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Die Buchreihe Literatur und Recht beginnt mit der These, dass die Beziehungen zwischen diesen beiden großen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen mit der Aufteilung in die Aspekte Materialität, Komparativität und Konstitutivität systematisch dargestellt und umfassend bestimmt werden können. Die ersten drei Bände der Reihe, die sich jeweils intensiv mit einem der Begriffe auseinandersetzen, falten diese These aus und veranschaulichen sie mit Grundsatzüberlegungen, Fallstudien und weiterführenden Gedankengängen. Die hier folgende Einleitung stellt die Grundlagen dieser Dreiteilung dar. Entwickelt wurde diese als systematische Kartographie des interdisziplinären Feldes zwischen Literatur und Recht in einer Arbeitsgruppe an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, die sich seit 2008 in wechselnder Besetzung zusammengefunden hatte. Aus ihr entstand schließlich die Antragsinitiative für einen Sonderforschungsbereich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der im Juli 2019 als „SFB 1385 Recht und Literatur“ seine Arbeit aufgenommen hat. Die hier vorgestellte Dreiteilung des Beziehungsgefüges zwischen Recht und Literatur stellt auch die Grundstruktur des Sonderforschungsbereichs in der ersten Förderphase dar. An der Konzeption haben nicht nur die beiden Autoren dieser Einleitung mitgewirkt; sie ist Ergebnis längerer Überlegungen in der Arbeitsgruppe, die namentlich u. a. von Prof. Dr. Reinold Schmücker, Philosophisches Seminar, und Prof. Dr. Fabian Wittreck, Rechtswissenschaftliche Fakultät, mitgeprägt wurde.

In der weiteren Erkundung der Verbindungslinien zwischen Literatur und Recht ist zunächst die auf den ersten Blick so unauffällige Konjunktion ‚und‘ kritisch zu befragen. Von Seiten der Rechtswissenschaft ist die interdisziplinäre Verkoppelung nach diesem Modell inzwischen ein gut eingeführtes Format. Dies zeigt z. B. die Current Legal Issues-Reihe von Oxford University Press, in der 16 Bände nach dem Titelmuster „Law and X“ (Science, Literature, Medicine etc.) zwischen 1998 und 2014 erschienen sind. Die Literaturwissenschaft weist natürlich ähnliche interdisziplinäre Forschungsfelder auf, doch ist die analoge Systematisierung eher neueren Datums und findet sich beispielhaft in der Reihe Literature and Contemporary Thought bei Routledge verwirklicht (bisher sind 9 Bände erschienen, einschließlich Literature and Law). Dass die unmarkierte Konjunktion ‚und‘ in dieser Zusammenstellung sehr verschiedene Beziehungsvorstellungen ausdrückt, zeigen die sehr unterschiedlichen Herangehensweisen in den Bänden solcher Reihen, aber auch die Geschichte der Recht- und Literatur-Forschung sowie direkte Einlassungen zur Konjunktion selbst. Von philosophischer Seite wurde eine derartige interdisziplinäre Konstellation vorbildhaft in Arthur C. Dantos vielsagend tituliertem Aufsatz „Philosophy as/and/of Literature“ thematisiert, in dem er versucht, die Beziehungen zwischen Philosophie und Literatur anhand der unterschiedlichen Konjunktionen durchzudeklinieren (1984, 5–20). John O. Cole (1988) untersucht das Begriffspaar von ‚law and literature‘ aus juristischem Blickwinkel und versteht es als im weiteren Sinne eine Opposition zwischen Kunst und Wissenschaft, in der sich das Recht verorten muss:

Questions concerning the possible relation between law and literature, or, more broadly conceived, questions concerning the proper placement of law between the giant oppositions of Art and Science, are of great interest to those interested in a “kind of reflexive grasping” of the law and how it operates in our lives. (907)

In kinderbuchartiger Metaphorik steht dabei dem „Land Of And“ das „Land Of Or“ gegenüber. Während ersteres durch Multiperspektivität und die Akzeptanz von Kontingenz und ontologischer Unauflösbarkeit juristischer Problemlagen, wie an einem eingangs dargestellten Fall erläutert, gekennzeichnet ist, geht die für das „Land Of Or“ charakteristische Haltung davon aus, dass es eine für alle gültige Wirklichkeit und Wahrheit gibt, anhand derer unumstößlich zutreffende Urteile von wahr und falsch bzw. schuldig und nicht-schuldig zu treffen sind.

Eine weitere, einflussreiche Position vertritt Richard Weisberg (2011) als eine der Galionsfiguren des law and literature-movement in den USA, der das ‚und‘ spielerisch als Akronym in verschiedenen Sprachen liest, da die Verbindungsfunktion nicht nötig sei: „No conjunction is necessary, because the two disciplines are in fact one“ (179–280). Wenngleich in eine ähnliche Richtung argumentierend vertritt Barbara Villez (2011) emphatisch die Verbindungsfunktion des ‚und‘. Sie argumentiert gegen skeptische Stimmen, die sich wie Richard Posner für eine strikte Trennung der beiden Disziplinen aussprechen, dass Recht und Literatur wie einzelne Familienmitglieder als Teil einer Familie zu deren Identität beitragen, und die Familie sei hier die Nationalkultur:

Rather than tools through which to examine each other, they [law and literature] are a pair, two actors in the same project, two facets of one and the same object: a national culture. […] Here, law and literature participate in the construction of a national identity and at the same time are the products of the national culture. (210).

Gary Watt (2009) rät zur Vorsicht gegenüber zu starrer Klassifikation und tritt ein für interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem ‚Ethos des ‚und‘ („the ethos of ‚and‘“):

[A]ny stereotypical opposition between law and literature is always a false opposition that obstructs us from seeing the potential for law to be literature and for literature to be law. (17).

Mark Fortier (2019) wiederum betont mit Blick auf Weisberg und Watt nach einigem Räsonieren über den landläufigen und variablen Gebrauch der Konjunktion ‚und‘ die Eigenständigkeit der beiden Disziplinen:

Even if they [law and literature] are one thing, which is an idea important enough to be worth doubting, they aren’t simply a monad: they are a thing with parts and differences. An awareness of the differences, subtle and not so subtle, is a good thing. (15).

