Einleitung

Zu einer der möglichen negativen Auswirkungen des Klimawandels auf den Obstbau gehört unzureichende Erfüllung des Kältebedarfs der Obstgehölze als Voraussetzung für frühen, gleichmäßigen Austrieb sowie frühes und gleichzeitiges Aufblühen der Blüten eines Baumes bzw. einer Sorte (Blanke und Kunz 2009a; Luedeling et al. 2009a; Tab. 1). Dies bildet die Voraussetzung für erfolgreiche Bestäubung, Fruchtansatz und gleichmäßige Abreife der Früchte im Herbst (Blanke und Kunz 2009b). In der letzten Zeit mehren sich im Obstbau weltweit Berichte über Diskrepanzen zwischen berechnetem Kältereiz (Chilling) und der beobachteten Erfüllung des Kältebedarfs. Betroffen sind bei uns vor allem high chill Kulturen bzw. Sorten wie z. B. Erdbeeren (Krüger 2009), Süßkirschen (Balmer 2010, pers. Mitt.) und bestimmte Apfelsorten wie ‘Gala’ z. B. im Frühjahr 2007 und 2008 (Baab, pers. Mitt.).

Tab. 1 : Auswirkungen fehlenden Kältereizes auf die Physiologie der Obstgehölze

Für die Berechnung des Kältereizes (‘Chilling’) kommen drei Modelle in Frage. Gründe für die Diskrepanzen zwischen berechnetem Chilling und Erfüllung der Kältebedürfnisse von Obstbäumen liegen daher möglicherweise in der Verwendung des traditionellen Kältestundenmodells nach Weinberger (1950) für Pfirsiche in Georgia (USA), das evtl. nicht für alle Anbaugebiete geeignet ist, und möglicherweise an fehlender Aufzeichnung früherer Temperatur-Stundenwerten, die erst mit Einführung von automatisierten Wetterstationen möglich wurde. Der Campus Klein-Altendorf wurde wegen seiner zentralen Lage mitten im Obstbaugebiet Meckenheim, guter Datenverfügbarkeit (z. B. langjährige stündliche Temperaturaufzeichnungen ab 1993; Kunz und Blanke 2011) und einem bereits vorhandenen Wert für den Kältereiz (Luedeling et al. 2009a) als idealer Modellstandort gewählt. Ziel der Untersuchungen war es daher, aufgrund des umfangreichen vorhandenen Datenmaterials den Kältereiz für den Standort Klein-Altendorf unter Einbezug der aufgezeichneten Stundenwerte zu errechnen, die Ergebnisse der drei Chilling-Modelle gegenüberzustellen und mit dem Kältebedürfnis der angebauten Obstarten und -sorten zu vergleichen. Ferner sollten durch Kombination von stündlichen Temperaturen und einer langen Zeitreihe täglicher Höchst- und Tiefsttemperaturen (seit 1958) Langzeittrends des Chilling ermittelt werden, und eventuelle Veränderungen durch den rezenten Klimawandel herausgearbeitet werden.

Material und Methoden

Standort und Wetteraufzeichnungen

Am Campus Klein-Altendorf (50.4 °N; 6.99 °O; 120 m ü M.) der Universität Bonn mit einer Jahres-Durchschnittstemperatur von 9,6 °C im südlichen Teil der niederrheinischen Bucht ist das Wetter atlantisch geprägt und wird durch maritime Westwinde und das milde Klima des Rheintals – vor allem im Winter – gemäßigt (Kunz und Blanke 2011). Die Stundenwerte über 14 Jahre stammen von einer automatischen Wetterstation in 2 m Höhe, die den Richtlinien des Deutschen Wetterdienstes (DWD) entspricht, am Rande der Obstanlagen.

Datenqualität, -korrektur und -berechnung

Stundenwerte lagen für alle Winter zwischen 1993/1994 und 2000/2001 und zwischen 2007/2008 und 2010/2011 vor, wobei Werte nur von Mai bis Juli 1996 fehlten. Da diese drei Monate jedoch nicht relevant für den Kältereiz sind, konnte aus den Stundenwerten direkt das Chilling für 12 der letzten 18 Winter berechnet werden. Um den Kältereiz für die letzten 53 Winter berechnen zu können, zogen wir zusätzlich noch tägliche Tageshöchst- und -tiefsttemperaturen hinzu, die seit Januar 1958 am Standort Klein-Altendorf aufgezeichnet werden.

