Einleitung

Der erste Artikel der Publikationsreihe MISSCARE-Austria widmet sich der Häufigkeit von Missed Nursing Care (MNC) auf Allgemeinstationen in österreichischen Krankenhäusern und den beeinflussenden Faktoren. Das ist eine wichtige Grundlage, um die potenzielle Dimension dieses Phänomens zu verstehen und darauffolgend über bestehende Rahmenbedingungen oder Konsequenzen zu diskutieren.

Bereits der Bericht der europäischen Kommission „Costs of unsafe care and cost effectiveness of patient safety programmes“ von 2016 hat gezeigt, dass bei ca. 4–17 % der im Krankenhaus aufgenommenen Patient*innen Komplikationen auftreten, wovon 44–50 % vermeidbar gewesen wären (Zsifkovits et al. 2016Footnote 1). Pflegepersonen spielen im Rahmen der interprofessionellen Versorgung im Krankenhaus eine bedeutende Rolle im Umgang mit Patient*innenrisiken und in der Prävention von Komplikationen. Sie stellen die Gesundheitsberufe mit dem zeitmäßig höchsten und intensivsten Patient*innenkontakt dar und tragen eine große Verantwortung bei der Erkennung von Risiken sowie bei der Durchführung und Evaluierung prophylaktischer Maßnahmen (Kocks et al. 2014). Studien zeigen allerdings, dass Pflegepersonen im Krankenhaus u. a. aufgrund erhöhter Anforderungen und Ressourcenknappheit notwendige Pflegetätigkeiten weglassen müssen bzw. die notwendige Patient*innenversorgung nicht zu Ende führen oder nur mit Verzögerung erbringen können (Kalisch et al. 2009). Dieses Phänomen wird in der Literatur als implizite Rationierung oder Missed Nursing Care beschrieben. Daraus resultieren eine unzureichende Versorgungsqualität und eine verminderte Patient*innensicherheit (Chaboyer et al. 2021).

International wurden in den letzten Jahren ausführliche Forschungsarbeiten zu diesem Thema durchgeführt. Unter anderem ermöglichten die IHOS-Studie (1998–1999), die RICH-Nursing-Studie (2008–2011) und die RN4Cast-Studie (2009–2011) erste quantitative deskriptive Annäherungen an das Phänomen in Deutschland und in der Schweiz (Zander et al. 2014). In Österreich, wo das Gesundheitssystem stark krankenhauszentriert ist (Habl et al. 2010), fehlt es trotz Hinweisen auf Qualitätsprobleme (Krajic et al. 2003) und Personalknappheit in der Pflege (Rappold und Juraszovich 2019) an einer validen Datengrundlage sowie an expliziten präventiven Strategien dazu.

Das Missed-Nursing-Care-Modell

Kalisch et al. definieren den Begriff MNC als „any aspect of required patient care that is omitted (either in part or in whole) or delayed“ (Kalisch et al. 2009, S. 1510). MNC findet dann statt, wenn eine notwendige Pflegetätigkeit nicht durchgeführt oder hinausgezögert wird. Das Missed-Nursing-Care-Modell (Kalisch 2006; Kalisch et al. 2009; Abb. 1) erklärt, wie MNC in Krankenhäusern entsteht und welche Einflussfaktoren dafür bedeutend sind.

Abb. 1
figure 1

Missed-Nursing-Care-Modell. Das Missed Nursing Care Modell beschreibt Einflussfaktoren („antecedents“), welche die Umsetzung des Pflegeprozesses („nursing process“) beeinflussen. Zudem beschreibt es interne Prozesse von Pflegepersonen („nurses’ internal processes“), welche bei der impliziten Rationierung von Pflegetätigkeiten eine Rolle spielen. Wenn hinderliche externe Faktoren vorhanden sind und sich Pflegepersonen in bestimmten nichtförderlichen internen Prozessen situieren, wird der Pflegeprozess laut Kalisch et al. (2009) limitiert umgesetzt. Dies führt zu Missed Nursing Care und hat als Konsequenz, dass durch die Diskrepanz zwischen notwendiger und tatsächlich erbrachter Versorgung negative Patient*innen-Outcomes eintreten. (Quelle: Kalisch et al. 2009, S. 1512; eigene Übersetzung und Darstellung)