So unterschiedlich wie das Verständnis der Konjunktion ‚und‘ selbst bereits erscheint, sind auch dessen Ausfaltungen in spezifische Bezugsweisen im Sinne Dantos oben, die letztlich auch das Anliegen der hier folgenden drei Bände darstellen. ExemplarischFootnote 1 sei hier Binders und Weisbergs (2000) besonders einflussreiche Taxonomie in ihrem Standardwerk Literary Criticisms of Law herangezogen. Gleich eingangs referieren die beiden Autoren die weithin bekannte und praktizierte Unterscheidung in „law in literature“ und „law as literature“ (ix). In der anschließenden Untersuchung beschränken sie sich jedoch ausschließlich auf Letzteres. Der Grund ist naheliegend: Der Ansatz, der gemeinhin als ‚law in literature‘ firmiert, wird in der heutigen Forschung vielfach als überholt und einem naiven Literaturbegriff verpflichtet gesehen.Footnote 2 Wenngleich eine allzu einfache Verwertung („Morallektion“) (Lachenmaier 2008, 32) der als thematisch einschlägig erachteten (schönen) Literatur verständlicherweise kritisiert wird, folgt daraus allerdings nicht, dass die Behandlung von Recht in der Literatur – ebenso wenig wie diejenige von Literatur im Recht – als Forschungsgegenstand ignoriert und somit für das Rechts- und Literaturverständnis vernachlässigt werden darf. Die Geringschätzung der ‚law in literature‘-Perspektive ist also zwar forschungsgeschichtlich erklärlich; denn frühere Arbeiten entbehren in ihrer Fixierung auf inhaltliche Elemente oftmals jeglicher konzeptuellen Reflexion. Statt jedoch diesem Defizit abzuhelfen und der thematischen Ebene interdisziplinärer Forschung auch theoretisch Tribut zu zollen, verschwand mit dem Interesse an dem Recht in der Literatur auch das hochbedeutende umgekehrte Szenario etwas aus dem Blickfeld, nämlich ‚literature in law‘. Dieses wird, so die Einschätzung hier, in der gegenwärtigen Forschung weder per se ausreichend berücksichtigt noch in seiner Beziehung zu Recht in der Literatur bedacht. Der vorliegende erste Band mit dem Untertitel „Materialität“ spiegelt die Zielsetzung, diese eingeschränkte und folgenreiche Sicht auf ‚law in literature‘ zu überwinden und damit auch den Bereich des ‚literature in law‘ in den Blick zu holen. So wird ein hoch innovatives und relevantes Forschungsareal im Bereich der Recht-und-Literatur-Forschung (wieder) eröffnet, das zwar die genannte Vorgeschichte hat, in der hier avisierten Ausrichtung aber Neuland erschließt.

Auch der Ausdruck ‚law as literature‘ birgt Probleme, die sich im Wesentlichen auf die Mehrdeutigkeit von ‚as‘ zurückführen lassen: Gilt es das Recht auf Ähnlichkeiten hin zu befragen, die aus dem Vergleich seiner theoretischen und praktischen Äußerungen mit Erscheinungsformen der Literatur resultieren, oder lohnt sich der Blick auf die Literarizität von Recht vielmehr deshalb, weil sowohl Recht als auch Literatur auf gemeinsamen Fundamenten beruhen? Der Ausdruck selbst muss also im Hinblick auf Ähnlichkeitsrelationen differenziert werden, die sich aus der Untersuchung von Übereinstimmungen und Differenzen der jeweiligen Manifestationen von Recht und Literatur ergeben, aber auch im Hinblick auf Begründungsrelationen, die jenseits dieser Manifestationen ausgemacht werden können und müssen.

Die im Folgenden vorgestellte Strukturierung stellt die drei Beziehungsmodalitäten Materialität, Komparativität und Konstitutivität als gleichbedeutend nebeneinander. Dabei umfängt der Begriff ‚Materialität‘ das Gebiet, das gemeinhin als ‚law in literature‘ bezeichnet wird, berücksichtigt allerdings auch die umgekehrte Frage nach ‚literature in law‘. Der vorliegende Band stellt so Gemeinsamkeiten dieser beiden Perspektiven heraus und entwickelt insbesondere die Frage nach dem wechselseitigen ‚Gegenstandsein‘ von Recht und Literatur konzeptuell weiter. Mit dem Begriff ‚Komparativität‘ werden Recht und Literatur im Folgeband vergleichend nebeneinandergestellt, zudem aber auch die Vergleichskonzepte und Vergleichspraktiken der beiden Disziplinen analysiert. Der dritte Band zu Konstitutivität untersucht schließlich gemeinsame Grundlagen sowie Argumentationsfiguren, die zur Begründung eines wechselseitigen Verhältnisses von Recht und Literatur dienen. Er fragt zudem nach möglichen Kollisionen zwischen historischen, genealogischen sowie systematischen oder funktionalen Erklärungen von Geltung.

Die Arbeiten in den ersten beiden Bänden zu Materialität und Komparativität setzen im Sinne Fortiers und gegen Weisberg voraus, dass Recht und Literatur voneinander geschiedene Felder sind: Nur was als ein anderes begriffen wird, kann transferiert und zum Gegenstand gemacht werden; Vergleiche können nur zwischen Objekten angestellt werden, die als verschieden gedacht werden. Demgegenüber fragen die Beiträge im dritten Band unter dem Schlagwort ‚Konstitutivität‘ nach gemeinsamen Grundlagen und den daraus hergeleiteten Zielen oder Perspektiven von Recht und Literatur. Sie reflektieren kritisch dasjenige, was in der einschlägigen Forschung bereits als nah verwandt erscheint; sie fragen nach der spezifischen Funktion der jeweiligen Disziplin in derartigen Verwandtschaftsverhältnissen, indem sie sich auf einen spezifischeren Begriff von Literatur und Recht einlassen, als dies in der Recht-und-Literatur-Forschung gemeinhin geschieht, und sie erkunden neue Perspektiven in und auf die beiden Disziplinen, die sich daraus ergeben. Diese Beziehungsgefüge sollen nun zunächst genauer erläutert werden.

1 Materialität

Der erste Band mit dem Untertitel „Materialität“ beschäftigt sich mit Recht in der Literatur und Literatur im Recht. Er fragt nach den Bedingungen, Arten und Wirkungen von Prozessen, die aus Literatur einen Gegenstand des Rechts sowie aus Recht einen Gegenstand von Literatur machen. Eine Fülle grundlegender Probleme steht damit zur Diskussion, die sich im Wesentlichen auf zwei Fragestellungen zurückführen lassen. Erstens: Wie wird die Auswahl von Materien oder Gegenständen geleitet oder begrenzt? Und zweitens: Welche Transformationen erfahren diese Materien als Folge ihrer ‚Vergegenständlichung‘?

Sowohl Recht als auch Literatur stimmen darin überein, dass sie zunächst zur Wahl ihrer Materien eine theoretisch unbeschränkte Offenheit annehmen. So kann nach weit verbreiteter Ansicht schlichtweg alles zu einem Gegenstand des Rechts gemacht werden.Footnote 3 Und tatsächlich ist es ein Signum des modernen Gesetzgebungsstaates, dass er einen Rechtsbegriff voraussetzt, der eine geradezu unbegrenzte Zuständigkeit des Rechts behauptet: Recht kann nicht nur jeglichen Inhalt annehmen, sondern kraft seiner selbstreklamierten Allmacht auch jegliche Erscheinung in der Realwelt zum Gegenstand rechtlicher Regelung machen.Footnote 4 In der Rechtstheorie erscheint diese materiale Indeterminiertheit als Charakteristikum des Rechtspositivismus, wie er von Max Weber und Niklas Luhmann analysiert wurde und sich als theoria franca in der Rechtswissenschaft durchgesetzt hat.Footnote 5

Allerdings gibt es auf verschiedenen Ebenen restriktive Mechanismen, die zwar historisch und kulturell höchst kontingent sein mögen, sich jedoch in komplexe Gebilde sich wandelnder Normativität ausfalten. So wäre der heutige Gesetzgeber nicht gut beraten, aber keinesfalls a priori daran gehindert, die gesellschaftlichen Regeln über den Austausch von Blumengeschenken zum Gegenstand eines entsprechenden Gesetzes zu machen. Es ist jedoch anzunehmen, dass ein solches Gesetz als unangemessen und unnötig beurteilt und abgelehnt würde. Es stellt sich also die Frage nach den Kriterien, die zur Begründung einer solchen Ablehnung ins Feld geführt werden.Footnote 6 Zudem ergeben sich Restriktionen ganz offensichtlich aus der überkommenen inneren Einteilung der verschiedenen Rechtssysteme. Wollte der Gesetzgeber eine Materie wie das Blumengeschenk zum Gegenstand eines Gesetzes machen, so würde er dies nicht im Rahmen des Strafgesetzes tun.Footnote 7 Die Klassifikation des Rechts gibt also den Ort vor, an welchem etwas zum Gegenstand des Rechts werden kann.

