Das Cantorsche Kontinuumsproblem, nämlich die Frage, wieviele reelle Zahlen es gibt, ist zusammen mit all seinen Verästelungen seit ca. 150 Jahren eine der Antriebfedern mengentheoretischer Forschung. Dies gilt auch für die im Folgenden diskutierte Arbeit, für die die beiden Autoren 2022 in Turin die Hausdorff-Medaille der European Set Theory Society erhalten haben.

1 Cantors Kontinuumshypothese

Es war Georg Cantor, der zeigte, daß diese Frage einen präzisen Sinn besitzt. In seiner 1874 erschienenen Arbeit [5] „Über eine Eigenschaft des Inbegriffes aller reellen algebraischen Zahlen“ formuliert Cantor erstmalig den Satz, wonach das Komplement einer abzählbaren Teilmenge von \({\mathbb{R}}\) dicht in \({\mathbb{R}}\) ist, siehe [5, § 2] und [6]. Hiermit wird zugleich zum ersten Mal die Aussage geliefert, wonach es überabzählbar viele reelle Zahlen gibt.

Im Jahre 1883 faßt Cantor sodann in Worte, was später als Cantorsche Kontinuumshypothese bekannt werden sollte. In [7, § 10] schreibt erFootnote 1:

Es reduziert sich daher die Untersuchung und Feststellung der Mächtigkeit von \(G_{n}\) auf dieselbe Frage, spezialisiert auf das Intervall \((0\ldots 1)\), und ich hoffe, sie schon bald durch einen strengen Beweis dahin beantworten zu können, daß die gesuchte Mächtigkeit keine andere ist als diejenige unserer zweiten Zahlenklasse (II).

Was hier als „zweite Zahlenklasse (II)“ bezeichnet wird, wird seit Cantors [8] „Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre“ als \(\aleph_{1}\) geschrieben und ist die kleinste überabzählbare Kardinalität. Die Kardinalität von \({\mathbb{R}}\) ist dieselbe wie die der Menge aller unendlichen 0‑1-Folgen und wird mit \(2^{\aleph_{0}}\) notiert. Cantors Vermutung ist, daß die Menge der reellen Zahlen die Kardinalität \(\aleph_{1}\) besitzt:

$$\begin{aligned}2^{\aleph_{0}}=\aleph_{1}.\end{aligned}$$
(1)

Äquivalent zu (1) ist, daß es für jede überabzählbare Menge \(A\) reeller Zahlen eine Bijektion von \(A\) auf \({\mathbb{R}}\) gibt, siehe z. B. [28, p. 36].

Die Cantorsche Kontinuumshypothese wurde von David Hilbert 1900 auf dem Internationalen Mathematiker-Kongreß in Paris als erstes von insgesamt 23 Problemen vorgestellt [20]. In Hilberts Wortlaut:

Die Untersuchungen von Cantor […] machen einen Satz sehr wahrscheinlich, dessen Beweis jedoch trotz eifrigster Bemühungen bisher noch Niemanden gelungen ist; dieser Satz lautet:

Jedes System von unendlich vielen reellen Zahlen d. h. jede unendliche Zahlen- (oder Punkt)menge ist entweder der Menge der ganzen natürlichen Zahlen 1, 2, 3, … oder der Menge sämmtlicher reellen Zahlen und mithin dem Continuum, d. h. etwa den Punkten einer Strecke aequivalent.

Cantor konnte seine Frage nach der Mächtigkeit von \({\mathbb{R}}\) nicht beantworten, und wir wissen heute, warum: ihm standen die Mittel zur Lösung nicht zur Verfügung.

Ernst Zermelo und Abraham Fraenkel haben Anfang des 20. Jahrhunderts das nach ihnen benannte Standard-Axiomensystem ZFC der Mengenlehre entworfen. 1938 bewies Kurt Gödel [17] mit Hilfe seines konstruktiblen Universums, daß sich die Kontinuumshypothese in ZFC nicht widerlegen läßt. 1963 hat sodann Paul Cohen [10] mit Hilfe der von ihm entwickelten Erzwingungsmethode („forcing“) gezeigt, daß sich die Kontinuumshypothese in ZFC nicht beweisen läßt. Die Kontinuumshypothese ist also unabhängig von ZFC.

Eine ausführlichere Diskussion dieser Entwicklung findet sich beispielsweise in [27]. Im letzten Abschnitt von [27], § 6 „\(\Omega\)-Logik“, werden neuere Entwicklungen zur Kontinuumshypothese skizziert. Dieser Faden soll nun im Lichte der Arbeit [2] wieder aufgenommen und weitergesponnen werden.

Die gegenwärtige mengentheoretische Forschung wird, obwohl sie eine rein mathematische Tätigkeit ist, wohl mehr als in anderen Teilgebieten der Mathematik oft von philosophischen Überzeugungen angetrieben und begleitet, dies gilt u. a. hinsichtlich der Motivation und Wahl der in Angriff genommenen Probleme durch die beteiligten Forscherinnen. Die vorliegende Arbeit berührt philosophische und auch historische Aspekte, ohne auch nur den Anschein erwecken zu wollen, hinsichtlich dieser Aspekte Fundiertes zu leisten. Die aufmerksame Leserin wird unschwer erkennen, daß die Autoren der vorliegenden Arbeit platonische Ideen vertreten, und während die Literatur zur Philosophie der Mathematik unerschöpflich ist, ist hier nicht der Ort, die philosophischen Anschauungen der Autoren zu explizieren bzw. zu untermauern. Dies soll an anderer Stelle geschehen.

