigung sein.«Footnote 81 Das religiös begründete, von der Romantik kunstreligiös gewendete und nun politisch eingefärbte Bekehrungserlebnis stellt ein Leitmotiv in Kubitscheks Literaturreflexionen dar. Schon in Provokation von 2007 heißt es:

»Romane [eignen] sich noch besser als theoretische Schriften für die Suche nach dem rechten Maß […]: Wer sich von solchen Schulen des Lebens nicht belehren läßt; wer sich während einer solchen Lektüre nicht aufrichtet, um sein Leben zu ändern, der wird die Türe nie finden, durch die wir gegangen sind.«Footnote 82

Implizit, an anderer Stelle auch explizit spielt Kubitschek auf den berühmten Schlusssatz aus Rilkes Gedicht »Archaischer Torso Apollos« an: »Du mußt dein Leben ändern.«Footnote 83 In Rilkes Gedicht richtet der Archaische Torso, also eine antike Skulptur, diese Aufforderung an seine Betrachter. Auf den ersten Blick leuchtet Kubitscheks Anspielung auf Rilkes Text ein: Beiden geht es um ein existenzielles, eben Leben-veränderndes Kunstverständnis; beide sind Kunstemphatiker. Was sie jedoch voneinander unterscheidet, ist die ideologische Offenheit in Rilkes Text. Wie der von einem Kunstwerk erschütterte Mensch sein Leben ändern soll, überlässt Rilkes Gedicht dem Einzelnen. Dagegen propagiert Kubitschek ein bestimmtes, ein autoritäres Erziehungskonzept: Es geht für die Nachfolgenden darum, durch die Kunst genau den Weg zu finden, den das rechtselitäre ›Wir‹ bereits gegangen ist. Denn Kubitscheks ›Wir‹ ist anders als bei Rilke kein anthropologisches ›Wir‹, das alle Menschen meint. Während das ›Wir‹ bei Rilke, mit dem das Gedicht beginnt, den Sprecher und die Lesenden umfasst, die sich beide immer wieder neu von Kunstwerken infrage stellen lassen müssen, hat Kubitschek alle Irritationen offensichtlich hinter sich gelassen. Wo Rilkes Gedicht auf eine Weitung des persönlichen Horizontes zielt, verengt sich die Perspektive bei Kubitschek auf einen einzigen Türrahmen, den es zu finden gilt.

Die in Rilkes Gedicht entworfene Überwältigungserfahrung angesichts eines Kunstwerks gehört in eine ästhetische Traditionslinie, die sich Kubitschek immer wieder auf seine literaturpolitischen Fahnen schreibt: diejenige des Erhabenen. Implizit und explizit ruft Kubitschek regelmäßig jenes im 18. Jahrhundert von Edmund Burke, Moses Mendelssohn, Immanuel Kant und Schiller diskutierte ästhetische Überwältigungserlebnis auf, in dem sich Lust und Unlust vermischen. So findet sich bereits im Essay Provokation, der im Ganzen eine Anleitung für politische Aktionen liefern will, eins der berühmtesten Erhabenheitsgedichte Gottfried Benns, dessen Denken seit den 1930er-Jahren ganz grundsätzlich auf eine »erhabene Existenz gerichtet«Footnote 84 war. Das 1941 entstandene, von Kubitschek abgedruckte und in der Zweitfassung des Essays wieder gestrichene Gedicht lautet:

Verse

Verse Ein Wort Ein Wort, ein Satz –: aus Chiffern steigen erkanntes Leben, jäher Sinn, die Sonne steht, die Sphären schweigen und alles ballt sich zu ihm hin. Ein Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf, ein Sternenstrich – und wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und Ich.Footnote

Gottfried Benn, Sämtliche Werke, Band I, Gedichte 1, in Verbindung mit Ilse Benn hrsg. Gerhard Schuster, Stuttgart 1986, 198.

Die nihilistische Dunkelheit um ›Welt und Ich‹ lässt sich in den Augen des Sprechers weder mit religiösem Glauben noch mit philosophischem Denken erhellen. Stattdessen entwirft der Text eine ästhetische Transzendenz: Allein die magischen Worte der Dichtung sind es, mit denen sich die Finsternis der modernen Existenz für Momente ausleuchten lässt. Diese (wenn auch zeitlich begrenzte) Erlösungsqualität der Dichtung entwirft das Gedicht mithilfe einer lichtgewaltigen Bildlichkeit von »Feuer« und »Flammenwurf« – ob der mitten im Zweiten Weltkrieg entstandene Text damit affirmativ an das Bombenfeuer anschließen oder ein kritisches Gegenbild entwerfen will, ist schwer zu entscheiden. In jedem Fall tröstet das von Benn evozierte Wort nicht einfach, sondern wirkt auf den Sprecher bedrohlich und faszinierend zugleich. Damit schreibt es sich in die Literaturgeschichte des Erhabenen ein, die in der klassischen Moderne eine Hochphase erlebt (neben Rilke und Benn u.a. bei Hofmannsthal und Musil).Footnote 86

Während in spätmoderner Literatur vor allem von Kant als ›mathematisch-erhaben‹ bezeichnete Unendlichkeitsphänomene aufgerufen werden,Footnote 87 interessiert sich Kubitschek – wie Benn – primär für das ›Dynamisch-Erhabene‹, das Kant auf das ästhetische Erleben der »Allgewalt der Natur«,Footnote 88 also auf bedrohliche Naturereignisse wie Gewitter oder Vulkanausbrüche bezieht. Unter expliziter Verwendung des Kunstwortes ›erhaben‹ schreibt Kubitschek in dem programmatischen Artikel »Der romantische Dünger« von 2014 mit einiger Verachtung und Pauschalität über ›den‹ Politiker:

»Er wird zum anti-erhabenen Typ – wenn er es nicht schon immer war – und kann keine Alternative mehr formulieren. Dies könnte nur dem gelingen, der Maßstäbe aus einer Sphäre mitbrächte, in der die Politik keine Rolle spielt: Glaube, Dichtung, Anderland. Er hätte ein ganz anderes Bild dabei, eine Große Erzählung, und vor allem wäre er von furchterregender, angemessen rücksichtsloser Entschlossenheit. […] – wer wirklich schöpferisch und restaurativ zugleich wirken will, muß dort gewohnt haben.«Footnote 89

Indem die Politik hier wie in vielen anderen Texten des Kubitschek-Kreises als eine Sphäre ästhetisch-intellektueller Eintönigkeit gezeichnet wird, gegen die eine ›rücksichtslose Entschlossenheit‹ in Stellung gebracht wird, klingt aus der Ferne Martin Heideggers Begriff der Entschlossenheit an. Für Heidegger ist die Entschlossenheit die »ursprünglichste, weil eigentliche Wahrheit des Daseins«; in seiner 1929 verfassten Analyse der Langeweile des historischen Moments beklagt er, dass »wir uns […] alle zusammen aus der Gefahrenzone des Daseins fortgeschlichen« haben, und schlägt als Alternative eine ›Entschlossenheit‹ vor, in welcher man »die innerste Notwendigkeit der Freiheit des Daseins«Footnote 90 ergreife. Auf ästhetischer Ebene entspricht dem die Intensität der Erhabenheitserfahrung, die von Kubitschek in eine auf Dauer gestellte Lebenshaltung transformiert wird, wenn er sich ex negativo als ›erhabenen Typ‹ porträtiert – als jemanden, der (auch) in »Glaube, Dichtung, Anderland« wegkundig ist. Wiederum entwirft er sich als Anhänger einer autonomen Literatur, ausdrücklich geht es ihm um poetische Texte aus einer »Sphäre, in der die Politik keine Rolle spielt«. Wenn Gladić und Thomalla behaupten, dass die Neue Rechte sich nicht für den »ästhetischen Eigenwert« literarischer Texte interessiere und auf Distanz gehe zu jeder »kunstreligiösen Ästhetik«,Footnote 91 übersehen sie eine wichtige Komponente von Kubitscheks literarischem Kosmos.