Nicht anders ist die Ausgangssituation in der Literatur zu beschreiben. Das Urteil der klassischen Ästhetik richtet sich auf die formale Gestaltung von ‚Stoffen‘,Footnote 8 präjudiziert aber nicht deren Wahl. Auch hier erscheint das Gesamt der Welt als Lieferant möglicher Materien, wie schon Goethe wusste:

Die Besonnenheit des Dichters bezieht sich eigentlich auf die Form, den Stoff giebt ihm die Welt nur allzufreygebig, der Gehalt entspringt freywillig aus der Fülle seines Innern; bewußtlos begegnen beyde einander und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichthum angehöre. Aber die Form, ob sie schon vorzüglich im Genie liegt, will erkannt, will bedacht seyn, und hier wird Besonnenheit gefordert, daß Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich in einander fügen, sich einander durchdringen. (1994, 196).

Die Herausbildung des heutigen Kollektivsingulars ‚Literatur‘ ist Resultat eines Perspektivenwechsels, der mit dem Siegeszug der Autonomieästhetik einhergeht.Footnote 9 Zwar ist die materiale Indeterminiertheit ein gängiger Topos von RhetorikFootnote 10 und Poetik,Footnote 11 doch limitiert die humanistische Poetik den Umfang der Dichtung bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts durch einen mehr oder minder langen Katalog von Gattungen, die ihrerseits Kriterien zur Wahl angemessener Materien vorgeben (vgl. Huber 2006, 177–188, hier 179 ff.). Bekanntlich war es die romantische Poetik, die ganz dezidiert die Grenzen der Poetik zugunsten einer Vorstellung unbegrenzter Poesie sprengte (1983, 65–79). Die theoretische Aufmerksamkeit verlagerte sich auf formale, ästhetische Darstellungsmodi, die Literatur spezifisch von anderen Formen sprachlicher Repräsentation unterscheiden. Wer aber nach Literarizität, Poetizität oder auch Fiktionalität fragt, der fragt nicht nach Stoffen und Motiven (vgl. Rühling 1996, 25–51). Es mag denn auch nicht erstaunen, dass sowohl motiv- als auch stoffgeschichtlichen Untersuchungen in den Augen der ästhetisch oder formalistisch geschulten Literaturtheorien der Nachkriegszeit jeder Anspruch auf Wissenschaftlichkeit fehlt.Footnote 12 Seit Mitte der 1980er Jahre kann man jedoch eine Rehabilitation der Thematologie beobachten, die theoretisch durchaus ambitioniert thematisch fokussierte Forschungsperspektiven zu entwickeln versucht (Bremond und Pavel 1988, 181–192).Footnote 13

Mag zwar aus Sicht von Rechtspositivismus und Autonomieästhetik ein jeder Gegenstand theoretisch denkbar sein, und mag auch unabhängig hiervon ein weitreichender Grundkonsens über die prinzipielle Offenheit von Recht und Literatur für beliebige Materien bestehen, so kennen sowohl die neuere Rechtswissenschaft als auch die neuere Literaturwissenschaft eine Reihe restriktiver Argumente, die über bloß partikulare Idiosynkrasien hinausgehen und Grenzen einer ganz anderen Verbindlichkeit eines solchen Zum-Gegenstand-Werdens für Recht und Literatur bzw. der Vergegenständlichung durch Recht und Literatur annehmen. Im Recht erscheinen sie zum Teil als Rudimente vormodernen Konsenses über Tabuzonen rechtlicher (Nicht-)Regelung, die entweder religiös eingefasst oder schlicht traditional grundiert sind – namentlich in der breiten bioethischen Debatte begegnen wir bis heute einer (bloß) inhaltlichen Kritik wie dem fundamentalen Einwand, einzelne Grenzfragen des Lebens seien rechtlicher Regelung schlechthin nicht zugänglich.Footnote 14 In welche Bereiche das Recht generell nicht eingreifen dürfe (z. B. die Intimzonen ehelicher Verbindungen (vgl. Schmidt 1997, 429–464), die Erziehung der Kinder, das individuelle Konsumverhalten, aber auch das Subsystem ‚Wirtschaft‘Footnote 15), gehört zu den politisch besonders strittigen Fragen. Zugleich fällt auf, dass die Rechtswissenschaft derartige ‚Grenzen des Rechts‘ lediglich bereichsspezifisch reflektiert: Hierher gehören die Debatten über die „Steuerungsfähigkeit des Rechts“Footnote 16 oder die Diskussion um den „neuen Paternalismus“.Footnote 17 Insgesamt zeichnen sich vornehmlich Aufrufe zur Selbstbeschränkung ab, die den normativen Status von Klugheitsregeln haben.

Auch in Bezug auf die Literatur gilt es, diejenigen rechtlichen Maßnahmen (in Deutschland etwa der § 184 StGB zur „Verbreitung pornographischer Schriften“) und institutionellen Einrichtungen (z. B. die FSK, die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“) zu erwähnen, welche die theoretische Offenheit von Kunst und Literatur für mögliche Gegenstände praktisch zu beschneiden trachten, nicht zuletzt dadurch, dass sie den Kunstanspruch der zu zensierenden Gegenstände bestreiten.Footnote 18 Ästhetische Theoreme werden so als Kriterien zur Bestimmung des Schutzbereiches der autonomen Literatur angeführt, die zu einer Erweiterung oder Erhaltung ihres Materialitätsbereichs beitragen sollen.

Im Bereich der Literaturwissenschaft sind materiale Restriktionen nicht bloß Residuen einer überkommenen präskriptiven Poetik für das Verfassen von Texten, sondern auch in den gängigen Klassifikationsvorstellungen nach wie vor präsent. Mehr zum Ärger denn zur Freude einer Gattungstheorie, welche die traditionellen generischen Kriterien – Art der Darstellung (Form), Gegenstand (Materie) und Mittel der Darstellung (Vers) (vgl. Scherpe 1968, 18–26)Footnote 19 – von dem materialen Kriterium befreien möchte,Footnote 20 erweisen sich thematische Erwartungen nicht nur im alltäglichen Umgang mit Literatur, sondern auch in der Forschung als ausgesprochen persistent. Wenngleich die gegenwärtige Gattungstheorie das Spannungsverhältnis von normativen Festschreibungen und ästhetischer Autonomie dadurch zu lösen sucht, dass der Gattungsbegriff selbst nur noch deskriptiv zur Klassifikation vorliegender Texte oder zur systematischen Erfassung der gesamten Literatur verwendet oder aber im Hinblick auf die Erwartungssteuerung der Rezipienten betrachtet wird,Footnote 21 lässt sich bei näherer Analyse der zuletzt genannten Rezeptionsbedingungen eine normative Dimension ausmachen, welche die Wahl des Stoffes zu einem effektiven Erfolgskriterium literarischer Texte erhebt: Leser/innen zeigen sich überrascht oder bestätigt in ihren Erwartungen; sie sind gemessen an solchen Erwartungen bereit oder unwillig, mit gewissen Gegenständen konfrontiert zu werden; sie urteilen und bewerten schließlich die vorgesetzten Inhalte anhand des Verhältnisses von Erwartung und Erfahrung. Es überrascht denn auch nicht, dass die wohl interessantesten Erklärungsansätze in Bezug auf die Akzeptanz gewisser Materien aus dem Bereich der Literatursoziologie stammen. Als eigentliche Pionierleistung erscheint hier die klassische Untersuchung zum guten Geschmack, die Pierre Bourdieu in den späten 1970er Jahren vorgelegt hat (1979, insbesondere die Nachschrift, 756–783).Footnote 22 Die breit angelegte Studie belegt, welche bewussten oder unbewussten Restriktionen die Wahl kultureller Konsumgüter determinieren. Es gilt, die Rolle solcher Selektionsbedingungen zur genaueren Erfassung der ‚relativen Autonomie‘ des literarischen Feldes vermehrt in die Literaturtheorie zu integrierenFootnote 23 und nicht einfach als Ausdruck bornierter, der wahren Erkenntnis des Literarischen entgegengesetzter Einstellungen aus der literaturtheoretischen Reflexion auszuschließen.Footnote 24

