Schlüsselwörter

1 Chancen und Risiken der Digitalisierung in KMU

Die Bedeutung der Digitalisierung für den Industriestandort Deutschland wird in der Agenda 2025 des Bundeswirtschaftsministeriums deutlich. Um die Spitzenposition Deutschlands in der produzierenden Industrie zu sichern und auszubauen, sollen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bei der Implementierung von Industrie 4.0 unterstützt werden (BMWi). Insbesondere in einem Hochlohnland wie Deutschland ist es entscheidend, industrielle Arbeitsprozesse so effizient wie möglich zu gestalten, um international wettbewerbsfähig zu bleiben (Franken et al., 2019). Die Umsetzung von Industrie 4.0 stellt aber gerade KMU vor große Herausforderungen. Vergleiche mit großen Unternehmen zeigen, dass KMU Industrie 4.0-Technologien bisher nur in einem geringeren Umfang implementiert haben (Rauch et al., 2020). Häufig fehlt es KMU an finanziellen Mitteln und dem notwendigen Wissen, um neue Technologien in die bestehenden Arbeitsabläufe und -prozesse zu integrieren (Masood & Sonntag, 2020). Außerdem verfügen KMU in vielen Fällen weder über spezifische Qualifizierungsangebote noch über die finanziellen und personellen Ressourcen, um diese selbst zu konzipieren und ihr Personal zu entwickeln (Tribelhorn-Sigg, 2013). Die Rekrutierung von Fachkräften sowie der Mangel an eigenem Fachpersonal stellen ein großes Hindernis bei der Implementierung von digitalisierten Prozessen dar (Leeser, 2020). Der Erwerb und die Weiterentwicklung zentraler Kompetenzen, die in der Industrie 4.0 benötigt werden, spielen aber bei der Umsetzung der Digitalisierung eine entscheidende Rolle, um die Mitarbeitenden für die Industrie 4.0 zu befähigen und zu motivieren (Fechtelpeter et al., 2019). Entscheidungs- und Verantwortungsprozesse werden zunehmend an den Ort der jeweiligen Ausführung dezentralisiert und verlangen an der Mensch-Maschine-Schnittstelle ein flexibles, selbstorganisiertes Handeln. Diese Veränderungen sind aus soziotechnischer Systemperspektive zu betrachten, um die Interaktionen und Abhängigkeiten an der Schnittstelle Mensch, Technik und Organisation (MTO) ganzheitlich betrachten zu können (Ulich, 2013; Paulsen et al., 2020).

Die Betrachtungsebenen lassen sich demnach gemäß ◘ Abb. 2.1 darlegen. Das MTO-Modell verdeutlicht die wechselseitigen Bedingungen von Arbeitsorganisation, dem Einsatz von Assistenzsystemen sowie den erforderlichen Kompetenzen an der Mensch-Maschine-Schnittstelle. So ändern sich z. B. je nach verwendetem Assistenzsystem sowohl die Arbeitsorganisation als auch die erforderlichen Kompetenzen, welche die Mitarbeitenden benötigen und umgekehrt. KMU, die zukunftsfähig aufgestellt sind, müssen deshalb künftig in der Lage sein, das dargestellte Dreieck „auszubalancieren“ und damit auch den richtigen Mix an technischen und nicht-technischen Kompetenzen auf Seiten ihrer Mitarbeitenden zu entwickeln. Es stellt sich daher die Frage, welche Kompetenzen an Bedeutung gewinnen oder ob sogar neue Kompetenzen erforderlich werden.

Abb. 2.1
figure 1

MTO-Modell. Nach Ulich, 2013

2 Kompetenzbedarf 4.0 in KMU

Kompetenzen sind zentrale Handlungsvoraussetzungen, um „sich in konkreten Situationen an veränderte Bedingungen anzupassen, eigene Verhaltensstrategien zu ändern und erfolgreich umzusetzen“ (Heyse et al., 2010, S. 75). Kompetenzen lassen sich als das Vermögen (sog. Disposition) einer Person auffassen, auftretende komplexe Probleme im Kontext schnell wechselnder Arbeitsaufgaben, -bedingungen und -ziele lösen zu können, ohne dass auf vorgefertigte Lösungsmuster zurückgegriffen werden kann (Scherm, 2009).

2.1 Die berufliche Handlungskompetenz

In Anlehnung an Kauffeld und Paulsen wird in diesem Beitrag die berufliche Handlungskompetenz als „Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensbestände, die eine Person, ein Team oder eine Organisation bei der Bewältigung konkreter sowie vertrauter als auch neuartiger Arbeitsaufgaben handlungs- und reaktionsfähig machen und sich in der erfolgreichen Bewältigung konkreter Arbeitsanforderungen zeigen“ (Kauffeld & Paulsen, 2018, S. 14) definiert. Siehe dazu auch den ► Exkurs zur Kompetenzentwicklung im beruflichen Umfeld.