Allerdings wird auch dieser Ästhetik von Kubitschek immer eine politische Funktion zugewiesen. Selbst die höchste, die erhabene Kunst ist für ihn ein unpolitisches Mittel zum politischen Zweck. Die Begegnung mit der Hochliteratur zielt darauf ab, den Lesenden mit einer »Großen Erzählung« zu versorgen, die sich später in die metapolitische und schließlich auch in die politische Arbeit einbringen lässt. Eine »Rechtsverschiebung des Autonomiebegriffs«, die der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich kürzlich im Blick auf aktuelle Debatten in der bildenden Kunst konstatiert hat, findet sich auch in der Literaturpolitik des Kubitschek-Kreises: Man kokettiert mit dem Ideal einer autonomen Kunst, die es gegen die ideologischen Übergriffe der political correctness und der cancel culture zu verteidigen gelte – und instrumentalisiert gleichzeitig die vermeintlich autonomen Werke zu einer »reaktionären Instanz«,Footnote 92 die gegen eine liberale Gesellschaft in Stellung gebracht wird. Die ästhetische Erziehung der Neuen Rechten zielt am Ende immer auf politische Gefolgschaft.

Anders gesagt: Letztlich sind die Kunstautonomie, das Erhabene sowie die für Kubitscheks Essay titelgebende Romantik nur der Dünger des politisch-neurechten Wachstums. Damit die Saat der metapolitischen Erhabenheit aufgeht, muss Kubitschek jedoch ihr Genom verändern. Die Grundfrage jeder Ästhetik des Erhabenen lautet, wie sich das Vergnügen am Bedrohlichen erklären lässt. Kant und Schiller bringen dafür die menschliche Vernunft ins Spiel, die durch ihre moralischen Qualitäten allen physischen Bedrohungen und letztlich auch der Sterblichkeit überlegen sei. In einer der überzeugendsten spätmodernen Konzeptualisierungen des Erhabenen deutet Martin Seel die ambivalente Struktur des Erhabenen als ein Zugleich von schockierender »Bedeutungs-Leere« (weil die gewöhnliche Welt- und Selbstwahrnehmung im Moment des Erhabenen in sich zusammenfalle) und einem »Jubel über die Bedeutungs-Freiheit« – für einen Augenblick könne die Welt »außerhalb unserer zweckgerichteten und deutungsbeladenen Sicht der Dinge«Footnote 93 betrachtet werden. Kubitscheks ›erhabener Typ‹ begeistert sich jedoch weder an der menschlichen Vernunft noch an einem plötzlichen Freiheitsgewinn, sondern bettet die erhabene Überwältigungserfahrung genau umgekehrt in ein zweckgerichtetes politisches Narrativ, in die »Große Erzählung« ein. Das Erhabene soll einen (meta-)politischen Akteur von »furchterregender, angemessen rücksichtsloser Entschlossenheit« befeuern. Letztlich entwirft Kubitschek damit ein halbiertes Erhabenes: Die für das Erhabene konstitutive »Entmächtigung des Subjekts«Footnote 94 verschwindet hinter einer Ermächtigungsgeste, einer Machtdemonstration des vorpolitischen Subjekts.

Damit speist sich Kubitscheks Erhabenheitskonzept nicht aus der neueren Literatur- und Philosophiegeschichte des Erhabenen, sondern schließt an dessen politische Karriere im frühen Nationalsozialismus an. Lichtdom und Fackelzüge setzen – darin Benns Gedicht vergleichbar – insbesondere auf eine von Lichtgewalt ausgelöste Überwältigungserfahrung, die – anders als bei Benn (und das gilt es zu betonen) – Sinnbild nicht ästhetischer, sondern politischer Stärke sein soll. Man tut dem eindrücklichsten Beispiel einer nationalsozialistischen Erhabenheitsästhetik, Leni Riefenstahls monumentalem Film Triumph des Willens über den Reichsparteitag der NSDAP von 1934, keine besondere Gewalt an, wenn man ihn als einen geschickt inszenierten Aufruf zu »furchterregender, angemessen rücksichtsloser Entschlossenheit« deutet. Ohne sich je offen zu ihr zu bekennen, kokettiert Kubitscheks ästhetische Erziehung unverkennbar mit dieser Spielart des Erhabenen.

VI.

Aber nicht nur. Wer Kubitscheks Literaturpolitik auf eine aufgewärmte NS-Ästhetik reduziert, verkennt ihre ideologische Beweglichkeit – so wird in der Sezession schon seit längerem über eine neurechte Affinität zur Postmoderne debattiert.Footnote 95 Ein Beispiel für die (relative) literaturgeschichtliche Offenheit Kubitscheks ist sein didaktisches Projekt der ›Monatsgedichte‹. Zwischen März 2009 und Januar 2011 hat er im Blog der Sezession fast jeden Monat ein von ihm geschätztes Gedicht veröffentlicht und kommentiert. Zu den rund 20 von Kubitschek ausgewählten Texten gehört zwar auch politische Lyrik, die von revolutionären Vormärz-Gedichten bis zu konservativen Kriegsgedichten reicht. Vor allem publiziert Kubitschek hier aber unpolitische Texte der klassischen Moderne. Seine literaturgeschichtliche Schwerpunktsetzung liegt damit außerhalb des in vielen rechten Kreisen propagierten Antimodernismus, nämlich in der avantgardistischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. Neben Hölderlin zählt er Benn, Stefan George und Georg Trakl zu seinem literarischen »Viergestirn«,Footnote 96 auch ein Rilke-Gedicht wird aufgenommen – allesamt Autoren mit einer deutlichen Affinität zum Erhabenen. Einen ganzen Essay widmet er z.B. der lyrischen Bildgewalt Georg Trakls, die ihn darüber hinwegsehen lässt, dass Trakl – wie Kubitschek wörtlich zitiert – »jedem Deutschen das Beil des Henkers«Footnote 97 gewünscht habe. Kubitscheks literarische Leitkultur ist damit ästhetisch deutlich variantenreicher und im Ganzen progressiver als die der AfD (auch wenn in den Monatsgedichten – womöglich ist das kein Zufall – bereits die im AfD-Kanon überraschenden Autoren Heine und Fontane berücksichtigt werden). Verbunden sind Kubitscheks Monatsgedichte mit der AfD-Broschüre allerdings in ihrer Beschränkung auf männliche Autoren, was auch insofern von Interesse ist, als die hier implizit, in vielen anderen neurechten Texten auch explizit behauptete »Ungleichheit der Geschlechter als eine Art Blaupause für jegliche Propaganda der Ungleichheit«Footnote 98 dienen kann.

