Mit der kulturellen Aufwertung der Volkssprachen in der Frühen Neuzeit geht allgemein auch eine Internationalisierung der europäischen Übersetzungskultur einher, die sich zunehmend vom altsprachlichen Kanon löst. Die Zahl deutschsprachiger Drucke steigt signifikant, zugleich beginnt das Englische sich als Weltsprache zu etablieren. Die damit verbundenen komplexen Austauschprozesse sind gerade für die deutsch-englischen Kulturkontakte des 16. und 17. Jahrhunderts vor diesem Hintergrund nur unzureichend beschrieben. Wie intensiv sich die Auseinandersetzung mit England gestalten konnte, erhellt auf exemplarische Weise Andreas Gryphius, dessen Wahrnehmung englischsprachiger Literatur sich auf unterschiedlichste Bereiche erstreckt: In den beiden Fassungen des Carolus Stuardus (1657/1663) gestaltet er die zeitgenössischen politischen und konfessionellen Konflikte auf der Insel für die Bühne. Die Inszenierung der Protagonisten seiner Märtyrerdramen – etwa in Catharina von Georgien (1657) – fügt sich in eine Kultur des Martyriums ein, die John Foxes Book of Martyrs (engl. 1563 ff.) Wesentliches verdankt. Das Theater der englischen Wanderbühnen wiederum beeinflusste seine Komödie Peter Squentz maßgeblich und hat in der Forschung zu einer intensiven Auseinandersetzung um die etwaige Kenntnis der Werke Shakespeares geführt. Auch im Bereich der religiösen Gebrauchsliteratur betätigt Gryphius sich als Vermittler, wenn er Richard Bakers Meditations and Disquisitions upon the Lords Prayer (1637) auf der Basis einer niederländischen Übersetzung der deutschsprachigen Leserschaft näherbringt. Die beiden Sonette Auff den Todt deß Herzogs von Buckingam und Auff den Einzug der Durchleuchtigsten Mariae Henriettae In Angiers zeigen ihn als zeitgenössischen Beobachter der englischen Geschichte. Schließlich blieben auch die Forschungen englischer Naturwissenschaftler, zum Beispiel die Entdeckung des Blutkreislaufs durch William Harvey, nicht ohne Folgen für das Menschen- und Weltbild des Schlesiers. Von derartigen, zunächst auf Gryphius bezogenen Befunden kann eine umfassendere Sichtung englisch-deutscher Kulturtransfers unternommen werden, die gleichermaßen die Felder der Politik, der Religion, der Wissenschaft und der künstlerischen Produktion in den Blick nimmt. Dabei lassen sich sowohl im thematischen Bereich als auch von den Akteuren ausgehend Schwerpunkte setzen.

FormalPara Themen

Die Erkundung reziproker englisch-deutscher Kulturtransfers berührt nicht nur unterschiedliche historische Handlungsfelder, sie eröffnet zugleich eine Vielzahl von Fragestellungen, die hier nur angedeutet werden kann: Wie und in welchen Sprachen erreichten die Nachrichten über den Dreißigjährigen Krieg Britannien – 1639 wird in London etwa Henry Glapthornes Tragedy of Albertus Wallenstein über die Ermordung Wallensteins uraufgeführt –; wie und über welche Sprachen vermittelt wird die Revolution Cromwells im Heiligen Römischen Reich rezipiert? Spielt jene auf Europa bezogene Wahrnehmung kontinentaler Einheit, die sich in deutschen historiographischen Schriften wie dem Theatrum Europaeum (1633 ff.) seit dem 17. Jahrhundert manifestiert, auch im frühneuzeitlichen England eine Rolle? Auf welchen Wegen und mittels welcher Netzwerke haben reformatorische Ideen und Schriften aus Deutschland die britische Insel erreicht? Welche Bedeutung kommt umgekehrt der Rezeption englischer Erbauungsliteratur (z. B. John Bunyans The Pilgrim’s Progress [1678/1684], das bereits kurz nach dem Erscheinen des zweiten Bandes der englischen Ausgabe in deutscher Übersetzung vorlag) für die religiöse Entwicklung insbesondere innerhalb der protestantischen Konfessionen zu? Wie und wann gelangen die Schriften von Francis Bacon oder Thomas Hobbes in den deutschsprachigen Raum? Welcher Status wird dem Lateinischen als der lange dominierenden Wissenschaftssprache seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugewiesen, bzw. wie verändern sich die Geltung und der Gebrauch der Vernakularsprachen vor dem Hintergrund des Aufstiegs der durch enge internationale Vernetzung gekennzeichneten europäischen Akademiebewegung, und welche Folgen ergeben sich daraus für die gelehrte Übersetzungskultur, wenn man aus germanistischer Perspektive etwa an die rege Übersetzungstätigkeit der Fruchtbringenden Gesellschaft denkt? Auf welchen Wegen und Umwegen gelangen literarische Werke in den englischen bzw. deutschen Sprachraum: Während beispielsweise die Historia von D. Johann Fausten (1587) unmittelbar aus dem Deutschen ins Englische übersetzt wurde und so Christopher Marlowe als Vorlage für seine bereits 1589 erfolgte Dramatisierung des Stoffs zur Verfügung stand, gelangte Philip Sidneys Arcadia (1580) als ‚Übersetzung aus zweiter Hand‘ über die Intermediärsprache Französisch in den deutschen Buchhandel.

