1 Ausgangslage und Problemstellung

Es besteht ein fachlich breit abgestützter Konsens darüber, dass sich junge Mütter und deren Kinder im Entwicklungsverlauf außerordentlich hohen Risiken ausgesetzt sehen (Ziegenhain und Fegert 2018). Insbesondere im Hinblick auf das Armutsrisiko scheint der Ausbruch aus dem intergenerationellen Zirkel, „der auf Armut des Elternhauses einen Abbruch der Bildungslaufbahn und von dort aus den Übergang in unsichere, schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse folgen lässt“ (Schultheis et al. 2008, S. 125), leider nur selten zu gelingen.

Frühe Elternschaft geht mit einer beschleunigten und verfrühten Rollenübernahme einher, auf welche junge Menschen in ihrer Entwicklung nur ungenügend vorbereitet sind. Die Erfahrung, den eigenen Ansprüchen an das erfolgreiche Absolvieren einer Ausbildung und an die Organisation des Familienalltages nicht genügen zu können, führt zu Überforderungssituationen. Diese Überforderungssituationen sind neben der „strukturellen Rücksichtslosigkeit des Bildungssystems“ (Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2011, S. 36) nicht zuletzt auch im Kontext der Bewältigung von jugendspezifischen Entwicklungsaufgaben zu betrachten. Marianne Friese (2008) bemerkt treffend, dass „junge Mütter vor der widersprüchlichen Anforderung [stehen], einerseits eine dem Erwerbsalter gemäße Verantwortung für ein Kind und für die Familie zu übernehmen und andererseits für sich selbst altersadäquate Entwicklungen der Jugendphase zu bewältigen“ (Friese 2008, S. 37). Aufgrund der Tatsache, dass sich die Lebenssituation der jungen Mütter deutlich von jener der Gleichaltrigen unterscheidet, droht die für die Bewältigung der jugendspezifischen Entwicklungsaufgaben so wichtige soziale Unterstützung durch die Peer-Group wegzubrechen. Zudem besteht über die Peer-Group hinaus ganz generell die Gefahr einer Isolation von sozialen Bezügen, da die soziale Umwelt in der Regel Akzeptanzschwierigkeiten gegenüber den jungen Müttern an den Tag legt, wie Angelika Puhlmann (2009) zeigen konnte. Als besonders ungünstig ist diese Problematik auch deswegen zu beurteilen, da frühe Erfahrungen von Ausgrenzung und Ungenügen in eine sensible Phase der Persönlichkeitsentwicklung fallen (Anslinger 2009).

Neben der differenzierten Betrachtung der Situation der jungen Mütter verdient aber auch die Situation ihrer Kinder ein genaues Hinschauen. Aufgrund der erschwerenden Bedingungen besteht für diese Kinder nämlich ein erhöhtes Risiko für eine fehlangepasste Entwicklung (Petermann et al. 2004, S. 343). Gut beschrieben sind insbesondere die nachteiligen Effekte der Familienarmut auf die Entwicklung der Kinder (Gross 2012, S. 153). Armut bewirkt dabei allerdings nicht alleine Fehlentwicklungen, sondern vergrößert vielmehr die Wahrscheinlichkeit für Fehlentwicklungen aufgrund einer Interaktion mit weiteren Risikofaktoren. Freilich gibt es immer wieder Kinder, welche aufgrund günstiger Voraussetzungen wie ausgeglichenes Temperament, hohe Intelligenz etc. den widrigen Bedingungen bis zu einem gewissen Grad trotzen können. Allerdings benötigen auch diese Kinder weitere Unterstützung in der Familie und der Umwelt, um Risikofaktoren dauerhaft puffern zu können.

2 Pilotprojekt Junge Mütter

In der Stadt Bern waren im Jahr 2010 66 junge Mütter im Alter von 16 bis 25 Jahren beim Sozialdienst erfasst, die noch keine Berufsausbildung begonnen oder abgeschlossen hatten. Die Situation dieser jungen Mütter wurde seitens des Sozialdienstes als besonders problematisch eingeschätzt, da sie infolge der frühen Mutterschaft auf vergleichsweise wenig soziale Unterstützung zählen konnten und aufgrund der fehlenden Berufsausbildung armutsgefährdet waren. Als „jung“ konnten diese Mütter deswegen bezeichnet werden, da im Jahr 2010 von einem Durchschnittsalter bei erstgebärenden Mütter von 31,5 Jahren ausgegangen werden konnte (Bundesamt für Statistik 2011).

Für diese jungen Mütter hatte das Kompetenzzentrum für Arbeit der Stadt Bern im Jahr 2011 ein niederschwelliges Pilotangebot konzipiert, welches individuell ausgerichtete Module in den Bereichen Schulbildung, Coaching und Arbeit beinhaltete. Das übergeordnete Ziel des Angebotes bestand im Rahmen der Armutsbekämpfungsstrategie darin, den jungen Müttern das Führen eines finanziell eigenständigen Lebens zu ermöglichen.