2 Neue Axiome

Im Lichte der Unabhängigkeit der Cantorschen Kontinuumshypothese von ZFC, wovon Hilbert noch nichts ahnen konnte, propagieren einige Mengentheoretiker eine Uminterpretation des Ersten Hilbertschen Problems. So schreibt etwa Saharon Shelah in [32, p. 286]:

I think the meaning of the question is: what are the laws of cardinal arithmetic?

Die Kardinalzahlarithmetik beschäftigt sich allgemein mit Aussagen der Form (1), also u. a. mit dem Verhalten der Funktion

$$\lambda,\kappa\mapsto\lambda^{\kappa}$$

für unendliche Kardinalzahlen \(\lambda\) und \(\kappa\). Hierbei ist allgemein \(\lambda^{\kappa}\) die Kardinalität der Menge aller Funktionen von einer festen Menge der Kardinalität \(\kappa\) in eine feste Menge der Kardinalität \(\lambda\) – wodurch sich auch die Notation \(2^{\aleph_{0}}\) in (1) erklärt. Shelah hat im Rahmen seiner pcf-Theorie bewundernswerte und teilweise sehr überraschende Tatsachen zur Kardinalzahlarithmetik bewiesen, siehe z. B. [33].

Für Kardinalzahlen \(\lambda\) und \(\kappa\) sei weiter \(\lambda^{[\kappa]}\) die kleinste Kardinalität einer Familie \({\mathcal{F}}\) von Teilmengen von \(\lambda\), die alle Kardinalität \(\kappa\) besitzen, so daß jedes \(X\subset\lambda\) von Kardinalität \(\kappa\) durch die Vereinigung von weniger als \(\kappa\) vielen Elementen von \({\mathcal{F}}\) überdeckt werden kann. Shelah revidiert sodann Hilberts Fragestellung und kündigt eine bejahende Lösung an, [32, p. 288f.]:

Now we rephrase the generalized continuum hypothesis as:

(4) for most pairs \((\lambda,\kappa)\), \(\lambda^{[\kappa]}=\lambda\).

[…] If the reader has agreed so far, he is trapped into admitting that here we solved Hilbert’s first problem positively (see 0.1 below). Now we turn from fun to business.

Shelah distanziert sich durch diesen letzten zitierten Satz ironisch zu einem gewissen Grade von seinen eigenen Ausführungen, und tatsächlich ist ja die Cantorsche und Hilbertsche Fragestellung genau in ihrer ursprünglichen Bedeutung mathematisch sinnvoll und klar verständlich. Es drängt sich eher die Auffassung von selbst auf, daß Cantors Frage mit Hilfe neuer Axiome entschieden werden sollte, welche über ZFC hinausgehen.

Solche Axiome sollten gut motiviert sein, und sie sollten ohne die Absicht formuliert werden, eine bestimmte Lösung des Kontinuumsproblems herbeizuführen. Sie sollten kompatibel sein mit Prinzipien, die sich als natürlich und fruchtbar erwiesen haben, wie etwa Annahmen hinsichtlich der Existenz großer Kardinalzahlen (siehe [27]). Sie sollten elegante Formulierungen besitzen und gleichzeitig möglichst vielfältige Anwendungen in Bezug auf interessante Aussagen haben, welche ebenfalls unabhängig von ZFC sind.

Während Cantor und Hilbert die Kontinuumshypothese beweisen wollten, geht Gödel davon aus, (a) daß sie falsch ist und (b) daß neue Axiome sie widerlegen werden. Gödel hat in der Tat zumindest zeitweise die Überzeugung gehabt, daß

$$\begin{aligned}2^{\aleph_{0}}=\aleph_{2}.\end{aligned}$$
(2)

Er schrieb hierzu in [18]:

[…] one may on good reason suspect that the role of the continuum problem in set theory will be this, that it will finally lead to the discovery of new axioms which will make it possible to disprove Cantor’s conjecture.

Es sollte sich herausstellen, daß die von Gödel anvisierten Große-Kardinalzahl-Axiome alleine diesen Wunsch nicht erfüllen konnten, siehe beispielsweise [27, § 2].

Wertvolle Betrachtungen zur Frage, inwieweit die Mathematik neue Axiome benötigt, enthält die Arbeit [12]. Wir werden im folgenden mehrere Kandidaten für neue Axiome vorstellen, welche nicht nur Cantors Kontinuumshypothese sondern auch eine Vielzahl weiterer Probleme lösen.

3 Cohens Sichtweise

Paul Cohen schreibt am Ende seines Buches „Set theory and the continuum hypothesis“ [11, p. 151]:Footnote 2

A point of view which the author feels may eventually come to be accepted is that CH is obviously false. The main reason one accepts the Axiom of Infinity is probably that we feel it absurd to think that the process of adding only one set at a time can exhaust the entire universe. Similarly with the higher axioms of infinity. Now \(\aleph_{1}\) is the set of countable ordinals and this is merely a special and the simplest way of generating a higher cardinal. The set \(C\) is, in contrast, generated by a totally new and more powerful principle, namely the Power Set Axiom. It is unreasonable to expect that any description of a larger cardinal which attempts to build up that cardinal from ideas deriving from the Replacement Axiom can ever reach \(C\). Thus \(C\) is greater than \(\aleph_{n}\), \(\aleph_{\omega}\), \(\aleph_{\alpha}\) where \(\alpha=\aleph_{\omega}\) etc. This point of view regards \(C\) as an incredibly rich set given to us by one bold new axiom, which can never be approached by any piecemeal process of construction. Perhaps later generations will see the problem more clearly and express themselves more eloquently.