Etwas genauer in den Blick nehmen werde ich im Folgenden den so programmatischen wie überraschenden Eröffnungstext der Monatsgedichte: Hans Magnus Enzensbergers leuchtfeuer von 1964. Die pyrotechnische Poetologie – wie Benns Gedicht assoziiert auch leuchtfeuer die Dichtung mit einem Feuerschein – scheint Kubitschek so wichtig zu sein, dass er dafür auch einen ideologisch unpassenden Autor in Kauf nimmt. Denn kein zweiter deutscher Schriftsteller der Nachkriegsjahre hat sich so nachdrücklich wie Enzensberger für einen internationalen Kanon ausgesprochen. Sein Essay »Weltsprache der Poesie« von 1960 ist dem »übernationale[n] Zug« der modernen Literatur gewidmet: »Die großen Meister der modernen Poesie, zwischen Chile und Japan, sie haben miteinander mehr gemein als jeder mit seiner nationalen Herkunft.«Footnote 99 Es ist das erklärte Ziel von Enzensbergers Museum der modernen Poesie von 1960, seine deutschsprachigen Leserinnen und Leser mit internationaler Lyrik bekannt zu machen, die zwischen 1910 und 1945 entstanden ist und gleichwohl, wie Enzensberger im Nachwort hervorhebt, keinen faschistischen Autor enthalte.Footnote 100

So deutlich sich Enzensberger als Person anti-nationalistisch und politisch positioniert – er gilt als Ikone der Studentenbewegung der 60er-Jahre –, so entschieden verwehrt er sich jedweder politischen Instrumentalisierung von Lyrik. In seinem Essay »Poesie und Politik« von 1962 geißelt er Johannes R. Bechers Stalin-Gedichte ebenso wie die »Hitler-Hymnen« von Gerd Gaiser und Hans Carossa – schon vor Marcel Reich-Ranicki schreibt Enzensberger, dass diese Texte (und nicht etwa eine linke Literaturkritik) »ihre Urheber als geistige Personen gleichsam auslöschen«.Footnote 101 Kurz gesagt: Einen nationalen Lyrikkanon der Neuen Rechten ausgerechnet mit Hans Magnus Enzensberger zu eröffnen, ist einigermaßen originell – und gleichzeitig typisch für die neurechte Tendenz, vermeintlich ›linke‹ Personen und Positionen für die metapolitische Arbeit produktiv zu machen.

Kubitscheks Gedichtkommentar schweigt sich über den Autor aus und bezieht sich allein auf die Bildlichkeit des Gedichts. Diese versteht er offensichtlich als eine Steigerungsform von Benns Ein Wort, da in leuchtfeuer nicht nur das Feuer der Dichtung ins Bild gesetzt wird, sondern auch dessen Produzent – der einsame Leuchtturmwärter, der Orientierung gibt. In der dritten Strophe von Enzensbergers Gedicht heißt es:

Diese Schäre ist leer.

Nur für Feuermeister und Lotsen

drei Häuser, drei Schuppen aus HolzFootnote 102

Mit Vorliebe inszeniert sich Kubitschek als einsamen »Feuermeister und Lotsen«, als Impulsgeber aus der »Ein-Mann-Kaserne«Footnote 103 des Ritterguts Schnellroda. Dass der Ausdruck ›Feuermeister‹ vom Blitze schleudernden Zeus bis zur Feuerpriesterin Melisandre aus Game of Thrones mythisch konnotiert ist, verbindet sich mit Kubitscheks Bemühen um eine textuell erzeugte Selbstauratisierung. So fügt es sich ins lyrische Bild und in Kubitscheks Selbstverständnis als ästhetischer Erzieher, wenn sein Kommentar zum ersten Monatsgedicht mit einem autoritären Imperativ endet: »Auswendiglernen!«

Die Pointe von Enzensbergers Gedicht besteht in einem Selbstwiderspruch, den Kubitschek nicht erwähnt – und der dennoch hervorragend zu seiner literarischen Agenda passt. Der Sprecher des Gedichts behauptet nämlich einerseits, dass das Lichtsignal eines skandinavischen Leuchtturms für nichts als sich selbst stehe, also kein Zeichen für etwas Anderes sei. Die ersten Verse lauten: »Dieses Feuer beweist nichts, / es leuchtet, bedeutet: / dort ist ein Feuer.« Andererseits geht es offenkundig doch um mehr und um anderes. Abgesehen davon, dass jeder Leuchtturm seine Existenz einer offensichtlichen Zeichenhaftigkeit für die Seefahrt verdankt (und insofern immer mehr bedeutet als ›dort ist ein Feuer‹), klingt in den letzten zwei Versen des Gedichts durchaus eine Erlösungsqualität an, die zuvor negiert und gerade dadurch aufgerufen wird (»Keine Lösungen, keine Erlösung«): »dort ist der Ort wo das Feuer ist, / dort wo das Feuer ist ist der Ort.« Das Feuer markiert nicht irgendeinen, sondern den Ort.

Die gleiche Widersprüchlichkeit prägt die allegorische Dimension dieses Gedichts, das in der Forschung relativ einhellig metapoetisch gedeutet wird. Enzensbergers Text entfaltet einen »Widerspruch«, ist von einer »intendierten Paradoxie«Footnote 104 geprägt, indem das Leuchtfeuer (erste Bedeutungsebene) und die von ihm angespielte Dichtung (zweite Bedeutungsebene) Bedeutsamkeit zugleich negieren und signalisieren. Im Kontext von Enzensbergers Poetik dieser Jahre steht das Leuchtfeuer, das nur seine sinnliche Gegenwart bedeutet, für eine autonome Ästhetik, für eine Literatur, die ausschließlich als Literatur wahrgenommen werden will. Solch eine »poésie pure«, so führt Enzensberger aus, »behält recht gegen jedes allzu eilfertige Engagement, das sie ideologisch zu Markte tragen will«.Footnote 105

Einer weltabgewandten Elfenbeinturmliteratur will Enzensberger damit allerdings keineswegs das Wort reden. Deshalb spricht er gerade einer nicht-engagierten Literatur in dialektischer Manier eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zu: Jenseits jeder konkreten politischen Positionierung handele es sich bei Gedichten »um die Antiware schlechthin«, um »Widerspruch, nicht Zustimmung zum Bestehenden«.Footnote 106 Die von Enzensberger eingeforderte nicht-politische Literatur ist auf zweiter Stufe durchaus – wenn auch indirekt – politisch wirksam. Insofern steht der Leuchtturm nur für sich und wirkt doch über sich hinaus.