Achtundzwanzig fehlende Tageshöchstwerte (0.1 % aller Werte) und 41 Fehlstellen bei Tagestiefstwerten (0.2 %) wurden linear interpoliert. Da für die Berechnung des Kältereizes stündliche Temperaturdaten notwendig sind, mussten diese aus den täglichen Höchst- und Tiefstwerten abgeleitet werden. Dies ließe sich durch eine idealisierte Temperaturkurve bewerkstelligen (Luedeling et al. 2009a; Luedeling und Brown 2011; Luedeling et al. 2011), wird aber ortsspezifischer und präziser, wenn auch stündliche Temperaturaufzeichnungen vorliegen (Luedeling et al. 2009b). Um die in den stündlichen Daten enthaltenen Informationen zum täglichen Temperaturverlauf in die Berechnung des Kältereizes einzubeziehen, wurden zunächst für die Dauer der stündlichen Aufzeichnungen mittels „Projection to Latent Structures“ (PLS) Regression (Wold 1995; Wold et al. 2001) Beziehungen der Temperaturen zu jeder Stunde des Tages mit Tagestiefst- und Tageshöchsttemperatur desselben Tages sowie der Tageslänge bestimmt (Luedeling et al. 2009c). Die Tageslänge wurde nach Spencer (1971) und Almorox et al. (2005) berechnet. Die aus der PLS-Regression hervorgehenden Gleichungen wurden dann verwendet, um für jede Stunde seit 1958 die mittlere Temperatur zu berechnen. Für alle Stunden, für die stündliche Messwerte vorlagen, wurden diese statt der berechneten Temperaturen eingesetzt. Das Ergebnis dieser Datenbearbeitung war eine kontinuierliche Datenreihe von stündlichen Temperaturen von Januar 1958 bis März 2011 mit mehr als 466.000 Einzelwerten.

Beschreibung und Unterschiede der drei Kältereiz-Modelle

Zur Berechnung des Kältereizes wurden drei international verwendete Modelle benutzt (Tab. 2). Im Kältestundenmodell (Weinberger 1950; Bennett 1949) gelten alle Stunden mit Temperaturen zwischen 0 und + 7,2 °C (32–45 °F in der amerikanischen Originalversion) als für den Kältereiz förderlich (Tab. 2). Diese Kältestunden (Chilling Hours – CH) werden im Laufe des Winters aufsummiert und es ist nicht vorgesehen, dass warme Temperaturen – in diesem Fall über  + 7,2 °C – den Kältereiz wieder aufheben können. Das Utah-Modell (Richardson et al. 1974) wendet eine Gewichtung an, in der Temperaturen in bestimmten Bereichen als verschieden wirksam für die Kältereizakkumulation angesehen werden. Temperaturen zwischen 1,4 und 12,4 °C lösen den Kältereiz aus, während für Temperaturen über 15,9 °C Kältereiz abgezogen wird (Luedeling et al. 2009d); dies ist allerdings in deutschen Wintern selten der Fall. Das Utah-Modell quantifiziert den Kältereiz in Kälteeinheiten (Chill Units – CU). Das Dynamische Modell (Fishman et al. 1987a; Fishman et al. 1987b) wurde in Israel für wärmere Klimate entwickelt, hat sich aber in verschiedenen Regionen als den anderen Modellen überlegen oder zumindest gleichwertig herausgestellt (Luedeling et al. 2009e; Ruiz et al. 2007; Linsley-Noakes und Allan 1994; Erez 2000). Das Dynamische Modell nimmt an, dass Kältereiz sich in zwei Stufen ansammelt. Eine Vorstufe der Kältewirkung wird zunächst in einem Prozess produziert, der kühle Temperaturen benötigt. Nachfolgende, etwas wärmere Temperaturen wandeln diese Vorstufe in eine Kälteportion (Chill Portion – CP) um, die dann bis zum Ende des Winters erhalten bleibt. Dieser Prozess erzeugt eine CP, wenn eine bestimmte Menge der Vorstufe produziert wurde. Die Vorstufe kann durch die Einwirkung von hohen Temperaturen wieder zerstört werden. Allen drei Modellen ist gemeinsam, dass Frosttemperaturen unter 0 °C keine pflanzenphysiologische Bedeutung zugeschrieben wird.

