Knorpeldefekte stellen ein weit verbreitetes Problem im klinischen Alltag von Orthopädie und Unfallchirurgie dar. Häufig betroffen sind junge und aktive Menschen, deren Lebensqualität hierdurch stark eingeschränkt werden kann. Nach Versagen von zellbasierten Techniken oder autologen osteochondralen Transplantaten stellt die Transplantation von frischen osteochondralen Allografts, mangels zum heutigen Zeitpunkt valider Alternativen aus dem Bereich Tissue Engineering, die oft einzige biologische Therapieoption dar.

Bei der Behandlung von großen Defekten (>10 cm2) kommen zellbasierte Techniken oder osteochondrale Autografts ohnehin kaum infrage, sodass in vielen Fällen das Konzept der „fresh large osteochondral allograft transplantation“ (FLOCSAT) gegenwärtig die einzige biologische Option darstellt. Der Vorteil dieser Therapie besteht in der Transplantation von lebendem, ausgereiftem, mechanisch belastbarem, hyalinem Knorpel auf einer dünnen natürlichen Knochenmatrix in den Defektbereich. Das Transplantat stammt von Multiorgan- oder Post-mortem-Spendern nach ausführlicher Aufklärung und Zustimmung der Angehörigen und dem Ausschluss von Infektionskrankheiten.

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist das intakte hyaline Knorpelgewebe des osteochondralen Allografts immunprivilegiert und löst, im Gegensatz zu verletztem Knorpel, anhaftendem Knochen, Meniskus und/oder Ligamenten, keine Immunreaktion im Empfänger aus [4].

Die Indikation für eine FLOCSAT reicht von der Behandlung großer uniplanarer Knorpeldefekte über fokale Osteonekrosen, Frakturpseudarthrosen und Gelenkrestorationen nach Tumorentfernung bis hin zu multipolarer und multiplanarer Wiederherstellung komplett zerstörter Gelenke in den Bereichen von Knie, oberem Sprunggelenk, Ellbogen und Schulter.

Historisch gesehen wurde die erste osteochondrale Allografttransplantation bereits 1908 publiziert [3, 6]. Bis ins Jahr 1998 fanden jedoch in ganz Amerika nur etwa 100 Transplantationen frischer osteochondraler Allograft pro Jahr statt, die an spezialisierten universitären Zentren durchgeführt wurden [1]. Dies änderte sich erheblich durch die Gründung verschiedener amerikanischer Gewebebanken, die unter der Kontrolle der Food and Drug Administration (FDA) neue Protokolle zu Entnahme, Lagerung, Prozessierung und Weitergabe osteochondraler Allografts entwickelten. Damit standen erstmals kommerziell erwerbliche osteochondrale Allografts unter standardisierten Bedingungen zur Verfügung. Bei gleichzeitig verbesserten Lagerungstechniken mit einem Knorpelzellüberleben über mehrere Wochen stieg die Anzahl an Allograft-Transplantationen in den USA auf über 2000 Eingriffe/Jahr an [1]. Dies spiegelt sich auch in der kontinuierlich steigenden Zahl an Publikationen zum Thema „osteochondrale Allograft-Transplantationen“ wider (Abb. 1). Allein seit 2010 hat sich die Zahl der themenspezifischen Publikationen verdreifacht. Gründe hierfür sind unter anderem günstige Langzeitergebnisse bis zu 20 Jahren [2, 5] und mehr.

Abb. 1
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Publikationen zum Thema „fresh osteochondral allograft transplantation“ in PubMed (National Library of Medicine)

Außerhalb der USA ist das Verfahren aber immer noch wenig verbreitet, was an den hohen Kosten und/oder dem immens hohen Aufwand bei der lokalen Transplantatgewinnungs‑, Transplantatlagerungs- und anspruchsvollen chirurgischen OP-Logistik liegen mag. So wird das Verfahren lediglich an wenigen hochspezialisierten Zentren in Europa wie z. B. Bologna, Hannover und Südamerika (São Paulo) eingesetzt. Aus dem deutschsprachigen Raum liegen nur wenige Publikationen vor. Die Frage ist, ob hierzulande wichtige Entwicklungen verschlafen werden.

