Unsere sprache ist auch unsere geschichte. wie eines volkes, eines reiches grund gelegt wurde von einzelnen geschlechtern, die sich vereinten, gemeinsame sitten und gesetze annahmen, im bunde handelten und den umfang ihres besitzthums erweiterten […]

Jacob Grimm (1785–1863)Footnote 1

Einleitendes

Die oben angeführten Worte des deutschen Sprach- und Literaturwissenschaftlers sowie Juristen und Begründers der deutschen Philologie und Altertumswissenschaft möge man zum Leitgedanken des vorliegenden Beitrags machen, in dem die Geschichte einer gegebenen Gesellschaft oder eines Volkes im Spiegel ihrer bzw. seiner Sprache besehen werden kann. Im Falle der deutschen Bevölkerung des heutzutage in Rumänien gelegenen Hermannstadt (rum.Footnote 2Sibiu) scheint das obige Zitat besonders zutreffend zu sein, weil es auch mit dem Schicksal und der Geschichte der deutschsprachigen Minderheiten in Rumänien im Zusammenhang stehen kann, die regional weitgehend getrennt leben.

Aus historischer, kultureller und politischer Hinsicht sind die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwaben die wichtigsten deutschsprachigen Gruppen in Rumänien. Aber in toto bestand und besteht die deutsche Minderheit in Rumänien aus mehreren Gruppen: neben den Siebenbürger Sachsen und den Banater Schwaben lebten und leben hier die Sathmarer Schwaben, die Zipser im Wischauer Land, die Landler, die Bukowinadeutschen, die Dobrudschadeutschen und, in der Zeit der Zugehörigkeit Bessarabiens an Rumänien, die Bessarabiendeutschen (Cercel 2013).


Die geschichtlichen Kulissen der Präsenz der deutschsprachigen Siedler auf jenem Gebiet bilden wiederum die Siedlungsbewegungen im Rahmen des mittelalterlichen LandesausbausFootnote 3 mit seinem Beginn noch zur Herrschaftszeit Karls des Großen (747/8–814) im 8. und 9. Jh. sowie Kaiser Ottos I. (912–973) im 10 Jh., die die ersten Slawen an Elbe, Saale und Oder niederwarfen (vgl. Hampe 1921: 16–18; Zhirmunskij 1965: 62; Eggers 1969: 8; Ludat 2017: 250, 255, 257). Von der Ostsiedlung waren im Laufe der Jahrhunderte letzten Endes riesige Gebiete des mittelalterlichen bzw. frühzeitlichen Mittel-, Ost- und Südosteuropa betroffen.

Die Niederlassung der Siebenbürger Sachsen, der ältesten deutschen Siedler auf dem Territorium des heutigen Rumänien, im "Lande jenseits der Wälder" (terra ultrasilvana), erfolgte im 12. Jahrhundert im Zuge der deutschen Ostkolonisation. Die ersten "deutschen Gäste", die in der Hermannstädter Provinz angesiedelt wurden, folgten dem Ruf des ungarischen Königs Geysa II. (1141–1161) zum Schutz der Grenzen gegen Mongolen- und Tatareneinfälle und zur wirtschaftlichen Erschließung des Landes. Durch Innenkolonisation und neue Siedlerzüge wurde der den deutschen Kolonisten zugewiesene "Königsboden" besiedelt. Name und Urheimat der Siebenbürger Sachsen – die Bezeichnung "Sachsen (saxones)" geht auf das mittelalterliche ungarische Kanzleideutsch zurück. […] Es gilt als gesichert, daß "unsere getreuen deutschen Gastsiedler", wie sie in der 1224 in der ersten erhaltenen Reichsverleihung durch den ungarischen König Andreas II., dem sogenannten "Goldenen Freibrief", genannt wurden, aus dem linksrheinischen fränkischen Raum nach Osten gezogen sind. In dem "Andreanum" sind der besondere Status und die Vorrechte der ersten deutschen Siedlergruppe fixiert, die danach auf fast den gesamten Siedlungsraum der Siebenbürger Sachsen ausgedehnt wurden.

Zu ihren wichtigsten Privilegien gehörten die freie Richter- und Pfarrerwahl, die Gerichtsbarkeit nach eigenem Gewohnheitsrecht, Zollfreiheit, freie Märkte etc. Im Gegenzug verpflichteten sich die Kolonisten - Bauern, Handwerker und Bergleute - dem König einen Jahreszins zu entrichten sowie Kriegsdienst zu leisten. Die zum Schutz ihrer Wohnstätten errichteten Wehrkirchen und Kirchenburgen prägen auch heute noch das siebenbürgisch-sächsische Siedlungsgebiet. Als oberstes Verwaltungs- und Rechtsgremium fungierte seit 1486 die "Sächsische Nationsuniversität" (Gabanyi 2000).

Eines der Resultate dieser Ostexpansion des Deutschtums waren zahlreiche Gründungen mittel-, ost- und südosteuropäischer Städte nach dem Deutschen Recht, was den Gebrauch der deutschen Sprache in jenen Stadtkanzleien erklärt, rechtfertigt und mit gleichlaufenden Entwicklungen in unterschiedlichen europäischen Städten jener Epoche, wie etwa in Kleinpolen, Preußen oder Schlesien: Krakau, Danzig, Thorn, Liegnitz, Oppeln im Einklang steht (vgl. Wiktorowicz 1997: 101–102; 2017: 11; Kaleta-Wojtasik 2017: 23–24; Owsiński 2017b: 43–45; 2018: 44–45; Moskała/Owsiński 2019: 201–202; Łopuszańska 2017: 65–69; Grabarek 2017: 77–79; Biaduń-Grabarek 2017: 97–98; Firyn 2017: 117; Just 2017: 137–138; Lasatowicz 2017: 147–150).

Die Erklärung für den Gebrauch der deutschen Sprache in der damaligen Hauptstadt Polens liegt in der Expansion deutscher Siedler aus verschiedenen deutschen Sprachlandschaften östlich von Elbe und Saale. Die omdt. Kolonialmundart, die sich allmählich zur Verkehrs- und Geschäftssprache entwickelte, wurde auch in Schlesien und darüber hinaus vom deutschen Patriziat und von vielen Handwerkern deutscher Abstammung in den Städten Kleinpolens verwendet. Nach Kraków mussten nach der Verleihung des Magdeburger Rechts seit Mitte des 13. Jh. zahlreiche Bürger aus Schlesien und dem Deutschen Reich eingewandert sein und ihre Sprache fand Eingang in die bis dahin weitgehend lateinischen Aufzeichnungen der Krakauer Stadtbücher (Kaleta 2004: 32).