FormalPara Akteure

Kulturelle Transferprozesse und die damit verbundenen Praktiken der Übersetzung können institutionell gefördert werden, sie verdanken sich jedoch auch und bisweilen vor allem jenen Akteuren, die historisch als kulturelle Vermittler in Erscheinung traten: Dies gilt bereits für die Phase der frühen Reformation, während der vom deutschsprachigen Raum wesentliche Impulse für die weitere Entwicklung der englischen Kirche ausgingen: So verwendet William Tyndale für seine der King James Bible als Vorlage dienende Übertragung der Heiligen Schrift ins Englische auch Martin Luthers Bibelübersetzung und lässt in Köln und Worms drucken, um die englische Bibel von dort aus in sein Mutterland einzuführen.

Auch später ist von einer intensiven deutsch-englischen Interaktion auszugehen, die primär durch die Übersetzungsleistungen unterschiedlicher Akteure ermöglicht wurde. Wie agierten beispielsweise Autoren und Übersetzer publizistischer Medien im späten 16. und im 17. Jahrhundert, um politische und religiöse Pamphlete in der jeweils anderen Sprache zugänglich zu machen? Welche Rolle kommt den Glaubensflüchtlingen und politisch Exilierten (Puritaner, Katholiken, Jakobiten) oder auch Übersetzerinnen als Protagonisten deutsch-englischer Übersetzungskultur zu? Daneben gilt es auch, die übersetzungsgeschichtliche Bedeutung der Handelsbeziehungen (z. B. Hanse, Fugger, Aufstieg der ‚Merchant empires‘) und der Höfe (z. B. Heiratsbeziehungen; Grand Tour deutscher und englischer Adelssöhne) zu bestimmen. Außerdem bilden Künstler und Gelehrte eine wichtige Gruppe kultureller Mittler. So findet sich mit Hans Holbein d. J. bereits im 16. Jahrhundert einer der epochalen Künstler der Reformationszeit am englischen Hof (vgl. The Ambassadors, 1533), während sich am Hofe Rudolfs II. der englische Alchimist John Dee aufhält. Auch im 17. Jahrhundert kommt es wiederholt zu deutsch-englischen Kulturbegegnungen: Matthäus Merian d. J. oder Joachim Sandrart unternehmen Reisen nach England, Georg Rodolf Weckherlin verbringt gar seine zweite Lebenshälfte in London. Neben den reisenden Künstlern erscheinen zudem die deutsch-englischen Gelehrtennetzwerke als ein wesentlicher Faktor transkultureller Kommunikation. In welchen Sprachen kommunizierten die Akademiker, und auf welche Übersetzungen griffen sie zurück bzw. in welchem Ausmaß waren sie gar selbst von der Wichtigkeit des Übersetzens überzeugt, wie etwa der hessische Arzt und Astronom Daniel Mögling, der Sydneys Arcadia ins Deutsche übersetzte? Und schließlich verdienen auch jene Autoren Aufmerksamkeit, denen wir die bislang unzureichend erforschte grammatische und lexikographische Anleitungsliteratur verdanken, etwa Georg König, dessen Kurtzer Wegweiser/Zur Erlernung der Englischen Sprache 1699 in Hamburg verlegt wurde. Ganz grundsätzlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Rolle von Sprachlehrbüchern im Kontext sprachlicher Normierungsprozesse und der noch zu erforschenden Herausbildung von Sprachschulen des Deutschen in England und des Englischen im deutschsprachigen Raum. Es sind die hier eröffneten Fragehorizonte, die im vorliegenden Band anhand der drei Sektionen ‚Übersetzungspraktiken und -reflexionen‘, ‚Gattungen, Medien und Künste‘ sowie ‚Wissensfelder und Kulturen‘ exemplarisch vermessen werden sollen. Auch wenn die deutsch-englische Übersetzungskultur der Frühen Neuzeit grundsätzlich als ein reziprokes Phänomen zu gelten hat, haben wir uns – ungeachtet der grundsätzlich interdisziplinären Anlage des Bandes – für eine germanistische Schwerpunktsetzung entschieden, um eine fundierte Grundlage zu erarbeiten, die für (anglistische) Anschlussforschungen tragfähig ist.