Tab. 2 Übersicht über die drei verwendeten Kältereiz-Modelle

Die Gleichungen zur Berechnung aller drei Modelle (Tab. 2) sind bei Luedeling und Brown (2011) beschrieben. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die drei Modelle recht unterschiedlich auf Erwärmung reagieren (Luedeling und Brown 2011; Luedeling et al. 2009c; Luedeling et al. 2009d; Darbyshire et al. 2011). Aus diesem Grunde stellen wir in diesem Artikel die Entwicklung des Kältereizes gemäß aller drei Modelle gegenüber. Hierfür berechneten wir zunächst die Kältereizansammlung zwischen dem 1. Oktober des Vorjahres und dem 1. Januar, 1. Februar und 1. März des folgenden Jahres für alle Winter zwischen 1958 und 2011.

Um Aufschluss über die Entwicklung der Kältewirkung in unterschiedlichen Phasen des Winters zu bekommen, berechneten wir außerdem die Kälteakkumulation für jeden Tag seit 1958. Diese wurde dann durch einen 5-Tages laufenden Mittelwert etwas eingeebnet, da das Dynamische Modell schrittweise arbeitet und dadurch der effektive Kältereiz-Zuwachs pro Tag sonst nicht deutlich herauskommt. Zusätzlich fassten wir noch die Kältewirkung zusammen, die sich jeweils am 1. und 15. jeden Monats seit dem davor liegenden 1. oder 15. eines Monats angesammelt hatte. Daraus ergab sich Kältereiz für alle Intervalle von (ungefähr) 15 Tagen seit 1958. Für alle 1- oder 15-Tages-Intervalle fassten wir dann sowohl den Mittelwert über alle Jahre als auch die jährliche Veränderung seit 1958 zusammen. Dies gab Aufschluss über die Kältereiz- Veränderungen während verschiedener Phasen der Winterruhe. Für die 15-Tages-Intervalle berechneten wir außerdem noch die mittlere Temperatur während der Intervalle (als Mittelwert von Tageshöchst- und -tiefsttemperatur) und stellten diese dem akkumulierten Kältereiz gegenüber.

Ergebnisse

Kältereiz im Meckenheimer Obstbaugebiet

Der aus stündlichen Temperaturaufzeichnungen berechnete Kältereiz lag für Klein-Altendorf im Durchschnitt der 12 verfügbaren Jahre für den 1. Januar (low chill) bei 942 Kältestunden (Chilling Hours – CH), 1187 Kälteeinheiten (Chilling Units – CU) und 57,9 Kälteportionen (Chill Portions – CP), für den 1. Februar (medium chill) bei 1343 Kältestunden, 1542 Kälteeinheiten und 76,4 Kälteportionen und für den 1. März (high chill) bei 1724 Kältestunden, 1942 Kälteeinheiten und 96,5 Kälteportionen (Tab. 3). Für alle drei Modelle gab es dabei eine starke Variation, mit Schwankungen der akumulierten Chilling-Summe bis zum 1. März zwischen 1376 und 2130 CH, 1171–2397 CU und 75,5–107,2 CP. Der Variationskoeffizient war dabei am höchsten für das Utah-Modell (18 %), vor dem Kältestunden-Modell (15 %) und dem Dynamischen Modell (10 %).

Tab. 3 Vergleich von Chilling hours, Chill units und Chill portions für die Winter 1993/1994–2000/2001 und 2007/2008–2010/2011 für das Meckenheimer Obstbaugebiet – basierend auf aufgezeichneten Stundenwerten aus Klein-Altendorf