Diese Sichtweise ist nicht ohne Charme. Überlegungen, wonach Kardinalzahlcharakteristiken des Kontinuums (siehe etwa die neuere Arbeit [19]), welche nicht beweisbar gleich sind, auch paarweise verschieden voneinander sein sollten, weisen in dieselbe Richtung: daß \(2^{\aleph_{0}}\) schwach unerreichbar, d. h. eine überabzählbare reguläre Limeskardinalzahl sein sollte.

Hierfür gibt es aber kein ausgearbeitetes Szenario, so wie dies für (1) und (2) der Fall ist. Beispielsweise könnte propagiert werden, daß \(2^{\aleph_{0}}\) eine reellwertige meßbare Kardinalzahl sei, siehe [30], aber diese Aussage alleine eignet sich nicht als stützenswertes Axiom, da sie bereits an der Oberfläche über die Größe von \(2^{\aleph_{0}}\) spricht.

Es ist eine empirische Tatsache, daß es schwierig zu sein scheint Axiome zu finden, welche die im letzten Abschnitt genannten Kriterien erfüllen und welche implizieren, daß das Kontinuum strikt größer ist als \(\aleph_{2}\) oder sogar schwach unerreichbar.

Wir wollen uns nun modernen Theorien zuwenden, welche (1) bzw. (2) liefern. Dabei lassen wir eine ganze Reihe von Ansätzen außer acht, die eine erschöpfende Diskussion ebenfalls berücksichtigen müsste, etwa diejenigen von Matthew Foreman, siehe u. a. [15] und [16].

4 Ultimate-\(L\)

Gödels konstruktibles Universum, genannt \(L\), liefert eine in praktrischer Hinsicht vollständige Theorie der Gesamtheit aller Mengen. Die Existenz großer Kardinalzahlen wie meßbarer Kardinalzahlen ist allerdings nach einem Resultat von Dana Scott [29] unvereinbar mit der Annahme, daß alle Mengen konstruktibel seien. Diese Größenbeschränkung wird meist als Defizit von \(L\) interpretiert.

Die Theorie der Inneren Modelle konstruiert „\(L\)-ähnliche“ Universen mit großen Kardinalzahlen. Der Trick ist, bei der rekursiven Konstruktion eines solchen Modells explizit Extender, d. h. Zeugen dafür, daß eine gegebene Kardinalzahl etwa meßbar ist oder stark, in das entstehende Modell mit aufzunehmen. Die tatsächliche Konstruktion und Analyse dieser Modelle ist eine technische tour de force, siehe beispielsweise [24, 34].

Ein neuerer und vielversprechender Typus von Innerem Modell ist ein Strategie-Extendermodell, bei dem neben Extendern auch die Iterationsstrategie für Anfangsstücke des zu konstruierenden Modells rekursiv mit eingefüttert werden. Solche Modelle treten natürlich als HOD von Determiniertheitsmodellen (siehe z. B. [25]) oder als Warschauer Modelle auf (siehe z. B. [26]). Im Gegensatz zu bloßen Extendermodellen sind die Strategie-Extendermodelle Grundgesteine, d. h. nicht generische Erweiterungen echter Innerer Modelle, wodurch sie einmal mehr als robust und kanonisch erscheinen.

Die soeben erwähnten Determiniertheitsmodelle sind Modelle der Gestalt \(L({\mathbb{R}},\Gamma)\), wobei \(\Gamma\subset{\mathcal{P}}({\mathbb{R}})\) und \(L({\mathbb{R}},\Gamma)\) Modell von \(\textsf{AD}^{+}\) ist, einer Verstärkung des Determiniertheitsaxioms AD. AD besagt, daß es in jedem Spiel, in dem zwei Spieler abwechselnd natürliche Zahlen spielen und so gemeinsam eine unendliche Folge natürlicher Zahlen produzieren, für einen der beiden Spieler eine Gewinnstrategie gibt (siehe [28, § 12.1] und [23]).

Woodins Arbeiten zu suitable extender models eröffneten die Möglichkeit, daß das Universum mit all seinen großen Kardinalzahlen tatsächlich \(L\)-ähnlich sein könnte, siehe etwa [36], bei allen Widrigkeiten ([37, §§ 4–6]). Darüberhinaus stellte es sich gegenüber einer ursprünglichen Ankündigung vor einem guten Jahrzehnt heraus, daß es a priori offenbar doch keine Größenbeschränkung für das HOD eines Determiniertheitsmodells zu geben scheint. Diese Beobachtungen liefern die Basis dafür, daß Woodin seine Theorie des „ultimate-\(L\)“ in Angriff nahm.

Das von Woodin propagierte Axiom

$$\begin{aligned},,V=\text{ultimate-}L^{\prime\prime}\end{aligned}$$
(3)

besagt, daß das Universum aller Mengen lokal aussieht wie das HOD eines Determiniertheitsmodells unterhalb der Kardinalzahl \(\Theta\).Footnote 3 De facto scheint jedes solche HOD ein Strategie-Extendermodell zu sein, siehe [25]. Eine präzise Version des Axioms (3) findet sich in [37, Definition 7.14].