FormalPara Sektion 1: Übersetzungspraktiken und -reflexionen

Im Zentrum des Beitrags von MISIA SOPHIA DOMS steht der erstmals 1699 in Hamburg erschienene Kurtze Wegweiser zur Erlernung der Englischen Sprache, der mehrere Auflagen erlebte und noch 1713 in einer stark erweiterten und überarbeiteten Fassung publiziert wurde. Auf Überlegungen zum Autor, dessen Identität vorerst ungeklärt bleibt, zu den Adressaten und zum Aufbau des Werks folgt die Analyse der insbesondere in der ersten Auflage umfangreichen Musterdialoge. Neben grundlegenden Hinweisen zur konkreten Gestaltung und zum Gattungskontext dieser Modellgespräche bietet die Verfasserin Untersuchungen zu ausgewählten ‚Mikrodialogen‘, die sie vor dem Hintergrund der Intention des Sprachlehrbuchs reflektiert. In ihrer exemplarisch angelegten Studie plädiert Misia Sophia Doms für eine nicht nur linguistische und kulturhistorische, sondern auch literaturwissenschaftliche Befassung mit mehrsprachigen Musterdialogen als einer Gattung sui generis, die auch Raum für die Behandlung literarischer Fragestellungen bietet.

Grundsätzlichen Überlegungen zur Übertragung aus dem Englischen widmet sich ANDREAS KELLERs Untersuchung, die auf den Einfluss theologischer, ökonomischer, diplomatischer und alchemistischer Bildbereiche auf die Übersetzungspraxis hinweist. Übersetzen kann so als Transferieren von Waren, als juristisches Aushandeln und Vergleichen, als Läuterung und Verlebendigung im alchemistischen Sinne, aber auch als interkonfessionelle und irenische Praxis verstanden werden. Keller zeigt am Beispiel namhafter Übersetzungen der Erbauungsliteratur von Joseph Hall, wie sehr die englische Meditationsliteratur lebhafte Kontroverse an Stelle von weltabgewandter Innerlichkeit propagierte, so dass die englische Parlamentsrede in ihrer Bedeutung selbst für die Erbauungsliteratur kenntlich wird. Das Fehlen parlamentarischer Kontroversen kann so als wesentliches Defizit im deutschsprachigen Raum benannt werden.

Am Beispiel des in Vergessenheit geratenen Opitz-Schülers Christoph Köler (Colerus) gibt TOMASZ JABŁECKI einen exemplarischen Einblick in die Übersetzungspraxis englischer Erbauungsliteratur. Köler übersetzt 1632 Heaven upon Earth von Joseph Hall auf der Basis der lateinischen Übertragung des reformierten niederländischen Pfarrers Everhardus Schuttenius. Weder konnte sich Christoph Köler mit seinem Breslauer Verleger David Müller über die Widmung der Übersetzung einigen noch gelang es ihm, das ihm zustehende Übersetzerhonorar zu erhalten; es wurde ihm schließlich auf Vermittlung von Opitz ausbezahlt. Tomasz Jabłecki zeigt abschließend anhand von Kölers Intermediärübersetzung, wie sehr das Englische insbesondere im Bereich der Erbauungsliteratur als Nationalsprache an Prestige gewann.

