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Von Honigsemmeln, Schwefel und „allem möglichen anderen Zeug“. Michael Endes Poetik der Sinne

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Michael Ende – Poetik und Positionierungen

Part of the book series: Abhandlungen zur Literaturwissenschaft ((ABLI))

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Zusammenfassung

Die Anforderungen an die sinnliche Imagination des Lesers, die Michael Ende am Beispiel des Protagonisten Bastian Balthasar Bux in der Unendlichen Geschichte vorführt, sind keineswegs gering und entsprechen teilweise Auffassungen von der Partizipation des Rezipienten bei der Sinnbildung von Texten, wie sie etwa von Wolfgang Iser in den 1970er Jahren entwickelt worden sind. In den Werken Endes ist die Gestaltung der einzelnen Wahrnehmungskanäle unterschiedlich stark gewichtet und funktional differenziert ausgebildet. Neben der Dominanz des Visuellen zeigt sich beispielsweise in Der Spiegel im Spiegel eine Verschränkung dieses Wahrnehmungsbereichs mit dem des Hörens, was Anlass bietet zu einer Reflexion über die Relation der Medialität von gesprochener Sprache und Schrift in existenzieller wie literarischer Hinsicht.

„Für mich besteht das Schöne […] immer dort, wo eine Ganzheit von Herz, Kopf und Sinnen hergestellt wird, also dort, wo der Mensch in seine ursprüngliche Ganzheit wieder zurückversetzt wird.“ (Beuys und Ende 1989, S. 18)

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Notes

  1. 1.

    Der Nachname des Protagonisten, „Bux“, entspricht lautlich in etwa dem englischen Wort für „Bücher“, „books“, was im sorgfältig entworfenen onomastischen Kosmos des Autors von augenfälliger Signifikanz erscheint.

  2. 2.

    Diese enorme Vorstellungskraft kommt auch im dritten Kapitel von Momo zum Tragen, in dem die Kinder, Momos Freunde, auf plastische und völlig immersive Weise ein Seeabenteuer nachspielen. Vgl. Ende 2021a, S. 25–37.

  3. 3.

    Zum Motiv der Erlösung des Vaters durch den Sohn in der Unendlichen Geschichte siehe May 2022a, S. 88–92.

  4. 4.

    Neben der Bücherleidenschaft teilen Protagonist und Autor etwa eine ausgeprägte Unlust in schulischen Belangen; vgl. Dankert 2016, S. 25.

  5. 5.

    Zur Signifikanz gastrosophischer Komplexe in der Literatur generell siehe Rudtke 2014b.

  6. 6.

    Der bereits im Fall von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer konstatierte Pragmatismus in Sachen Essen als elementare Sättigung und nicht als Gaumenfreude kommt auch in dem späten Kunstmärchen Die Geschichte von der Schüssel und dem Löffel von 1990 zum Tragen, worin eine bösartige Fee auf zwei Tauffeiern in benachbarten Königreichen auftaucht und in einem Fall einen Löffel und im zweiten eine Schüssel schenkt. Wenn die beide Zaubergegenstände zusammengebracht würden, stünde für alle Hungrigen Suppe bereit. Auch hier geht es nicht um die karnevaleske Vorstellung eines genussvollen Überflusses, sondern um die Befriedigung des elementaren Bedürfnisses Hunger. Siehe dazu Dankert 2016, S. 256.

  7. 7.

    Eine eingehendere Untersuchung über die inter- bzw. transtextuellen Verhältnisse dieser drei Texte steht noch aus. Bemerkenswerterweise nutzt Keller ja das Medium des Kunstmärchens, um seine eigenen Nöte als Autor im Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Verleger Eduard Vieweg künstlerisch-satirisch zu artikulieren. Bei Ende wird mit der Figur des „Büchernörgele“ die Auseinandersetzung des Autors mit dem ‚Kritikerpapst‘ Marcel Reich-Ranicki ebenfalls mit den Mitteln der Satire geführt.

  8. 8.

    So lautet die Einleitungspassage des vierten Kapitels von James Joyce’ Ulysses: „*Mr Leopold Bloom ate with relish the inner organs of beasts and fowls. He liked thick giblet soup, nutty gizzards, a stuffed roast heart, liverslices fried with crustcrumbs, fried hencods’ roes. Most of all he liked grilled mutton kidneys which gave to his palate a fine tang of faintly scented urine.“ (Joyce 1987, S. 45).

  9. 9.

    So erläutert Meister Hora seiner Zuhörerin Momo, dass die Zigarren der grauen Herren aus gedörrten Blättern der Stunden-Blumen bestünden, die erst mit dem Rauchen sich nun gänzlich in tote Zeit verwandelten: „Ja, diese Mauer von Rauch, die sie dort draußen um das Nirgend-Haus wachsen lassen, besteht aus toter Zeit. Noch ist genügend freier Himmel da, noch kann ich den Menschen ihre Zeit unversehrt zusenden. Aber wenn die finstere Qualmglocke sich rundherum und über uns geschlossen haben wird, dann mischt sich in jede Stunde, die von mir ausgeschickt wird, etwas von der abgestorbenen, gespenstischen Zeit der grauen Herren. Und wenn die Menschen die empfangen, dann werden sie krank davon, todkrank sogar.“ (Ende 2021b, S. 270 f.).

  10. 10.

    Exemplarisch hierfür bereits Wernsdorff 1983.

  11. 11.

    Zur geologischen Symbolik der Romantik und zur Signifikanz des Bergwerks vgl. Elm 1991 sowie Rudtke 2014a, S. 68–75.

  12. 12.

    Eine kurze Darstellung und Einschätzung dieser Künstlerkooperation bietet Reiß 2020.

  13. 13.

    „Schreiben, um nicht zu sterben, wie Blanchot sagte, oder vielleicht auch sprechen, um nicht zu sterben, ist wahrscheinlich eine Beschäftigung, die so alt ist wie das Wort. Die todbringendsten Entscheidungen bleiben für die Zeit ihrer Erzählung zwangsläufig in der Schwebe. Die Rede hat bekanntlich die Macht, den schon abgeschickten Pfeil aufzuhalten in einem Bruchteil von Zeit, ihrem Eigenbereich.“ (Foucault 1993, S. 90)

  14. 14.

    Zu Aspekten des Teriomorphen in der Konzeption literarischer Heldenfigur siehe May 2022b.

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May, M. (2023). Von Honigsemmeln, Schwefel und „allem möglichen anderen Zeug“. Michael Endes Poetik der Sinne. In: Boyken, T., Scholz, T. (eds) Michael Ende – Poetik und Positionierungen. Abhandlungen zur Literaturwissenschaft. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67732-2_4

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