Zielsetzung und Korpus

Die vorliegende Abhandlung hat zum Ziel, eine graphematisch-phonematische Analyse der 28 Hermannstädter Protokolle aus den Jahren 1560–1565 durchzuführen. Dabei handelt es sich in erster Linie darum, die im Textkorpus vorgefundenen Lautverschriftungsmöglichkeiten bzw. Lautverschriftungstrends zu ermitteln und diese aufzuzeigen, weil sie als graphische Äquivalente der Produkte mhd.Footnote 4 und fnhd.Footnote 5 Lautwechselprozesse auf der phonischen Ebene anzusehen sind. Zwangsläufig wird auf die Phonem-Graphem-Beziehung eingegangen, wobei Phoneme als geringste abstrakte Elemente der phonologischen Sprachstufe mit der bedeutungsdifferenzierenden Funktion definiert werden (vgl. Feret 2014: 13), wohingegen unter dem Begriff Grapheme die kleinsten Einheiten eines jeden Schreibsystems verstanden werden (vgl. Coulmas 1996: 174), die den Ersteren bis zu einem gewissen Grade gleichstehen und sie visuell repräsentieren sollen (vgl. Owsiński 2017a: 33–34; Firyn/Owsiński 2020: 130–131).

An dieser Stelle muss betont werden, dass die vorzunehmende Analyse als Erweiterung und Präzisierung eines größer angelegten Projekts der Erforschung der deutschen Sprache auf dem eingangs angedeuteten geographischen Gebiet betrachtet werden soll, weil sie die natürliche Fortsetzung der sprachgeschichtlichen Untersuchung des in den Hermannstädter Archivalien aus den Jahren 1552–1559 schriftlich fixierten Deutschen ist. Die Untersuchungskorpora sind die zuvor genannten historischen, auf Deutsch niedergeschriebenen Protokolle aus der Hermannstädter Stadtkanzlei sowie aus der im obigen Zitat von Gabanyi erwähnten Sächsischen Nationsuniversität (vgl. oben), deren Entstehung in die beginnende zweite Hälfte des 16. Jh. fällt. Zugleich sind sie auch ein beachtlicher Teil der Publikation, die im Jahre 2016 vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas veröffentlicht wurde. Inhaltlich beziehen sie sich hauptsächlich auf Fragen der Stadt und der umliegenden Ortschaften. Alle zu erforschenden Schriftstücke gehören dem ersten, 1522 angelegten, von außen in Leder eingehüllten Hermannstädter Stadtbuch an, dessen Blätter aus schwerem Papier bestehen und mit schwarzer Tinte beschrieben sind. Die der Analyse unterliegenden Einträge stammen aus der Feder der in den Jahren 1560–1565 in der Stadtkanzlei tätigen NotareFootnote 6 Johannes RhyßusFootnote 7 und Michael SiglerusFootnote 8 (vgl. Pakucs-Willcocks 2016: 12).

Das erste Stadtbuch von Hermannstadt ist ein historisches Dokument von besonderer Bedeutung. Als programmatisches und politisches Instrument par excellence hatte das Stadtbuch den erklärten Zweck, politische Entscheidungen des Stadtrats und der Sächsischen Nationsuniversität festzuhalten sowie alle Beschlüsse juristischer oder politischer Art der Nachwelt zu überliefern. […] Die Einträge des Stadtbuchs spiegeln die Bemühungen des Magistrats, des Bürgermeisters, der Königs- und Stuhlrichter um eine gute Verwaltung und Ordnung der Stadt. […] [Die] meisten Dokumente […] [stehen] in Verbindung mit notariellen Aktivitäten oder mit Beurkunden von Vergleichen, Verträgen, Testamenten und Erbschaften (Pakucs-Willcocks 2016: 10–11).

Traditio scripta bei den Hermannstädter Kanzlisten

Das theoretische Fundament bietet die bereits erwähnte spekulative Graphem-Phonem-Äquivalenz, die sofort auf ein gewisses Verhältnis zwischen den graphischen und phonischen Spracheinheiten verweist, was auch schon von Jan Baudouin de Courtenay (1845–1929) (vgl. 1974: 52), Ferdinand de Saussure (1857–1913) (vgl. 1991: 51–52) und Leonard Bloomfield (1887–1949) (vgl. 1933: 21) signalisiert wurde und mit der Konstatierung von Stanisław Prędota übereinstimmt, der behauptet, dass die Schrift als sekundäres visuelles System angesehen werden solle, dessen Aufgabe es sei, die Höreindrücke in der Graphie darzustellen und sie dadurch einem etwaigen Empfänger allzeit verfügbar zu machen (vgl. Prędota 1972: 100).

Die Entstehungszeit des zu analysierenden Forschungskorpus (16. Jh.) ordnet es zeitlich der fnhd. Sprachentwicklungsetappe zu, obwohl die voraussichtliche Dauer eines jeden Lautwechsels im Auge behalten werden muss. Überdies lässt es sich nicht bestreiten, dass das Fnhd. leichter mit einem vermutlichen Konstrukt assoziiert werden soll, wodurch es auch möglich wird, sich auch auf das vorangehende künstliche und idealisierte Mhd. zu stützen (vgl. Paul/Mitzka 1963: 73–83; Zhirmunskij 1965: 144–151; Keller 1978: 272–273; Schmidt 1982: 169–172; Szulc 1987: 132–137; 2002: 137–139; Kriegesmann 1990: 90–98; Schmid 2013: 67–69):

  • fnhd. standardsprachliche Diphthongierung: [i:, y:, u:] > [aɪ, ɔɪ, aʊ];

  • fnhd. standardsprachliche Monophthongierung: [ie, uo, ʏe] > [i:, u:, y:];

  • fnhd. Senkung der hohen Vokale: [ɪ, ʏ, ʊ] > [ɛ, œ, ɔ];

  • fnhd. standardsprachliche Labialisierung: [e:, ɛ, i:, ɪ, eɪ/aɪ, iɛ] > [ø:, œ, y:, ʏ, œʏ, ʏɛ];

  • fnhd. Entlabialisierung: [ø:, œ, y:, ʏ, œʏ, ʏɛ] > [e:, ɛ, i:, ɪ, eɪ/aɪ, iɛ];

  • fnhd. Dehnung der mhd. Kurzvokale;

  • fnhd. Kürzung der mhd. Langvokale;

  • Zusammenfall der alten und neuen Diphthonge:

    mhd. [eê], [œu], [ou]

      
     

    >

    fnhd. [aɪ, ɔɪ, aʊ];

    mhd. [i:], [y:], [u:]

      
  • Synkope und Apokope im Bereich des Nebensilbenvokalismus.