Auch die Auswertung des gesamten Zeitraumes, für den tägliche Temperaturdaten verfügbar waren, zeigte eine starke Variation der saisonalen Kältewirkung (Abb. 1). Zwischen dem 1. Oktober und dem 1. Januar schwankte der Kältereiz zwischen 592 und 1220 CH nach dem Kältestundenmodell, zwischen 678 und 1726 CU nach dem Utah-Modell und zwischen 44 und 72 CP nach dem Dynamischen Modell. Bis zum 1. März hatten sich 1184–2137 CH, 1000–2789 CU und 69–118 CP angesammelt. Im Mittel fielen pro Winter bis zum 1. März 1727 CH, 1883 CU, und 96 CP an (Tab. 5). Dabei blieb die Gesamtmenge an Kältereiz relativ stabil über die 53 Jahre. Die Kältestundenzahl verringerte sich pro Jahr um 2,3–3,2 CH/Jahr für alle drei Zeitpunkte. Das Dynamische Modell und das Utah-Modell hingegen zeigten für die beiden früheren Zeitpunkte einen leichten Rückgang, bis zum 1. März dann aber einen leichten Zuwachs oder Stagnation. Das Bestimmtheitsmaß (R2) blieb hierbei für alle Regressionen unter 0.06, was darauf hindeutet, dass nur ein sehr kleiner Teil der Varianz durch die entdeckten Trends erklärt wird (Tab. 4).

Abb. 1
figure 1

Kältereizakkumulation (Chilling-Ansammlung) in Klein-Altendorf von 1958 bis 2011, unter der Annahme, dass die Kälteansammlung am 1. Oktober begann. Kältereizsummen bis zum 1. Januar (schwarz), 1. Februar (hellgrau) und 1. März (dunkelgrau), quantifiziert mit dem Kälteportionenmodell (oben), dem Kältestundenmodell (Mitte) und dem Utah-Modell (unten)

Tab. 4 Mittlere Kältereizakkumulation in Klein-Altendorf zwischen dem 1. Oktober und dem 1. Januar, 1. Februar und 1. März, nach dem Kältestunden-, Dynamischen und Utah-Modell, sowie der Trend als Veränderung des Kältereizes pro Jahr seit 1958 und Bestimmtheitsmaß (R2) der linearen Regression (N – Zahl der ausgewerteten Jahre)
Tab. 5 Vergleich der drei Chilling- Modelle bezüglich durchschnittlicher Chilling-Ansammlung, Chillingraten pro Tag im Meckenheimer Obstbaugebiet und effektivster Temperaturbereiche am Standort Klein-Altendorf

Chilling- Ansammlung im Laufe des Winters

Gemäß dem Kälteportionen-Modell war die mittlere tägliche Kältereizansammlung zwischen Mitte Oktober und Anfang Mai mit 0,6 CP bis 0,8 CP pro Tag konstant hoch, allerdings mit einer großen Standardabweichung (Tab. 5). Die Variation während dieser Phase war im November und März am geringsten, während Dezember bis Februar starke Schwankungen aufwiesen (Abb. 2). Das Kältestundenmodell erreichte die höchste mittlere Kältereizintensität erst im November und fiel bereits im April wieder ab. Zwischen November und April sammelten sich im Schnitt 10–15 CH pro Tag an (Tab. 5). Die intensivste Chilling-Phase nach dem Utah-Modell dauerte wie beim Dynamischen Modell von Mitte Oktober bis Anfang Mai. Zwischen 10 und 17 CU sammelten sich in dieser Phase pro Tag an. Während der Sommermonate von Juni bis September war die mittlere Kältereizakkumulation für das Utah-Modell negativ (Abb. 2). Über die 53 beobachteten Jahre zeigten sich leichte Veränderungen in den täglichen Chilling-Beiträgen (Abb. 3). Diese variierten jedoch so stark im Jahresverlauf, dass sich kaum ein Muster erkennen ließ. Der einzige Trend, der relativ deutlich und über alle Modelle konsistent war, ist ein Abfall in der Chilling-Effizienz im Frühjahr, ab etwa Mitte März (Abb. 3). Nach der Apfelblütezeit von Anfang Mai in Meckenheim bis zu Beginn der Blütendifferenzierung ab Anfang Juni wird jedoch kein Kältereiz gebraucht.