ERICH POPPE legt in seinem Beitrag eine ausführliche Untersuchung der Übersetzungsstrategien von John Bunyans Pilgrim’s Progress ins Kymrische (auch als Walisisch bezeichnet) vor. Die Übersetzer Stephen Hughes und Thomas Jones, die 1688 und 1699 Übertragungen ins Kymrische veröffentlichten, verfügten über einen Mitarbeiterstab von drei Personen und orientierten sich am gesprochenen Walisisch (wie Hughes) oder bewarben ihre Übersetzung mit dem Erfolg der bereits vorhergehenden kymrischen Auflage (wie Jones). Insbesondere Hughes gelingt es, die kymrische Ausgabe neben dem englischen Original im Kanon der lesenden walisischen Bevölkerung fest zu etablieren, so dass seine bahnbrechende Übersetzung bis ins 20. Jahrhundert vielfach aufgelegt wurde.

Der erste Teil des Beitrags von HEINZ EICKMANS widmet sich dem Zustandekommen der frühen, bis zum Ende des 17. Jahrhunderts erschienenen deutschen Übersetzungen der Werke John Bunyans, insbesondere seines Hauptwerks The Pilgrim’s Progress (1678, dt. Eines Christen Reise nach der Seeligen Ewigkeit 1685). Anhand ausgewählter Textbeispiele wird gezeigt, dass diese Übersetzung – wie auch alle anderen frühen Übersetzungen der Werke Bunyans – nicht auf dem englischen Original, sondern auf der niederländischen Übersetzung basiert. Der zweite Teil des Beitrags geht zunächst allgemein dem Anteil indirekter Übersetzungen in der frühen Neuzeit nach und untersucht im Folgenden die Bedeutung des Niederländischen, das als Intermediärsprache im Bereich der englischen Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts die erste Stelle einnimmt.

SOFIA DERERs Beitrag richtet das Augenmerk auf die Rezeption englischer Erbauungsliteratur im Straßburg des 17. Jahrhunderts. Der Straßburger Präses des lutherischen Kirchenkonvents Johannes Schmidt förderte die Lektüre englischer Autoren wie Lewis Bayly, Joseph Hall und Robert Parson vor allem für den Hausgebrauch. Dies geschah angesichts des als göttliches Strafgericht empfundenen Dreißigjährigen Krieges zur Intensivierung eines gottgefälligen Lebens in Nächstenliebe. Derer zeigt unter Rückgriff auf die Übersetzungstheorie des Kulturwissenschaftlers Itamar Even-Zohar auf, wie auf verschiedenen Ebenen die Straßburger Reformorthodoxie die englische Gebrauchsliteratur in die lutherische Kirchenlehre integrierte. Dies gilt auch für das Erbauungsbuch Insomnis Cura Parentum von Moscherosch, der sich in diesem Werk nicht nur als im Sinne der Reformorthodoxie vorbildlicher Lutheraner inszeniert, sondern auch intensiv Elizabeth Jocelyns The Mothers Legacy to her Vnborne Childe zitiert und so weibliche Autorschaft in die männlich dominierte Gattung der Erbauungsliteratur integriert.

Der Beitrag von NICOLA KAMINSKI unternimmt einen bedeutungsgeschichtlichen ‚Spaziergang‘, der von der Varianz früher deutscher Übersetzungen für den seit 1709 erscheinenden Tatler ausgeht: ›Der Plauderer‹ steht einer Übertragung als ›Der Tadler‹ gegenüber. Untersucht werden in zwei synchronen Schnitten 1716/17 und 1725/26 Wörterbucheinträge sowie literaturkritische Zusammenhänge, in denen auf den Tatler Bezug genommen wird. Die wiederholte semantische und performative Verschränkung zwischen Tadeln und verbalem Exzess legt es für Kaminski nahe, die frühe Wortgeschichte von ›Tadel‹ bzw. ›tadeln‹ zu ergründen. Aufschlussreich ist dabei, dass der Teutsche Sprachschatz von 1691 ›tadeln‹ in seiner Grundbedeutung als intensiviertes ›talen‹ (›Worte machen‹) bestimmt. Vor diesem Hintergrund stellen Titelwahl und publizistischer Auftritt der Vernünftigen Tadlerinnen 1725/26 sich als den semantischen und performativen Spielraum ausschöpfende ›Übersetzung‹ von The Tatler dar, die sich einer normativen Beurteilung im Sinne von ›Tadel‹ zugunsten sprachlicher Inszenierung entzieht.