Fnhd. standardsprachliche Diphthongierung: [i:, y:, u:] > [aɪ, ɔɪ, aʊ]

Dieser Lautwechsel fing in den bairisch-österreichischen Dialekten an und breitete sich wellenweise nach Norden aus, um endlich den gesamten md.Footnote 9 Sprachraum zu Beginn der fnhd. Epoche zu erreichen, was die u. a. von Kaj B. Lindgren (1922–2007) erforschten omd.Footnote 10 Schriftstücke aus jener Zeit eindeutig beweisen (vgl. 1961: 5–60). Im ausklingenden 13. Jh. kann diese Innovation im Böhmischen und schon in der ersten Mitte des 14. Jh. im Ostfränkischen, Schwäbischen sowie Schlesischen beobachtet werden (vgl. Moser 1929: 154–155; Wiktorowicz 2017: 11–22). In Anlehnung an Józef Grabarek (vgl. 1984: 50–63) lassen sich ihre Reflexe gegen Ende des 14. Jh. auch in den Dokumenten der Stadtkanzlei der Alten Stadt Thorn vorfinden.

Somit kann man vermuten, dass der Diphthongierungsprozess im Text der Hermannstädter Protokolle aus den 60er Jahren des 16. Jh. in reichlichem Maße durchgeführt ist, was auch anhand der vorgenommenen Phonem-Graphem-Analyse bestätigt werden konnte.

Die Zwielaute [aʊ] und [ɔɪ] in ihren visuellen Erscheinungsformen zeigen eine relative Regelmäßigkeit auf, weil sie meistens als <au> und <eu> auftreten. Nur sporadisch sind sie als (aw) und (ew) bzw. (äu) anzutreffen. Was den Diphthong [aɪ] anbetrifft, so kennzeichnet er sich durch einen breiteren Variantenreichtum: <ei>, (eӱ), (ai) oder (aӱ). Die Gebrauchskonsequenz konkreter graphischer Varianten lässt sich jedoch kaum bestimmen, z. B. (1560) einschreiben : (1561) einschreӱbe, (1560, 1561) baufellig : (1561) bawfellig : (1565) bawfällig, (1562) neues : (1564) newer, (1560) waӱern, waӱren : (1565) waier : (1565) wayren.

<ei>

<au>

<eu>

Anlaut

(1560, 1562, 1563)

einschreiben, eingeschrieben;

Anlaut

(1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565)

aus, außweg, ausczuczihen, ausfūret, auff, auffrechnen, auffschneiden;

Inlaut

(1560, 1561, 1562, 1564, 1565)

heutigen, zeugen, gezeuge, zeugnus, gezeugett, gezeuget, czeugnis, neues, deutschen, leut, leutt, stulsleutten, leutten, theur, ffreundt, gefreundt, freundschafft, freundlich, bluetfreunden, bluttfreund;

(ew): (1564) newe;

(äu): (1565) häusern;

Inlaut

(1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565)

sein (V.), sein (Pron.), seine, seinem, seiner, seines, seinen, seiniger, ßeinigen, zugleich, zeitt, zeitten, hochzeitt, hochzeit, zeitlang, malczeiten, mahlzeitten, weißer, weisen ‚weise‘, greiffen, weitte, weiter, weitere, weil, bleiben, bleibe, treiben, leib, schreiben, einschreiben, leiblicher, leiblichen, vergleichung, auffschneiden, weingart, wein, fleißiger, fleissige, gereist, Desgleich, abweiche, weibspersonen, streittiger, schneiden;

(ai): (1565) waier;

(aӱ): (1560, 1565)

waӱern, waӱren, waӱer, waӱrn, waӱrs, waӱr;

(ay): (1565) wayren;

(eӱ): (1561, 1562, 1565)

einschreӱbe, dreӱen, feӱrtägen;

Inlaut

(1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565)

hauß, hauses, radhaus, hausfrawen, haus, hauswirtt, hauswirtin, lauth, lautt (Subst.), gebauet, verbauett, hauffen, kaulen, kaulna ;

(aw): (1561, 1562, 1565)

erbawet, bawen;

 

Auslaut

(eӱ):

(1560, 1563, 1564, 1565)

dreӱ, darbeӱ, beӱ, czinnsfreӱ, freӱ;

Auslaut

(1561, 1562)

baufellig;

(aw): (1561, 1562, 1565)

bawfellig, bawfällig, baw;

 
  1. amhd. kiule > fnhd. keule, md. kūle > fnhd. kaule – das Beispiel zeigt vortrefflich die md. Provenienz des Schriftstücks auf.
  2. vgl. Lexer 1986: 108, DWB Leipzig 1971, http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GK04200#XGK04200 (Zugriff am 16.03.2020)

Fnhd. standardsprachliche Monophthongierung: [ie, uo, ʏe] > [i:, u:, y:]

Der geographische Herd dieses Lautwandels ist seit dem Ende des 11. Jh. in den wmd.Footnote 11 Mundarten – und genauer: im rheinfränkischen Gebiet – zu suchen. Von dort aus weitete er sich gradmäßig auf dem gesamten md. Sprachraum aus und gelangte schließlich auch zu den omd. Dialekten, was die in den Kanzleien des 14. Jh. in Prag, Breslau, Krakau und Thorn angetroffene Schreibung beweist (vgl. Boková 1993: 183–184; Arndt 1898: 80–81; Wiktorowicz 2017: 15; Kaleta 2004: 25–32; Owsiński 2017b: 50; 2018: 49; Grabarek 1984: 68–72).

Die schriftliche Fixierung der einzelnen monophthongierten Laute im Text der Hermannstädter Protokolle stellt keine Ausnahme auf diesem Feld dar, weil hier auch simple Grapheme bzw. ihre Allographe <ie>, (i), (ih), (ӱe), <u>, (uh), (ue) und <ü>, (üh), (u) oder (uh) an der Stelle der mhd. Zwielaute festgestellt wurden. Oftmals wird <ie> bzw. (ӱe) angetroffen, wo das nachgestellte <e> die Länge des [i:] zum Vorschein bringt, obwohl die Quantität des Vokals auch mittels des postvokalischen <h> [z. B. (ih)] signalisiert wird. Dies ist auch der Fall, wenn <u> mit dem Dehnungs-h unter die Lupe genommen wird, so dass die Graphemsvariante (uh) entsteht: (1565) ruhe. Gelegentlich kommt auch die Graphemssequenz (ue) vor, die aber entweder auf die Bindung des Schreibers an die konventionellere Schreibung oder dessen Unsicherheit beim Schreiben zurückzuführen ist. Die Gebrauchskonsequenz konkreter Niederschriftmöglichkeiten scheint jedoch zufällig zu sein, hängt nicht vom gerade in der Kanzlei tätigen Schreiber ab und somit lässt sich kaum bestimmen, z. B. (1564) geniessen : (1564) genissen, (1561, 1563, 1565) thun, verthun, czutun : (1561, 1562, 1563) thuen, verthuen, (1563) bluetfreunden : (1563, 1564, 1565) bluttfreund, blutfreundt, (1560) einfüren, ausfūret : (1563) einfuhrtt oder (1560) brüder : (1561) gebruder.