Kalisch et al. (2009) identifizierten die wichtigsten Einflussfaktoren („antecedents“), welche die Umsetzung des Pflegeprozesses („nursing process“) beeinflussen. Hierbei handelt es sich einerseits um externe Faktoren, welche die kontextuellen und strukturellen Gegebenheiten betreffen, in der Pflegepersonen die Entscheidungen hinsichtlich der Pflegeversorgung treffen. Diese Faktoren inkludieren: (1) den tatsächlichen Bedarf der Patient*innenversorgung (d. h. Pflegeaufwand, inkl. Komplexität und Stabilität der Pflegesituation, sowie Anforderungen spezialisierter Pflegeversorgung); (2) die verfügbaren Personalressourcen (wie z. B. Anzahl und Funktion von Pflegepersonen im Team, Ausbildungs‑, Kompetenz- oder Erfahrungsniveau); (3) Materialressourcen (wie z. B. Hilfsmittel oder Geräteverfügbarkeit) sowie (4) Beziehungs- und Kommunikationsfaktoren (wie z. B. Teamarbeit oder intra- und interprofessionelle Kommunikation).

Die Gestaltung und damit die Qualität des Pflegeprozesses wird zudem von internen Prozessen durch die Pflegepersonen selbst beeinflusst (Kalisch et al. 2009). Kalisch (2006) stellte fest, dass die Entscheidung, eine bestimmte Intervention durchzuführen oder implizit zu rationieren, von folgenden vier internen Prozessen der Pflegepersonen („nurses’ internal processes“) abhängig ist: (1) den Teamregeln oder -normen; (2) dem Prozess der Entscheidungsfindung; (3) den internen Werten oder Überzeugungen der individuellen Pflegepersonen und (4) deren Gewohnheiten.

Wenn hinderliche externe Faktoren vorhanden sind und sich Pflegepersonen in bestimmten nichtförderlichen internen Prozessen situieren, wird der Pflegeprozess laut Kalisch et al. (2009) limitiert ausgestaltet. Dies führt zu MNC und hat als Konsequenz, dass durch die Diskrepanz zwischen notwendiger und tatsächlich erbrachter Versorgung (negative) Patient*innen-Outcomes eintreten können, die Effekte auf die Patient*innensicherheit und die Pflegequalität haben.

Ziele

Dieser Artikel verfolgt das Ziel, Missed Nursing Care bei erwachsenen Patient*innen im akutstationären Setting auf österreichischen Allgemeinstationen sowie die relevanten Einflussfaktoren darauf zu eruieren. Das bedeutet:

  • Ziel 1: Durchführung einer Istanalyse zu MNC in österreichischen Krankenhäusern,

  • Ziel 2: Differenzierung von MNC nach Krankenhaus- und Stationscharakteristika sowie nach soziodemografischen und beruflichen Merkmalen von Pflegepersonen,

  • Ziel 3: Identifikation von Einflussfaktoren auf MNC in österreichischen Krankenhäusern.

Methode

Studiendesign, Zielgruppe und Rekrutierung

Es wurde eine deskriptiv-komparative quantitative Querschnittstudie mittels onlinebasierter Fragebogenerhebung durchgeführt. Die Grundgesamtheit setzte sich aus allen Pflegepersonen zusammen, die zwischen Mai und Juli 2021 auf konservativen und/oder operativen AllgemeinstationenFootnote 2 österreichischer Krankenhäuser arbeiteten. Es wurde eine pseudoprobabilistische Stichprobe mittels Schneeballverfahren beabsichtigt. Die Rekrutierung der Teilnehmer*innen erfolgte zum einen über Pflegebildungseinrichtungen. Hierzu wurden alle Fachhochschulen mit pflegebezogenen Studiengängen sowie alle österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeschulen angeschrieben, welche im Verzeichnis des österreichischen Arbeitsmarktservices aufgelistet sind (66 Bildungsstätten, Stichtag 10.05.2021). Des Weiteren wurden über österreichische Pflegenewsletter und digitale soziale Netzwerke (i.e. LinkedIn, Facebook und Twitter) mehrere Aufrufe zur Teilnahme an der Studie verbreitet. Krankenhausträger, einzelne Krankenhäuser sowie individuelle Pflegepersonen, welche die Einschlusskriterien erfüllten, wurden in den sozialen Netzwerken dazu eingeladen, die Studie zu unterstützen bzw. an der Studie teilzunehmen. Teilnahmekriterien waren: 1) eine abgeschlossene Qualifikation in der Pflege, begleitet von einer Eintragung im Gesundheitsberuferegister als professionell Pflegende und 2) eine derzeitige Berufstätigkeit 3) auf einer konservativen oder operativen Allgemeinstation in einem österreichischen Krankenhaus.