Abb. 2
figure 2

Täglicher Kältereiz im Jahresverlauf (Durchschnitt zwischen 1958 und 2011- schwarze Linie) und Standardabweichung vom Mittelwert (grauer Bereich), quantifiziert mit dem „Dynamischen Modell (Chill Portions; oben), dem Kältestundenmodell (Chilling Hours; Mitte) und dem Utah-Modell (Chill Units; unten). Die Graphik basiert auf 5-Tages laufenden Mittelwerten des täglichen Kältereizes

Abb. 3
figure 3

Änderungsrate des täglichen Kältereizes in Klein-Altendorf (im Durchschnitt der Jahre zwischen 1958 und 2011), quantifiziert mit dem Dynamischen Modell (Chill Portions; oben), dem Kältestundenmodell (Chilling Hours; Mitte) und dem Utah-Modell (Chill Units; unten). Die Graphik basiert auf 5-Tages laufenden Mittelwerten des täglichen Kältereizes

Die Aufteilung des Jahreslaufes in 15-Tages-Intervalle ließ sowohl die effektivsten Chilling-Phasen als auch die zeitlichen Trends etwas deutlicher werden (Abb. 4). Auch hierbei wurde der Rückgang des Kältereizes im Frühjahr – ab März – deutlich. Zusätzlich zeigte sich auch, dass für das Kältestundenmodell fast alle Winterphasen Kältereizverluste aufwiesen, während sich für die anderen Modelle Gewinne und Verluste ungefähr die Waage hielten (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Durchschnittlich anfallender Kältereiz für 15-Tages-Intervalle im Jahresverlauf in Klein Altendorf (in allen drei Graphiken oben) und Veränderungsrate seit 1958 (jeweils unten), für das Dynamische Modell (Chill Portions; oben), das Kältestundenmodell (Chilling Hours; Mitte) und das Utah-Modell (Chill Units; unten)

Die Beziehung zwischen mittlerer Temperatur und Kältereiz für die 15-Tages-Intervalle zeigte für alle drei Modelle ein ähnliches Muster. Minusgrade bewirkten – aufgrund der Modellansätze – in allen drei Modellen nur eine schwache Kältewirkung, ebenso wie sehr warme Temperaturen. Die maximale Effizienz wurde im mittleren Bereich des Temperaturspektrums erreicht (Abb. 5). Die genaue Lage dieser Temperaturspitzen variierte jedoch je nach Modell. Das Kältestundenmodell zeigte die höchsten täglichen Zuwachsraten um 3–4 °C, während der effizienteste Temperaturbereich für die anderen beiden Modelle zwischen 5 und 8 °C lag (Tab. 5). Für das Kältestundenmodell hatte die Effizienzkurve eine relativ stark ausgeprägte Spitze, während der Verlauf beim Utah-Modell und vor allem beim Dynamischen Modell eher einer Glockenkurve ähnelte (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Kältereizintensität von 15-Tages-Intervallen zwischen 1958 und 2011, in Abhängigkeit von der Durchschnittstemperatur während des entsprechenden Zeitraumes, für das Dynamische Modell (Chill Portions; oben), das Kältestundenmodell (Chilling Hours; Mitte) und das Utah-Modell (Chill Units; unten)

Diskussion

In den letzten 53 Jahren schwankte der Kältereiz im Meckenheimer Obstbaugebiet nach den Aufzeichnungen in Klein-Altendorf nach allen drei Modellen erheblich, lag aber fast immer in Bereichen, die für die angebauten Obstkulturen ausreichen. Unter der Annahme, dass publizierte Kältebedürfnisse von 700–1.200 Chilling Hours bei Kernobst wie Apfel und 600–1.500 bei Steinobst wie Süßkirsche (Luedeling et al. 2009a) auch in Klein Altendorf zutreffen, legen die in Tab. 3 dargestellten Ergebnisse nahe, dass die Kältebedürfnisse dieser Kulturen spätestens Anfang März erfüllt sein sollten. Da diese Bedürfnisse jedoch anderswo ermittelt wurden und Kältestunden sehr ortsspezifisch sein können, sind diese Werte nicht unbedingt für andere Standorte übertragbar (Luedeling und Brown 2011). Die von uns ermittelten Kältereiz-Schätzungen von Oktober bis 1. März (Tab. 5) liegen im Bereich vorher publizierter Ergebnisse (Luedeling et al. 2009a). Die höheren Werte für Klein-Altendorf von 2300–2500 CH und 140–145 CP erklären sich aus dem längeren Berechnungszeitraum von Oktober bis Mai in der Studie von Luedeling et al. (2009a).