Eine Einordnung von (3) in den allgemeineren Kontext gegenwärtiger mengentheoretischer Bemühungen im Rahmen eines Überblickartikels findet sich in [31, §§ 6–7]. [31, § 7.3] enthält eine genauere Beschreibung von HODs von Determiniertheitsmodellen.

Wie wir es von Extendermodellen und auch Strategie-Extendermodellen gewohnt sind, folgt aus (3) die Kontinuumshypothese (1), siehe [37, Theorem 7.26 (1)]. Der Beweis hiervon ist eine elaborierte Variante von Gödels Beweis, daß im konstruktiblen Universum ebenfalls (1) gilt.

Ein Großteil der Arbeitskraft von W. Hugh Woodin geht derzeit in die Bemühungen, tatsächlich ein Modell mit einer superkompakten Kardinalzahl zu konstruieren, welches das Axiom (3) erfüllt. Die Frage, ob dies geleistet werden kann oder etwa auch prinzipiell nicht ist eine der großen Fragen der gegenwärtigen Mengenlehre.

Falls diese Frage positiv beantwortet werden kann, dann wäre ein solches Modell in der Tat ein Kandidat für das mathematische Universum: große Kardinalzahlen könnten dann nicht mehr (wie im Falle von \(L\), [29]) zeigen, daß es Mengen außerhalb dieses Modells gibt. In diesem Sinne ist also (3) nicht limitierend. In anderer Hinsicht ist (3) aber doch restriktiv: es gibt Existenzaussagen, die in einem sehr starken Sinne konsistent sind, denen (3) aber widerspricht. Um zu verdeutlichen, was wir damit meinen, müssen wir etwas ausholen und wenden uns sodann zwei Maximalitätsprinzipien zu (\((*)\) und MM), die dieser Restriktivität nicht unterliegen.

5 Universell Bairesche Mengen

In seiner Diskussion zur Cantorschen Kontinuumshypothese [20] sagt Hilbert weiter:

Es erhebt sich nun die Frage, ob sich die Gesamtheit aller Zahlen nicht in anderer Weise so ordnen läßt, daß jede Teilmenge ein frühestes Element, hat, d. h. ob das Continuum auch als wohlgeordnete Menge aufgefaßt werden kann, was Cantor bejahen zu müssen glaubt. Es erscheint mir höchst wünschenswert, einen direkten Beweis dieser merkwürdigen Behauptung von Cantor zu gewinnen, etwa durch wirkliche Angabe einer solchen Ordnung der Zahlen, bei welcher in jedem Teilsystem eine früheste Zahl aufgewiesen werden kann.

Daß im Jahre 1900 einer der führenden Mathematiker eine solche Frage stellen konnte zeigt aus heutiger Sicht, welch dramatische Entwicklung die Mathematische Logik im 20. Jahrhundert genommen hat. Hilberts Anliegen schien zu seinen Zeiten als ein völlig natürliches. Cantors Theorie lieferte, daß es eine Wohlordnung der reellen Zahlen geben müsse. Der Wohlordnungssatz, demzufolge sogar auf jeder beliebigen Menge eine Wohlordnung existiert, wurde kurze Zeit später von Zermelo [38] im axiomatischen Rahmen von ZFC bewiesen.

Allerdings ist es aufgrund der Ergebnisse von Cohen [10] nicht möglich, eine Ordnung von \({\mathbb{R}}\) hinzuschreiben, von der sich dann in ZFC zeigen läßt, daß diese tatsächlich eine Wohlordnung ist. Auf der anderen Seite lassen sich in speziellen Modellen der Mengenlehre bzw. unter Voraussetzung zusätzlicher Axiome durchaus Wohlordnungen von \({\mathbb{R}}\) definieren.

Was bedeutet es hier, eine solche Wohlordnung \(\prec\) zu „definieren“? Zunächst einmal, daß es eine Formel \(\varphi\) in der Sprache der Mengenlehre gibt, so daß für je zwei reelle Zahlen \(x\), \(y\) gilt: \(x\prec y\) gdw. \(\varphi(x,y)\). Diese pauschale Art und Weise der Definierbarkeit erweist sich aber als unfruchtbar. Viel nützlicher ist ein Definierbarkeitsbegriff, der sich im Rahmen der Deskriptiven Mengenlehre, d. h. des Studiums Polnischer Räume und ihrer „definierbaren“ Teilmengen, herausgeschält hat und in [13] erstmalig klar formuliert wurde, nämlich der Begriff universell Bairescher Mengen.

In der Deskriptiven Mengenlehre hat sich die Vorstellung durchgesetzt, daß es „zahme“ und „wilde“ Mengen reeller Zahlen gebe. Zahme Mengen sind solche, die Regularitätseigenschaften besitzen, also etwa Lebesgue-meßbar sind, die Bairesche Eigenschaft haben, determiniert sind, usw. Wilde Mengen reeller Zahlen sind solche, die mit Hilfe einer Wohlordnung der reellen Zahlen konstruiert werden können und in diesem Sinne „pathologisch“ sind. Allerdings sind „zahm“ und „wild“ keine exakt definierten Konzepte.