Für die Berechnung der erforderlichen Stichprobengröße wurden die Empfehlungen von Borg (2000) für die Ermittlung des notwendigen Stichprobenumfangs bei einer uneingeschränkten Zufallsauswahl als Orientierung berücksichtigt. Diese ergaben eine Stichprobengröße von mindestens n = 382 (bei einer angenommenen Zufallsstichprobenziehung und einer angenommenen Grundgesamtheit von 67.200 PflegepersonenFootnote 3 [per 31.12.2017 nach Rappold und Juraszovich 2019], einem erwarteten Anteil von 0,5, einem Konfidenzintervall von 95 % und einem Stichprobenfehler von 0,05). Zur Durchführung der Studie wurde das Votum der Ethikkommission der Universität Wien eingeholt (00684/2021). Alle Studienteilnehmer*innen gaben vor der Teilnahme ihre informierte Einwilligung. Die standardisierte Datenerhebung erfolgte in anonymisierter Form.

Datenerhebung und -analyse

Als Erhebungsinstrument wurde der Revised MISSCARE-Austria Survey angewendet (Cartaxo et al. in Vorbereitung). Dieses basiert auf den Revised MISSCARE Survey von Dabney et al. (2019). Der Fragebogen setzt sich aus 85 Items zu folgenden Bereichen zusammen: 1) Krankenhaus- und Stationscharakteristika, 2) soziodemografische und berufliche Merkmale der Befragten, 3) Häufigkeit der implizit rationierten Pflegetätigkeiten (Sektion A; gemessen in einer 6‑stufigen Endpunktskala von 1: „sehr selten“ bis 6: „sehr oft“) und 4) ausschlaggebende Faktoren (Sektion B; gemessen in einer 6‑stufigen Endpunktskala von 1: „sehr ausschlaggebend“ bis 6: „gar nicht ausschlaggebend“).

Die Datenanalyse erfolgte in IBM SPSS Statistics, Version 27, mittels beschreibender Statistik anhand von Häufigkeitszählungen, Lage- und Streuungsmaßen und Indizes. Indizes bestehen aus Zusammenfassungen von mehreren Variablen. Diese Zusammenfassung ermöglicht es, die Vielzahl der Variablen der Sektion A auf eine einzelne Variable (einen Index) zu reduzieren und somit die statistische Auswertung lex parsimoniae entsprechend (i.e. sparsamer) zu gestalten. Zudem wurden Gruppenunterschiede und Zusammenhänge in MNC, bezogen auf Krankenhaus und Stationscharakteristika, sowie soziodemografische und berufliche Merkmale von Pflegepersonen untersucht.

Pflegetätigkeiten der Sektion A, welche aus Sicht der Befragten als nichtnotwendig erachtet wurden (z. B. weil sie für die Patient*innenversorgung in ihrem Fachbereich nicht relevant waren), wurden als −1: „Maßnahme nicht erforderlich“ codiert und aus der Datenanalyse ausgeschlossen. Fehelende Werte wurden paarweise bei deskriptiven bzw. listenweise bei schließenden Verfahren ausgeschlossen. Die statistische Signifikanz wurde auf α = 0,05 und das Konfidenzintervall auf 95 % (95 %-KI) festgelegt. Die Berichterstattung orientierte sich an der STROBE-Checkliste (Elm et al. 2008) und an der RANCARE Guideline (Blatter et al. 2021).

Ergebnisse

Beschreibung der Stichprobe

13 von 66 Bildungseinrichtungen haben ihre Mitwirkung an der Studie zugesagt (19,7 %). Insgesamt haben sich 1907 Pflegefachpersonen an der Studie beteiligt. Nach Prüfung der definierten Ein- und Ausschlusskriterien wurden 1006 Fälle in die weitere Datenanalyse einbezogen. Die Stichprobe kann hinsichtlich der Verteilung der Merkmale Arbeitszeitverhältnis, Geschlecht und Funktion (i.e. DGKP, PFA und PA) entsprechend den Daten des Gesundheitsberuferegisters für die Grundgesamtheit als repräsentativ betrachtet werden (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz [BMSGPK] 2021; Statistik Austria 2021; Holzweber et al. 2021). Des Weiteren entspricht die Verteilung der Stichprobe über die Bundesländer ungefähr der geografischen Verteilung von Pflegepersonen in der GrundgesamtheitFootnote 4 (bei einem angenommenen Differenzbereich zwischen −5 und 5 %; ausgenommen der Bundesländer Oberösterreich [+14,2 %] und Niederösterreich [−7,1 %]) (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Stichprobenverteilung, differenziert nach Bundesländern (n = 1001). (Wien (23,1 %))