Ein kalter Winter heißt nicht automatisch mehr Kältereiz

Intuitiv erwartet man, dass der Kältereiz durch den Klimawandel abnehmen wird, und dass generell steigende Temperaturen das Chilling verringern. In Klein-Altendorf ist es über die 53 Jahre, für die Temperaturwerte vorlagen, deutlich wärmer geworden (Tab. 6), mit einem durchschnittlichen Anstieg der Jahresmitteltemperatur um 0.33 °C pro Jahrzehnt. Seit 1989 lag das Jahresmittel in 17 von 21 Jahren über 10 °C, was in den 31 vorangegangenen Jahren nur zweimal vorkam. Seit 1998 wurden jedes Jahr mehr als 10 °C, zweimal (2002 und 2006) sogar mehr als 11 °C im Jahresmittel erreicht. Trotz dieser recht starken Erwärmung ist der Kältereiz nicht deutlich zurückgegangen.

Tab. 6 Durchschnittliche Monats- und Jahresmitteltemperaturen in Klein Altendorf, Bestimmtheitsmaß (R2) und Temperaturanstieg pro Jahrzehnt.(N – Zahl der ausgewerteten Jahre)

Die stärkste Kältereiz-Anreicherung bzw. Chilling-Akkumulation trat nicht in den kältesten Phasen des Winters auf, sondern bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt von 2–8 °C (Abb. 5). Ein Winter mit langen Frostphasen kann deshalb im berechneten Kältereiz deutlich hinter einem wärmeren Winter zurückbleiben, in dem nasskaltes Novemberwetter vorherrscht. Die Ursache für die geringeren Kältewerte in – dem menschlich-subjektiven Empfinden nach – kalten Wintern ist die Tatsache, dass alle drei Chilling-Modelle Temperaturen unter 0 °C nicht berücksichtigen.

So trugen im warmen Winter 2007/2008 gerade die warmen Januar- und Februartemperaturen bis 10 °C zu den hohen Chilling-Summen von 1905 Chilling Hours, 2290 Chill Units und 107 Chill Portions bis zum 1. März bei (Tab. 3). Diese Werte lagen zwischen 10 und 12 % (je nach Modell) über dem langjährigen Durchschnitt. Noch wärmere Bedingungen im bisher wärmsten Winter 2006/2007 ließen jedoch das Chilling dann etwas abfallen (Abb. 6), was darauf hinweist, dass bei Überschreitung einer Durchschnittstemperatur von etwa 6–7 °C zwischen Anfang Dezember und Ende Februar tatsächlich mit Chilling-Rückgang gerechnet werden muss. Selbst dieser Winter wies jedoch noch deutlich mehr Kältereiz auf als der Winter 1963/1964, der mit durchschnittlich - 4.0 °C und 69 CP zwischen Anfang Dezember und Ende Februar sowohl der kälteste als auch der Chilling-ärmste seit 1958 war. In diesem Rekordwinter lag der Käeltereiz damit zwischen 28 % (Chill Portions) und 47 % (Chill Units) unter dem langährigen Durchschnitt. Auch in den sehr kalten Wintern 2009/2010 und 2010/2011 lag das Chilling bis zum 1. März zwischen 7 und 20 % unter dem Mittelwert (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

. Kältereiz in Klein Altendorf zwischen dem 1. Oktober und dem 1. März, berechnet mit dem Dynamischen Modell, für alle Winter seit 1958/1959, in Abhängigkeit von der Durchschnittstemperatur während der Wintermonate Dezember, Januar und Februar

Warum geht das Chilling trotz Klimawandel nicht zurück?

Die Struktur der Kältemodelle erklärt, warum der winterliche Kältereiz in Klein-Altendorf nicht zurückgeht. Alle drei Modelle berechnen als die effizientesten Chilling-Phasen keineswegs diejenigen mit den niedrigsten Temperaturen, sondern die mit Durchschnittstemperaturen zwischen 2 und 10 °C (Abb. 5). Je nach Modell variiert dieser Bereich geringfügig, so dass er beim Kältestundenmodell bei niedrigeren Temperaturen liegt als bei den anderen beiden Modellen. Gemäß Abb. 5 würde man also eher erwarten, dass Erwärmung in Bereichen, die kälter als der Optimalbereich für das entsprechende Modell sind, zu einer Steigerung des Kältereizes führt. Ein Rückgang der Kältewirkung sollte aus einer Erwärmung oberhalb des Optimalbereiches resultieren. Spielt sich eine Erwärmung mehr oder weniger im effizientesten Chilling-Bereich ab, sollte dies nur geringe Änderungen im Kältereiz hervorrufen, wobei das Kältestunden-Modell mit seinem relativ spitzen Kurvenverlauf stärker auf Temperatur-Veränderungen reagieren sollte.