Exkurs Kompetenzentwicklung im beruflichen Umfeld

Der Prozess des Umdenkens in Aus- und Weiterbildung von Qualifikationen hin zu Kompetenzen lässt sich anhand von drei Dimensionen verdeutlichen (vgl. Martens & Nachtigall, 2006):

Anforderungsprofil: Qualifikationen stellen Fähigkeiten und Fertigkeiten dar, die zur Bewältigung strukturierter Anforderungen benötigt werden. Der Begriff der Kompetenz richtet sich auf die Bewältigung von unstrukturierten und sich verändernden Anforderungen, die den selbstorganisatorischen Aspekt des Lernens erfordern (Erpenbeck et al., 2017).

Transparenz: Qualifikationen sind sachverhaltszentriert. Die Erlangung spezifischer Qualifikationen ist messbar und durch Lernerfolgskontrollen überprüfbar. Kompetenzen dagegen beinhalten selbstorganisierte und kreative Denk- und Handlungsmuster, die nicht direkt überprüfbar sind. Nur durch die Überprüfung von Handlungsmustern oder -optionen und deren konkrete Realisierung lassen sich Rückschlüsse auf die Kompetenzentwicklung ziehen.

Problemlösungsstrategie: Bei der Erlangung von Qualifikationen wird davon ausgegangen, dass das zu erreichende Ziel bekannt ist. Bei der Kompetenzentwicklung ist dagegen das Ziel oder die Problemlösung im Prozessverlauf variabel und nicht vorgegeben. Kreative neue Lösungen müssen durch Selbstorganisation im Problemlösungsprozess erzeugt werden.

Betrachtet man die berufliche Handlungskompetenz näher, so werden fachliche und überfachliche Kompetenzen unterschieden. Erpenbeck und Heyse (1996) gehen noch detaillierter vor und teilen Kompetenzen in die vier Bereiche Fach- und Methodenkompetenz, personale, sozial-kommunikative sowie aktivitäts- und handlungsorientierte Kompetenz ein. Letztere wird als die Fähigkeit beschrieben, aktiv und gesamtheitlich selbstorganisiert zu handeln. Die einzelnen Kompetenzarten ergeben zusammen die berufliche Handlungskompetenz, was letztlich auch Ziel jeglicher beruflicher Kompetenzentwicklung ist (Erpenbeck & Heyse, 1996).

Die Kompetenzentwicklung sowie die Qualifizierung von Mitarbeitenden werden von Industrieunternehmen bereits als wichtige Zukunftsanforderung und Gestaltungsaufgabe für die erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung erkannt. Die Studie von Graf et al. (2020) betrachtet 22 Metakompetenzen für die heutige und zukünftige Arbeitswelt. Graf et al. (2020, S. 8) definieren Selbstorganisation als „die Fähigkeit, das eigene Handeln aktiv und weitgehend unabhängig von unterstützenden oder störenden Faktoren situationsentsprechend zu realisieren“. Selbstorganisation benötigt Selbstständigkeit, -erfahrung, -kontrolle, einschließlich der notwendigen Selbstkritik und führt zur Eigenaktivität des Handelnden. Sie ermöglicht, dass grundlegende sowie abgeleitete Selbstorganisationsdispositionen herausgebildet werden können. Nach Bergmann et al. (2006) umfassen diese unter anderem:

  • Selbsterkenntnisvermögen (Bewusstsein eigener Leitmotive, Reflexionsfähigkeit),

  • Selbstdistanz, Selbstrelativierung (Selbstironie, Neutralität, Einsicht in Selbstbezug, Wertgefüge),

  • Empathie (Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Interesse an anderen),

  • Situations- und Kontextidentifikation (historische Selbsteinordnung, Altersadäquatheit, keinen Absolutheitsanspruch, Abwägen von Nutzen und Aufwand),

  • Interventions- und Lösungsfähigkeit (Situations- und Interventionsidentifikation).

Als Zwischenfazit ist an dieser Stelle festzuhalten, dass Facharbeiter*innen auf der Fertigungsebene neben Qualifikationen auch Selbstorganisationskompetenzen benötigen, um die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung verbunden sind, erfolgreich zu meistern. Arbeitsanforderungen beziehen neuartige Technologien mit ein, deren Handhabung auch spezielle Kompetenzen erfordern. Durch die digitalen Assistenzsysteme in der Fertigung werden Prozesse noch stärker standardisiert als bisher. In der Folge kommt es zu einer Kompetenzverschiebung, das heißt: bisher besonders relevante Kompetenzen verlieren teilweise, bisher weniger relevante Kompetenzen gewinnen an Bedeutung. Vor allem die aktivitäts- und handlungsorientierte Kompetenz rückt in den Fokus. Sie bezieht sich auf selbstbestimmtes, zielorientiertes sowie aktives Entscheiden und Handeln im Arbeitsprozess. Wie in diesem Beitrag noch zu zeigen sein wird, werden damit die aktivitäts- und handlungsorientierte Kompetenz zusammen mit Fähigkeiten im Schnittfeld zur personalen und zur sozial-kommunikativen Kompetenz besonders wichtig. In der Summe heißt dies, dass Selbstorganisationskompetenzen im Zuge der Digitalisierung aus- und weiterentwickelt werden müssen.

2.2 Selbstorganisationskompetenzen in der Industrie 4.0

Auch die Politik hat hier Handlungsbedarf erkannt und kommt diesem durch Förder- und Forschungsprogramme nach. Zentrales Ziel des Forschungsprojekts ESKODIA ► www.eskodia.de ist es, Mitarbeitende aus KMU zu befähigen, die sich verändernden Anforderungen an Selbstorganisation und Maschinenkoordination selbstständig zu erfüllen.