FormalPara Sektion 2: Gattungen, Medien und Künste

Der Beitrag Autorschaft und Übersetzen: Gryphius’ Cardenio und Celinde im Verhältnis zu einem verlorenen Drama Shakespeares von ROMAIN JOBEZ analysiert kulturelle Austauschprozesse im frühneuzeitlichen Europa am Beispiel der Zirkulation des Cardenio und Celinde-Stoffes, dessen Ur-Text sich im Don Quijote von Cervantes finden lässt. Unter Bezugnahme auf Roger Chartiers Monographie Cardenio entre Cervantès et Shakespeare. Histoire d’une pièce perdue kann eine Gleichzeitigkeit der Rezeption verschiedener Quellen – von Montalbán über Middleton bis hin zu Rodenburgh – über ein halbes Jahrhundert hinweg angenommen werden, so dass weniger die Übersetzung eines Textes sich als entscheidend erweist, sondern vielmehr für eine Transtextualität im Sinne Gérard Genettes plädiert wird. In diesem Sinne lassen sich, so Romain Jobez, auch die Quellenverweise von Gryphius für sein Drama lesen.

JOHN GUTHRIEs Untersuchung skizziert zunächst die Faszination Bodmers für Milton und die Gründe für Bodmers Übersetzungsvorhaben von Paradise Lost, eine Übertragung, die als Meilenstein in der deutschen Übersetzungsgeschichte des 18. Jahrhunderts bezeichnet werden kann, in den Auseinandersetzungen zwischen Leipzig und Zürich jedoch in den Hintergrund trat. Guthrie hebt die Sprachkraft Miltons im Bereich der Naturbeschreibungen und die Verbindung von Naturdarstellungen mit dem Erhabenen hervor, die Bodmer bis hin zur Identifikation mit Milton und seinen Charakteren ergriffen habe. Daran anknüpfend werden die Gründe für eine Prosaübersetzung Bodmers erörtert, wobei im Gegensatz zu vorhergehenden Forschungsansätzen mehr die Übersetzungstreue denn die Unterschiede zwischen Original und Übertragung hervorgehoben werden. In der abschließenden Abwägung der von Bodmer zu bewältigenden Schwierigkeiten und der Vorteile seiner Übersetzung stützt sich Guthries Beitrag auf Ansätze der ‚Translation Studies‘.

Die erste deutsche Übersetzung von Paradise Lost, die von Theodor Haak begonnen und von Ernst Gottlieb von Berg zunächst überarbeitet und dann abgeschlossen wurde, um sie 1682 zu publizieren, steht im Mittelpunkt des Beitrags von SONJA KLIMEK und KILIAN SCHINDLER. Nach einer sozialen, politischen und religiösen Kontextualisierung der beiden Übersetzer Haak und Berg analysieren Klimek und Schindler linguistische, politische und metrische Übertragungsvorgänge – nicht nur im Abgleich von Miltons Original zu Haaks Übertragung, sondern auch in den Revisionen der Haakschen Fassung durch Berg. Berg, so die These von Klimek und Schindler, habe die republikanische Ausrichtung der Haakschen Übersetzung zugunsten einer ästhetischen und religiösen Interpretation zurückgenommen, ein Deutungsansatz, wie ihn schließlich auch Johann Jakob Bodmer in seiner Prosaübersetzung (1732) betonte. Bergs Ausgabe ist bemerkenswerterweise das erste deutschsprachige Werk in Blankversen. Schindler und Klimek heben abschließend hervor, wie sehr Haak die poetischen Freiheiten Miltons nachzubilden versuchte, wohingegen Bergs Übersetzung im Sinne Opitzscher Regelpoetik verfahre.

Die visionären Schriften der englischen Mystikerin Jane Leade und deren textgetreue Übersetzungen durch den Nürnberger Loth Fischer aus dem Umkreis eines missionarischen, radikalen Pietismus stehen im Mittelpunkt des Beitrags von JOANA VAN DE LÖCHT. Leades The heavenly cloude now breaking hatte Fischer 1694 unter Beibehaltung größtmöglicher Texttreue (bis in die Satzzeichensetzung) deutschsprachig in Amsterdam als Die Nun brechende und sich zertheilende Himmlische Wolcke veröffentlicht. Übersetzen meint im mystischen Kontext auch eine von göttlicher Inspiration geleitete Tätigkeit, wobei van de Löcht für das englische ‚translation‘ einen nach dem Tod erfolgenden Aufstieg in den Himmel als biblische Bedeutung hervorheben kann. Leade, die zweifellos von Böhme beeinflusst war, fungiert als Medium, das die göttliche Botschaft in englische Sprache übersetzt und verschriftlicht, die wiederum von Loth Fischer ins Deutsche übertragen wird. Übersetzung wird im visionären Schrifttum demnach zu einer Praxis von gleichermaßen grundlegender und vielschichtiger Bedeutung.