<ie>

<u>

<ü>

Inlaut

(1563, 1564, 1565)

hierüber, lieber, teilbrieff, teilbrieffs, dienen, diensten, dienstmägd, quittanzbrieff, geniessen, mitczuczien;

(i):

(1564, 1565)

genissen, czigelfüller, cziglern;

(ih):

(1564)

czuczihen, mitzihen, zihen, erczihen, ausczuczihen;

(ӱe):

(1561, 1562)

stӱeff vater, stӱeffvater, nӱemand;

Auslaut

(1560, 1561)

die, sӱe, wie;

Inlaut

(1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565)

mutter, großmuter, stiffmutter, beruffen, rufen, ruffen, geruffen, stadbuch, buch, gutt, gutte, gutter, guttwilligen, bruder, pruder, thun, verthun, czutun, musz, suchet, gesucht, stulsleutten, stuls, stul, fusgenger, bluttfreund, blutfreundt;

(uh):

(1565)

ruhe;

(ue):

(1560, 1561, 1562, 1563)

thuen, verthuen, bluetfreunden;

Auslaut

(1560, 1561, 1562, 1564)

zuwissen, zu kundt, darzu, czuferkauffen;

Anlaut

(1561)

geübt;

Inlaut

(1560, 1565)

einfüren, ausfūret, brüder, vergenüget, begnügen;

(üh):

rührer;

(u):

(1560, 1561, 1563)

gutter, gebruder, einmuttig;

(uh):

(1563)

einfuhrtt;

Fnhd. Senkung der hohen Vokale: [ɪ, ʏ, ʊ] > [ɛ, œ, ɔ]

Die mit der Lautdistribution im Zusammenhang stehende Senkung der hohen Vokale [ɪ, ʏ, ʊ] > [ɛ, oe, ɔ] ist in den Konstellationen /m, n, l, r/ + Konsonant seit dem 12. Jh. im Mittelfränkischen und Hessischen anzutreffen. Im 14. Jh. ist sie in den omd. sowie obd.Footnote 12 Mundarten sichtbar (vgl. Moser 1929: 137–142) und erst im 16. Jh. erreichte sie das Schles.Footnote 13 (vgl. Arndt 1898: 28). In Anlehnung an Grabarek (vgl. 1984: 182) wurde diese Innovation in der Thorner Kanzlei noch zu Beginn des Fnhd. kaum verschriftet, was darin begründet ist, dass sie aller Voraussicht nach nicht realisiert worden war.

Im Text der Protokolle ist die Senkung ebenfalls zu sehen, obwohl die Art und Weise der Lautverschriftungstechnik stellenweise zwischen <o> und (ö) sowie zwischen (ö) und (ü) alterniert:

  • [ʊ] > [ɔ] = <o> bzw. (oo):

    (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565):

    komen, bekomen, heim komen, umbkommen, sollen, ßoll, soll, sol, sool, ßonderlich, solchs, solche, solcher, solches, sonder, sondern, sondren, sonndren, sonst, sonnst, sontag, frommen;

  • [ʊ] > [ɔ] > [o:] (nach der Senkung und darauffolgenden Dehnung):

    (1561):

    son;

  • [ʏ] > [œ]:

    (1560, 1564, 1565):

    unbekömert, könne, küntten, kuntten, köndten, könnten, fergünnt;

  • [ʏ] > [œ] > [ø:] (nach der Senkung und darauffolgenden Dehnung):

    (1560, 1561, 1562, 1564, 1565):

    möge, mögt, vermögen, vermöge, König, königsrichter, söne, unfermügens, unfermöglich, unfermogens.

Fnhd. standardsprachliche Labialisierung und fnhd. Entlabialisierung

Der distributionsbedingte Labialisierungsprozess (Rundung), infolge dessen die Laute wegen der konsonantischen Nachbarschaft von [ʃ], [f], [w], [l] und [n] eine additionale labiale Artikulation ([e:, ɛ, i:, ɪ, eɪ/aɪ, iɛ] > [ø:, œ, y:, ʏ, œʏ, ʏɛ]) erhalten, trat zuerst im 13. Jh. im Alemannischen und Schwäbischen ein und strahlte dann davon aus, um im 14. Jh. schließlich die md. Dialekte zu erfassen.

Die Untersuchung der Schriftstücke aus Hermannstadt bewies unzweideutig, dass die Labialisierung bereits realisiert und in der Schrift erfasst wurde, wobei die Konsequenz ihrer visuellen Wiederspiegelung nicht einheitlich ist: <o> : (ö) : (e) oder <ü> : (y):

  • [ɛ] > [œ] > [o]Footnote 14:

    (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565): wolt, wolten, wollen, woll, wöllen, woltt, gewelb, schepffen;

  • [ɪ] > [ʏ]

    (1560): wyrdig.

Anzutreffen sind auch Belege mit (e), die vermutlich auf die älteren traditionsbedingten Niederschriftmöglichkeiten zurückzuführen sind, z. B. (1563) gewelb und (1565) schepfen.

Die konträre, eher dialektal begrenzte Entlabialisierung (Entrundung) der einst labialisierten Vokale ([ø:, œ, y:, ʏ, œʏ, ʏɛ] > [e:, ɛ, i:, ɪ, eɪ/aɪ, iɛ]) kann seit dem 12. Jh. im Bairischen und erst seit dem Ende des 16. Jh. bzw. am Anfang des 17. Jh. im omd. Dialektkreis angetroffen werden. Die Hermannstädter Protokolle enthalten aber keine Exemplifikationen, anhand deren man eine Feststellung dazu formulieren könnte.

Fnhd. standardsprachliche Quantitätsalternanzen

Die Quantitätsalternanzen umfassen die Dehnungs- und Kürzungsprozesse, denen die ursprünglich kurzen Vokale in den offenen Tonsilben sowie die Kürzung der früher langen Vokale in den geschlossenen starktonigen Silben unterlagen. Die beiden Lautwechselprozesse begannen im 12. Jh., aber ihre geographischen Ausstrahlungsfokusse sind völlig woanders zu suchen: Die Ursprünge der Dehnung sind im wmd. Sprachraum (im Niederfränkischen) zu verorten. Erst ein Jahrhundert später erreichte sie die omd. Dialekte und im 15. Jh. kann sie schon auf dem gesamten hochdeutschen Gebiet festgestellt werden. Die Kürzung fing wiederum auf dem md. Gebiet an, d. h. im Omd., Ostfränkischen und Nordhessischen. Erst von dort aus breitete er sich auch auf das Obd. aus.