Auch Kubitschek liest den Text allegorisch und fokussiert in seinem Kommentar vor allem die politische Wirksamkeit zweiter Stufe, die man im Vokabular der Neuen Rechten als metapolitisch bezeichnen kann:

»Und jetzt sage mir einer, daß dieses Gedicht nichts mit uns und unserer Arbeit (konkret: etwa mit diesem Netz-Tagebuch) zu tun hätte! Was anderes als ein Leuchtfeuer ist solches Tun […]?«Footnote 107

Auf den ersten Blick gar nichts Politisches zu sagen und dennoch indirekt politisch wirksam zu sein – Enzensbergers Gedicht scheint dieses metapolitische Ideal Kubitscheks so treffend zu umreißen, dass es auf den zweiten Blick durchaus plausibel ist, die Reihe der Monatsgedichte mit dieser programmatischen Selbstreflexion zu eröffnen. Deutlich wird spätestens im Kommentar, dass es bei Kubitschek und im Antaios Verlag kein Jenseits der Metapolitik gibt. Literatur – darüber sollten sich literarische Autorinnen und Autoren wie Monika Maron oder Uwe Tellkamp im Klaren sein – ist in neurechten Kontexten immer auch metapolitisch und damit: politisch relevant.

Womöglich passt das Gedicht leuchtfeuer sogar noch besser zu Kubitschek, als er expliziert. Denn die grundlegende Widersprüchlichkeit des Gedichts, auf die er nicht eingeht, ist ein basales Argumentationsprinzip auch in Kubitscheks politischen Essays. Selbst ein einzelner Text wie das Manifest Provokation verbindet Intellektualität und Anti-Intellektualismus, fordert »in bester Barbaren-Manier die Kunst der Vereinfachung« und will einige Seiten später »das Vielschichtige immer mitdenken« – schließlich sei es ein Fehler der Linken, aus dem Leben eine »höchst einfache Angelegenheit«Footnote 108 zu machen. Der Autor beschwert sich über eine Ausgrenzung der Rechten aus dem öffentlichen Diskurs und erklärt gleichzeitig jedes »Gespräch«, jede »Beteiligung an einer Debatte« zum ›aufgebrauchten‹ Mittel.Footnote 109 Er empfiehlt unverhohlen gewalttätige Aktionen (»von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht«) und vertritt wenige Absätze später eine Haltung der Güte: »Wir meinen es ernst mit dieser grundsätzlich gütigen Einstellung dem Leben gegenüber, und wir wissen genau, daß diese Güte nicht das ist, was einem politisch erwachenden jungen Mann auf den ersten Blick gefallen kann.«Footnote 110 »Sie spielt mit offenen Karten, sie vermummt sich nicht«,Footnote 111 heißt es in einem anderen Artikel von 2012 ganz grundsätzlich über die Neue Rechte, während in Provokation vom ständigen »Drahtseilakt zwischen notwendiger Offenheit und taktischer Maskierung«Footnote 112 die Rede ist. Diese enorm biegsame Selbstpositionierung vertraut darauf, dass ihre Leser von der sprachlichen Emphase, dem durchgängig hohen Erregungsniveau der Einzelstelle mitgerissen werden, anstatt nach der Kohärenz des Gesamtentwurfs zu fragen. Nicht politische, sondern ästhetische Manifeste (etwa Marinettis Futurismus, der seine Gewaltrhetorik später in den Dienst des italienischen Faschismus stellte), nicht die kohärente Argumentation, sondern die poetische Leuchtkraft der Sprache dienen dem politischen Autor Kubitschek als Vorbild.

Wenn sich in der kulturpolitischen Debatte etwa um das Werk von Neo Rauch nach Wolfgang Ullrichs Diagnose »die Konfessionen von Postmoderne und Essentialismus«Footnote 113 gegenüberstehen – Erstere links und westdeutsch, Letztere rechts und ostdeutsch konnotiert –, wechselt Kubitschek munter zwischen beiden Positionen hin und her. Im Ganzen bestätigt sich an ihm Carolin Amlingers Befund, dass sich die Neue Rechte zunehmend »aus dem begrifflichen Werkzeugkasten der Postmoderne bedient«.Footnote 114 Und während die Rhetorik der AfD ein »Spiel mit der Vieldeutigkeit«,Footnote 115 eine »Kunst der subtilen Ambivalenz« betreibt, in der etwa Björn Höckes Rede vom Berliner Holocaust-Mahnmal als einem ›Denkmal der Schande‹ als bekenntnishafter Tabubruch verstanden werden kann und doch gleichzeitig den »Rückzug ins Unanstößige« offenhält, setzt Kubitschek stärker auf ein anderes »System der Zweideutigkeit«.Footnote 116 Nämlich auf eine zweigleisige Strategie, die unterschiedliche Textpassagen unterschiedlich adressiert. Das Ziel ist in beiden Fällen dasselbe: Es geht darum, sowohl gruppeninternes Identifikationspotenzial für sehr unterschiedliche Formen und Radikalitätsstufen des ›Rechtsseins‹ (bis hin zu gewaltbereiten Neonazis) zu liefern als auch gruppenexterne, also an die vorhersehbare nicht-rechte Kritik adressierte Ausweichzitate in alle Richtungen bereitzustellen. »Kubitschek betreibt dieses Tänzchen zwischen maximaler Radikalität und staatstragendem Getue bis zur Perfektion«, kommentiert Volker Weiß in seiner Jungle World-Kolumne und verortet darin das »Grunddilemma der Neuen Rechten«.Footnote 117 Um ein ›Dilemma‹ handelt es sich meiner Ansicht nach jedoch nur aus der kritischen Außenperspektive. Dass Kubitschek seinen Status als Ikone der Neuen Rechten in der heterogenen Szene ebenso wie in den liberalen Medien seit bald 20 Jahren hält und ausbaut, hat ganz wesentlich mit seinem extrem anschlussfähigen Agieren zu tun, das reaktionäre Geschlossenheit mit spätmoderner Flexibilität kombiniert – und das sich als Erfolgsmodell erwiesen hat.

An den Monatsgedichten fällt nicht zuletzt auf, dass in Kubitscheks Gedichtkommentaren viel Privates enthalten ist, also stets ein Persönlichkeitsentwurf mitgeliefert wird. Funktional ist das insofern, als auch Thor v. Waldstein die intellektuelle Rechte vor einem »überbetonte[n] Intellektualismus« warnt und auf die strategische Bedeutung von »Emotionen und Subjektivismen«Footnote 118 hinweist. Gabriele Kämper spricht in einer treffenden Formulierung von einem ›emotionalen Pakt‹,Footnote 119 den der neurechte (im Unterschied zum nicht-rechten) Literaturjournalismus mit seinem Publikum zu schließen bemüht ist. So kommt es auch Kubitschek ausdrücklich darauf an, über die konkrete Thematik hinaus etwas »ganz Neues an Lebensvollzug, intellektuellem Raum und Denk-Milieu«Footnote 120 anzubieten. Der öffentlich ausgestellte ›Lebensvollzug‹ zielt hier auf eine Kombination unterschiedlichster Eigenschaften und Aktivitäten: Kubitschek inszeniert sich in seinen Texten als Kollektivwesen und Einzelgänger, politischer Aktivist und Familienmensch, vergnügungslustig und intellektuell, soldatisch und ästhetisch sensibel, tatkräftig und »schwermütig-hilflos«Footnote 121 – das Selbstporträt schillert durch einen beachtlichen Facettenreichtum, bedient sich leuchtender Komplementärfarben. Es soll vorführen – das ist in seiner metapolitischen Wirkung nicht zu unterschätzen –, inwiefern das Rechtssein (um ein letztes Mal auf Schiller anzuspielen) den ›ganzen Menschen‹ fördern und damit auch über die politische Arbeit hinaus ein attraktives Lebensmodell sein kann.