In der über Jahrhunderte anhaltenden Tradierung komplexer Materien erkannte die traditionelle StoffgeschichteFootnote 25 den Erweis für ein räumliches und zeitliches Kontinuum, aus dem gewisse Werke als Bestandteile einer Weltliteratur herausragten. Weniger emphatisch, dafür theoretisch ergiebiger, wendet sich die neue Thematologie der materiellen Selektion in Bezug auf Gattungserwartung sowie Produktionsbedingungen und Rezeptionssteuerung zu. So entwirft etwa Lubomír Doležel, auf Überlegungen der Prager Schule rekurrierend, ein Konzept von ‚Thema‘, das als Filter zwischen historischer Entwicklung von Literatur und realer Lebenswelt fungiert (1995, 89).Footnote 26 Er unterscheidet ‚selective thematics‘ von ‚structural thematics‘ und kombiniert dadurch die Frage nach der Wahl des Stoffes mit derjenigen nach dessen relationaler Einbettung. Eine solche Betrachtungsweise hat den Vorteil, dass sie zum einen Kriterien dafür benennt, warum etwas zum Gegenstand von Literatur wird, zum anderen die Selektion nicht unter dem Vorzeichen einer schwer fassbaren wesenhaften Qualität, wenn nicht gar historischer Notwendigkeit untersucht, sondern unter dem einer wissenschaftlich erfassbaren Plausibilität. Ist die Frage einmal so gestellt, erweist sie sich aufgrund der vorausgesetzten Kontingenz nicht nur für eine literaturhistorische und -soziologische Forschung als ergiebig, sondern auch als literaturtheoretisch relevant. Sie konstatiert nicht nur den Transfer, sondern richtet ihre Aufmerksamkeit auf Modalitäten der ‚Inkorporation‘ und ‚Transformation‘, wie sie bei der Vergegenständlichung rechtlicher bzw. literarischer Materien in literarischen bzw. rechtlichen Texten exemplarisch zu beobachten sind (s. Bremond und Pavel 1988, 181).

Die Frage nach der Veränderung der Bedeutung und Funktion eines Themas, das aus seinem Kontext herausgelöst zur Materie wird (und diese durch Inkorporation zum Gegenstand eines neuen Textes), weist in den Bereich der Intertextualitäts- und Transmedialitätsforschung, die – ausgehend von den klassischen Transformationsverfahren der ParodieFootnote 27 – allen erdenklichen Formen wechselseitiger Beziehungen zwischen unterschiedlichen Textteilen, Textformen und Medien gilt. Solche Verfahren können, grob gesprochen, unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden: Homogenisierung und Verfremdung. Im Rückgriff auf den gängigen Selektionsbegriff kann die Wahl des Stoffes also der Erwartung entsprechen oder aber eine Erfahrung von Diskrepanz bewirken, die bei den Rezipienten eine Reflexion über das ethos der transformierten Materie erzwingt (Hutcheon 1985, insbesondere 50–68). Mit Linda Hutcheon lassen sich Wirkungen, die aus dem Transfer hervorgehen, unter dem Schlagwort einer „politics of intertextuality“Footnote 28 betrachten.

Mag das Auftreten von Themen und Motiven aus dem Bereich des Rechts in der Literatur aufgrund der prinzipiellen Offenheit der Literatur für alle erdenklichen Gegenstände prima vista nicht überraschend erscheinen, so stellt sich die Frage nach dem ethos, das durch Inkorporation und Adaptation einem vormals fremden Gegenstand in seinem neuen Umfeld zukommt. Sowohl in historischer als auch in systematischer Hinsicht lassen sich Brennpunkte ausmachen, in welchen rechtliche Themen prominent Aufmerksamkeit erfahren. Dies ist natürlich der gesamte Bereich, der sich mit der Darstellung von Rechtsverstößen, der Aufdeckung von Straftaten sowie deren Bestrafung auseinandersetzt und zur Herausbildung einer der erfolgreichsten Gattungen der modernen Literatur geführt hat: der Kriminalliteratur. Die Erfordernisse der narratio eines Rechtsfalles können geradezu als paradigmatisch für die Narrativik des modernen Romans erachtet werden, da hier Handlungen als psychologisch motivierte Ereignisfolgen zur Darstellung kommen und dieser Kausalnexus an normativen Kategorien wie der Zurechnungsfähigkeit, der moralischen Gesinnung, der Sozialisation, der genetischen Determination u. a. m. gemessen wird.Footnote 29 Ähnlich lässt sich seit der Antike eine konstitutive Bedeutung von Recht und Gerechtigkeit für das Drama behaupten. Im Zentrum der Aristotelischen Poetik steht nicht die richtige, vielmehr die gerechte Entscheidung. So ist das Theater denn ein privilegiertes Medium, das rechtliche Normkonflikte nicht nur aufführt, sondern Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen in ihrer wechselseitigen Beziehung auf den Prüfstand stellt (Bueckling 1994, 449–455). Die mögliche Diskrepanz von Recht und Gerechtigkeit bildet geradezu den Kern der tragischen Schuld (vgl. Eden 1986, 40–42; Wirtz 1994; Lüderssen 2005; Müller-Dietz 2007, 85–111; Harst 2010, 125–151; Nilges 2012). Die Literatur der Neuzeit erachtet diese Diskrepanz häufig als einen Konflikt zwischen ethischen und politischen Entscheidungen, als einen Konflikt, dessen Lösung Aufgabe des nationalen sowie supra-nationalen Rechts ist oder zumindest wäre.