Nicht ohne Belang bleibt aber die Tatsache, dass die beiden Quantitätsverschiebungen äußerst schwer durch die Schreibung wiedergegeben werden können, was auf das konservativere und traditionellere Wesen der Schrift zurückzuführen ist. Sonach sind die Sprachhistoriker lediglich auf sehr schlichte und dezente Signale seitens des Schreibers angewiesen, die diese lautlichen Veränderungen – wenigstens in einem gewissen Umfang – zum Vorschein bringen: In Betracht kommen hier die einen langen Vokal ausdrückenden Doppelbuchstaben, das nachgestellte <e> zum Ausdruck eines [i:] oder das postvokalische <h>, das die Länge des vorangehenden Vokals signalisiert. Auf die Kürze der Vokale kann wiederum mithilfe der nachfolgenden Konsonantenhäufungen hingewiesen werden (vgl. Owsiński 2019a: 355–356). Wie Grabarek (vgl. 2017: 91) richtig betont, müssen bei jeder graphematisch-phonematischen Untersuchung quantitätsspezifischer Prägung auch die parallelen Lautwandelformen mitberücksichtigt werden z. B. die im Rahmen der konsonantischen Ausgleichsbewegungen durchgeführte Rückgängigmachung des durch das Vernersche Gesetz beschriebenen Konsonantenwechsels bei etymologisch verwandten Wörtern sowie innerhalb bestimmter Flexionsparadigmen, die unter ähnlichen Bedingungen auf einem konkreten geographischen Gebiet (hier: Mittel-, Ost- und Südosteuropa) in demselben Sprach- und Kulturkreis eintraten. Dann kann man versuchen, anhand sehr vorsichtiger Beobachtungen eine Feststellung zu den quantitativen Umwandlungen zu formulieren.

Dehnung:

  • (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565): tagen, tag, tagwerke, aber, namen ‚Name, -n‘, hinfahrt, gesagt, haben, schaden, stӱeff vater, vatters, laden, geladen, angeklagt, erklagend, furgetragen, zutrage, tragen, bezalen, bezalt, abzalenn, bezaln, zaln, beczalung, beczalungh, schlagen, angeschlagen, handschlag, wagen, narung, graben;

  • (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565): der, den, dem, gelegen, erlegen, erlegt, einredt, wer, beschert.


Die Mehrheit der obigen Belege wurde nicht mit einem Quantitätsmarker versehen, obwohl es auch einige wenige Ausnahmen gibt, z. B. hinfahrt (1560). Wenn man jedoch die Dauer des Dehnungsprozesses mit seiner geographischen Verbreitung sowie die Entstehungszeit und den Entstehungsort der zu analysierenden Archivalien mitberücksichtigt, kann man annehmen, dass der Dehnungsprozess zwar realisiert wurde, aber in der Graphie kein Echo fand. Im Falle von wer ‚(er) wäre‘ oder were (1560) ist die Beseitigung des grammatischen Wechsels sichtbar, was die Ausgleichsbewegung auch innerhalb der Vokalquantität mit hohem Sicherheitsgrad vermuten lässt (vgl. auch oben), und durch sporadisch vorhandene Belege bewiesen werden kann, z. B. (1564) waar ‚(er) war‘Footnote 15.

  • (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565): der, den, dem, gelegen, erlegen, erlegt, einredt, wer, beschert;

  • (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565): begehrt, begehr, begerten, werden, werde, werdt, annemen, einnemen, gewest, gewesen, neben, danneben, geben, gegeben, vergeben, vorgeben, nachgeben, ubergeben, außgeben, begeben, außweg, gesehen, slebenn, befehl, wehren, weder, ferlesungh.


Einerseits zeigen die oben dargestellten Belege die konsequente fehlende Markierung des gedehnten /e/-Lautes auf, andererseits können hier und da auch solche Beispiele vorgefunden werden, die den Längenindikator in Gestalt des Dehnungs-<h> enthalten: (1560, 1561, 1562, 1563, 1565) begehrt, begehr, begehrett (ABER: (1562) begerten, (1564), begerten), gesehen, befehl, wehr ‚(er) wäre‘. Dabei ist noch die Tatsache auffallend, dass das postvokalische <h> ebenfalls in solchen Positionen angetroffen wird, wo das /e/ primär lang war, wobei man hier auch auf die fehlende Konsequenz der Markierung dieser Vokallänge stoßen kann: (1560, 1561, 1562, 1564, 1565) ehegemahl, ehefrauen, gehet (< Part. Perf. von ehen ‚heiraten‘), ehe, mehr, mehrem, mehrer, zustehend, zustehendt, abstehen, stehen, entstehe, sehr.

Vorsichtig kann konstatiert werden, dass sich die Tendenz zur Wiedergabe des [i:] (< mhd. [ɪ]) mithilfe des aus dem alten Diphthong [ie] stammenden nachgestellten <e> abzeichnet, obwohl auch hier keine eiserne Konsequenz festzustellen ist [(1561) ffrӱeden : (1561) friedlich; (1560, 1561, 1562, 1563) erschienen : (1564) erschinen : (1565) erschinnen; (1563) viel : (1564) vil]:

  • (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565): mir, mӱr, Wir, blieben, geblieben, obgeschriebene, eingeschrieben, geschriebenn, geschireibene, viel, vil, wider, erschienen, erschinen, erschinnen, verschienen, ausgetrieben, zu ffrӱeden, ffrӱeden, friedlich, friedsam, schwiger, verlӱhen, widerumb, niderer, ligend.


Im Anlaut wird das durch Dehnung entwickelte [i:] mit <i>, (j) und seit 1564 mit (ih) wiedergegeben:

  • (1560, 1561, 1562, 1564): irer, ire, innen, jn, in, im (Pron.), ir, irem, ihrer, ihrem, ihren.


Das aus dem mhd. [ie] (< ahd. /ia/, /io/) infolge der Monophthongierung herausgebildete [i:] erscheint vorwiegend als <ie> bzw. (ӱe): (1563, 1564, 1565): hierüber, lieber, teilbrieff, teilbrieffs, dienen, diensten, dienstmägd, quittanzbrieff, geniessen, mitczuczien, (1561, 1562): stӱeff vater, stӱeffvater, nӱemand. Als Ausnahmen sind (1564, 1565) genissen, czigelfüller, cziglern, czuczihen, mitzihen, zihen, erczihen, ausczuczihen anzusehen, die die einfache Niederschriftvariante aufzeigen.