Die Teilnehmenden kamen großteils aus öffentlichen Krankenhäusern (n = 675, 67,5 %), urbanen Regionen (n = 736, 73,7 %) und arbeiteten vorwiegend in Krankenhäusern mit 301 bis 500 (n = 287, 28,6 %) bzw. mit mehr als 500 Betten (n = 455, 45,3 %). 28,8 % der Befragten (n = 287) arbeiteten auf operativen Stationen, 51 % (n = 509) auf konservativen Stationen und 20,2 % (n = 202) auf Stationen mit beiden Schwerpunkten. Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen (DGKP) waren als größte Berufsgruppe an der Befragung beteiligt (n = 752, 75 %), gefolgt von Stationsleitungen ([STL] n = 127, 12,7 %), Pflegeassistent*innen ([PA] n = 62, 6,2 %), Pflegefachassistent*innen ([PFA] n = 32, 3,2 %) und anderen Berufsgruppen (n = 29, n = 2,9 %). Die Stationen der Befragten umfassen durchschnittlich 29 Betten (Standardabweichung [SD] = 12,0), dabei wurden in den Teams der befragten Pflegepersonen täglich im Durchschnitt 30 Patient*innen (SD = 13,5) auf der Station versorgt. Weitere soziodemografische Merkmale der Befragten sind in Abb. 3a–i grafisch dargestellt.

Abb. 3
figure 3

a–i Krankenhaus- und Stationscharakteristika sowie soziodemografische Merkmale der Befragten (n = 1006)

Situation zu MNC in österreichischen Krankenhäusern

Die deskriptive Analyse basiert auf der Anzahl an Pflegepersonen, die ein Item als implizit rationiert bewertet haben. In der Auswertung wird ein Item als implizit rationiert betrachtet, wenn Befragte die Werte 4 bis 6 in der Endpunkteskala von 1: „sehr selten“ bis 6: „sehr oft“ angeben. Diese Angabe bezieht sich auf Tätigkeiten, welche das gesamte Pflegeteam in den letzten zwei Wochen durchführen hätte sollen.

In der vorliegenden Studie wurden vom Pflegepersonal alle aufgelisteten Tätigkeiten bis zu einem gewissen Ausmaß als implizit rationiert angegeben (Tab. 1). Dieses Ausmaß variierte bei den verschiedenen Tätigkeiten zwischen 67,5 und 8,5 %. Als sehr oft bzw. oft weggelassene oder mit Verzögerung durchgeführte Pflegetätigkeiten wurden Interventionen angegeben, welche sich auf die emotionale Unterstützung (67,5 %, n = 639 bzw. 61,0 %, n = 601) sowie auf die Gesprächsführung (61,9 %, n = 595 bzw. 60,6 %, n = 601) beziehen. Diese Rationierung erfolgte häufiger bei den Angehörigen als bei den Patient*innen.

Tab. 1 Missed Nursing Care in österreichischen Krankenhäusern (n = 1006)

Des Weiteren wurden pflegerische Interventionen, wie Teilnahme an interdisziplinären Besprechungen, angemessene Überwachung von kognitiv beeinträchtigen Patient*innen, Beratung und Schulung, Mobilisation, Führen der Pflegedokumentation und die Beurteilung der Wirksamkeit von Bedarfsmedikamenten von mehr als 40 % der Befragten als impliziert rationiert angegeben. Im Gegensatz dazu wurden die Items „Blutzuckermessen, so oft wie notwendig bzw. wie angeordnet“ mit 8,5 % (n = 83) und „Pflegen von zentralen Venenkathetern“ mit einem Anteil von 10,4 % (n = 95) am seltensten weggelassen.