Im Rahmen des Projektes werden die erforderlichen Selbstorganisationskompetenzen in der Industrie 4.0 fallspezifisch für den Fertigungsbereich des Maschinen- und Anlagenbaus untersucht, der traditionell von KMU geprägt ist. Der Begriff Industrie 4.0 bezieht sich auf die Digitalisierung und Vernetzung von Maschinen und Prozessabläufen mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie in der industriellen Produktion (Fechtelpeter et al., 2019). Im Fokus stehen dabei Tätigkeiten, die von qualifizierten Facharbeitern wie Monteur*innen oder Instandhalter*innen, aber auch von Angelernten ausgeführt werden. ESKODIA untersucht in drei industriellen KMU exemplarische Qualifikationsfelder, die sich durch Digitalisierung wandeln: die Optimierung der Maschinenauslastung im Anlagenbau, die Intralogistik in der Lasertechnik und die Dokumentation von Instandhaltung und Maschinenzuständen in einem Maschinenbauunternehmen. Um Mitarbeitende in KMU zu befähigen, selbstständig und verantwortungsbewusst verstärkte Anforderungen an Selbstorganisation und Maschinenkoordination zu erfüllen, stellt sich die Frage: Welche Selbstorganisationskompetenzen und welche Fähigkeiten zur Koordination von Mensch-Maschine-Schnittstellen mit variablen digitalen Assistenzfunktionen im Bereich der Fertigung, hier auch Shopfloor genannt, werden vor dem Hintergrund der Digitalisierung jetzt und zukünftig benötigt?

2.3 Kompetenzanforderungen auf der Shopfloor-Ebene

Eine nähere Betrachtung von Studien der vergangenen Jahre ergibt, dass sich nur relativ wenige Untersuchungen mit den Kompetenzanforderungen der Mitarbeitenden auf der Fertigungsebene beschäftigen. Häufig wird der Kompetenzbedarf in der Industrie 4.0 auf Führungsebene erhoben (Weiß, 2017; Eilers et al., 2017). Nur wenige Studien befassen sich bislang mit dem Kompetenzbedarf von Mitarbeitenden auf der operativen oder konkret auf der Fertigungsebene, die qualifizierte Tätigkeiten oder Einfacharbeit ausführen (vgl. dazu ◘ Tab. 2.1).

Tab. 2.1 Studien zum Kompetenzbedarf 4.0

Betrachtet man die Studien aus den letzten fünf Jahren, so stellt man fest, dass nur in den Arbeiten von Blumberg und Kauffeld (2021) und Hecklau et al. (2019) neben den überfachlichen Kompetenzen auch Fach- und Methodenkompetenzen für die Industrie 4.0 als Kompetenzbedarf herausgestellt werden. In den anderen Untersuchungen stehen die sozialen und persönlichen Kompetenzen im Fokus. Weiterhin werden in den o. g. Studien (vgl. ◘ Tab. 2.1) die Kompetenzen Offenheit für Veränderungen und Lernfähigkeit als wichtigste Voraussetzungen für Veränderungsprozesse und die erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung angesehen. Selbstorganisation, Teamfähigkeit, Problemlösungskompetenz (Franken et al., 2019), interdisziplinäres Denken, Sozial-/Kommunikationskompetenz (acatech, 2016) sowie Veränderungsbereitschaft und Organisationsfähigkeit (Hammermann & Stettes, 2016) wurden dabei ebenfalls als entscheidende Kompetenzen benannt. Außerdem ist festzustellen, dass in den Studien von Hecklau et al. (2019) und Lischka und Kohl (2019) die Zielgruppe nicht spezifisch definiert wird, sondern nur allgemein die Mitarbeitenden untersucht wurden.

Offen bleibt jedoch, welche Kompetenzanforderungen in speziellen Tätigkeitsbereichen bei KMU bestehen. Im Forschungsprojekt ESKODIA wird daher diese Lücke adressiert. Teilziel des Forschungsprojekts ist die Ermittlung der Kompetenzbedarfe 4.0 in den Tätigkeitsbereichen Montage, Intralogistik und Instandhaltung auf der Shopfloor-Ebene.

Theoretische und empirische Analysen von Selbstorganisationskompetenzen und Mensch-Maschine-Schnittstellen für die Bereiche der Montage, Instandhaltung und Intralogistik dienen dabei als Grundlage zur Erarbeitung der Kompetenzbedarfe 4.0. Die Selbstorganisationskompetenzen befähigen Mitarbeitende zu eigenständiger Strukturierung und Ordnung von Aufgaben, Regeln und Handlungen (Greif & Kurtz, 1998). Folglich ermöglicht die Entwicklung von Selbstorganisationskompetenzen die eigenständige und eigenverantwortliche Steuerung und Optimierung digitaler Assistenzsysteme.

3 Vorgehensweise zur Kompetenzerhebung

Die Erhebung der Kompetenzen, die im Zuge der zunehmenden Digitalisierung in den KMU benötigt werden, fand in mehreren Schritten statt. Die Vorgehensweise wird im Folgenden näher erläutert.