Die Dehnungsprozesse [ʊ] > [u:] und [ʏ] > [y:] werden niemals graphisch markiert, wobei die fehlende Bezeichnung des Umlauts stellenweise anzutreffen ist: (1565) badstuben; (1560, 1561, 1565) über, uber, darüber, hierüber, (1560, 1561, 1562, 1563, 1564) fur, für, furgetragen, thür.

Die Dehnung [ɔ] > [o:] kommt in der Graphie auch meistens nicht vor: (1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565) oder, gezogen, unerzogen, geczogen, eingeczoge, oben, obenn, sonFootnote 16, wonet, gewonet, wonen, wol, öberste, verbotten, ferbotten. Im Falle von (1561) beffohlen, (1562) befohlen bzw. (1562) befolhenn (vielleicht Tippfehler [!]) ist sofort die Anwendung des Dehnungs-h zu bemerken, was aber hier nur als beziehungsloser Versuch der Vokallängemarkierung betrachtet werden kann.

Das gedehnte [ø:] (< [œ]) ist im gesamten Untersuchungskorpus fast immer als <ö> vorzufinden: (1560, 1561, 1562, 1564, 1565) möge, mögt, vermögen, vermöge, König, königsrichter, söne, unfermügens, unfermöglich, unfermogens. Die einmal bemerkte inkonsequente (ü)-Schreibung [(1564) unfermügens] wird eher auf die Tradition oder auf die Unsicherheit des Schreibers zurückgeführt.

Kürzung:

  • (1560, 1561, 1562, 1564, 1565): gebracht, lassen, lassenn, gelassen, einlassen, zu gelassen, verlassene, ferlassen, nachgelassene, gedachtes, bedachten, herr, herren, herrn, pfarrherr.


Die obigen Beispiele beweisen eindeutig, dass die in der Graphie konsequent gebrauchten Konsonantenverdoppelungen bzw. -häufungen nach dem gekürzten Vokal auf seine Kürze hinweisen, was die erst im 16. Jh. von den Stadtschreibern eingeleitete Praxis ist (vgl. Moser 1929: 79–82). Die Berücksichtigung der Quelle dieses Lautwandels (omd., ostfränkische und nordhessische Mundarten) lässt mit hohem Sicherheitsgrad annehmen, dass er in der Mitte des 16. Jh. auch in Hermannstadt begonnen haben und durchgeführt worden sein muss.

Zusammenfall der alten und neuen Diphthonge

Die Fusion der alten und neuen Diphthonge begann noch in der mhd. Zeit, was die in der obd. Graphie niedergeschriebenen Spuren der Öffnung der alten Diphthonge zu [aɪ] und [aʊ] aufzeigen. Somit fiel dieser Prozess mit der fnhd. Diphthongierung zusammen. Zu Beginn der fnhd. Ära wurden von den Schreibern noch Versuche unternommen, die Provenienz der Zwielaute in der Schreibung zu markieren, aber in den historischen Dokumenten aus dem ausklingenden 15. Jh. lässt sich die Vergangenheit der Zwielaute wegen ihrer alternierenden, ihre Provenienz vernebelnden Graphien nicht mehr ermitteln (vgl. Grabarek 2017: 89), was auch die Ergebnisse der vorliegenden phonematisch-graphematischen Analyse nachweisen:

mhd. [eê]

<ei>, (eӱ)

fnhd. [aɪ] (< mhd. [i:])

<ei>, (ai), (ay), (aӱ), (eӱ), (aӱ)

(1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565)

<ei>:

ein, eins, eine, eigen, einiger, allein, klein, kleinen, gemein, gemeine, gemeinen, vermeinet, kein, keiner, anzeigt, angezeigt, angeczeigt, anczeigend, verzeichnet, verzeichnett, theill, theil, theills, erbtheill, theils, theil, nachtheil, teilbrieff, teilungh, heim komen, heimlösung, fleischer, zweien, beiden, streittiger, streitige, kleidung, beleidigen, leitten, geleitet;

(1560, 1561, 1562, 1563, 1564, 1565)

<ei>:

einschreiben, schreiben, bleiben, bleibe, sein (V.), sein (Pron.), seine, seinen, ßeinigen, zugleich, zeitt, zeitten, zeitlang, hochzeitt, hochzeit, malczeiten, mahlzeitten, gereist, vergleichung, weiser (Adj.), abweiche, weitte, weiter, weitere, weitteres, auffschneiden, leiblicher, leib, fleißiger, weil, treiben, Desgleich, wein, weingart, greiffen, weibspersonen, schneiden;

(eӱ):

eӱnigkeit, eӱd, eӱden, eӱgen, eӱgener, beӱde, theӱlung, theӱlen, leӱderlich;

(eӱ):

einschreӱbe, dreӱ, dreӱen, darbeӱ, beӱ, freӱ, feӱrtägen;

 

(ai):

waier;

 

(aӱ):

waӱern, waӱren, waӱer, waӱrn, waӱrs, waӱr;

 

(ay):

wayren;

mhd. [ou]

<au>, (aw)

fnhd. [aʊ] (< mhd. [u:])

<au>, (aw)

(1560, 1561, 1562, 1564, 1565)

<au>:

auch, schauen, gebrauchen, gebraucht, kaufft, verkauffen verkaufft, gekaufftes, ferkaufft, czuferkauffen, ffrauen, frauen, ehefrauen, glauben, holzhauern;

(1560, 1561, 1562, 1564, 1565)

<au>:

auff, auffrechnen, auffschneiden, aus, außgeben, ausczuczihen, hauß, haus, hauses, radhaus, hausfrawen, behausung, hauswirtt, verbauett, gebauet, hauffen, lauth, lautt (Subst.), baufellig, kaulen, kauln;

(aw):

baw, ffraw, fraw, frawen, widfrawen, hausfraw, hausfrawen, holczhawer, czerhawen;

(aw):

bawfellig, bawfällig, erbawet, bawen, baw;

mhd. [œu]

<au>

fnhd. [ɔɪ] (< mhd. [y:])

<eu>

(1564)

<au>:

hauptern;

(1560, 1561, 1562, 1564, 1565)

<eu>:

heutigen, zeugen, gezeuge, zeugnus, gezeugett, gezeuget, czeugnis, neues, ffreundt, gefreundt, freundschafft, freundlich, ffreundlich, bluetfreunden, deutschen, theur, leut, leutt, stulsleutten, bescheut, dorfsleutt, leuth, leutten, blutffreundt, neues, geheuß, seuchen, verczeugnen, Deutschen;

 

(ew):

newe;

(äu):

(1565)

häusern;

Synkope und Apokope im Bereich des Nebensilbenvokalismus

Der Schwa-Laut [ǝ] erscheint im Auslaut immer als <e>: unsere, alle, eine, seine, beӱde, selige, fursichtige, weӱße ‚weise‘, wӱtwe, möge, were, hette, werde, obgeschriebene, gezeuge, aber stellenweise sind auch Apokopierungen anzutreffen, z. B. hett, het, wer ‚(er) were‘, möcht, erb ‚(das) Erbe‘, leut, leutt, straff, knab, theur.