Die Transplantation von frischem osteochondralem Gewebe in seinen zahlreichen Spielformen stellt eine Bereicherung des rekonstruktiven Spektrums dar. Insbesondere bei den Patienten, bei denen man aufgrund des Alters zurückhaltend mit endoprothetischen Lösungen oder Arthrodesen sein möchte. Ermutigend sind die guten Langzeitergebnisse v. a. bei kleineren Transplantaten und die deutlichen Verbesserungen im Bereich der Lagerung, die die Transplantationsintervalle verlängert haben. Erfreulich ist auch die Tatsache, dass eine sichere und rasche Osseointegration innerhalb weniger Monate stattfindet, was u. a. auf eine präzise und spaltarme Zuschnitttechnik auch bei komplex geformten multiplanar geschnittenen Transplantaten zurückgeführt werden kann.

Alter Wein in neuen Schläuchen? Das FLOCSAT-Konzept beruht auf lange zurückliegenden Beobachtungen (Immunprivileg des Knorpelgewebes), berücksichtigt aber neuere Erkenntnisse und Entwicklungen zu Transplantatgrößenabhängigkeit der Immunogenität, Optimierung der Lagerung, geometrischer Empfänger-Transplantat-Komplementarität und Osseointegration.

Es gibt aber auch noch eine Reihe von Aspekten, die in Zukunft adressiert werden müssen:

  • Im Gegensatz zur wenig problematischen Osseointegration ist das Verständnis für die Vorgänge bei Überleben oder Versagen des Knorpels geringer, und die Ergebnisse sind schlechter. Wünschenswert wäre es, die beobachteten inflammatorischen Reaktionen besser kontrollieren zu können, z. B mit einer Art „silencing“. Auf lange Sicht erscheint ein genetisches Silencing der transplantierten Gewebeabschnitte ein hoffnungsvoller, aber sehr aufwendiger Weg zu sein.

  • Wünschenswert für die Zukunft wären mechanische Abtrennverfahren für Empfänger und Spender, die den bisher noch erforderlichen hohen Zeitaufwand reduzieren können (präoperative digitale 3D-Planung-Konzepte, patienten- und transplantatspezifische Schnitthilfen aus dem 3D-Drucker (PSI), Fräsroboter, sowie die zeitliche Trennung/Vorschaltung des Transplantatzuschnitts).

  • Verbesserungswürdig ist die Entwicklung eines besseren Verständnisses für Transplantaterfolg und -versagen, möglicherweise auf der Basis von In-vitro-Testverfahren.

  • Mit dem steigenden klinischen Erfolg des Verfahrens wird es notwendig werden, den enormen logistischen, personellen und apparativen Aufwand für die Kliniken finanziell entsprechend abzubilden.

  • Und schließlich muss daran gearbeitet werden, dass in der Bevölkerung, aber auch bei Ärzten und Pflegepersonal ein Bewusstsein für die Möglichkeiten und den Stellenwert einer Gewebespende und der Transplantation mit frischen osteochondralen Allografts entsteht und gepflegt wird.

Viele Aspekte der Transplantation von frischen osteochondralen Allografts sind neu und vielversprechend, so dass man durchaus von einem Wechsel der Rahmenbedingungen und Paradigmenwechsel sprechen kann. Aber immer noch ist etliches unklar und muss geklärt, erforscht oder weiterentwickelt werden. Die Situation erscheint damit ähnlich der bei der Organtransplantation in den 1970er-Jahren, als Techniken, Ergebnisse und Verteilungsstrukturen noch weit von denen der heutigen entfernt waren.

In diesem Leitthema zum aktuellen Stand bei der Transplantation von osteochondralen Allografts wird in einer Übersichtsarbeit der Schwerpunkt auf die großen osteochondralen Allografts (FLOCSAT, >10 cm2) gelegt und in einem weiteren Beitrag die Anwendung in unterschiedlichen Gelenken beschrieben. Darüber hinaus werden die Aspekte Infektionssicherheit und Lagerungsstrategien beleuchtet, sowie ein Überblick über den medikolegalen Hintergrund und die Möglichkeiten zu Gewebespende und -verarbeitung in Europa gegeben.

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Prof. Dr. C. Krettek

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Dr. rer. nat. C. Neunaber