3.1 Anforderungsprofile für die Tätigkeitsbereiche Montage, Instandhaltung und Intralogistik

Ausgangspunkt des Forschungsprojekts ESKODIA war zunächst die Erhebung von Arbeitsprofilen für die Industrie 4.0 in den näher zu untersuchenden Tätigkeitsbereichen Montage, Instandhaltung und Intralogistik, um Veränderungen der Arbeit in den Bereichen Automatisierung und Digitalisierung zu beschreiben. Als Modellierungsansatz wurde das arbeitsplatznahe Beschreibungsmodell „Spinnennetzdiagramm“ gewählt (Bauer et al., 2018). Mit diesem werden Industrie 4.0-induzierte Veränderungen von Arbeitstätigkeiten in 14 Beschreibungsdimensionen erhoben. Dabei liegt jeder der 14 Modelldimensionen eine Leitfrage zugrunde (vgl. dazu ◘ Tab. 2.2).

Tab. 2.2 Beschreibungsdimensionen des Modellansatzes (Bauer et al., 2018, S. 152)

Ausgehend vom aktuellen Stand (0 = gleichbleibend im Spinnennetzdiagramm) wird erhoben, wie sich jeder einzelne Aspekt in der Zukunft durch die Digitalisierung verändert. Die Einschätzung erfolgt anhand einer fünfstufigen Likert-Skala (starker Anstieg +2, Anstieg +1, gleichbleibend 0, Rückgang −1 und starker Rückgang −2). Als Ergebnis entsteht für die einzelnen Tätigkeitsbereiche eine Profillinie, die anzeigt, welche Dimensionen durch die technologischen Veränderungen mehr oder weniger stark beeinflusst werden. Laut Bauer et al. (2018) beruht der Ansatz auf der Prämisse, dass sich durch die Aggregation von Einzelfällen aus der Praxis allgemeingültige Aussagen für die Arbeitswelt 4.0 ableiten lassen.

Dazu wurden mit der Geschäftsleitung bzw. Führungskräften aus den drei Anwenderunternehmen des Forschungsprojekts halbtägige Workshops durchgeführt und teilstandardisierte Interviews geführt. Die Befragten sollten einschätzen, wie sich die Anforderungen in den spezifischen Tätigkeitsbereichen nach der Einführung der geplanten, digitalen Assistenzsysteme verändern werden. Die Ergebnisse für jeden Schwerpunktbereich sind in Form von Spinnennetzdiagrammen auf den 14 Beschreibungsdimensionen dargestellt, die die veränderten Anforderungen durch die Industrie 4.0 deutlich machen (vgl. ◘ Abb. 2.2, 2.3 und 2.4). Dabei stellt das mit gestrichelter Linie gekennzeichnete Profil das Zukunftsszenario dar.

Abb. 2.2
figure 2

Anforderungsprofil im Tätigkeitsbereich Montage

Abb. 2.3
figure 3

Anforderungsprofil im Tätigkeitsbereich Intralogistik

Abb. 2.4
figure 4

Anforderungsprofil im Tätigkeitsbereich Instandhaltung

Festzustellen ist, dass sich die Profile der drei Tätigkeitsbereiche unterscheiden. In der Montage und Intralogistik zeigen sich Ähnlichkeiten – hier wird das informelle und formelle Lernen an Bedeutung gewinnen. In beiden Tätigkeitsbereichen nehmen auch die erforderlichen anwendungsorientierten IT-Kenntnisse und komplexe Aufgaben sowie die dadurch erforderliche Problemlösungsfähigkeit zu. Bei der Selbstbestimmung fallen die Einschätzungen allerdings auseinander. Während in der Intralogistik mehr Selbstbestimmung erwartet wird, geht man bei der Montage und Instandhaltung davon aus, dass die Anforderungen an Selbstbestimmung eher sinken. In der Instandhaltung ist davon auszugehen, dass mit der Digitalisierung auch Kontrolle und Planung zunehmen. Dabei spielen auch Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensbereichen, aber auch das informelle Lernen eine größere Rolle als bisher. In der Montage werden zukünftig höhere Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und anwendungsorientierte IT-Kenntnisse erwartet.

Auf Basis der entwickelten Arbeitsprofile, stellt sich nun die Frage, welche Kompetenzen durch die gestiegenen Anforderungen auf der Fertigungsebene verstärkt benötigt werden oder sogar neu erlernt werden müssen. Um die nötigen Kompetenzen zu ermitteln, fanden weitere Erhebungen in den drei Tätigkeitsbereichen statt.

3.2 Das Kompetenzmodell KODE als Bezugsrahmen

KODE steht als Akronym für Kompetenz-Diagnostik und -Entwicklung (Erpenbeck et al., 2017). „[…] Das Modell baut auf einem theoretisch abgesicherten, differenzierten und praktisch vielfach bewährten Kompetenzmodell auf“ (Heyse et al., 2010, S. 29). KODE ist für verschiedene Betrachtungs- und Aufgabenbereiche einsetzbar. Es dient dazu, sowohl für Führungskräfte als auch Mitarbeitende jeglicher Hierarchiestufe Kompetenzen zu erheben und ist nicht branchenabhängig. Somit erlaubt dieses Kompetenzmodell eine differenzierte Einschätzung auch für unsere Zielgruppe auf der Fertigungsebene in den Bereichen Montage, Intralogistik und Instandhaltung.