In der literarischen Darstellung sieht sich das Recht wiederum mit einem Medium konfrontiert, das in zahlreichen historisch belegbaren Fällen auf das Rechtsbewusstsein und damit auf die Debatten um die Rechtsprechung und Rechtssetzung Einfluss nimmt. Martha Nussbaum sieht hierin eine der wichtigsten Funktionen literarischer Darstellungen von Recht (1995, 103). Andererseits lässt sich auch im Recht ein breites Spektrum materialer Präsenz von Literatur ausmachen, das vom Herbeizitieren literarischer Texte bis zur Behandlung ästhetischer Fragen reicht. Als zentral müssen hierbei das Autorenrecht, die Zensur sowie rechtliche Bestimmungen gelten, die auf die Spezifik sogenannter Kulturgüter zielen.Footnote 30 Sowohl in Bezug auf die historische Entwicklung als auch die gegenwärtigen Herausforderungen, die von den neuen Medien ausgehen, werfen Autorenrecht wie Zensur Fragen auf, deren literaturtheoretische Relevanz unbestreitbar ist: Diese sind etwa hermeneutischer Art (Ist die Bedeutung eines Textes Ausdruck der Intention des ‚Autors‘?), ästhetischer Art (Ist die Erfüllung formaler Ansprüche Voraussetzung für die Originalität eines Werkes?), poetologischer Art (Können fiktionale Texte tatsächlich referieren und dadurch beispielsweise Persönlichkeitsrechte verletzen?) oder ethischer Art (Können Grenzen sittlicher Zulässigkeit im Gegenstandsbereich der Literatur begründet werden?). Damit verbunden, wenn auch nicht deckungsgleich, sind Fragen, die auf den Status der Literatur als Kulturgut zielen. Dieser Status kann nur eingefordert werden, wenn der kulturelle Wert sowie die gesellschaftliche Funktion von Literatur entweder explizit begründet oder implizit vorausgesetzt werden. Etwas verkürzend kann man sagen, dass Texte vorgängig autorisiert werden müssen, damit sie als Gegenstände eines Rechtshandelns erscheinen. Diese Autorisierung setzt massive Wertvorstellungen voraus, die dem Status von Literatur gelten; sie werden oftmals von der Literaturtheorie entweder konterkariert oder auch bloß ignoriert, obwohl gerade der rechtliche Umgang mit literarischen Texten deren gesellschaftliche Bedeutung evident erscheinen lässt (zur konstitutiven Funktion des Urheberrechts für den Literaturbegriff siehe unten den Vorausblick auf Band 3: Konstitutivität).

Untersuchungen zur Literatur im Recht und zu Recht in der Literatur sind also nicht einfach banale Motivuntersuchungen; sie versprechen vielmehr Einsichten, die als zentral für beide Disziplinen zu gelten haben. Sich auf die Relationen der Materialität einzulassen setzt – bei aller Trivialität dieser Aussage – ein hohes Maß an Sachkenntnis voraus. Dies impliziert keineswegs die Reduktion aller Fragen auf eine inhaltliche Ebene, sondern erfordert notwendig auch die Reflexion über methodologische und theoretische Fragen, die in die folgenden Bereiche Komparativität und Konstitutivität (Bände 2 und 3) hinein verweisen.

2 Komparativität

Die Ausgangsfrage zum Beziehungsmodus der Komparativität zwischen Recht und Literatur, wie er im zweiten Band der Reihe bearbeitet werden wird, betrifft Übereinstimmungen und Differenzen zwischen Recht und Literatur. Sie liegt der den Projektbereich konstituierenden Vergleichsthematik zugrunde, die sich auch auf die betreffenden Disziplinen, Rechts- und Literaturwissenschaft, sowie auf weitere Vergleichslinien öffnet, insbesondere auf den Vergleich verschiedener kultureller Formationen hin, die Praktiken des Rechts und der Literatur maßgeblich beeinflussen. Konzeptuell fragt der Projektbereich sowohl nach den Ergebnissen als auch nach den Bedingungen, Arten und Wirkungen von Operationen, die vergleichend Übereinstimmungen und Differenzen entdecken und diese Entdeckungen eo ipso als relevant behaupten. Dies setzt voraus, dass grundlegende Formen des Vergleichs sowie binnendisziplinäre Verwendungsarten und Methodiken des Vergleichens reflektiert werden (comparison of comparisons).

Für eine Forschung, die den Namen ‚Literatur und Recht‘ trägt, drängt sich ein solcher Projektbereich förmlich auf. Wo zwei Dinge gegeben sind, liegen Fragen nach Übereinstimmungen und Differenzen auf der Hand. Mehr noch erscheint durch die im law and literature-movement gängige Interpretation des ‚and‘ als ‚as‘ die Aufforderung zum Vergleich geradezu programmatisch impliziert. Umso erstaunlicher ist es, dass es zu Prozess und Methode des Vergleichens in der Forschung zu Recht und Literatur bisher keinerlei weitergehende Einlassungen gibt. Der Vergleich, obwohl zentral, bildet einen veritablen blinden Fleck in der Forschungslandschaft. ‚Komparativität‘ benennt aber nicht nur eine Forschungslücke, die es zu schließen gilt; nicht zuletzt geht es auch darum, die Lücke zu ergründen und die Probleme zu benennen, da eine solche wissenschaftstheoretische Reflexion einen grundlegenden Beitrag zur Theorie interdisziplinärer Forschung verspricht.

Wie Materialität steht auch Komparativität im Zeichen einer grenzenlos anmutenden Offenheit: Alles kann bekanntlich mit allem verglichen werden. Gleichzeitig scheinen jedoch Selektionskriterien zu existieren, die mit ebenso gängiger Wendung behauptet werden: „Das kann man doch nicht miteinander vergleichen!“ (vgl. Achermann 2011, 63–72) – die bekannten Äpfel und Birnen etwa (s. Lutz et al. 2006). Dieses Insistieren auf der Wahl der Gegenstände lässt nur allzu schnell vergessen, dass es zur Lösung der Frage, die sich hinter dem Widerspruch verbirgt, nicht so sehr auf die Gegenstände ankommt, sondern vielmehr auf die kategoriale Grundlage und die Art und Weise, wie etwas mit einem anderen verglichen wird. In einer weiten Bedeutung von ‚Vergleich‘ lässt sich nämlich jede wie auch immer geartete Beziehung zwischen zwei Gegenständen, ja jede Prädikation als das Ergebnis eines Vergleichs behandeln.Footnote 31 So könnten auch die unter dem Relationsbegriff ‚Materialität‘ als dem Vergleich von einem (ausgeführten) Teil zu einem jeweiligen (aufnehmenden) Ganzen, das Themenfeld der ‚Konstitutivität‘ hingegen als dem Vergleich von Ursachen und Wirkungen gewidmet erscheinen. In der Begrifflichkeit einer allgemeinen Vergleichstheorie kümmert sich ‚Materialität‘ um den ‚Transfer‘ eines Themas in einen fremden Kontext, während ‚Konstitutivität‘ die Aufmerksamkeit auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten richtet, die einen ‚universalisierenden‘ Anspruch erkennen lassen.Footnote 32 Mit dem Konzept der Komparativität ist ‚Vergleichen‘ jedoch in einem engeren Sinne gemeint, der sowohl Kontiguitäts- als Kausalbeziehung ausschließt, auch wenn diese beiden Beziehungsformen gewissermaßen die Ober- und Untergrenze einer jeden Vergleichsoperation ziehen. Der Vergleich in diesem engeren Sinn bildet so das Scharnier zwischen individualisierender und verallgemeinernder Betrachtungsweise. Dieses Verständnis entspricht dem Brennpunkt der wichtigsten Debatten, welche die historische Entwicklung der Komparatistik in den Sozial- und Kulturwissenschaften begleiten. Worum es unter dem Titel ‚Komparativität‘ also primär geht, ist nicht das syntagmatische Ineinander- oder Nebeneinandersein zweier Dinge, sondern das reflektierte Nebeneinanderstellen: nicht die Begründungsrelationen, die zwei Dinge miteinander genealogisch und systematisch verbinden, sondern die Untersuchung zweier Dinge hinsichtlich eines Dritten, nämlich einer Eigenschaft, Struktur oder Funktion, die ipso facto ein Paradigma benennt und im Hinblick auf Übereinstimmung und Differenz beurteilt werden kann. Um es mit de Saussure zu sagen: Ist die ‚Nähe‘ der Gegenstände im Projektbereich ‚Materialität‘ in Aussagen realisiert und somit beobachtbar, wird sie im Projektbereich ‚Komparativität‘ mithilfe von Elementen in absentia hergestellt.Footnote 33