VII.

Kubitschek agiert nicht nur als Autor und Verleger, sondern nutzt den Literaturbetrieb schon lange auch als eine Bühne für medienwirksame Aktionen und Provokationen. So störte er 2010 eine Lesung von Günter Grass und ließ einen Anti-Grass-Comic verteilen. Das dahinterstehende Konzept lautet:

»Eine an der Kunst geschulte Existenz als politischer Provokateur ist eine Alternative zum Dasein als Treter im [parteipolitischen] Hamsterrad. Und vielleicht beschert der Moment der metapolitischen Aktion einer bilder- und geschichtenarmen Szene wie der unseren (der rechten) die immer wieder erzählbare Geschichte und das immer wieder reproduzierbare Bild […].«Footnote 122

Die Frankfurter Buchmesse, der weltweit größte Handelsplatz für die Vermarktung von Geschichten, bietet sich für eine solche metapolitische Geschichtenproduktion besonders an. 2017 geriet der Antaios Verlag auf der Frankfurter Buchmesse zunächst in die Defensive, als der Verlagsstand in einer nächtlichen Aktion ausgeräumt und beschädigt wurde. Ausgerechnet auf der Bühne für ›Wissenschaft und Bildung‹ durfte der Verlag dann allerdings drei seiner Bücher präsentieren, darunter (als flinke und gegen-alliterierende Antwort auf das ungefähr zeitgleich erschienene Buch Mit Rechten reden von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn) der Band Mit Linken leben von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld. Moderiert wurde die Veranstaltung von Ellen Kositza. Aufschlussreich für meinen Kontext ist vor allem die Reaktion der neurechten Akteure auf die Störung durch ein nicht-rechtes Publikum – denn sie führt keineswegs zum Abbruch des Bühnenauftritts, sondern ermöglicht durch die Gesprächsunterbrechung eine gleich in mehrfacher Hinsicht erfolgreiche Bildproduktion. Deutlich wird ein dreiteiliges Verhaltensmuster, das charakteristisch auch für andere Auftritte der Neuen Rechten ist.

Erstens zeigt sich, wie fließend die Grenzen zwischen Partei- und Metapolitik, zwischen der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Neuen Rechten sind. Denn die Verlagsveranstaltung wird kurzerhand zur Bühne für Björn Höcke, der von Kositza während der Unterbrechung als erfahrener Konfliktmanager aus dem Publikum ans Mikrofon gerufen wird und sich – offensichtlich nicht besonders überrascht – mit einer lächelnd vorgetragenen Ansprache ans Publikum wendet.

Auffällig, im Kontext der flexiblen Selbstdarstellung des Kubitschek-Kreises aber nicht überraschend, ist zweitens die rhetorische und weltanschauliche Wendigkeit der Moderatorin. Schon die bereits erwähnten und von Kositza mitverantworteten Vorworte zu Vorlesen und Das Buch im Haus nebenan führen das geräuschlose Umschalten zwischen Rhetoriken des Humanismus und der Brutalität vor. Auch auf der Buchmessenbühne vergehen nur wenige Augenblicke zwischen Kositzas Aufruf zu einem friedlich-zivilisierten Dialog (»Lasst uns doch den Dialog friedlich führen, friedlich und zivilisiert«)Footnote 123 und einer Pathologisierung der Gegner, denen sie einen Besuch in der psychosozialen Beratungsstelle der Buchmesse empfiehlt.Footnote 124 Mit dem offensichtlich von Kubitschek eingeflüsterten und von Kositza ins Mikrofon gerufenen Slogan »Jeder hasst die Antifa«, der von vielen Sympathisanten im Publikum lautstark übernommen wird, kippt das eingeforderte zivilisierte Verhalten endgültig ins Gegenteil – in eine fröhliche Feier des eigenen Hasses. Für das Sprachspiel und für die Identitätspolitik der Neuen Rechten ist das Abarbeiten an einem Gegner (das führt das Buch von Leo, Steinbeis und Zorn variantenreich vor) ein entscheidender Faktor. Geradezu prototypisch ist dabei die rhetorische Radikalisierung der Protestierenden: Die auf der Buchmesse eher bürgerliche Protestgruppe wird als ›Antifa‹ besungen und von Martin Lichtmesz kurz zuvor gar dem Bolschewismus zugeordnet. Durch solche politischen Kategorisierungen ihrer Gegner schiebt sich die Neue Rechte indirekt selbst ins Zentrum des politischen Spektrums – dafür steht im Slogan ›Jeder hasst die Antifa‹ das Allgemeingültigkeit suggerierende Anfangswort ›jeder‹. Die Neue Rechte betreibt nicht nur hier den paradoxen Balanceakt, sich zugleich als Stimme der (schweigenden) Mehrheit und als elitärer Hort der Außenseiter – im Sinne der von Botho Strauß beschworenen Sezession – zu präsentieren.

Bemerkenswert ist drittens, wie souverän die Störung schon während der Veranstaltung zur eigenen Bildproduktion und Selbstauratisierung genutzt wird. Hauptakteur ist dabei Martin Lichtmesz, regelmäßiger Autor auch in der Sezession, der bürgerlich Martin Semlitsch heißt und mit dem religiös konnotierten Anagramm seines Nachnamens auf Maria Lichtmess und die Darstellung Christi anzuspielen scheint. Auf der Bühne erweist er sich dann ganz buchstäblich als ein neurechter ›Feuermeister‹. Ausgerechnet Lichtmesz hat sich mit Wunderkerzen ausgestattet und ruft kerzenschwenkend: »Hier ist das Licht!« Lichtmesz will die Neue Rechte offensichtlich als zeitgemäße Fortsetzung des neutestamentlichen Erlösungsangebots (»Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben«, Joh 8,12) sowie der aufklärerischen Rationalität (welche im 18. Jahrhundert der Kirche die Lichtmetapher streitig zu machen versuchte) verstanden wissen. Während das Leuchtfeuer in Enzensbergers Gedicht ausdrücklich »keine Erlösung« verheißt, kann man den Auftritt von Lichtmesz nur als Aufforderung verstehen, sich den Lösungsangeboten der Neuen Rechten anzuschließen. Um einen erfolgreichen Buchmessenauftritt handelt es sich jedoch auch ohne eine vergrößerte Anhängerschaft: Die von Kubitschek eingeforderte Symbolproduktion für den eigenen Zirkel – »die immer wieder erzählbare Geschichte und das immer wieder reproduzierbare Bild« – ist bis heute in verschiedenen Videos auf YouTube verfügbar.