Der Begriff universell Bairescher Mengen reeller Zahlen erweitert in kanonischer Weise den Begriff der Borelschen Mengen, er ist eine ultimative Explikation der Idee von „zahmen“ Mengen. Eine Menge \(A\) reeller Zahlen heißt universell Bairesch (siehe [13]) gwd. für jeden kompakten Hausdorff-Raum \(X\) und für jedes stetige \(f\colon X\rightarrow{\mathbb{R}}\) die Menge \(\{x\in X\colon f(x)\in A\}\) die Bairesche Eigenschaft in \(X\) hat. Dies ist äquivalent dazu, daß es Bäume \(T\) und \(U\) gibt, so daß \(A=p[T]\) und für alle Forcings \({\mathbb{P}}\), \(\Vdash_{\mathbb{P}}\,p[U]={\mathbb{R}}\setminus p[T]\).

Universell Bairesche Mengen sind Lebesgue-meßbar, haben (trivialerweise) die Bairesche Eigenschaft, und sie sind in Gegenwart großer Kardinalzahlen (etwa einer Woodinschen Kardinalzahl) determiniert. Im Gegensatz dazu ist eine Wohlordnung reeller Zahlen bestenfalls aus einer selbst wilden Menge reeller Zahlen definierbar.

Universell Bairesche Mengen besitzen eine robuste Darstellung, was dazu führt, daß jede universell Bairesche Menge \(B\subset{\mathbb{R}}\) eine eindeutige neue Version in einer jeweiligen Forcingerweiterung \(V^{\mathbb{P}}\) von \(V\) hat, welche üblicherweise (ambig) mit \(B^{*}\) bezeichnet wird.

Ein Leitersystem ist eine Folge \((f_{\alpha}\colon\alpha<\omega_{1})\), so daß \(f_{\alpha}\) jeweils eine Surjektion von \(\omega\) auf \(\alpha\) ist. Mittels Kodierung läßt sich jedes Leitersystem kanonisch als eine Folge \((x_{\alpha}\colon\alpha<\omega_{1})\) reeller Zahlen auffassen. Solch eine Folge bzw. auch nur die Menge \(\{x_{\alpha}\colon\alpha<\omega_{1}\}\) ist immer wild. Unter dem im folgenden diskutierten Axiom \((*)\) kann eine Wohlordnung der reellen Zahlen lokal aus einem Leitersystem definiert werden, siehe Theorem 2.

6 \(\Omega\)-Logik und das \({\mathbb{P}}_{\text{max}}\)-Axiom \((*)\)

Die Unabhängigkeit der Kontinuumshypothese ist eine Ausprägung der prinzipiellen Unvollständigkeit von Axiomensystemen, die mindestens so stark sind wie die Peano-Arithmetik. Letzteres ist die Aussage des Ersten Gödelschen Unvollständigkeitssatzes, welcher impliziert, daß keine (rekursiv aufzählbare und konsistente) Erweiterung von ZFC jede Aussage entscheidet, die in der Sprache der Mengenlehre formulierbar ist, d. h. eine solche immer entweder beweist oder widerlegt.

Allerdings gibt es schwächere Formen der Vollständigkeit selbst von ZFC, nämlich Vollständigkeit in stärkeren Logiken und bezüglich bestimmter Klassen von Aussagen. Die von W. Hugh Woodin eingeführte \(\Omega\)-Logik ist eine natürliche derartige Logik, die einen stärkeren Beweisbegriff zugrundelegt.

Der Gödelsche Vollständigkeitssatz besagt, daß eine Aussage \(\varphi\) genau dann aus einer Menge \(\Gamma\) von Axiomen bewiesen werden kann, wenn jedes Modell von \(\Gamma\) auch ein Modell von \(\varphi\) ist. Ein stärkerer semantischer Beweisbarkeitsbegriff entsteht nun dadurch, daß die Klasse der in Frage kommenden Modelle eingeschränkt wird. Sind beispielsweise nur transitive Modelle zugelassen, so ist ZFC vollständig bzgl. Aussagen, die in der Sprache der Peano-Arithmetik formulierbar sind.

Es läßt sich nun formulieren, was es für ein gegebenes Modell \(M\) und eine gegebene universell Bairesche Menge \(A\subset{\mathbb{R}}\) bedeutet, daß \(M\) \(A\)-abgeschlossen sei, nämlich daß \(A\cap M[g]\in M\) für jede generische Erweiterung \(M[g]\) von \(M\). Eine Aussage \(\varphi\) folgt dann aus einer Menge \(\Gamma\) von Axiomen im Sinne der \(\Omega\)-Logik, in Zeichen

$$\Gamma\vdash_{\Omega}\varphi{,}$$

genau dann wenn es eine universell Bairesche Menge \(A\subset{\mathbb{R}}\) gibt, so daß jedes \(A\)-abgeschlossene Modell von \(\Gamma\) auch ein Modell von \(\varphi\) ist. Die Arbeit [4] bietet eine gut lesbare Einführung in das Gebiet der \(\Omega\)-Logik.

Die Theorie ZFC plus „Es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen“ ist nun \(\Omega\)-vollständig bzgl. Aussagen über \(L({\mathbb{R}})\), dem kleinsten transitiven Modell von ZF, welches alle reellen Zahlen und alle Ordinalzahlen enthält, im folgenden Sinne: Sei \(\varphi\) eine beliebige Aussage. Dann gilt entweder

ZFC plus „Es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen“ \(\vdash_{\Omega}L({\mathbb{R}})\models\varphi\) oder

ZFC plus „Es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen“ \(\vdash_{\Omega}L({\mathbb{R}})\models\lnot\varphi\).

Eine Formel \(\varphi\) heißt \(\Pi_{2}\) gdw. sie von der Gestalt \(\forall x\,\exists y\,{\bar{\varphi}}(x,y)\) ist, wobei \({\bar{\varphi}}\) keine unbeschränkten Quantoren enthält.