Es dürfte der „lebensweltlichen Selbstverständlichkeit“ (von Sass 2011, 25) des Vergleichs geschuldet sein, dass dieser sich als Begriff durch die gesamte abendländische Geistesgeschichte hindurch finden lässt und sich in seiner Bedeutung als auffällig stabil erweist. In Anbetracht einer anhaltenden Omnipräsenz des Vergleichs in den Sozial- und Kulturwissenschaften heute mag es nicht weiter überraschen, dass Komparativität in den beiden Bezugsdisziplinen Literatur und Recht ebenfalls über eine ansehnliche Geschichte verfügt. Dennoch zeichnen die entsprechenden Forschungstraditionen ein recht heterogenes Bild. Explizit erscheint der Vergleich im Namen der beiden Subdisziplinen, der ‚Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft‘ (Comparative Literature) einerseits und der ‚Vergleichenden Rechtswissenschaft‘ (Comparative Law) andererseits. Obwohl Vorgeschichten etwa in dem erwähnten Vergleich des klassischen Altertums mit der eigenen Zeit, den wertenden Parallèles, der vergleichenden Mythographie und Ethnologie,Footnote 34 der Rechtsphilosophie eines Leibniz, Selden oder Vico und anderer erkennbar sind (s. Donahue 2006, 3–32; Stolleis 1998a, 7), scheinen die vergleichende Anatomie und die sich darauf berufende vergleichende Sprachwissenschaft (vgl. Timpanaro 1972, 72–105; Gipper und Schmitter 1979, 18–59), wie sie sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts etablieren, einen Einschnitt in eine weit verbreitete komparative Praxis zu markieren. Es ist nicht mehr die Ähnlichkeit, die konstatiert und interpretiert wird, sondern die genetische Verwandtschaft und funktionale Äquivalenz zwischen disparat erscheinenden Phänomenen (vgl. Baldensperger 1921, 14). Sowohl die ‚Vergleichende Literatur-‘ als auch die ‚Vergleichende Rechtswissenschaft‘ der ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts setzen sich von einer national limitierten historischen Forschung ab, indem sie nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, nach eigentlichen Natur- und Entwicklungsgesetzen, jenseits der epochalen und regionalen Manifestationen ihrer jeweiligen Kunst fragen. Dies führt jedoch auf Dauer nicht zur Überwindung nationaler Grenzen, sondern zu dem etwas paradox anmutenden Befund, dass es der Internationalismus der Vergleichung ist, der die Nation zur prominentesten Vergleichseinheit erhebt und in ihrer Identität bestärkt: „On ne se définit qu’en se comparant“ [man definiert sich einzig, wenn man sich vergleicht], so Ferdinand Brunetière (1990, 354).Footnote 35 Während des gesamten 19. Jahrhunderts konzentrieren sich die Komparatisten vor allem auf den Vergleich von nationalsprachlich bestimmten Literaturen bzw. von als national verstandenen Rechtstraditionen. Auch heute noch bemüht sich ein nicht unwesentlicher Teil komparatistischer Forschung, die eigene Fachrichtung durch (kritische) Reflexion der Grundlagen und Implikationen solcher national determinierten Vergleiche zu ergänzen, ggf. auch zu korrigieren.

Lässt sich auch auf Goethes einflussreiches Konzept der Weltliteratur verweisen (Rippl und Seipel 2008, 25), so stehen die Anfänge der neu benannten ‚Vergleichenden Literaturwissenschaft‘ ganz deutlich im Zeichen des Vergleichs nationaler Entwicklungsgeschichten. Gleichzeitig lässt sich eine Besinnung, wenn nicht ein neidvoller Blick, auf die Verfahren und Ergebnisse einer vergleichenden Naturwissenschaft ausmachen, namentlich der von Georges Baron de Cuvier geprägten ‚Vergleichenden Anatomie‘, der ‚Vergleichenden Physiologie‘ des Henri Marie Ducrotay de Blainville und Jean Victor Costes Embryogénie comparée.Footnote 36 Auch wenn des Öfteren behauptet wird, dass die Bezeichnung ‚littérature comparée‘ in Anlehnung an die ‚anatomie comparée‘ entstanden sei, so können zeitgleich zahlreiche analoge Bildungen, ganz zu schweigen von den entsprechenden Praxen, in anderen Disziplinen gefunden werden.Footnote 37 Es sind nicht so sehr die Präsenz und der direkte Einfluss einer bestimmten naturwissenschaftlichen Methode, es ist vielmehr vor allem ein naturalistisches Wissenschaftsideal, das in Verbindung mit der Gesellschaftstheorie eines Auguste Comte und mit dem Triumphzug der von Charles Darwin und Herbert Spencer geprägten EvolutionstheorieFootnote 38 zur Herausbildung der in Frankreich dominierenden Positionen führt: der naturalistischen Kunstphilosophie und -kritik Hippolyte Taines (vgl. Guthmüller 2006, 169–192)Footnote 39 sowie des soziologischen Anti-Individualismus Ferdinand Brunetières (vgl. Boulard 1998, 134–138). Ganz im Geiste des vorherrschenden Nationalismus ist diese Forschung vor allem dem Vergleich von Nationalliteraturen oder nationalen Eigenarten gewidmet; und ganz im Zuge der Emulation naturwissenschaftlicher Objektivität betont die bald als ‚Französische Schule‘ bezeichnete Richtung in guter positivistischer Manier die Faktizität ihrer Untersuchungen.Footnote 40 Dem kann eine ‚Deutsche Schule‘ entgegengesetzt werden, die sich von Herder und Humboldt inspiriert im 19. Jahrhundert etabliert und ihr Hauptaugenmerk auf den kulturellen Zusammenhang und zunehmend auch auf den Nationalcharakter richtet. Gegen die nach dem Zweiten Weltkrieg dominierende französische Schule entwickelt sich schließlich eine ‚Amerikanische Schule‘, allen voran im Werk von René Wellek (vgl. 1959, 149–159). Er verwirft nicht nur die nationalistische Ideologie der Französischen Schule, sondern wendet sich auch, in der zusammenfassenden Formulierung Peter Zimas, gegen deren „Faktenfetischismus und ihren Empirismus“ (1992, 22). Gleichzeitig rehabilitiert er die ‚Deutsche Schule‘ in deren ursprünglichen Anliegen, die seines Erachtens zu einer Weiterentwicklung der komparatistischen Methode beitragen können (38). Beide Strömungen, die positivistisch-französische und die stärker formalistisch-amerikanische, kommen ab den 1970er Jahren durch neue Impulse aus nicht-westlichen Komparatistiken in die Kritik,Footnote 41 was zu einer Neuorientierung der Vergleichenden Literaturwissenschaft führt.Footnote 42