KODE besteht aus vier Basiskompetenzen (Erpenbeck et al., 2017): Die personale Kompetenz ermöglicht eine kluge und kritische Selbsteinschätzung sowie die Entwicklung von produktiven Einstellungen, Wertehaltungen und Idealen. Die Fähigkeit, das gesamte Wissen, persönliche Werte und das Resultat sozialer Kommunikation willensstark und aktiv umzusetzen, zählt zu der Basiskompetenz Aktivitäts- und Handlungskompetenzen. Die dritte Basiskompetenz, die fachlich-methodische Kompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit, mit fachlichem und methodischem Wissen gut ausgerüstet, unlösbare Probleme kreativ bewältigen zu können. Unter sozial-kommunikativer Kompetenz wird schließlich die Fähigkeit verstanden, sich aus eigenem Antrieb mit anderen zusammen- und auseinanderzusetzen, kreativ zu kooperieren und zu kommunizieren.

Die vier Basiskompetenzen stellen den Ausgangspunkt für 64 Teilkompetenzen dar, die sowohl zur Formulierung von Anforderungen als auch zur Beschreibung von Fähigkeiten herangezogen werden können. Mithilfe des Kompetenzmodells kann anschließend eine Beschreibung und Bewertung der notwendigen Kompetenzen für die Anwendungsszenarien in den Bereichen der Montage, Instandhaltung und Intralogistik erfolgen. Heyse verweist allerdings auch auf die Komplexität der Grundkompetenzen, die in der Arbeitsrealität nur selten in reiner Form, sondern vielmehr in Mischformen zu finden seien (Heyse et al., 2010).

Das KODE-Kompetenzmodell wurde originär für Fach- und Führungskräfte entwickelt. Heyse und Erpenbeck (2007) empfehlen zur Anwendung ihres Kompetenzmodells die Auswahl von zehn bis 15 Kompetenzen – dem jeweiligen Betrachtungsbereich entsprechend.

3.3 Ausgewählte Kompetenzen

Angelehnt an die Empfehlung von Heyse und Erpenbeck 10 bis 15 Kompetenzen zur Nutzung des Kompetenzmodells auszuwählen, wurden aus den 64 KODE-Kompetenzen elf Kompetenzen ausgewählt, die – aus den Arbeitsprofilen abgeleitet (vgl. ◘ Abb. 2.2, 2.3 und 2.4) – für Mitarbeitende auf dem Shop-Floor in den drei Tätigkeitsbereichen relevant sein könnten: Selbstmanagement, Offenheit für Veränderung, Ganzheitliches Denken, Lernbereitschaft, Ergebnisorientiertes Handeln, Initiative, Entscheidungsfähigkeit, Organisationsfähigkeit, Analytische Fähigkeit, Teamfähigkeit und Problemlösungsfähigkeit.

Um die Kompetenzprofile für die Berufsgruppen in Montage, Intralogistik und Instandhaltung zu entwickeln und den Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 gerecht zu werden, wurde im nächsten Schritt des Forschungsprojekts eine Befragung von Expert*innen durchgeführt. Dazu fand eine explorative Untersuchung in Form von leitfadengestützten Interviews statt. Angelehnt an die Definitionen und Operationalisierungen der elf oben genannten Kompetenzen des KODE-Modells, beleuchten diese Interviews aus Sicht von Arbeitswissenschaft und psychologie sowie der Industriepraxis, welche Kompetenzanforderungen auf der Shopfloor-Ebene in den relevanten Berufsgruppen durch die Digitalisierung der Prozesse zu erwarten sind. Die Interviews wurden transkribiert und anschließend mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. Die Auswertung ergab, dass folgende Kompetenzen nach Einschätzung der Expert*innen für die untersuchte Zielgruppe am wichtigsten sind:

  • Lernbereitschaft,

  • Offenheit für Veränderungen,

  • Teamfähigkeit und

  • Problemlösungsfähigkeit.

Diese Ergebnisse decken sich zum Teil mit den Ergebnissen vorheriger Studien (vgl. ◘ Tab. 2.1). Weitere Kompetenzen, welche die Expert*innen für die Industrie 4.0 als relevant erachten, sind Initiative, Organisationsfähigkeit und Ganzheitliches Denken gemäß den Definitionen des KODE- Modells.

3.4 Überprüfung der ausgewählten Kompetenzen

Um die erforderlichen Kompetenzen weiter zu überprüfen, wurde die Untersuchung auf der Fertigungsebene in einer Industrie 4.0-Umgebung durchgeführt. So wurde es möglich, Erfolgsfaktoren im Hinblick auf die Selbstorganisationskompetenzen empirisch zu beobachten. Aufgrund noch weitgehend fehlender digitalisierter Prozesse in den Praxisunternehmen wurden in der Demofabrik Aachen, die in Montage, Instandhaltung und Intralogistik jeweils relevanten Kompetenzen auf der Fertigungsebene anhand eines multimodalen Designs empirisch erhoben (vgl. ◘ Abb. 2.5).