Analog zu internationalen Studien wurde ein gezählter Index für die Einzelitems der Sektion A berechnet (Abb. 4). Hierbei wurde die Anzahl der Items berechnet, welche jede Person als oft bzw. als sehr oft implizit rationiert angegeben hat (i.e. mit den Werten 4–6 in der 6‑Endpunkteskala von 1: „sehr selten“ bis 6: „sehr oft“). 84,4 % (n = 849, 95 %-KI = [0,821; 0,865]) der Befragten führten an, dass in ihrem Team in den letzten 2 Wochen mindestens eine der aufgelisteten Tätigkeiten oft oder sehr oft weggelassen bzw. mit einer für die Patient*innensicherheit nachteiligen Verzögerung durchgeführt wurde. Circa 50 % (n = 502) meldeten zurück, dass 10 oder mehr der 30 aufgelisteten Tätigkeiten oft bzw. sehr oft implizit rationiert werden (Mittelwert [M] = 9,6, SD = 7,4).

Abb. 4
figure 4

Anzahl der Items, welche pro Befragte als oft/sehr oft implizit rationiert angegeben werden (n = 1006)

MNC nach Krankenhaus- und Stationscharakteristika sowie nach soziodemografischen Merkmalen

Für die Testung auf Gruppenunterschiede und Zusammenhänge wurde aus den Items der Sektion A ein Mittelwertindex berechnet. D. h., es wurde für jede Person der Durchschnitt aller Werte berechnet, welche sie bei den aufgelisteten Pflegetätigkeiten der Sektion A angegeben hat (Tab. 1). Auch dieser Schritt entspricht der internationalen Studienlage zur Auswertung von Gruppenunterschieden in MNC nach beruflichen und soziodemografischen Merkmalen. Der Mittelwertindex MNC (MMNC) variierte zwischen 1 und 6 (M = 2,9, SD = 0,99) und war annährend normal verteilt.

Die durchgeführten statistischen Tests zeigten, dass MNC unabhängig von der Lokalisation, vom Typ oder von der Krankenhausgröße sowie unabhängig vom Schwerpunkt der Station stattfindet. Ebenso spielt die Qualifikation der Pflegepersonen eine eher geringe Rolle. Ersichtlich ist dagegen, dass das Alter, die Funktion der Pflegenden auf der Station, das Arbeitszeitverhältnis sowie die Stationsgröße und die Berufserfahrung einen Einfluss auf die Häufigkeit von MNC haben. Jüngere Pflegepersonen bis 34 Jahre (95 %-KI MMNC = [2,8; 3,2]) berichteten häufiger über implizite Rationierung als ältere Kolleg*innen ab 45 Jahre (95 %-KI MMNC = [2,4; 2,7]) (Cohens d = 0,466). Ebenso berichteten diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen ohne eine Leitungsfunktion (95 %-KI MMNC = [2,9; 3,0]) häufiger über MNC als Pflegepersonen mit anderen Funktionen. Dieser Unterschied ist besonders im Vergleich zu Pflegepersonen in Stationsleitungsfunktionen (95 %-KI MMNC = [2,4; 2,7]) statistisch signifikant (p = 0,003, Cohens d = 0,232). Auch Pflegepersonen mit einer Vollzeitanstellung (95 %-KI MMNC = [2,8; 3,0]) berichteten im Vergleich zu Teilzeitangestellten (95 %-KI MMNC = [2,7; 2,9]) häufiger über MNC (p = 0,036, Cohens d = 0,133). Diese statistisch signifikanten Zusammenhänge stellen sich als gering bis mittelstark dar (Cohen 1988, 1992)Footnote 5 (Tab. 2), d. h., Änderungen in den Werten der als statistisch signifikant identifizierten Merkmale sind mit einer geringen bzw. mittelstarken Änderung der Häufigkeit von MNC assoziiert.

Tab. 2 MNC nach Krankenhaus- und Stationscharakteristika sowie nach soziodemografischen Merkmalen

Einflussfaktoren auf MNC

Die Einflussfaktoren für das Weglassen oder das verzögerte Durchführen von Pflegetätigkeiten wurden retrospektiv für die vorhergehenden 2 Wochen von den befragten Pflegepersonen nach Relevanz für das Entstehen von MNC auf ihrer Station bewertet (Tab. 3). Hierbei wurden von den Befragten am häufigsten die Faktoren „Durchführen von mehreren Tätigkeiten gleichzeitig“ (85,9 %, n = 853) und „häufiges Unterbrochenwerden bei Pflegetätigkeiten“ (82,4 %, n = 818) genannt, gefolgt von den Items „Zunahme hochpflegebedürftiger Patient*innen auf der Station“ (81,4 %, n = 802) und „Mangel an Pflegepersonen“ (78,6 %, n = 779). Insbesondere die Variablen „Durchführen von mehreren Tätigkeiten gleichzeitig“, „häufiges Unterbrochenwerden bei Pflegetätigkeiten“ und „Mangel an Pflegepersonen“ zeigten hochsignifikante mittelstarke positive Zusammenhänge mit mehreren Items der Sektion A (ρ > 0,3; Cohen 1992; Anhang, Abb. 5).