Woodins Erzwingungsbegriff \({\mathbb{P}}_{\text{max}}\) ist eine homogene partielle Ordnung, welche ein Leitersystem hinzufügt. Darüberhinaus gilt die folgende bemerkenswerte \(\Pi_{2}\)-Maximalitätsaussage der \({\mathbb{P}}_{\text{max}}\)-Erweiterung:Footnote 4

Theorem 1

(Woodin, [35, Theorem 10.150]) Angenommen, es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen. Sei \(g\subset{\mathbb{P}}_{\text{max}}\) ein \(L({\mathbb{R}})\)-generischer Filter.

Für alle Mengen \(A\subset{\mathbb{R}}\) in \(L({\mathbb{R}})\) und für alle \(\Pi_{2}\) -Formeln \(\varphi\) gilt: wenn

$$(H_{\omega_{2}};\in, \textsf{NS}_{\omega_{1}},A)\models\varphi(A)$$

\(\Omega\) -konsistent ist, dann gilt

$$L({\mathbb{R}})[g]\models,,(H_{\omega_{2}};\in, \textsf{NS}_{\omega_{1}},A)\models\varphi(A).^{\prime\prime}$$

Das \({\mathbb{P}}_{\text{max}}\)-Axiom \((*)\) ist die Konjunktion der beiden folgenden Aussagen (siehe [35, Definition 5.1]).

  1. (a)

    Das Determiniertheitsaxiom gilt in \(L({\mathbb{R}})\).

  2. (b)

    Es gibt einen \(L({\mathbb{R}})\)-generischen Filter \(g\subset{\mathbb{P}}_{\text{max}}\), so daß \({\cal P}(\omega_{1})\subset L({\mathbb{R}})[g]\).

Das Axiom \((*)\) impliziert (2):

Theorem 2

(Woodin, [35, Lemmata 5.13, 5.15, 5.18]) Angenommen, es gilt \((*)\). Dann gilt \(2^{\aleph_{0}}=\aleph_{2}\), und wenn \((f_{\alpha}\colon\alpha<\omega_{1})\) ein Leitersystem ist, dann gibt es eine Wohlordnung von \({\mathbb{R}}\), welche \(\Sigma_{1}\)-definierbar ist über der Struktur

$$(H_{\omega_{2}};\in, \textsf{NS}_{\omega_{1}},(f_{\alpha}\colon\alpha<\omega_{1})){.}$$

Es stellt sich nun heraus, daß \((*)\) nicht nur \(\Omega\)-konsistent ist, sondern \((*)\) auch dazu äquivalent ist, daß alle \(\Omega\)-konsistenten \(\Pi_{2}\)-Aussagen über \((H_{\omega_{2}};\in, \textsf{NS}_{\omega_{1}})\) tatsächlich wahr sind. Genauer:

Theorem 3

(Woodin, [35, Theorem 10.150]) Angenommen, es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent.

  1. (1)

    \((*)\) .

  2. (2)

    Für alle Mengen \(A\subset{\mathbb{R}}\) in \(L({\mathbb{R}})\) und für alle \(\Pi_{2}\) -Formeln \(\varphi\) gilt: wenn \((H_{\omega_{2}};\in, \textsf{NS}_{\omega_{1}},A)\models\varphi(A)\) \(\Omega\) -konsistent ist, dann ist \((H_{\omega_{2}};\in, \textsf{NS}_{\omega_{1}},A)\models\varphi(A)\) wahr.

Da \({\mathbb{P}}_{\text{max}}\) ein homogenes Forcing ist, folgt aus der oben erwähnten \(\Omega\)-Vollständigkeit der Theorie ZFC plus „Es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen“ bzgl. Aussagen über \(L({\mathbb{R}})\), daß die Theorie ZFC plus „Es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen“ plus (*) \(\Omega\)-vollständig bzgl. Aussagen über das Modell \(L({\mathcal{P}}(\omega_{1}))\) ist.

Asperó-Larson-Moore [1] haben gezeigt, daß es zwei \(\Pi_{2}\)-Aussagen \(\varphi\) und \(\psi\) gibt, so daß sowohl CH plus \(\varphi\) als auch CH plus \(\psi\) \(\Omega\)-konsistent sind, aber ZFC plus \(\varphi\) plus \(\psi\) die Negation von CH impliziert.

Diese Asymmetrie hinsichtlich möglicher bzw. unmöglicher \(\Omega\)-Maximalität scheint ein natürliches Argument für \((*)\) und damit gegen CH zu liefern. Wäre da nicht ein anderes Axiom, zu welchem \((*)\) in Konkurrenz stand und bezüglich dessen bis zum Erscheinen der Arbeit [2] möglich schien, daß sie sich beide widersprechen, und gleichzeitig ganz und gar unklar war, welches von beiden man auf Basis welcher Argumente priorisieren sollte.

7 Martins Maximum

Martins Axiom wurde im Rahmen der Theorie der iterierten Erzwingungsbegriffe und ihrer Anwendung auf Suslins Hypothese herausgearbeitet, siehe beispielsweise [21, Chap. II + VIII]. Martins Maximum ist eine (in einem präzisen Sinne) maximale Verallgemeinerung von Martins Axiom, welche von Matthew Foreman, Menachem Magidor und Saharon Shelah [14] isoliert wurde.