Die Proteste gegen den Stand und die Veranstaltungen von Antaios brachten die Medienmaschine für den Verlag erst richtig zum Laufen. Spätestens mit der Buchmesse 2017 avancierte die Neue Rechte auch zu einem literaturbetrieblichen Akteur, der sich nicht mehr ignorieren ließ. Um dem Dilemma zu entgehen, Verlage wie Antaios entweder gewähren lassen zu müssen oder mit Protesten weiter zu popularisieren, änderte die Buchmesse für 2018 ihr Veranstaltungskonzept und unterband die freie Belegung von Messebühnen durch die Verlage. Antaios reagierte darauf mit einer Strategieänderung: Kubitschek meldete 2018 keinen Messestand an, sondern irritierte die Branche wenige Tage vor Messebeginn mit dem Scheinverkauf von Antaios an den unbekannten Loci-Verlag. Obwohl nicht angemeldet, nahm Kubitschek mit seinen Büchern unter dem Loci-Dach schließlich doch an der Buchmesse teil, berief sich als Anregung auf das 1918 entstandene Dadaistische Manifest von Richard Huelsenbeck (auf das der fälschlich angekündigte Einheitspreis seiner Bücher von 19,18 € anspielte) und zog wiederum eine immense mediale Aufmerksamkeit auf sich (was in einer minutiösen Presse-Dokumentation in der Sezession hämisch gefeiert wurde).Footnote 125 Mangelnde Kreativität und fehlendes literaturgeschichtliches Wissen wird man dem Kreis um Kubitschek nicht vorwerfen können. Und erst recht kein fehlendes Durchhaltevermögen: Was Kubitschek schon 2007 programmatisch empfohlen hat – man »studiert die Reflexe des Medienzeitalters und erzwingt durch einen Coup öffentliche Wahrnehmung«Footnote 126 –, wird bis heute immer weiter perfektioniert. Spätestens seit 2017 stellt sich für den nicht-rechten Literaturbetrieb die dringliche Frage, wie man angemessen auf diese neurechten Leucht- und Störfeuer reagiert. Abschließend soll deshalb an der Feuilletondebatte von 2018 um den Autor Simon Strauß nachverfolgt werden, welche Fallstricke die Neue Rechte in öffentlichen Literaturdiskussionen ausgelegt hat – und was sich daraus für den zukünftigen Umgang mit neurechter Literaturpolitik lernen lässt.

VIII.

Der Erfolg neurechter Metapolitik zeigt sich nicht zuletzt dort, wo sie am heftigsten kritisiert wird. Nach vielen positiven Rezensionen in den großen Feuilletons veröffentlichte die taz Anfang 2018 einen Artikel, in dem Alem Grabovac die These vertritt, dass der FAZ-Redakteur Simon Strauß in seinem Debutroman Sieben Nächte (2017) »im Gewand der Romantik Pamphlete für die Neue Rechte schreibt«; sein Roman betreibe »die Verwirklichung der Kubitschek’schen Visionen«.Footnote 127 Die Rich Kids of Literature, eine Gruppe junger Schriftstellerinnen und Schriftsteller, legte vier Tage später in einem online-Artikel nach. Die Neue Rechte mit ihrem »geschichtsvergessene[n] Unsinn« habe in der Literaturszene bisher »nur einen einzigen Apologeten« – Simon Strauß. Strauß nutze eine Sprache, die in ihrer »Vergangenheitsverklärung dem romantisch-nationalistischen Sprech der Identitären gleicht.«Footnote 128 Weiter heißt es:

»[Es ist unsere] Verantwortung, es klar so zu benennen, wenn jemand die Lust am Fabulieren instrumentalisiert, um der deutschen Literatur ein romantisches, Heimat-orientiertes, Militarismus-verherrlichendes, maskulines Gedankengut einzupflanzen, das in einer erschreckend ähnlichen Erscheinungsform vor nicht einmal siebzig Jahren den Holocaust mit möglich gemacht hat.«Footnote 129

Im SPIEGEL und in der ZEIT, in denen Volker Weidermann und Florian Illies den Roman einige Monate zuvor noch hymnisch gefeiert hatten, fanden sich wenige Tage später ebenfalls Artikel, die Strauß in die Nähe der Neuen Rechten rückten. Der SPIEGEL druckte eine Reaktion seines von Grabovac und den Rich Kids mitkritisierten Literaturchefs Volker Weidermann, der Simon Strauß nun zumindest eine Teilschuld an den Vorwürfen zuwies. In der ZEIT vom 17. Januar erschienen jeweils ein Pro- und Contra-Artikel zur Frage, ob der Roman »Neonazis in die Hände«Footnote 130 spiele. Während Ijoma Mangold den Vorwurf für »lupenreinen Rufmord« hält, attestiert die Schriftstellerin und Journalistin Antonia Baum dem Roman einen »Flirt mit rechts«: Der Text betreibe »den Lieblingssport« der AfD – neurechtes Gedankengut zu verbreiten, dabei aber »so ungefähr« zu bleiben, dass man ihn »schwer angreifen kann«.Footnote 131

Auffällig an fast allen kritischen Beiträgen ist eine Engführung (wenn nicht Gleichsetzung) von Buch und Autor. Zumeist in ihren Anfangspassagen weisen sie – einer tendenziell konservativen Denkfigur folgend – auf die familiäre (und mitklingend: politische) Bindung von Simon Strauß an seinen Vater Botho Strauß hin. Die Romankritik vermischt sich dann immer wieder mit politischen Vorbehalten gegenüber den Zeitungstexten von Simon Strauß. So scheint der wichtigste Impuls für die Debatte weniger vom Roman Sieben Nächte als vielmehr von einem am 3. Januar 2018 veröffentlichten FAZ-Artikel auszugehen. In dem umfangreichen Artikel erklärt Strauß den Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl 2017 damit, dass »keine andere Partei sich dazu aufraffen konnte, die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin vernünftig zu kritisieren«.Footnote 132 Es ist hermeneutisch nicht eindeutig zu klären, ob damit die AfD-Kritik zu einer ›vernünftigen‹ geadelt oder ein Mangel an vernünftiger Kritik beklagt wird. Die Kritiker – zuerst Grabovac – folgen der ersten Lesart, ohne zu erwähnen, dass Strauß im Folgenden durchaus spezifiziert, was er für kritikwürdig hält – etwa die Tatsache, dass »im Bundesamt für Migration die Mitarbeiter unter Aktenordnern zusammenbrachen«.Footnote 133 Der grundsätzlichen Flüchtlingsablehnung der AfD redet Strauß nicht das Wort. Im Gegenteil: Am Artikelende, das die Strauß-Kritiker entweder nicht mehr gelesen oder bewusst unterschlagen haben, wird mit unverkennbarer Sympathie von einem Dokumentarfilm über die Initiative ›Kleiner Fünf‹ berichtet, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die AfD bei der Bundestagswahl unter 5 % zu halten.Footnote 134 So offensichtlich der Journalist Simon Strauß kein Linker ist, so wenig ist er nach allem, was man bis 2018 in der FAZ lesen kann, ein – dagegen hat er sich dann auch explizit gewandt – »Posterboy der Neuen Rechten«.Footnote 135