Tab. 3 Einflussfaktoren auf MNC in österreichischen Krankenhäusern (n = 1006)

Für die implizite Rationierung wurden zudem das Eintreten von akuten Patient*innensituationen (66,7 %, n = 656) und die Erhöhung der Bettenbelegung auf der Station (61,1 %, n = 602) als ausschlaggebend identifiziert. Besonders relevant waren zudem eine gesteigerte Aufnahme- und/oder Entlassungsdynamik (73,7 %, n = 724) und ein Mangel an unterstützendem und administrativem Personal (62,9 %, n = 623). Ebenfalls eine hohe Relevanz zeigten Items, bezogen auf die eigene emotionale und physische Erschöpfung der befragten Pflegepersonen (57,8 %, n = 575 bzw. 57,0 %, n = 567), gefolgt von einer unzureichenden Unterstützung durch die direkten Vorgesetzten (49,8 %, n = 494). Mehr als 40 % der Befragten berichteten zudem über Spannungen und Kommunikationsschwierigkeiten mit anderen Abteilungen und im interdisziplinären Behandlungsteam. Des Weiteren waren fehlende Warnsysteme/Erinnerungshilfen (wie z. B. Informationen, welche während der elektronischen Pflegedokumentation im Zusammenhang mit der notwendigen Patient*innenversorgung angezeigt werden) ausschlaggebende Situationen für MNC auf ihren Stationen.

Im Gegensatz wurden die Themen der Unterstützung durch Teammitglieder, der Kommunikation und Zusammenarbeit im Pflegeteam sowie der Verfügbarkeit von Materialien oder Geräten als am wenigsten ausschlaggebende Faktoren genannt.

Diskussion

Diese Erhebung stellt die erste Studie dar, welche das Phänomen der impliziten Rationierung bzw. MNC in der Patient*innenversorgung auf konservativen und operativen Allgemeinstationen in österreichischen Krankenhäusern aus einer empirischen und quantitativen Perspektive untersucht. Aus den analysierten Ergebnissen wird deutlich, dass derzeit Pflegetätigkeiten in der direkten Patient*innenversorgung weggelassen bzw. nur mit einer für die Patient*innen nachteiligen Verzögerung durchgeführt werden. Dieses Resultat ist unabhängig von den erhobenen Krankenhauscharakteristika. Allerdings spielen andere Faktoren hierfür eine bedeutende Rolle. So wird u. a. deutlich, dass Pflegepersonen derzeit mit etlichen Limitationen in der Ausführung der Patient*innenversorgung auf Allgemeinstationen im Krankenhaus konfrontiert sind, worunter die fehlenden Personalressourcen nur eine Facette der aktuellen relevanten Herausforderungen darstellen.

Die hohe Prävalenz der impliziten Rationierung in der akutstationären Patient*innenversorgung wird in der internationalen Literatur mehrfach als zentrales Ergebnis genannt. In entsprechenden Studien berichten zwischen 55 und 98 % der Pflegepersonen, dass sie und/oder ihr Team mindestens eine der für die Patient*innenversorgung notwendigen Interventionen implizit rationieren (Jones et al. 2015). Die Ergebnisse von MISSCARE-Austria-Studie liegen hiermit mit einem Anteil von ca. 84 % in einem überdurchschnittlich hohen Bereich im internationalen Vergleich. Andere Länder im deutschsprachigen Raum bestätigten dieses Ergebnis. So berichten beispielweise Zander et al. (2014) im Rahmen der RN4CAST-Studie, dass der Anteil in Deutschland bei ca. 93 % liegt.

Bei genauer Betrachtung werden v. a. Pflegetätigkeiten, welche sich auf den Kernkompetenzbereich der Pflegeberufe beziehen, implizit rationiert. Hier erscheint die Beziehungsgestaltung mit Patient*innen und/oder Angehörigen besonders häufig weggelassen zu werden.