Die übrigen Endsilben nehmen schon ihre einheitliche Gestalt mit <-e-> an. Mhd. <-ec> wird an allen Stellen mit (-ig) realisiert:

<-em>

<-en>a

<-er>

<-es>

<-et>b

seinem, unserem, irem, welchem, erdbodem, mehrem;

absterben, verrechnen, sollen, hetten, besichtigen, gehalten, geschweigen, bedachten, tagen, ursachen, ffrauen, allen, eigen, zwischen;

menner, schuöger, mitburger, mutter, großmuter, richter, irer, solcher, über, wider, unbekömert, waӱern;

eines, keines, ihres, solches, welches, junges, gedachtes, ersames, knabes, gekaufftes;

vermeinet, befraget, gelöset, wonet, besichtiget, verrechnet, gefellet, verzeichnet, gezeuget, getheӱtiget;

<-ec> = (-ig)c

 

selige, fursichtige, besichtigen, getheӱtiget, heutigen, guttwilligen, billig, selbig, ebenmessig, eӱnigkeit, König;

 
  1. aGanz vereinzelt sind Inkonsequenzen in Gestalt von (-in): (1561) schwesterchin und (-enn): (1561) merckenn, vernomenn, geschriebenn, besitzenn, lebenn, obenn, (1564) beschlossenn anzutreffen, die jedoch eher eine marginale Erscheinung sind und als traditionellere Verschriftlichung angesehen werden dürfen.
  2. bStellenweise wird (-ett) festgestellt: (1560) verbauett, (1561) gezeugett, (1563) begehrett, verzeichnett, (1565) merketten, besichitigett.
  3. cHier und da werden (-igk), (-igh) und (-ik) festgestellt: (1564) einhelligklichen, willigklich, seligh, (1565) eintregtiklich.

Nicht selten kommen hier Synkopen vor:

<-em>

<-en>

<-er>

<-es>

<-et>

unserm, dieserm, grösserm;

waӱern, erbarn, schwestern, kindern, bezaln, zaln, solln, zwischn, eignen, geborn, kauln, geschn;

andrer, sondren;

welchs, solchs, urteils, theills, kinders, vatters, kinds, erbs;

dunkt, bedürfft, einredt, befragt, begehrt, kaufft, unbekömert, erlegt, werdt, gefreundt;

Im gesamten Text der Protokolle lassen sich die Vorsilben in ihrem heutigen Design antreffen:

<be->

<ge->

<er->

<ver->

beruffen, bekomen, besichtigen, befraget, begehrt, bedürfft, besitzung, bezalt, bedachten, befragung, bekentnüs, unbekömert, behausung;

gebracht, gehalten, gelegen, geschetzt, geschweigen, gethan, gelöset, gelassen, getheӱtiget, abgestanden, angelangt, gesproche, gezeuge, gewissen, gewald;

erlegen, erlegt, erkant, erkentnüss, ersamen, erklagt;

vermeinet, verbauett, verschienen, verhört, verrechnen, verthun, verhanden, verlӱhen, vernomen, vermögen verstanden, verkauffen, vergleichung;

SYNKOPEN

(1560, 1561)

blieben

(1560, 1561, 1564, 1565)

zugleich, vergleichung, glauben, Desgleich, gthan, gnungsam, gstalt;

  
  1. aSeit 1564 ist eher (fer-) anzutreffen: (1564, 1565) unferleczt, ferpflicht, ferkaufft, czuferkauffen, ferlassen, unfermügens, fergünnt, ferlesungh, ferhörter, ferbinden, ferbündnis.

Fnhd. dialektale Innovationen

Abgesehen von den oben anzutreffenden standardsprachlichen fnhd. Innovationen sind ebenfalls einige wenige mundartliche Spracheigentümlichkeiten zu bemerken:

  • Verdumpfung (Verdunkelung) [a:] > [o:] = <o> bzw. (ö):

    (1560, 1561, 1562): demnoch, noch, schwoger, schuöger, schwöger, schwögern;

  • Monophthongierung des alten Diphthongs [eê] > [e:] = <e>:

    (1562, 1564, 1565): zween, zwe, czwen, zwetteil;

  • schlesische Kontraktion:

    [a:] = <a> (vgl. Hennings 2012: 120): (1560, 1561) han ‚haben‘;

    [aɪ] = (eӱ) (vgl. Bochenek/Dräger 2009: 327): (1560) burgermeӱster, getheӱtiget;

  • Öffnung des [o] / [ɔ] > [ɑ] und des [o:] > [a:]: (1562) hernachmals,

  • Senkung [i:] > [e:] = <e>: (1560, 1562, 1565) hernach, hernachmals, ernach, schweger.

Abschließendes

Die oben präsentierten Ergebnisse der graphematisch-phonematischen Untersuchung samt den bestimmte lautliche Erscheinungen veranschaulichenden Exemplifikationen lassen den Schluss zu, dass die Hermannstädter Protokolle aus der Mitte des 16. Jh. im omd. Sprachkreis sächsischer Prägung entstanden sind. Dies beweisen alle erwarteten standardsprachlichen fnhd. Eigentümlichkeiten und Lautwechselprozesse im Bereich des Vokalismus, die in den Texten festgestellt werden konnten.

Darüber hinaus sind auch einige wenige dialektale Schattierungen zu erblicken, wie etwa Verdumpfung [a:] > [o:], Monophthongierung des alten Diphthongs [eê] > [e:], schlesische Kontraktion, Öffnung des [o] / [ɔ] > [ɑ] und des [o:] > [a:] oder Senkung [i:] > [e:] (vgl. 3.8).

Stellenweise werden jedoch etliche Abnormitäten angetroffen, die aber auf ein konservativeres Wesen der geschriebenen Sprache zurückgeführt werden, was darin begründet ist, dass sich die gesprochene Sprache immer rascher entwickelt und demnach letztendlich das Geschriebene zurücklässt.