Anhand relevanter europäischer Übersetzungen und Adaptionen des in drei Teilen erschienenen Berichts The Isle of Pines, or, A late Discovery of a Fourth Island in Terra Australia, Incognita (1668) von Henri Neville beschreibt und kontextualisiert THOMAS BORGSTEDT Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den verschiedenen Übertragungen, aber auch Unterschiede und Spezifika der verschiedenen hier interessierenden Rezeptionsspuren. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Frage, inwiefern Nevilles Publikation als Darstellung von Fakten oder aber als Fiktion wahrgenommen wurde, und auf der Art und Weise, wie die einzelnen Übertragungen mit den skandalträchtigen Ausführungen zur Vermehrung der Bewohner und Bewohnerinnen der Insel Pines umgegangen sind. Besonderen Raum nimmt schließlich die von dem Bericht über die Insel Pines inspirierte Darstellung des Einsiedlers Simplicissimus auf der Kreuzinsel in der Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen ein, die Borgstedt mit überzeugenden Argumenten als „Anti-Pine“ interpretiert.

Der panoramisch angelegte Beitrag von CHRISTINA STRUNCK will anhand ausgewählter Forschungsfelder, namentlich Reisebeschreibungen bzw. ‚Reisenarrativen‘, dem durch den englischen Hosenbandorden, zu dessen Mitgliedern auch Angehörige des deutschen regierenden Adels gehörten, begründeten Austausch, der Künstlermobilität, dem Transfer von Objekten wie Gemälde oder kunsthandwerklicher Artefakte sowie der Monumentalmalerei Gegenstandsbereiche kartieren, die interessante Fälle und Perspektiven für eine Befassung mit englisch-deutschen kunst- und architekturbezogenen Kulturkontakten bieten. Der zeitliche Fokus liegt auf dem Zeitraum 1660–1727, der bislang noch kaum durch einschlägige Forschungen untersucht wurde. Eine umfangreiche Bibliographie erleichtert den Einstieg in die von der Verfasserin erläuterten Forschungsfelder.

FormalPara Sektion 3: Wissensfelder und Kulturen

Der Beitrag von DIRK WERLE widmet sich einer der wenigen Übertragungen von Francis Bacons Werken ins Deutsche, nämlich der Übersetzung des erstmals 1597 in englischer Sprache erschienenen Essays durch Johann Wilhelm von Stubenberg. Die Genese der Übersetzung und hier insbesondere Fragen nach der Motivation des Vorhabens und nach der (lateinischen) Vorlage werden ebenso behandelt wie die als werkgetreu klassifizierte Übersetzungsweise Stubenbergs. Vor allem jedoch geht es Dirk Werle darum, den Kontext der Publikation, namentlich deren Verankerung im Netzwerk der Fruchtbringenden Gesellschaft, als deren Mitglied Stubenberg agierte, und die damit verbundenen „gruppenspezifischen Leseinteressen und Traditionsbildungen“ herauszustellen.

Im Zentrum des Beitrags von GABRIELE BALL stehen weniger Fragen des Verhältnisses zwischen Vorlage und Übersetzung, sondern vielmehr das Selbstverständnis der Übersetzerin als weiblicher Autorin sowie die Rahmenbedingungen, die die Genese von Margareta Maria von Buwinghausen und Walmerodes Übertragung von Joseph Halls Heaven upon Earth ermöglichten. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Briefwechsel zwischen der Übersetzerin und ihrem Mentor Johann Valentin Andreae und dem Beziehungsnetzwerk zur Fruchtbringenden Gesellschaft zu. Ball zeigt, wie selbstbewusst und zielorientiert sich die Übersetzerin die Programmatik der bedeutendsten deutschsprachigen literarischen Sozietät des 17. Jahrhunderts zu eigen macht und die Kontakte zu bedeutenden Mitgliedern der Gesellschaft für ihre publizistischen Zwecke nutzt.