Martins Maximum, kurz MM, ist die folgende Aussage. Sei \({\mathbb{P}}\) eine partielle Ordnung, welche stationäre Teilmengen von \(\omega_{1}\) bewahrt. Sei \(\{D_{\xi}\colon\xi<\omega_{1}\}\) eine Familie von Teilmengen von \({\mathbb{P}}\), welche alle dicht in \({\mathbb{P}}\) sind. Dann existiert ein Filter \(g\subset{\mathbb{P}}\), so daß \(g\cap D_{\xi}\not=\emptyset\) für alle \(\xi<\omega_{1}\).

Martins Maximum beantwortet eine Fülle natürlicher Fragen. Unter Voraussetzung von Martins MaximumFootnote 5 gilt: Es gibt keine Suslin-Gerade (R. Solovay, S. Tennenbaum), die Vereinigung von \(\aleph_{1}\) vielen Lebesgue-Nullmengen ist null (D. Martin, R. Solovay), es gibt eine Whitehead-Gruppe der Größe \(\aleph_{1}\), die nicht frei ist (S. Shelah), alle \(\aleph_{1}\)-dichten Mengen reeller Zahlen sind ordungsisomorph (J. Baumgartner), es gibt eine Basis für die Klasse überabzählbarer linearer Ordnungen, die fünf Elemente besitzt (J. Moore), es gibt nur innere Automorphismen der Calkin-Algebra eines separablen Hilbertraums (I. Farah), es gilt die Singuläre Kardinalzahl-Hypothese und \(\textsf{NS}_{\omega_{1}}\) ist saturiert (M. Foreman, M. Magidor, S. Shelah).

MM besitzt eine technisch anmutende Verstärkung, nämlich \(\textsf{MM}^{++}\), welche wie folgt definiert ist: Sei \({\mathbb{P}}\) eine partielle Ordnung, welche stationäre Teilmengen von \(\omega_{1}\) bewahrt. Sei \(\{D_{\xi}\colon\xi<\omega_{1}\}\) eine Familie von Teilmengen von \({\mathbb{P}}\), welche alle dicht in \({\mathbb{P}}\) sind, und sei \(\{\tau_{\xi}\colon\xi<\omega_{1}\}\subset V^{\mathbb{P}}\) eine Familie von Namen für stationäre Teilmengen von \(\omega_{1}\). Dann existiert ein Filter \(g\subset{\mathbb{P}}\), so daß \(g\cap D_{\xi}\not=\emptyset\) für alle \(\xi<\omega_{1}\) und

$$\tau_{\xi}^{g}=\{\eta<\omega_{1}\colon\exists p\in g\,p\Vdash_{\mathbb{P}}{\check{\eta}}\in\tau_{\xi}\}$$

ist stationär für alle \(\xi<\omega_{1}\).

\(\textsf{MM}^{++}\) ist äquivalent zu einem Maximalitätsprinzip, welches auf den ersten Blick orthogonal zu (2) in Theorem 3 zu sein scheint.

Theorem 4

([9]) Die folgenden Aussagen sind äquivalent.

  1. (1)

    \(\textsf{MM}^{++}\) .

  2. (2)

    Sei \({\mathbb{P}}\) eine partielle Ordnung, welche stationäre Teilmengen von \(\omega_{1}\) bewahrt. Sei \({\mathcal{M}}=(M;(R_{\xi}\colon\xi<\omega_{1}))\) ein beliebiges Modell mit \(\omega_{1}\) vielen Relationen \(R_{\xi}\) . Sei \(\varphi\) eine \(\Sigma_{1}\) -Formel in der Sprache der Mengenlehre, welche zusätzlich ein Prädikat für das nichtstationäre Ideal auf \(\omega_{1}\) besitzt.

Angenommen,

$$\Vdash_{\mathbb{P}}\,\varphi({\mathcal{M}}){.}$$

Dann gibt es ein Modell \({\bar{\mathcal{M}}}=({\bar{M}};({\bar{R}}_{\xi}\colon\xi<\omega_{1}))\) und eine elementare Einbettung \(\sigma\colon{\bar{\mathcal{M}}}\rightarrow{\mathcal{M}}\) , so daß

$$\varphi({\bar{\mathcal{M}}}){.}$$

Ein Spezialfall von (2) in Theorem 4 ist dadurch gegeben, daß das Modell \({\mathcal{M}}\) (erblich) Kardinalität \(\leq\aleph_{1}\) besitzt, in welchem Falle gewährleistet werden kann, daß \(\sigma\) die Identität ist. Dies führt zu folgender Aussage, cf. [3].

Theorem 5

Es werde \(\textsf{MM}^{++}\) vorausgesetzt. Sei \(\Gamma\subset{\mathcal{P}}({\mathbb{R}})\) eine beliebige Familie universell Bairescher Mengen.

Sei \({\mathbb{P}}\) eine partielle Ordnung, welche stationäre Teilmengen von \(\omega_{1}\) bewahrt. Sei \(A\in H_{\omega_{2}}\) , seien \(B_{1}\) , \(\ldots\) , \(B_{k}\in\Gamma\) , und sei \(\varphi\) eine \(\Sigma_{1}\) -Formel in der Sprache der Mengenlehre, welche zusätzlich ein Prädikat für das nichtstationäre Ideal auf \(\omega_{1}\) besitzt. Angenommen, Footnote 6

$$\Vdash_{\mathbb{P}}\,\varphi(A,B_{1}^{*},\ldots,B_{k}^{*}){.}$$

Dann gilt

$$\varphi(A,B_{1},\ldots,B_{k}){.}$$

Die Konklusion von Theorem 5 wird oft mit der etwas sperrigen Abkürzung \(\Gamma\)-BMM\({}^{++}\) bezeichnet.