Die abschließenden Gedanken erfordern jedoch einige, mit den obigen Untersuchungsergebnissen im Zusammenhang stehende Kommentare und Bemerkungen, mithilfe deren das Gesamtbild der sprachlich-dialektalen Verhältnisse in Hermannstadt – oder überhaupt in Siebenbürgen – vervollständigt werden kann. Diese sprachlich-mundartlichen Verkettungen verbinden sich nämlich mit einer eigenartigen, unter den in Siebenbürgen wohnhaften Deutschen existenten Diglossie, die als funktionale Differenzierung zwischen zwei gesellschaftlich different gewerteten Sprachvarietäten beobachtbar ist (war). Sie findet ihren Widerhall entweder im Nebeneinanderbestehen von Mundart und Standardsprache oder von gesprochener Volkssprache und geschriebener Hochsprache (vgl. Ferguson 1982: 254; Bußmann 1990: 183). Gerade solch eine Situation betrifft die Diglossie in Siebenbürgen (vgl. Protze 1969: 596; Schuller 2020), wo

[…] [das] siebenbürgisch-sächsische Volk […] von jeher zwei Sprachen gehabt [hat]: die eigentliche Mundart und die Schriftsprache. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist in allen Volksschichten die Mundart allein gesprochene Sprache gewesen, während die Schriftsprache vor der Reformation nur notdürftig, von da an in immer weiteren Kreisen gelesen und geschrieben, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch gesprochen worden ist (Schullerus 2020).

Dies rührt hingegen davon her, dass die siebenbürgisch-sächsische Mundart als eine der ältesten noch erhaltenen deutschen Siedlersprachen angesehen wird, die ab dem 12. Jh. auf dem Weg des Ausgleichs und der Integration verschiedener deutscher Dialekte entstanden ist:

Entscheidend für die Sprachentwicklung in Siebenbürgen war eine Gruppeneinwanderung von ca. 500 Familien aus Niederlothringen, die auf bereits vorhandene bairische und niederdeutsche Siedler stießen. Im Laufe zweier Jahrhunderte kamen noch ostmitteldeutsche Siedler dazu. Diese Mischung verschiedenster Sprachelemente sollte und musste zu einer Einheit geführt werden. Die Entwicklung zu einer Gemeinsprache ist grundsätzlich ein sehr langwieriger Prozess. Für Siebenbürgen geht man davon aus, dass sich der landschaftliche Sprachausgleich dieser Siedlervielfalt über 200-300 Jahre erstreckt hat (Schuller 2020).


Hierbei sei noch anzumerken, dass die in Siebenbürgen gebrauchte Mundart dem Ripuarischen, Moselfränkischen und Luxemburgischen am ähnlichsten ist, und sich somit innerhalb des wmd. Dialektkreises verorten lässt (vgl. auch Mantsch 1985: 189; mehr dazu Schmid 2013: 102–103; Schullerus 2020), was auch durch die Herkunft der auf dieses Gebiet kommenden Siedler bezeugt werden kann (vgl. Mitzka 1943: 80; Eggers 1969: 11). Diesem Gedankengang folgend, könnte man annehmen, dass die seit dem Ende des 11. Jh. aufkeimende fnhd. Monophthongierung: [ie, uo, ʏe] > [i:, u:, y:] sowie die ab dem 12. Jh. belegte fnhd. Dehnung als für das Wmd. symptomatische Sprachneuerungen zu betrachten sind. Wenn aber ihre wellenartige Ausbreitung und ihre daraus resultierende Präsenz in den omd. Mundarten (seit dem 14. Jh. und 15. Jh.) mitberücksichtigt werden (vgl. 3.2, 3.5), kommt man sofort zum diametral entgegengesetzten Schluss: Sie müssen vielmehr mit den Kolonisten aus dem omd. Gebiet nach Siebenbürgen gelangt sein, zumal die Ausstrahlungskraft des Omd. durch die Reformation sowie durch die sich rasch verkaufende Lutherbibel verstärkt wurde, deren Sprache eine äußerst normative Kraft aufwies. Darin erkennt man gerade die Ursache, warum das Neuhochdeutsche im Laufe der Zeit zur Schriftsprache der Siebenbürger Sachsen geworden ist. Aus diesem Grunde ist es auch vergebens, die wmd. Spuren im analysierten Text der in den Jahren 1560–1565 – also über vierzig Jahre nach dem Reformationsausbruch (1517) – niedergeschriebenen Hermannstädter Protokolle zu suchen, was die oben dargebotenen Analysenergebnisse eindeutig nachweisen.

Quellen

  • Protokoll vom 23.08.1560 (fol. 198v–199r).

  • Protokoll vom 25.09.1560 (fol. 199v–200v).

  • Protokoll vom 28.02.1561 (fol. 201v).

  • Protokoll vom 26.03.1561 (fol. 204v).

  • Protokoll vom 16.04.1561 (fol. 202r–202v) (Des Frantzen Waldorffer testaments halben).

  • Protokoll vom 16.04.1561 (fol. 203r) (Benedik Maurers jaus halben auff der Wӱsen).

  • Protokoll vom 23.04.1561 (fol. 203v–204r).

  • Protokoll vom 28.11.1561 (fol. 205r–205v).

  • Protokoll vom 16.03.1562 (fol. 206v).

  • Protokoll vom 20.04.1562 (fol. 208r).

  • Protokoll vom 2.11.1562 (fol. 208v).

  • Protokoll vom 6.09.1563 (fol. 210r–210v).

  • Protokoll vom 9.09.1563 (fol. 211r).

  • Protokoll vom 23.02.1564 (fol. 212v).

  • Protokoll vom 17.03.1564 (fol. 213r–213v).

  • Protokoll vom 17.11.1564 (fol. 213v–214r).

  • Protokoll vom 17.11.1564 (fol. 214r–214v).

  • Protokoll vom 17.11.1564 (fol. 214v).

  • Protokoll vom 17.11.1564 (fol. 214v–215r).

  • Protokoll vom 8.12.1564 (fol. 215r–215v).

  • Protokoll vom 16.02.1565 (fol. 216v–218r).

  • Protokoll vom 7.04.1565 (fol. 218r–218v).

  • Protokoll vom 16.05.1565 (fol. 219r–219v).

  • Protokoll vom 23.05.1565 (fol. 220r–220v).

  • Protokoll vom 18.06.1565 (fol. 220v).

  • Protokoll vom 6.07.1565 (fol. 221r–221v).

  • Protokoll vom 6.07.1565 (fol. 221v–222r).

  • Protokoll vom 27.07.1565 (fol. 222v–223r).