Die Beobachtungen in Klein-Altendorf spiegeln diese Überlegungen größtenteils wider. Im November und März lagen die monatlichen Durchschnittstemperaturen im optimalen Chilling-Bereich des Dynamischen und Utah-Modells und leicht oberhalb des optimalen Kältestundenbereiches. Dementsprechend zeigen sich bei den beiden vorgenannten Modellen kaum Veränderungen in diesen Monaten, während die Kältestundenzahl leicht zurückging (Abb. 3 und 4). Im Dezember, Januar und der ersten Februarhälfte, bei etwas niedrigeren monatlichen Temperaturen, war kein ausgeprägter Trend zu erkennen, auch wenn Abb. 5 einen Anstieg erwarten ließe. Das Kältestundenmodell zeigte hier dennoch relativ starke Schwankungen, die vermutlich mit der harten Chilling-Schwelle bei 0 °C zusammenhingen. Sobald die Temperatur nur einen Bruchteil eines Grades unter 0 °C fällt, reduziert sich das berechnete Chilling pro Stunde von einer auf null Kältestunden. Durch diese Schwelle kann es bei häufigerem Frost im Winter zu sehr viel deutlicheren Kältereiz-Unterschieden kommen als bei den anderen beiden Modellen, die keine so harten und hohen Schwellen haben. Bei allen drei Modellen wurde der Langzeittrend in den kalten Monaten vermutlich stark von einigen sehr kalten Wintern beeinflusst, wie zum Beispiel 2009/2010, als in der ersten Januarhälfte nur 0,5 CP, 26 CH und 0 CU anfielen. Im langjährigen Mittel hatte diese Phase 8,4 CP, 175 CH und 159 CU, so dass sich dieser kalte Winter, ebenso wie der ebenfalls kalte Winter in 2010/2011 stark bemerkbar machte und auch den langjährigen Trend beeinflusste. In der zweiten Februarhälfte, vermutlich wegen abnehmender Frostwahrscheinlichkeit, stieg die mittlere Kälteeffizienz leicht an. In den Frühlingsmonaten April, Mai und Juni, bei mittleren Temperaturen oberhalb des Chilling-Optimalbereiches, nahm die Chilling-Effizienz über die Jahre ab, was aber ohne praktische Bedeutung ist.

Aus unseren Ergebnissen geht deutlich hervor, dass im Laufe der Jahre der Kältereiz in Klein-Altendorf nicht merklich abgenommen hat, trotz deutlicher Erwärmung des Standortes. Dies ist zumindest unter der Annahme wahr, dass die verwendeten Modelle zumindest so einigermaßen die Wirklichkeit widerspiegeln, was nicht unbedingt als gesichert angesehen werden kann. Da in Deutschland die Erfüllung des Kältebedürfnisses von Obstbäumen in der Vergangenheit sehr viel weniger fraglich war als in wärmeren Anbaugebieten, gibt es hier relativ wenige Untersuchungen zu diesem Thema. Zwar gab es eine frühere Arbeit aus Deutschland (Bode 1961), und eine der ersten umfassenden Reviews zum Thema wurde noch auf Deutsch verfasst (allerdings in Schweden; Vegis 1961); danach gab es aber wenig Forschung zur Obstbaumdormanz in Deutschland und anderen Regionen der gemäßigten Breiten. Dementsprechend ist die Gültigkeit der existierenden Modelle sehr viel mehr für wärmere Anbaugebiete untersucht worden als für Mitteleuropa. In warmen Klimaten hat sich oft herausgestellt, dass das Kältestundenmodell ziemlich ungenau ist, während das Dynamische Modell die verlässlichsten Schätzungen lieferte (Luedeling et al. 2009e; Ruiz et al. 2007; Linsley-Noakes und Allan 1994; Erez 2000). Das Augenmerk bei sowohl der Modellentwicklung als auch der Validierung galt dabei allerdings eher der akkuraten Abbildung des Einflusses von warmen Temperaturen über 10–15 °C auf die Chilling-Akkumulation. In Deutschland spielen diese warmen Temperaturbereiche, in denen der Kältereiz nach dem Utah- und Dynamischen Modell zumindest teilweise negiert wird, keine große Rolle. Sehr viel relevanter wäre, dass die Modelle den Einfluss von Frost und Temperaturen um den Gefrierpunkt wirklichkeitsgetreu abbilden. Da diesen Temperaturbereichen bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wissen wir relativ wenig über die Eignung der Modelle für hiesige Temperaturbedingungen. Modell-Validierungsstudien in Deutschland wären daher wünschenswert.