Abb. 2.5
figure 5

Multimodales Verfahren zur Erhebung der Kompetenzanforderungen auf der Fertigungsebene (eigene Darstellung)

Die Datenerhebung erfolgte mithilfe von Fremdeinschätzung mittels Videoaufzeichnung und Beobachtung, Selbsteinschätzung anhand eines standardisierten Fragebogens und eines Interviews. Dabei bildeten die Videoaufzeichnungen eine objektive Grundlage für die Feststellung von Kompetenzentwicklung im Prozess der Aufgabenerledigung. Selbsteinschätzungen und Angaben im Interview sind durch die Befragten dagegen relativ leicht zu verfälschen (vgl. Reining et al., 2019). Bei der Auswertung der Selbsteinschätzungen gab es Hinweise auf sozial erwünschte Antworten.

Für das Projekt wurden in der Demofabrik drei Arbeitsstationen eingerichtet, die eine repräsentative Aufgabe jeweils für Montage, Intralogistik und Instandhaltung stellten. An jeder Station musste eine Anforderung mit unterschiedlichen digitalen Assistenzsystemen gelöst werden. Die elf Probanden (alle männlich) waren Facharbeiter und angelernte Mitarbeiter, die in einem der drei genannten Bereiche tätig sind. Allerdings durchliefen alle Probanden alle drei Stationen, mussten sich also teilweise mit ihnen eher fremden Anforderungen auseinandersetzen. Es gab keine Zeitvorgaben, sodass die beanspruchte Zeit bis zur vollständigen Erledigung der Aufgabe je nach Station zwischen 15 und 45 Minuten betrug. Die Probanden wurden dabei an jeder Station gefilmt. Zwei Beobachtende waren an den Arbeitsstationen präsent und protokollierten ihre Wahrnehmungen, die sie in die spätere Videoanalyse einbezogen. Nachdem der Aufgabenparcours durchlaufen war, erfolgte die Selbsteinschätzung bzgl. der Aufgabenerledigung mithilfe eines Fragebogens. Abschließend wurde mit allen Probanden ein teilstandardisiertes Interview durchgeführt, verschriftlicht und inhaltsanalytisch ausgewertet (vgl. Mayring, 2015). – Aufgrund der Corona-Pandemie waren die Erhebungsbedingungen deutlich erschwert. Zum einen durften sich nur wenige Probanden gleichzeitig in den Räumlichkeiten der Demofabrik aufhalten. Zum anderen schränkten die Unternehmen, z. B. aufgrund von Kurzarbeit, die Anzahl der in die Studie einbezogenen Mitarbeitenden ein.

An der ersten Station wurde eine Aufgabe in der Montage nachgebildet. Die Probanden sollten einen Mini-Computer zusammenbauen – ohne vorherige Einweisung, aber unterstützt durch Augmented Reality Technologie. Kameras nahmen die Montagefläche auf und zeigten die AR-geführten Montageschritte auf einem Monitor an. Jeder Schritt wurde durch die Augmented Reality Technologie automatisch protokolliert und die Produktivität in Echtzeit gemessen. Die Herausforderung bestand darin, die Bildschirme zu bedienen, den Anweisungen bei der Montage zu folgen und bei widersprüchlichen Anweisungen (Baugruppen wurden vorab gezielt vertauscht) eine Problemlösung zu finden.

Der zweite Demonstrator stellte eine Aufgabe in der Instandhaltung dar. Mithilfe einer Anleitung per Video sollte eine mobile Schweißanlage durch den Austausch eines Kupfer-Schweißdraht-Rohlings instandgesetzt werden. Zunächst musste ein QR-Code gescannt werden, der die Anleitung auf einem Tablet Computer öffnete. Die Probanden sollten dieser Anleitung unter Berücksichtigung von Hinweisen im Video Schritt für Schritt folgen. Hier wurde die Bedienung des Tablets, das Befolgen der Anweisungen und die Berücksichtigung der Hinweise analysiert, um auf benötigte Kompetenzen zu schließen.

Der dritte Demonstrator simulierte eine Warenkommissionierung in der Intralogistik. Dabei mussten mittels Pick-by-Voice-Technologie Einzelteile entnommen werden, die zur Produktion benötigt werden. Die Probanden erhielten dazu eine sog. Sprachweste, über die sie Kommissionier-Anweisungen erhielten und diese über das integrierte Mikrofon bestätigen sollten. Im Fokus standen hier die Bedienung der Sprachweste, speziell das Verständnis der Logik des digital (hier auditiv) unterstützten Prozessablaufs und die Bestätigung der ausgeführten Tätigkeit durch Sprachbefehle.

Alle Aufgaben mussten individuell, praktisch und ohne Unterstützung von anderen erledigt werden. Zur Prozessanalyse konnte deshalb kein bereits eingeführtes Beobachtungsinstrument angewendet werden. Allerdings konnte die Systematik der Kodierung des act4learning-Instruments im Ansatz genutzt werden (Reining et al., 2019). Das Videomaterial wurde mithilfe eines aus dem KODE-Kompetenzmodell abgeleiteten Kodiersystems analysiert. Die enthaltenen Kompetenzen sind im KODE KompetenzAtlas definiert, operationalisiert und können so beobachtet werden (vgl. Heyse & Erpenbeck, 2007). Folgende Kompetenzen wurden aufgrund der vorausgehenden Untersuchungsschritte im Rahmen der Arbeitsstationen in den Blick genommen: Lernbereitschaft, Offenheit für Veränderungen, Problemlösungsfähigkeit, Initiative und Organisationsfähigkeit. Die Teamfähigkeit und Ganzheitliches Denken konnten aufgrund des Aufbaus der Demonstratoren in der Untersuchung nicht berücksichtigt werden. Am Beispiel Problemlösungsfähigkeit soll das angewendete Kodiersystem dargestellt werden (vgl. ◘ Tab. 2.3).