Und dennoch war Götz Kubitschek – darauf weist zuerst Grabovac hin – 2015 zu einem Diskussionsabend in den Berliner Salon eingeladen, den Simon Strauß mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern betreibt. Über die schwer zu beantwortende Frage, wie sinnvoll ein Austausch mit Kubitschek ist, wurde bereits kontrovers debattiert, nachdem der renommierte Soziologe Armin Nassehi seinen 2014 mit Kubitschek geführten Briefwechsel publiziert hatte.Footnote 136 Hinweise auf diesen Austausch – der nicht zu dem Vorwurf führte, Nassehi habe sich der Neuen Rechten verschrieben – findet man in den Artikeln zu Strauß ebenso wenig wie auf einen Sezessions-Artikel von Kubitschek, in dem er den Besuch im Berliner Salon als ein großes Missverständnis verbucht (unerwähnt blieb auch, dass unter den ansonsten in diesen Salon Eingeladenen Vertreter der Linken und Menschenrechtsaktivisten deutlich in der Überzahl waren).Footnote 137 Stattdessen suggeriert der Artikel von Grabovac, dass jede (auch kritische) Kontaktaufnahme mit Kubitschek zur unausweichlichen Kontamination mit neurechtem Gedankengut führe. Damit treibt er eine Auratisierung voran, auf die Kubitscheks Selbstdarstellung immer wieder abzielt.

Welche »Kubitschek’schen Visionen« (zu denen man durchaus den Faschismus rechnen muss) ›verwirklicht‹ nun aber der Roman Sieben Nächte, der von seinen Kritikern in die Nähe der rechtsextremen Identitären Bewegung und von Neonazis gerückt, ja bei den Rich Kids of Literature mit dem Holocaust assoziiert wird? Antonia Baum liefert in der ZEIT nur einen Beleg für die neurechten Tendenzen des Romans, und zwar sein Männlichkeitskonzept: »Der Erzähler isst Fleisch und fährt Auto, wie sich das für richtige Männer gehört; wenn er seine geistigen Bezugsgrößen zitiert, sind das ausschließlich Männer.«Footnote 138 Nicht erwähnt wird von Baum das fiktionale Romansetting, in das dieses Männlichkeitsbild eingebettet ist: Ein Endzwanziger, der sich im ersten Teil als ängstlichen, angepassten und dezidiert unmännlichen »Schwächling« beschreibt, sehnt sich nach großen Gefühlen, nach »Empfindung, Anteilnahme und Begeisterung«Footnote 139 – und geht mit einem mysteriösen Bekannten eine Art Teufelspakt ein, der ihm im zweiten Teil in sieben Nächten die Begegnung mit den sieben Todsünden ermöglicht. In den Kapiteln zu ›Hochmut‹ und ›Völlerei‹ kokettiert der Erzähler mit einem traditionellen Männlichkeitskonzept, lässt aber keinen Zweifel daran, dass es ihm zutiefst wesensfremd ist.

Doch selbst wenn dem nicht so wäre: Dass im Feuilleton der ZEIT schon das Fleischessen, das Autofahren und das Männerzitieren einer Romanfigur als hinreichender Beleg für die neurechte Gesinnung des Autors gilt, muss als enormer Erfolg der neurechten Metapolitik gewertet werden. Letztlich bestätigt Baums Argumentation genau jene Weltsicht, die Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld in Mit Linken leben propagieren: Wer sich nicht als dezidiert links begreift, findet in der Neuen Rechten seine ›natürliche‹ Heimat. Folgerichtig zitiert Ellen Kositza – die als eine von wenigen auf die »Rollenprosa«Footnote 140 dieses Textes hinweist – in der Sezession genüsslich aus der ZEIT-Kritik zu Sieben Nächte. Sie scheint selbst davon überrascht zu sein, welche Felder das Feuilleton freiwillig der Neuen Rechten überlässt, welche Autoren auch gegen deren Willen umstandslos in die Reihen der Neuen Rechten verschoben werden. Es ist dem Kubitschek-Kreis offenbar gelungen, auch dort ins Spiel gebracht zu werden, wo es gar nicht um sein Hauptanliegen geht. Das wird nachträglich von Götz Kubitschek bestätigt, der in einem Anfang 2021 auf YouTube eingestellten Videoessay den Roman Sieben Nächte ideengeschichtlich einordnet, um ihm letztlich eine Tendenz zu »postheroischer Beruhigung« und »Zufriedenheit«Footnote 141 zu attestieren – was weder zu Kubitscheks ästhetischen Vorlieben passt noch für eine metapolitische Mobilmachung taugt.

Vom Kern des neurechten Identitätsangebots – von Nationalismus, Heimatfanatismus und einer völkisch konzipierten Leitkultur – findet sich in Simon Straußʼ Roman in der Tat kaum etwas. Seine (wenn auch ausschließlich männlichen) Heroen sind ausgesprochen international aufgestellt und reichen von der Popband The Kinks bis zum Regisseur Stanley Kubrick. Die von Grabovac dem Buch vorgeworfenen politisch-nationalistischen Ermächtigungsphantasien stellen es geradezu auf den Kopf, will der Protagonist im Kapitel ›Hochmut‹ seine Macht doch ausdrücklich für ästhetische Zwecke nutzen:

»Ich werde durchsetzen, dass vor jeder Ausschusssitzung, jeder Parketteröffnung oder Redaktionskonferenz verpflichtend ein Gedicht vorgelesen werden muss. Kein Gebet, keine Nationalhymne – ein Gedicht, egal aus welchem Land, in welcher Sprache, nur Lyrik müsste es sein. Das würde sehr helfen.«Footnote 142

Angesichts solcher ästhetischer Utopien ist es wenig nachvollziehbar, dem Roman Sieben Nächte einen kulturellen oder politischen Nationalismus vorzuwerfen. Es sei denn, man assoziiert schon die Lust auf emphatische Gedichtlektüren und ästhetische Überwältigungserfahrungen mit einer neurechten Ideologie. Und genau darin scheint der eigentliche Grund von Grabovacs Unbehagen zu liegen. Die Kritiken von Grabovac und den Rich Kids, mit Abstrichen auch von Weidermann, stören sich an einem forcierten Ästhetizismus, der in allen drei Kritiken mit dem Schlagwort ›Romantik‹ belegt wird und eine Überwältigungsästhetik des Erhabenen meint. Die lyrischen Hausheiligen des Protagonisten sind George, Rilke, Benn und Celan – allesamt Autoren, bei denen die Lyrik bis zu hin zur kunstreligiösen Erschütterung geführt wird. Ausdrücklich in diesem ästhetischen Kontext schreibt Grabovac dem Roman dann auch »die Verwirklichung Kubitschek’scher Visionen« zu. Das überzeugt aber nur insofern (und deshalb überzeugt es grundsätzlich eben nicht), als auch Kubitschek diese Autoren – mit der wichtigen Ausnahme des jüdischen Autors Paul Celan, dessen Werk vor allem anderen der Erinnerung an die Shoah verpflichtet ist – und deren Vorliebe für ästhetische Intensitäten schätzt.Footnote 143