MAXIMILIAN BERGENGRUEN fokussiert in seinem Beitrag den Gespenster-Auftritt in Carolus Stuardus unter dem Gesichtspunkt der Racheforderungen der Geister. Die bei Gryphius auf dem neuesten Stand theatraler Technik eingreifenden Gespenster haben ein ‚unfinished business‘ (Salman Rushdie) auf Erden und treten für die Rache am politischen Gegner ein. Unter Rückgriff auf die englische Publizistik (Milton, Eikon basilike) und den deutschen Strafrechtsdiskurs (Carpzov) beleuchtet Bergengruen, wie sich die Rechtspositionen von Royalisten und Independenten bei Gryphius letztlich gegenseitig aufheben, indem beide Parteien auf göttliches Recht verweisen und Rache fordern. Das in der Imitatio Christi eingeforderte Verzeihen wird zwar vom hingerichteten König vorgeführt, in der B-Fassung triumphiert jedoch die Rache der Royalisten an den Independenten über das Liebesgebot.

Der Gespenstererscheinung Maria Stuarts in Carolus Stuardus von Gryphius widmet sich CONRAD FISCHERs Beitrag. Fischer rekonstruiert nochmals detailliert die Quellenforschungen, die Gryphius in seinen Anmerkungen offenlegt, und hebt die Bedeutung einer quellenkritischen Geschichtsschreibung bei Camden gegenüber der älteren Historiographie zu Maria Stuart hervor. Dramengeschichtlich zeichnet Fischer Parallelen und Differenzen zwischen Vondels Maria Stuart-Trauerspiel und der Gespensterscheinung Marias bei Gryphius nach, wobei der Gespensterauftritt als geschichtsrevisionistischer Bühneneffekt deutlich wird. So kann der Geist Maria Stuarts bei Gryphius pointiert als Schwellenfigur zwischen Historia und Fabula gefasst werden.

Die Inselgeografie als zentrale Voraussetzung des politischen Geschehens in Carolus Stuardus von Andreas Gryphius betrachtet FRANZ FROMHOLZER in seinem Beitrag. In Analogie zur utopischen Literatur der Frühen Neuzeit ist es gerade der Inselstaat, der bei Gryphius Großbritannien als politisches Experimentierfeld erscheinen lasse, so Fromholzer. England, von König Karl als das ‚enge Land‘ bezeichnet, tendiert zu Krieg und sozialer Dynamisierung, wobei die vom stürmischen Meer umtoste Insel in ihren klimatischen und geologischen Gegebenheiten für die politischen Katastrophen von entscheidender Bedeutung ist.

Am Beispiel der historischen, nach ihrem frühen Tod vielfach literarisierten Figur der Algonkin-Häuptlingstochter Pocahontas untersucht STEPHAN KRAFT das auf die frühe europäische Kolonialisierung Nordamerikas bezogene Bildinventar. Er stellt die überragende Rolle der Verlegerfamilie de Bry heraus, deren Americae-Reihe die Wahrnehmung der Neuen Welt in kaum zu überschätzender Weise prägte, beleuchtet das Beziehungsgefüge zwischen den deutschen und englischen Visualisierungen der Inbesitznahme Virginias durch britische Siedler und insbesondere der Rolle der Algonkin und Pocahontas und vermag außerdem die Beeinflussung textueller Adaptionen des Stoffs durch graphische Vorbilder zu plausibilisieren. Zugleich zeichnet er jene ikonographischen Veränderungen nach, die aus den ursprünglich durchaus mit dokumentarischem Anspruch gestalteten Illustrationen zunehmend exotisierende und schließlich erotisierende Darstellungen werden ließen.

Die vorliegenden Beiträge gehen auf die vom 24. bis 26. September 2020 im Evangelischen Forum Annahof in Augsburg ausgerichtete DFG-Konferenz Engelländisch to and fro! Deutsch-englische Übersetzungskultur der Frühen Neuzeit zurück. Die Tagung wurde in Kooperation mit der Internationalen Andreas Gryphius-Gesellschaft (IAGG) veranstaltet. Die Organisatoren bedanken sich für die großzügige Unterstützung der Tagung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg sowie dem Evangelischen Forum Annahof, das die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Für die tatkräftige Unterstützung bei der redaktionellen Einrichtung des Bandes danken wir Sabine Schröder-Fartash, Sabine van Eeckhoutte und Bettina von Linde-Suden. Dem J.B. Metzler Verlag und Springer Link, namentlich Frau Grit Kern und Herrn Dr. Oliver Schütze, sowie dem DFG-Schwerpunktprogramm 2130 Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit, namentlich der wissenschaftlichen Koordinatorin Annkathrin Koppers, danken wir für professionelle Zusammenarbeit sowie die Aufnahme in die gleichnamige Publikationsreihe.