Tab. 2.3 Angewendetes Kodiersystem am Beispiel Problemlösungsfähigkeit an der Montagestation

Eine zentrale Kompetenz zur Lösung der Aufgaben an den Demonstratoren stellt die Problemlösungsfähigkeit dar. Es war zu beobachten, dass unterschiedliche Problemlösungsansätze wie beispielsweise Nachfragen oder wiederholtes Zurückspulen der Montageanweisungen angewendet wurden, aber jeweils zum Ziel führten. Allerdings stellte sich aufgrund der Videoanalyse die Frage, inwieweit die Problemlösungskompetenz von der KODE-Kompetenz Analytische Fähigkeiten abgegrenzt werden kann. Ein Beispiel dafür, dass die 64 Unterkompetenzen in der Praxis kaum in Reinform vorzufinden sind (Heyse et al., 2010). Analytische Fähigkeiten war eine der elf ursprünglich ausgewählten Kompetenzen, die aber von den Expert*innen als weniger relevant eingestuft wurde. Betrachtet man nun die Auswertungen auf der Shopfloor-Ebene, kann diese Kompetenz ergänzend zur Problemlösungsfähigkeit als relevant erachtet werden.

Als Ergebnis ist auch festzuhalten, dass die Offenheit für Veränderung eine weitere zentrale Kompetenz darstellt. Dies wurde sowohl in der Demofabrik als auch in der Auswertung der Selbsteinschätzung festgestellt. Einschränkend muss angemerkt werden, dass die Auswahl der Probanden nicht zufallsgeneriert war, sondern der jeweiligen Führungskraft aus den Anwenderunternehmen oblag und somit nicht auszuschließen ist, dass Mitarbeitende, die besonders offen für Experimente sind, bereits von den Anwenderunternehmen angesprochen wurden. Die Teilnehmenden wussten vorab aber nicht, welche Arbeitstätigkeiten sie ausführen sollten oder was von ihnen erwartet werden würde.

Entsprechend der Definition und Operationalisierung nach KODE, war bzgl. Lernbereitschaft anhand der Videoanalyse kein eindeutiges Ergebnis feststellbar. Lernbereitschaft steht laut KODE in engem Zusammenhang mit Offenheit für Neues und damit der Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Tätigkeitsanforderungen (Heyse & Erpenbeck, 2009). Lernbereitschaft ist erlern- und somit beeinfluss- sowie erweiterbar. Bei den Interviews gaben die Mitarbeitenden an, dass sie sich für die digitalen Assistenzsysteme eine sorgfältige Einweisung durch eine Person gewünscht hätten. Als herausfordernde Lernaufgabe betrachten die Probanden den Umgang mit neuen Maschinen und neuen Aufgaben. Sie gaben an, dass es für ihre Tätigkeit unerlässlich sei, sich aufgrund der Digitalisierung neue Dinge anzueignen, um möglichst arbeitsfähig zu bleiben. Hier spielt informelles Lernen eine zentrale Rolle (vgl. dazu Unger et al., ► Kap. 8).

In der Demofabrik wurde ergebnisorientiertes Handeln als weitere Kompetenz beobachtet. Ergebnisorientiertes Handeln setzt sowohl Handlungskompetenz als auch Fach- und Methodenkompetenz voraus (Heyse & Erpenbeck, 2009). Ergebnisorientiertes Handeln wurde von den befragten Expert*innen als weniger relevant eingestuft. Betrachtet man aber das Verhalten in der Demofabrik, wird diese Kompetenz ergänzend zu Initiative oder Tatkraft zur Lösung der Aufgaben von den Beobachtenden im Interview als relevant eingestuft.

Teamfähigkeit wird bei der Befragung der Mitarbeitenden als wichtig bewertet. In der aktuellen – noch wenig digitalisierten – Arbeitswelt in den Anwenderunternehmen des Forschungsprojekts sind die Shopfloor-Mitarbeitenden auf die Unterstützung von Kolleg*innen angewiesen. Sie arbeiten zum Teil im Team und tun dies auch gerne. Diese Kompetenz konnte aufgrund des Untersuchungsaufbaus in der Demofabrik aber nicht erhoben werden.