Die Ursprünge der Rechtsvergleichung als Teildisziplin der Rechtswissenschaft werden allgemein im Zusammenhang mit der europäischen Rechtskodifikation im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert verortet (Donahue 2006, 3). Die ‚vergleichende Jurisprudenz‘ durchläuft im 19. Jahrhundert unterschiedliche regionale und nationale Entwicklungen, von deren Vielfalt der erste Teil („The Development of Comparative Law in the World“) des Oxford Handbook of Comparative Law (2006) einen Eindruck zu vermitteln vermag. Wenn bisweilen allzu leichtfertig von ‚der‘ Rechtsvergleichung die Rede ist, so dürfen neben diesen regionalen Verschiedenheiten weder die ganz unterschiedliche Entwicklung der Komparatistik innerhalb der verschiedenen Rechtsgebiete noch die ebenso unterschiedlichen ideologischen Grundlagen außer Acht gelassen werden. Dennoch lassen sich gewisse Aussagen treffen, so etwa, dass unter dem Einfluss der ‚Historischen Schule‘ oder historistischer Methoden, und dies nicht nur im deutschen Sprachraum, der Rechtsvergleich zum Erliegen kommt (Stolleis 1998a, 12).Footnote 43 Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nimmt er, nun als ‚Vergleichende Rechtswissenschaft‘, wieder Fahrt auf,Footnote 44 zunächst befeuert von dem Ansinnen einiger Rechtsgelehrter wie Georg Cohn, Franz Bernhöft, Albert Hermann Post und Josef Kohler, durch die Vergleichung unterschiedlicher Rechtssysteme eine allgemeine ‚Rechtsidee‘ aus Vergangenheit und Gegenwart heraus zu destillieren (Schwenzer 2006, 72). Auch hier dominiert das evolutionäre Paradigma.Footnote 45 Von den Auswirkungen des Nationalsozialismus erholt sich die deutsche Rechtsvergleichung nach dem Kriege nur langsam, genießt heute aber erneut großen Zuspruch und eine beständig wachsende Bedeutung. Für Häberle (1989), wenngleich von einer rechtswissenschaftlichen Außenseiterposition aus, muss die Rechtsvergleichung gar als fünftes neben den von Friedrich Carl von Savigny beschriebenen vier klassischen ‚Elementen‘ der Gesetzesauslegung (grammatisches, logisches, historisches, systematisches Element) erachtet werden (917). Auch die ‚Vergleichende Rechtswissenschaft‘ durchläuft eine Phase der Neuorientierung. Und auch hier sind es nicht zuletzt postkoloniale Kritik und Fragen der Globalisierung sowie theoretische Einwürfe von Seiten eines postmodernen Dekonstruktivismus (s. Peters und Schwenke 2000, 800–834),Footnote 46 die ins Feld geführt werden. Daraus lässt sich jedoch nicht bloß auf eine Krise der klassischen Rechtsvergleichung schließen, sondern mit ebenso guten Gründen auf deren gesteigerte Relevanz in einer zunehmend von Transnationalität und Transdisziplinarität geprägten Forschungslandschaft.

Für die gegenwärtige Renaissance des Vergleichens, die sich in beiden Disziplinen beobachten lässt, ist jedoch nicht nur eine allgemeine Öffnung für inter- und transdisziplinäre Fragestellungen bezeichnend. Wenn auch nur zögerlich, so zeichnen sich doch Ansätze einer engagierteren Grundlagenreflexion ab. So liefert etwa Nils Jansen in seinem Beitrag zum Oxford Handbook of Comparative Law eine „examination of the ideas of ‚comparison‘ and ‚comparative knowledge‘“, sieht sich aber – ganz wie die Verfasser ähnlich gelagerter Darstellungen zu anderen vergleichenden Subdisziplinen – gezwungen, den Mangel an rechtswissenschaftlicher Fachliteratur zu den Konzepten selbst zu beklagen (2006, 309). Hierbei beschränkt sich Jansens Blick auf die Rechtsvergleichung und dies unter Vernachlässigung anderer vergleichender Aspekte, denen wir in den Rechtswissenschaften begegnen: Vergleich von Zeugenaussagen, Urteilen, Gleichheit vor dem Gesetz usw. Ganz ähnlich lässt sich in den Literatur- und Kulturwissenschaften das Desiderat vernehmen, den Grundsätzen des Vergleichs systematische Aufmerksamkeit zu schenken (s. Felski und Friedman 2013).Footnote 47 Auffällig ist hier die Prominenz poststrukturalistischer Konzepte, die den Vergleich voraussetzen: Differenz bzw. différance (Jacques Derrida), Wiederholung (Gilles Deleuze), Alterität/Otherness (Gayatari Spivak), Inklusion und Exklusion (Giorgio Agamben) etc.Footnote 48 Doch auch hier lässt sich behaupten, dass der Vergleich selbst, weder als Ermöglichungsgrund noch als methodologisches Verfahren, in den genannten postmodernen Theoriebildungen zum Gegenstand wissenschaftstheoretischer Reflexion avanciert wäre.

Wird die Reflexion über Vergleich, Vergleichung und Vergleichen zwar verschiedentlich als wissenschaftstheoretisches Desiderat im Allgemeinen genannt, so muss für die Recht-und-Literatur-Forschung im Besonderen festgestellt werden, dass eine Untersuchung der jeweiligen Vergleichskonzepte sowie eine Reflexion über die konkreten Vergleichsverfahren zwischen den beiden Disziplinen hier nicht einmal als Desiderat auftritt. Natürlich kann es nicht genügen, auf die bereits etablierten Vergleichstraditionen der einzelnen Fächer zu verweisen, doch bildet der Blick auf diese Verschiedenheit einen ersten Anhaltspunkt, um einen Vergleich der Vergleiche voranzutreiben. Betrachtet man Jürgen Schriewers kartographischen Überblick zu den komparativen Traditionen, so sind die rechtswissenschaftlichen Vergleichsverfahren durch „ihre Bindung an Dogmatik und normative Hermeneutik“ gekennzeichnet, während sich die „kunst- und literaturwissenschaftlichen Disziplinen“ durch „Zentrierung auf dekontextualisierte Sinngebilde“ auszeichnen. Einen weiteren, gewichtigen Unterschied benennt derselbe Verfasser ebenda im Hinblick auf die soziale Funktion gewisser Wissenschaften, die sich nicht auf das Beschreiben, Erklären oder Verstehen zurückführen lassen:

Gemeint sind damit Fächer, die sich nicht lediglich, oder nicht primär, über theoretische Probleme und die Generierung von Erklärungswissen definieren, sondern gleichermaßen über soziale Funktionen und das Angebot von Handlungs- oder Orientierungswissen. Fächer mit anderen Worten, die sich auf die großen gesellschaftlichen Teilsysteme richten – Politik, Wirtschaft, Erziehung, Recht bzw. Religion –, die deren Entwicklung analysierend, deutend und beratend begleiten und den in solchen Systemen tätigen Professionen handlungsrelevantes Wissen zur Verfügung stellen. (2003, 43).

Wer nach der Vergleichbarkeit von Recht und Literatur fragt, problematisiert die Vergleichbarkeit von bereits Verglichenem. Wie der kurzen Skizze der Entwicklung vergleichender Subdisziplinen zu entnehmen ist, stehen in den Debatten für und wider die Komparatistik und über angemessene Vergleichsverfahren zentrale Momente auf dem Spiel, welche die Geschichte der Wissenschaftstheorie des 19. und 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst haben und nach wie vor beeinflussen. Es sind dies die polaren Dichotomien von Allgemeinem und Besonderem, von Gesetz und Ereignis, von Evolution und Klassifikation, von Induktion und Deduktion u. a. m. Der Vergleich zwischen den Disziplinen geschieht also zwischen Konzepten, die selbst bereits multipel relationiert und damit in verschiedenen Bereichen und Systemen geordnet erscheinen. Kann also auf der einfachsten Ebene des Vergleichs, aufgrund der Übereinstimmung von Eigenschaften, eine Ähnlichkeit behauptet werden, so ist das Augenmerk auf die objektale Erscheinung gerichtet und gründet somit auf der thematologischen Ebene, die für den Relationstyp der Materialität kennzeichnend ist. Fragt der Vergleich des bereits Verglichenen nach den übergeordneten tertia, an welchen die Vergleichsverfahren selbst ihre Übereinstimmung und Differenzen bemessen, so verweist er in den Bereich der Konstitutivität.