8 \(\textsf{MM}^{++}\Longrightarrow(*)\)

In der Gegenwart großer Kardinalzahlen (etwa einer echten Klasse Woodinscher Kardinalzahlen) sind alle Mengen reeller Zahlen in \(L({\mathbb{R}})\) universell Bairesch. Aufgrund von Resultaten von W. Hugh Woodin war seit Längerem bekannt gewesen (siehe [35, § 10.3]), daß in der Gegenwart großer Kardinalzahlen aus Woodins \({\mathbb{P}}_{\text{max}}\)-Axiom \((*)\) die Aussage \({\mathcal{P}}({\mathbb{R}})\cap L({\mathbb{R}})\)-BMM\({}^{++}\) folgt.

Umgekehrt liefert bereits eine oberflächliche Betrachtung, daß \({\mathcal{P}}({\mathbb{R}})\cap L({\mathbb{R}})\)-BMM\({}^{++}\) eine abgeschwächte Form der in Theorem 3 (2) formulierten \(\Pi_{2}\)-Maximalitätsaussage impliziert, nämlich die Aussage, die aus 3 (2) entsteht, indem „\(\Omega\)-konsistent“ durch das schwächere „gültig in einer Forcingerweiterung, welche stationäre Teilmengen von \(\omega_{1}\) bewahrt“ ersetzt wird.

Die Situation erschien undurchsichtig. Ist \((*)\) echt stärker als \({\mathcal{P}}({\mathbb{R}})\cap L({\mathbb{R}})\)-BMM\({}^{++}\)? Sind \((*)\) und \(\textsf{MM}^{++}\) orthogonal zueinander? Paul Larson [22] hatte gezeigt, daß selbst eine Verstärkung von MM (die aber doch etwas schwächer ist als \(\textsf{MM}^{++}\)) ein Modell besitzt, in welchem \((*)\) nicht gilt.

Eine endgültige Klärung brachte erst [2, Theorem 2.17], wonach gilt:

Theorem 6

Angenommen, es gibt eine echte Klasse Woodinscher Kardinalzahlen. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent.

  1. (1)

    \((*)\) .

  2. (2)

    \({\mathcal{P}}({\mathbb{R}})\cap L({\mathbb{R}})\) - BMM \({}^{++}\) .

Da in Theorem 6 die Annahme der Existenz einer echten Klasse Woodinscher Kardinalzahlen durch die Annahme des Vorliegens von Großer-Kardinalzahl-Struktur, welche bereits von MM impliziert wird, ersetzt werden kann, folgt aus Theorem 6:

Theorem 7

([2, Theorem 1.2]) Aus \(\textsf{MM}^{++}\) folgt das \({\mathbb{P}}_{\text{max}}\)-Axiom \((*)\).

9 Résumé und Ausblick

Georg Cantor hatte gehofft beweisen zu können, daß es \(\aleph_{1}\) viele reelle Zahlen gibt. Obwohl Cantor „naiv“ und nicht im Rahmen einer Axiomatisierung der Mengenlehre arbeitete, so ist doch die These haltbar, daß seine Beweismethoden nicht ZFC, die heutige Standardaxiomatisierung, überstiegen. Darum waren seine Bemühungen angesichts der späteren Ergebnisse von Gödel und Cohen zum Scheitern verurteilt.

Das Programm Kurt Gödels, wonach die Postulierung gut motivierter Axiome zur Annahme der Existenz großer Kardinalzahlen eine Entscheidung hinsichtlich der Mächtigkeit von \({\mathbb{R}}\) herbeiführen soll, läßt sich nicht im strengen Wortsinne wohl aber dem Geiste nach durchführen. Die moderne Mengenlehre kennt mehrere Axiome, welche der mengentheoretischen Forschung natürlich entwachsen sind, welche plausibel sind und verschiedener Art von Rechtfertigung standhalten und welche die Mächtigkeit von \({\mathbb{R}}\) entscheiden.

Gegenwärtig gibt es ausgearbeitete Szenarien nur für (1) und (2), d. h. für \(2^{\aleph_{0}}\leq\aleph_{2}\). Forcingaxiome liefern eine plausible und präzise Ausarbeitung des Postulats, daß das mengentheoretische Universum Maximalitätseigenschaften besitzen müsse. Sie erlauben eine sehr detaillierte Analyse bestimmter Aspekte dieses Universums, aber sie liefern keine in praktischer Hinsicht vollständige globale Theorie. Letzteres wird vom ultimate-\(L\)-Axiom (3) versprochen, welches aber noch eine ganze Fülle offener Fragen aufwirft, so ist etwa die Kompatibilität von (3) mit beliebigen großen Kardinalzahlen noch eine weit offene Frage.

Neben aller tiefliegenden technischen Errungenschaften der gegenwärtigen Mengenlehre läßt sich sicher sagen, daß das Cantorsche Kontinuumsproblem weiter eine der treibenden Kräfte mengentheoretischer Forschung bleibt und daß die Untersuchung von Aspekten dieses Problems zu modernen Theorien geführt hat, die in ihrer Elaboriertheit und Stärke weder Cantor noch auch Gödel hätte vorausahnen können.