Während die Maron-Debatte zu einer kurzsichtigen Bagatellisierung des neurechten Kontextes tendiert, führt die Diskussion um Simon Strauß die Kontraproduktivität einer politischen Übersensibilität vor Augen. Denn erstens zielen die ›Kubitschekschen Visionen‹ keineswegs auf Kunst, sondern auf einen Umbau der demokratischen Gesellschaft in Richtung einer faschistisch-völkischen Gemeinschaft – nichts davon wird bei Strauß ›verwirklicht‹. Insofern betreibt die These je nach Blickrichtung eine Dämonisierung des Romans oder eine Verharmlosung der Kubitschekschen Ambitionen, die sich keineswegs mit Fleischessen, Autofahren und Männerzitaten zufriedengeben. Noch gravierender, weil damit eine in allen Kritiken zum Ausdruck kommende Tendenz benannt wird, ist – zweitens – die Gleichsetzung von romantischer, kunstreligiöser und erhabener Ästhetik mit neurechter Politik. Dass in der Tat einiges (darauf hat ausgerechnet Carl Schmitt bereits 1919 hingewiesen) gegen eine politische Romantik spricht, diskreditiert nicht automatisch die komplette literarische Romantik – sondern deren Politisierer wie Götz Kubitschek. Hans Magnus Enzensberger hat schon 1962 davor gewarnt, die Romantik pauschal als eine »Agentur der Reaktion« zu denunzieren und damit »ein unentbehrliches, ein mächtiges Element der modernen Traditionen dem Nationalismus, […] dem Faschismus zu überantworten.«Footnote 144 Das Narrativ, nach dem augenblicklich ein faschismus-affiner Neurechter sei, wer heute noch romantische Literatur liest oder ästhetische Überwältigungserfahrungen des Erhabenen sucht, findet sich in bedenklicher Einträchtigkeit in linker Ideologiekritik und neurechter Metapolitik – spielt letztlich aber nur der Neuen Rechten in die Karten. Längst hat sie die Chance erkannt, eine weitgehende linksliberale Diskreditierung der Romantik an Schulen und Universitäten zu behaupten, um sich selbst als »Kulturbewahrer in barbarischen Zeiten«Footnote 145 zu inszenieren, sich zu nobilitieren – so der habilitierte AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider – als eine jener »Institutionen außerhalb des staatlichen Bildungsbetriebes, die sich der Romantik annehmen.«Footnote 146

Ähnliches gilt in Bezug auf das Erhabene. Zumindest der Tendenz nach bestätigt Wolfgang Ullrich eine Geistesverwandtschaft zwischen erhabener Ästhetik und neurechter Ideologie, wenn er den von ihm kritisierten Maler Neo Rauch als einen »Türhüter des Erhabenen«Footnote 147 bezeichnet. Unausgesprochen arbeitet Ullrich mit einem reduzierten und erst dadurch rechtskompatiblen Erhabenheitskonzept, wie man es auch bei Kubitschek findet – und bestätigt damit ungewollt eine metapolitische Strategie der Neuen Rechten. Deshalb gilt es im Blick zu behalten, dass man es beim Erhabenen mit einer ästhetischen Grunderfahrung zu tun hat, die sich bei jedem Spaziergang am Meer, in den Bergen oder unterm Sternenhimmel einstellen kann, ja nach Meinung Martin Seels überall dort möglich ist, wo man offen in die Welt schaut (»Liegestuhl und Nordbalkon genügen)«.Footnote 148 Man kann also sehr wohl eine politische Instrumentalisierung des Erhabenen kritisieren, ohne das Erhabene gleich grundsätzlich verwerfen zu müssen – die ethische Verantwortung der Wissenschaft besteht mithin darin, auf solchen Differenzierungen zu insistieren, ohne die sich Theodor W. Adorno nach dem Nationalsozialismus schwerlich auf das Erhabene als einen Freiheitsgewinn hätte berufen können.Footnote 149 Auch die kunstreligiöse Emphase in Sieben Nächte oder in Texten Rilkes kann man kritisch in den Blick nehmen, ohne gleiche jede »religiöse Geste« in literarischen Texten für »potentiell völkisch vereinnahmbar«Footnote 150 zu erklären und damit der Neuen Rechten zur weiteren Nutzung zu übergeben.

Wo der Kulturjournalismus zu der Überzeugung kommt, dass es »keine unpolitische Kunst« gebe, allenfalls eine »rationale Romantik« vertretbar sei und man auch im ästhetischen Kontext seine Träume politisch kontrollieren müsse (»Wir sind nicht frei in unseren Träumen«),Footnote 151 verschenkt er eines der innovativsten Spielfelder literarischen Schreibens an die Neue Rechte. Wer schon das emphatische Lesen von Kunstenthusiasten wie Hölderlin, Rilke oder Benn – so kritikwürdig einige ihrer Texte sein mögen – prinzipiell als politischen Verdachtsfall einstuft oder gar ganz der Neuen Rechten überlässt, erhöht deren Attraktivität und Einflussbereich. Sinnvoller (und auch intellektuell attraktiver), als irritierende Texte bzw. deren Verfasserinnen und Verfasser ins Spektrum der Neuen Rechten zu verschieben, erscheint mir eine durchaus kritische Lektüre gerade von Jünger, Benn oder Botho Strauß, die sich einer reduktionistischen rechts-ideologischen Vereinnahmung ebenso widersetzt wie einer undifferenzierten Ideologiekritik von linker Seite. Vor allem aber ist es angesichts der zunehmend geschickteren Strategien des kulturpolitischen Raumgewinns der Neuen Rechten höchste Zeit, die Grundformen ästhetischer Erfahrung gegen die rechtspolitische Landnahme zu verteidigen. Dabei ist nicht zuletzt die Literaturwissenschaft gefragt, deren gesellschaftliche Irrelevanz gerne beklagt wird, deren Kompetenzen aber gerade hier – in der analytischen Differenzierung und Vermittlung von ästhetischen und politischen Aspekten – hilfreich sein können. Denn aus den Debatten um Simon Strauß und Monika Maron lässt sich lernen, dass moralische Schnelltests im literarischen Feld fehleranfällig, in der systemischen Gesamtperspektive wenig aussagekräftig und in ihren politischen Konsequenzen kontraproduktiv sein können. Was es stattdessen braucht, ist eine umfassende Analyse der mittel- und langfristigen Strategien neurechter Meta- und Literaturpolitik. Diese zu kennen, ist die Minimalbedingung, um literarische Debatten wieder aus dem Bannkreis der Neuen Rechten lösen zu können.