4 Implikationen für die Praxis und Ausblick

Führungskräfte in KMU wollen verstehen, wie sie ihre Unternehmen so gestalten können, dass sich diese mit der Digitalisierung weiterentwickeln und nachhaltig erfolgreich sein können. Über die Erkenntnisse zur Kompetenzentwicklung hinaus, konnte aus der Beobachtung und aus den Interviews mit den Mitarbeitenden auf der Fertigungsebene weitere Erkenntnisse abgeleitet werden. Diese betreffen insbesondere die organisationalen Bedingungen für die Einführung von Industrie 4.0-Technologien. Diese werden nachfolgend dargestellt:

Augmented Reality (AR): Der Einsatz digitaler Assistenzsysteme verlangt die Reflexion von Bedürfnissen der Zielgruppe. Im Fall von Augmented Reality-Systemen scheint es ratsam, deren Einführung mithilfe eines persönlichen, nicht digitalen Instruktors vorzunehmen. Er kann anhand eines Objekts die Arbeitsschritte AR-unterstützt demonstrieren (vormachen) und ist beim anschließenden Umsetzen durch die Übenden (nachmachen) bei Fragen ansprechbar. Das verschafft Sicherheit, fördert die Akzeptanz für die Technologie und sorgt für weniger Fehler bei der Anwendung von AR. Wenn kein persönlicher Instruktor eingesetzt wird, ist die Dialogfähigkeit des Systems besonders relevant, um zum Beispiel auf eine fehlerhafte Montage hinzuweisen und damit die Problemlösungsfähigkeit der Probanden zu unterstützen.

Video-Assistenz: Besonders eingängig scheinen Instruktionen per Video-Assistenz zu sein. Die Problemlösung wird im Zusammenhang vorgeführt, was die Nachvollziehbarkeit unterstützen dürfte und ähnliche Vorteile bietet wie das Vormachen durch eine Person. Zusätzlich ist es möglich, sich einzelne Schritte herauszugreifen und wiederholt vorführen zu lassen. Video wird von den Anwendenden auch dann präferiert, wenn visuelle und textliche Hinweise kombiniert werden. Touchscreens werden routiniert genutzt, auch wenn die Anwender keine Vorerfahrung mit diesen Geräten mitbrachten.

Sprach-Assistenz: Ein rein auf Sprache basierendes Unterstützungssystem verlangt, dass der Anwendende die jeweilige Sprache gut versteht. Solche Systeme stehen in einigen europäischen Sprachen zur Verfügung. An industriellen Standorten in Deutschland ist aber davon auszugehen, dass als gemeinsamer Nenner auch das System in deutscher Sprache kommuniziert – trotz sprachlich heterogener Belegschaften auf dem Shopfloor. Außerdem können die akustischen Voraussetzungen in der Fertigung gerade Nicht-Muttersprachlern das Verstehen der Systemkommunikation erschweren.

Analytisches Verständnis: Augmented Reality und Sprach-Assistenzen erfordern ein profundes analytisches Verständnis. Anwendende müssen zur erfolgreichen Nutzung in der Lage sein, sich durch Versuch und Irrtum Strukturen bzw. Muster des Maschinendialogs eigenständig zu erschließen.

Hilfreiche Erfahrung: Berufserfahrung scheint beim Umgang mit digitalen Assistenzsystemen von Vorteil zu sein. Ältere Mitarbeitende mit langjähriger Berufserfahrung können dabei mehr Selbstsicherheit und Ausdauer einbringen als Jüngere und durchaus offen für neue Technologien sein. Demgegenüber erwarten Jüngere schneller Unterstützung, wenn sie auf Probleme stoßen. Dies könnte auf ihre gemeinhin weisungsgebundenen Aufgaben und Angst vor Fehlern zurückzuführen sein.

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass die Kompetenzen Offenheit für Veränderung, Problemlösungsfähigkeit und Lernbereitschaft als die zentralen Kompetenzen für die Tätigkeitsbereiche Montage, Instandhaltung und Intralogistik betrachtet und daher auch gefördert werden sollten. Um lernförderliche Arbeitsbedingungen und die geforderten Kompetenzen 4.0 zu entwickeln, sind aber auch die optimalen organisationalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Zu den Rahmenbedingungen gehören die Organisationsstruktur, Arbeitsprozesse sowie Organisationskultur und Führung, die entweder förderlich oder hinderlich für die Entwicklung von Selbstorganisationskompetenzen sein können. Im Extremfall werden zwar die Einzelnen in ihrer Kompetenz zur Selbstorganisation gefördert, doch dies führt nicht zwangsläufig zu erhöhter Selbstorganisationskompetenz der Organisation. Wenn die Entwicklung von Selbstorganisationskompetenzen im Fokus steht, gibt es somit gute Gründe, den Blick vom individuellen Lernen in Organisationen zum kollektiven Lernen von Organisationen zu weiten. Für die Arbeitswelt 4.0 mit ihren auf Dauer hohen Lernanforderungen an Individuen und Unternehmen werden Selbstorganisationskompetenzen eine wichtige Ressource für das Bestehen im Wettbewerb sein. Denn das Lernen auf Vorrat scheint zukünftig kaum mehr möglich – weder auf individueller noch auf kollektiver Ebene. Komplexe Probleme brauchen zu ihrer Lösung Zusammenarbeit im Unternehmen, zunehmend sogar Kooperationen über Unternehmensgrenzen hinweg – nicht zuletzt zwischen KMU.

Förderhinweis

Die vorliegende Arbeit ist Teil des Projektes ESKODIA (FKZ: 02L17C030). Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt ESKODIA wird im Rahmen des Programms „Zukunft der Arbeit“ unter dem Dachprogramm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.