In Deutschland ließen sich diese Ergebnisse auch in der RN4CAST-Studie, in der Patient*innengespräche oder Beratung/Anleitung am häufigsten implizit rationiert wurden, bestätigen (Zander et al. 2014). Ebenfalls für Österreich gab es diese Vermutung, wie bereits Rappold (2021) zusammenfasste: „für pflegerische Kernkompetenzen ist in akutstationären Einrichtungen angeblich keine Zeit“ (S. 8). Das Weglassen von notwendiger Pflege kommt laut Kalánková et al. (2019) in allen Bereichen der pflegerischen Versorgung vor, wie z. B. Pflegedokumentation, der emotionalen Pflege und Unterstützung, der körperlichen Pflege sowie den administrativen Tätigkeiten und der organisatorischen Versorgungskoordination. In der vorliegenden Studie konnten diese Ergebnisse großteils bestätigt werden, da emotionale Unterstützung, Beratung und Schulung sowie Gesprächsführung am häufigsten als implizit rationiert angegeben wurden.

Soziodemografische und berufliche Eigenschaften von Pflegepersonen sind für MNC insoweit relevant, weil sie Hypothesen über ausschlaggebende, auf Mitarbeiter*innen bezogene Faktoren ermöglichen. In dieser Studie zeigte sich ein Altersunterschied in der Rückmeldung von Pflegepersonen zu Häufigkeit von MNC. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem Zusammenhang zwischen Häufigkeit von MNC und Berufserfahrung, in dem MNC mit einer steigenden Berufserfahrung weniger häufiger auftritt. Auch das Ergebnis, dass Stationsleitungen über einen geringeren Grad von MNC berichten, kann im Zusammenhang mit diesen Aspekten und deren Funktion diskutiert werden. Bestehende Studien deuten darauf hin, dass Pflegepersonen mit höherem Alter, längerer Berufserfahrung und Führungsverantwortung höhere Kompetenz, bezogen auf die Patient*innensicherheit, aufweisen. Aus diesem Grund identifizieren sie MNC tendenziell häufiger auf ihren Stationen (Hwang 2015). In unserer Studie sahen wir allerdings widersprüchliche Ergebnisse. Bereits Mandal et al. (2020) berichteten in ihrer systematischen Übersichtsarbeit von internationaler Literatur über unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich des Zusammenhangs von MNC und soziodemografischen und beruflichen Eigenschaften. Es gilt daher, diese Zusammenhänge in weiterführenden explorativen Studien zu klären.

Abschließend gilt es, die Einflussfaktoren auf MNC zu diskutieren. Folgende Situationen wurden in der vorliegenden Studie als sehr ausschlaggebend hierfür identifiziert: 1) potenziell ineffiziente Arbeitsprozesse; 2) Personalmangel; 3) erhöhter Versorgungsaufwand und gesteigerte Aufnahme- und Entlassungsdynamik; 4) eigene Erschöpfung und 5) mangelnde Unterstützung seitens der direkten Führung. Diese Ergebnisse wurden in der Literatur bereits mehrfach identifiziert (Chaboyer et al. 2021).

Auf Basis dieser Analyse erscheint prioritär, an den Arbeitsprozessen per se zu arbeiten. Bereits Kalisch und Aebersold (2010) identifizierten in ihrer Studie, dass Arbeitsprozesse im Krankenhaus äußert schnelllebig und unvorhersehbar sind. Sie beobachteten beispielsweise, dass Pflegepersonen bei ihrer Arbeit ca. alle sechs Minuten unterbrochen wurden und in mehr als einem Drittel der Zeit mehrere Tätigkeiten gleichzeitig (Multitasking) erbracht haben. Diese Situationen können nach den Autor*innen zu einer erhöhten Fehleranfälligkeit und einer hohen kognitiven Belastung der Pflegepersonen führen. Kirwan und Schubert (2020) betonten Interventionen, wie z. B. die Änderungen des Arbeitsumfelds des Pflegepersonals, die Förderung einer effizienten Kommunikation im interprofessionellen Team oder die Umsetzung eines Primary-Nursing-Care-Modells, welche mögliche Qualitätsentwicklungsstrategien hierzu anbieten können.

