Das kardiochirurgische Patientenkollektiv stellt die behandelnden medizinischen Teams seit vielen Jahren vor große Herausforderungen. Neben einer immer älter werdenden Gesellschaft ist diese auch zunehmend „gebrechlich“. Diese Gebrechlichkeit (englisch: „frailty“) ist gerade bei kardiochirurgischen Patienten mit einer erhöhten perioperativen Morbidität, aber auch Letalität vergesellschaftet [1].

Nun könnte man weitere Einflussfaktoren, wie die beispielhaft genannte Frailty einzeln auflisten, Morbiditäten erfassen, sowie – falls möglich – therapieren, oder aber man entwickelt Konzepte, wie man das Ziel der Risikoreduktion im perioperativen Kontext holistisch angeht.

Die ERAS-Konzepte gehen das Ziel der Risikoreduktion im perioperativen Kontext holistisch an

Die interdisziplinären und interprofessionellen Behandlungskonzepte der ERAS® Society beinhalten genau eine solche holistische Herangehensweise. Seit ihrer Gründung vor 12 Jahren werden diese Enhanced-Recovery-After-Surgery(ERAS®)-Konzepte von der ERAS® Society erarbeitet und veröffentlicht. Die aktuelle ERAS-Empfehlung liegt für die Kardiochirurgie vor (Enhanced Recovery After Cardiac Surgery, ERACS) und wurde von Engelman et al. 2019 in JAMA Surgery veröffentlicht [2].

Sie dient dem in dieser Ausgabe von Die Anaesthesiologie publizierten Leitthemenbeitrag „Enhanced Recovery After Surgery (ERAS) in der Kardioanästhesie“ zwar als Grundlage, wurde aber vom Autorenteam um Prof. Jens Kubitz inhaltlich weiterentwickelt. So wird in der hier vorliegenden Übersicht im Gegensatz zu der Arbeit von Engelmann et al. nicht primär auf die Evidenzgrade der einzelnen Maßnahmen eingegangen. Dies schadet dem Artikel und der Aussagekraft jedoch in keiner Weise; im Gegenteil: Kubitz et al. führen auch ganz aktuelle Literatur an, die bei der Definition der Evidenzgrade für die einzelnen Empfehlungen naturgemäß noch keinen Eingang gefunden haben konnten. Zahlreiche informative Abbildungen stellen die ERAC-Empfehlungen zudem in den Kontext der ERAS-Grundsätze anderer operativer Fachgebiete und der aktuellen Literatur.

Der Artikel stellt klar die 3 grundlegenden Säulen des ERAS-Konzepts dar und analysiert, wie diese im kardiochirurgischen Kontext zu sehen sind. Im Rahmen der ersten präoperativen Säule sollte versucht werden, den Ernährungszustand und die körperliche Fitness der Patienten zu optimieren. Die intraoperativen Maßnahmen (2. Säule) zielen darauf ab, möglichst minimal-invasiv vorzugehen sowie eine schnelle Extubation mit Schmerzfreiheit und ohne postoperative Übelkeit und Erbrechen (PONV) zu erreichen. Die dritte – postoperative – Säule beinhaltet u. a. frühe physiotherapeutische Maßnahmen und eine suffiziente Analgesie. Organdysfunktionen wie Nierenversagen und Delir sollen mithilfe von Scoring-Systemen zügig erfasst und therapiert werden.

Erste Untersuchungen zum kardiochirurgischen ERAS-Konzept deuten auf ein verbessertes Patienten-Outcome

Obwohl das offizielle ERAS-Konzept in der Kardiochirurgie (d. h. ERACS) erst wenige Jahre besteht, gibt es bereits erste Outcome-Untersuchungen. Im Vergleich zur konventionellen Patientenbehandlung konnten diese Untersuchungen zeigen, dass die Implementierung eines ERACS-Programms mit einer Verkürzung der Zeit bis zur Extubation, einer geringeren postoperativen Opioidverabreichung und einer kürzeren Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation sowie im Krankenhaus verbunden ist [3,4,5,6,7]. Des Weiteren haben Untersuchungen gezeigt, dass es seltener zu chirurgischen und medizinischen Komplikationen kommt, die analgetische Therapie besser ist und geringere Gesamtkosten entstehen [3, 6].

Die Wahrscheinlichkeit, die Ziele eines ERACS-Programms zu erreichen, hängt mit der Einhaltung der Konzeptelemente zusammen [5]. Eine zukünftige Herausforderung wird es sein, die Effektivität des ERACS-Programms auch über die einzelne Einrichtung hinaus zu zeigen, da sowohl die Ziele als auch die erfassten Ergebnisse eines ERACS-Programms nicht selten institutionsspezifisch waren und sind. Um eine objektive Vergleichbarkeit zu schaffen, bedarf es prospektiver, kontrollierter, randomisierter Studien, wie beispielsweise des INCREASE-Projekts (INterdisziplinäre und sektorenübergreifende Versorgung in der HerzChiRurgiE am Beispiel von minimal-invASiven HErzklappeneingriffen) [8], das Kubitz et al. beschreiben. So bleibt zu hoffen, dass solche Projekte wirklich den von den Autoren beschriebenen „Leuchtturmcharakter“ haben, um das-ERACS Konzept weiter zu etablieren und letztendlich dem Patienten nutzen.