Im Rahmen einer dreimonatigen Qualifizierungsphase wird beim Angebotseinstieg eine Situationsanalyse vorgenommen, welche in einer Standortbestimmung mit Zielfestlegung mündet. Anschließend wird während sechs Monaten an den gemeinsam vereinbarten Zielen gearbeitet und geprüft, ob die Teilnahme am Angebot angepasst, verlängert oder abgeschlossen werden soll. Nach Abschluss und Austritt aus dem Angebot können die jungen Mütter während der Grundausbildung nach Bedarf jederzeit Einzelcoachings in Anspruch nehmen.

Das Bemühen um solch flexible Lösungen für die individuellen Bedürfnisse der jungen Frauen kann als besonders aussichtsreich gewertet werden, da dies die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration erwiesenermaßen erhöht (Schallberger und Wyer 2010). Darüber hinaus erscheint auch der hohe Vernetzungsgrad des Angebotes mit professionellen Unterstützungssystemen vielversprechend, da verschiedene Interventionsstudien bei jungen Müttern immer wieder zum Schluss kommen, dass erfolgreiche Interventionsmaßnahmen mit anderen Hilfen zusammengeführt werden müssen (Ziegenhain et al. 2003). Auf gesellschaftlicher Ebene können für solche Angebote auch der volkswirtschaftliche und sozialstaatliche Nutzen hervorgehoben werden, da der Arbeitsmarkt weitere gut ausgebildete Arbeitskräfte erhält und sich die Abhängigkeit von Transferleistungen reduziert (Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2011).

Aus fachlicher Sicht scheint ein solches Pilotprojekt also vielversprechend. Es bleibt allerdings offen, ob das Angebot auch tatsächlich das übergeordnete Ziel erfüllt, einen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten.

3 Methodisches Vorgehen

Als zentraler Indikator, um zu prüfen, ob das Angebot einen effektiven Beitrag zur Armutsbekämpfung leistet, werden die finanziellen Leistungen der wirtschaftlichen Sozialhilfe herangezogen. Wenngleich dieser eine Indikator der Komplexität der Armutsbekämpfung nicht gerecht werden kann, entspricht es einer gängigen Armutsmessungspraxis, die Berechnung des sozialen Existenzminimums von den Grundlagen zur Einschätzung des Sozialhilfebedarfes abhängig zu machen (Best et al. 2018, S. 33).

Bereits im Jahre 2012 wurden Prognosen darüber erstellt, wie sich die Bezüge dieser finanziellen Leistungen bei den Teilnehmerinnen des Angebotes entwickeln werden. Zur Erstellung dieser Prognosen wurden aufgrund der Daten aus einer Bedarfsanalyse potenzieller Adressatinnen des Angebotes mittels einer Clusteranalyse drei Cluster berechnet. Auf der Grundlage dieser drei Cluster wurden dann sogenannte Fallvignetten entwickelt, deren Funktion darin besteht, bestimmte Ausgangssituationen vorzugeben, um interessierende kognitive Prozesse bei zu befragenden Fachpersonen zu evozieren (Moira et al. 2006, S. 235). Diese Fallvignetten wurden Fachpersonen aus dem Bildungs‑, Sozial- und Gesundheitsbereich vorgelegt, um aufgrund deren Annahmen zu typischen Entwicklungsverläufen eine Prognose bezüglich relevanter Messgrößen machen zu können, die anschließend monetarisiert wurden, wie etwa die Errechnung des zu erwartenden Lohns. In allen drei Prognosen zu den Fallvignetten zeigte sich, dass die prognostizierten Aufwendungen für die wirtschaftliche Sozialhilfe über die Zeit markant zurückgehen und spätestens im dritten Jahr der qualifizierten Erwerbsarbeit wegfallen sollten.

Eine erste Befragung bei den Sozialen Diensten im Jahr 2019 zeigte für die erste Kohorte der Teilnehmerinnen des Angebotes, dass sich diese Prognosen als erstaunlich robust erwiesen haben: In den Prognosen wurde davon ausgegangen, dass diese erste Kohorte im Jahr 2019 keine wirtschaftliche Sozialhilfe mehr bezieht, was mit einer Ausnahme auch tatsächlich der Fall war. Die Aussagekraft dieser ersten Nachbefragung wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass sich aus verschiedenen Gründen, wie beispielsweise Wegzug ins Ausland, bei knapp einem Drittel der Teilnehmerinnen keine Angaben einholen ließen.

Diese ersten Zwischenergebnisse zeigen, dass das Bildungs- und Begleitangebot für junge Mütter möglicherweise tatsächlich einen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten scheint – zumindest was den Bezug von finanziellen Leistungen der Sozialhilfe betrifft. Weitere Erhebungen werden allerdings zeigen müssen, ob sich die Prognosen auch für die nachfolgenden Kohorten der kommenden Jahre als stabil erweisen.