Das Thema des Personalmangels bleibt für die Pflege in der akutstationären Versorgung eine relevante Herausforderung. Unzureichende Personalressourcen sind laut Studien die wichtigste Vorbedingung für MNC (Jones et al. 2015; Mandal et al. 2020). Die vorliegende Studie zeigt, dass ca. 80 % der Befragten den Pflegepersonalmangel als ausschlaggebenden Faktor für die implizite Rationierung der Pflegeversorgung auf Allgemeinstationen in österreichischen Krankenhäusern identifizieren. Diese Ergebnisse bringen enorme Implikationen in einer Zeit der prognostizierten Pflegepersonalknappheit im österreichischen Gesundheitswesen (Rappold und Juraszovich 2019) und betonen die Wichtigkeit der Entwicklung von Strategien zur Attraktivierung der Berufsbilder in der Pflege, Mitarbeiter*innenbindung oder Verbesserung der Rahmenbedingungen (Rappold et al. 2021).

Im Zusammenhang mit der Personalsituation ist wichtig zu betrachten, dass Pflegepersonen den erhöhten pflegerischen und klinischen Versorgungsaufwand ihrer Patient*innen sowie gesteigerte Aufnahme- und Entlassungsdynamiken als besonders ausschlaggebende Faktoren für MCN einstuften. Dies bestätigt die Thesen von Kalisch, dass gesteigerte Arbeitsanforderungen in Kombination mit knappen Personalressourcen deutliche Einflussfaktoren auf implizite Rationierung von Pflegetätigkeiten im Krankenhaus darstellen (Kalisch 2006; Kalisch et al. 2009).

Ebenso sehen Pflegepersonen die eigene Erschöpfung als ausschlaggebenden Faktor dafür, dass die Patient*innenversorgung in ihren Teams nicht fach- und/oder zeitgerecht durchgeführt werden kann. Anzumerken ist dazu, dass Befunde über die Erschöpfung von Pflegepersonen im akutstationären Bereich nicht neu sind (Rappold 2021). Laut Staflinger (2019) sind „v. a. psychisch belastende Arbeitsbedingungen, wie Zeitdruck, mehrere Aufgaben gleichzeitig, die Arbeitsmenge, das emotionale Engagement und Unterbrechungen bei der Arbeit- und körperlich belastende Arbeitsbedingungen, wie schweres Heben und Tragen und fehlende technische Hilfsmittel (…) [sowie] Mehr- und Überstunden“ (S. 156) Herausforderungen, welche zur Erschöpfung von Pflegepersonen in österreichischen Krankenhäusern wesentlich beitragen. Es gilt daher, im Kontext dieser Ergebnisse in die Gesundheitsförderung und in die Burn-out-Prävention von Pflegefachkräften zu investieren, um u. a. Personalausfälle oder einen frühzeitigen Ausstieg aus dem Beruf zu mindern.

Deutlich wird es, wie essenziell die Rolle der (direkten) Führung in der Prävention von MNC ist (Cordeiro et al. 2019), sowohl auf der Ebene der strukturellen und prozessbezogenen Rahmenbedingungen als auch auf der individuellen Mitarbeiter*innenebene. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass Pflegepersonen die unzureichende Unterstützung der direkten Vorgesetzten als einen der wichtigsten Faktoren für MNC in österreichischen Krankenhäusern nennen. Dies sollte als weiterer Interessenfokus aufgegriffen werden, insbesondere wie und warum mangelnde Unterstützung von direkten Vorgesetzten in österreichischen Krankenhäusern stattfindet und wie diese Ausgangslage verbessert werden kann.

Fazit und Ausblick

Erneut haben empirische Daten gezeigt, dass Pflegepersonen notwendige Tätigkeiten auf Allgemeinstationen im akuten Bereich oft nicht (zeitgerecht) durchführen können. Diese Ergebnisse bieten nach der GuKG-Novelle 2019 und im Kontext der zunehmenden Übertragung von medizinischen und therapeutischen Tätigkeiten an Pflegepersonen eine Anregung zur weiterführenden gemeinsamen Diskussion. Ein wichtiger Fokus dabei sind Überlegungen zu einer angemessenen Personalbesetzung auf Allgemeinstationen, welche relevante Einflussfaktoren auf Missed Nursing Care darstellen können. Da es bislang in Österreich keine konkreten Daten zur Personalauslastung oder zur Angemessenheit der Personalbesetzung auf Allgemeinstation in österreichischen Krankenhäusern gibt, fokussieren wir uns im nächsten Artikel der Publikationsreihe MISSCARE-Austria auf diesen Aspekt.