Auswirkung des Klimawandels auf den Meckenheimer Obstbau

Ob der Meckenheimer Obstbau mittel- oder langfristig unter Kälterückgang leiden wird, hängt von Faktoren ab, über die wir derzeit wenig aussagen können. Es ist zum Beispiel unklar, in welchen Phasen während des Winters die Bäume wirklich Kältereiz ansammeln. Sollte diese Phase bereits im Dezember oder Januar beendet sein, gäbe es zunächst keinen Anlass zur Sorge, es sei denn, die Länge der Chilling-Phase wird neben der Temperatur auch noch von anderen Faktoren beeinflusst, wie zum Beispiel der Tageslänge. Zu Interaktionen zwischen Temperatur und Tageslänge ist für Obstbäume noch wenig bekannt. Tatsächlich beruhen alle Kältereiz-Modelle bisher nahezu ausschließlich auf empirischen Beobachtungen, da über die Temperaturabhängigkeit der Dormanzbrechungsprozesse, oder auch nur über die Prozesse selber, sehr wenig gesichertes Wissen existiert. Auch die Kältebedürfnisse der meisten Obstarten sind nur so ungefähr bekannt, und wo überhaupt Daten vorliegen, sind diese meistens nur in Kältestunden erhältlich. Dieses Modell ist aber sehr wahrscheinlich das am wenigsten genaue unter den drei hier vorgestellten, und das Verhältnis von Kältestunden zu den wahrscheinlich brauchbareren Kälteportionen variiert sehr stark zwischen Anbaugebieten (Luedeling und Brown 2011) und auch von Jahr zu Jahr. So entsprach eine Kälteportion zwischen dem 1. Oktober und dem 10. Januar 1967 21.9 CH, aber nur 12.2 CH in 2001. Bei solch einer Bandbreite kann man mit den errechneten Kältebedürfnissen oder dem verfügbaren Kältereiz schnell zu falschen Aussagen gelangen, wenn man ein ungeeignetes Modell verwendet.

Insgesamt gibt es noch eine ganze Reihe offener Fragen über die Temperaturabhängigkeit der Obstbaumphysiologie, ohne deren Beantwortung sich die Auswirkung des Klimawandels auf Obstgehölze nicht verlässlich vorhersagen lässt. Angesichts der langen Planungshorizonte im Obstbau, und der entsprechenden Notwendigkeit, langfristige Veränderungen frühzeitig zu erkennen und angemessen zu reagieren, wäre eine Intensivierung der Forschung auf diesem Gebiet wünschenswert.

Fazit

Aus der Modellierung des Kältereizes anhand der Klimadaten seit 1958 aus Klein-Altendorf wird geschlossen, dass

  1. a)

    im von uns untersuchten Zeitraum das Kältebedürfnis für die angebauten Apfel- und Kirschsorten – einschl. der high chill Sorten – in der Meckenheimer Obstanbauregion in den meisten Jahren erfüllt wurde,

  2. b)

    für die bestehenden Obstarten das bisher verwandte Kältestundenmodel nach Weinberger aufgrund struktureller Schwierigkeiten wahrscheinlich eine weniger genaue Angabe liefert als die Chill Portions und Chill Units. Dies muss jedoch anhand von Experimenten oder phänologischen Analysen bestätigt werden.

  3. c)

    im Laufe der Jahre der Kältereiz in Klein Altendorf nicht merklich abgenommen hat, obwohl die Temperatur an diesem Standort deutlich gestiegen ist.