Durch die intensive Zusammenarbeit zwischen Literatur- und Rechtswissenschaft ist ein deutlich verbessertes Verständnis der Vergleichbarkeit nicht nur von Recht und Literatur, sondern der Komparativität selbst zu erwarten. Dadurch werden komparative Vorgehensweisen und einschlägige Vergleichstraditionen in den beiden Disziplinen ebenso wie mögliche Vergleichsgegenstände zwischen den Disziplinen systematisch weiter erkundet. Die hier avisierte Entwicklung einer interdisziplinären Heuristik des Vergleichs adressiert also eine Forschungslücke, die bisher in der Recht-und-Literatur-Forschung noch nicht einmal präzise identifiziert wurde, wie überraschend dies nach mehreren Jahrzehnten Forschung zu Recht und Literatur auch sein mag. Band 2 der Reihe Literatur und Recht verspricht also, Neuland zu erkunden. Es steht zu erwarten, dass durch die Analyse der jeweiligen disziplinären Prämissen und Praktiken des Vergleichs verlässliche Grundlagen für den interdisziplinären Vergleich geschaffen werden und dass darüber hinaus die disziplinären Vergleichskulturen sowie die Recht-und-Literatur-Forschung durch die dem Vergleich innewohnenden Dynamik befruchtet und weiterentwickelt werden.

3 Konstitutivität

Der dritte Beziehungstypus der Konstitutivität zwischen Literatur und Recht wird umfassend im dritten Band der Reihe thematisiert werden. Leitfrage ist hier: Inwiefern und bis zu welchem Maße kann Literatur zur Bildung, Gestaltung oder Aufhebung von Recht und umgekehrt beitragen? Genauer geht es um die Fragen, unter welchen Bedingungen, in welchen Formen und welchem Verständnis zufolge Literatur nicht mehr nur Attest bestehender Rechtsverhältnisse ist, sondern inwieweit Literatur Recht begründet, es aufhebt oder gestaltet und sich selbst als rechtskomplementär oder -supplementär versteht (s. Dimock 1996). Analog hierzu wird bezüglich der Konstitutivität von Recht gefragt, inwieweit eine konstitutive Wirkung des Rechts für die Literatur festgestellt werden kann: Inwiefern ermöglicht Recht Literatur? Wann begründet oder entzieht Recht Texten den Status der Literarizität oder Legitimität? Inwieweit nimmt Recht gestaltenden Einfluss auf das, was als Literatur gilt, ohne dass dieser Einfluss sich auf die bloße Deklaration eines literaturintern bereits erfolgten Anerkennungsprozesses beschränkte? Unter dem Begriff der Konstitutivität wird jedoch nicht bloß nach exemplarischen Fällen wechselseitiger Konstitutionen gesucht, sondern darüber hinaus nach Argumenten, Denkfiguren und Theoremen, die Eigenschaften, Strukturen oder Funktionen der einen Disziplin für das adäquate Verständnis der anderen Disziplin als notwendig oder wesentlich behaupten. Es wird also Begriff und Geltung konstitutiver oder als konstitutiv erachteter normativer Begriffe für die Recht-und-Literatur-Forschung reflektiert.

Mit der Frage nach der wechselseitigen Konstitution wird im Hinblick auf die Beziehung von Recht und Literatur eine Perspektive bezogen, die eine Kenntnis wesentlicher, spezifischer oder eben konstitutiver Eigenschaften, Strukturen und Funktionen beider Disziplinen voraussetzt, da nur so gemeinsame Grundlagen identifiziert werden können. Da nun aber das Grundlegende als beiden Disziplinen gemeinsam, die Grundlegung hingegen von der einen der beiden Disziplinen für die andere behauptet wird, droht der Fragestellung selbst eine gewisse Zirkularität. Dass bei der Untersuchung von Konstitutivität diese Gefahr schon immer lauert, illustriert nicht zuletzt die Mehrdeutigkeit von ‚Konstitution‘ und ‚konstitutiv‘: Unter den Bedeutungen finden sich bald ‚Zusammenstellung‘ und ‚Bestimmung‘, bald ‚Grundlegung‘ und ‚Begründung‘, bald ‚Verfassung‘ und ‚Satzung‘, bald ‚wesentlich‘, ‚essentiell‘ oder ‚spezifisch‘, bald ‚bedingend‘, ‚bestimmend‘ oder ‚begründend‘, bald ‚Beschaffenheit‘ und ‚Struktur‘.Footnote 49

Ein Blick auf die historische Entwicklung von Begriff und Sache erlaubt es, den inneren Zusammenhang dieser Bedeutungen nachzuvollziehen und das Moment der Äquivokation genauer zu bestimmen. Die Anfänge der philosophischen Verwendung des Begriffs stehen im Schatten der wohlbekannten Arbor porphyriana, genauer: von Boethius’ Übersetzung der Isagoge des Porphyrios (vgl. § 8). Dieser unterscheidet differentiae divisivae (διαφοραὶ διαιρετικαί) von differentiae constitutivae (συστατικαί); erstere bezeichnen Dichotomien auf der Grundlage einer Opposition – z. B. sterblich/unsterblich; vernünftig/unvernünftig –, letztere die Kombination oder Zusammenstellung (σύστασις) der durch Opposition gewonnenen Elemente zur Definition einer Art (species, εἶδος) – z. B. sterblich und vernünftig. Diese ‚definitorische‘ Funktion ist es auch, die im Wesentlichen durch das gesamte Mittelalter hindurch den Bedeutungsumfang von ‚konstitutiv‘ bemisst. Für jeden Kommentator der Aristotelischen Kategorien stellt sich hier aber unausweichlich die Frage, wie das Bestimmende und das Bestimmte sich ontologisch zueinander verhalten. Nach der unter den Scholastikern verbreitetsten Auffassung ist das Bestimmende die Form (μορφή), das Bestimmte hingegen die Materie (ὓλη). Das Bestimmende ist vorgängig und als formale Ursache zu verstehen. Dieser Bedeutung von ‚konstitutiv‘ als ‚formalursächlich‘ begegnen wir noch (oder besser: erneut) bei Leibniz, der – die verfemten scholastischen formae substantiales rehabilitierend – in den formes constitutives den kraftbegabten Grund für die Entwicklung der Individuen erkennt (1880, 479). Großmehrheitlich tritt in der Neuzeit jedoch der Ausdruck differentia specifica an die Stelle von differentia constitutiva, während sich neue Dichotomien wie ‚konstitutiv‘/‚konsekutiv‘ bzw. ‚attributiv‘ für dasjenige ausbilden, was als (notwendiger) Grund, und dasjenige, was als dessen (zufällige) Folge erscheint. Kant seinerseits setzt ‚konstitutiv‘ den Ausdruck ‚regulativ‘ entgegen; jenes bezeichnet, was die Erfahrungserkenntnis eines empirischen Gegenstandes ermöglicht, dieses hingegen, was die Reihe der Erfahrungen fortzusetzen erlaubt (A 509). Als letztes sei die einflussreiche Wiederaufnahme des Kantischen Begriffspaars bei Searle (1969) erwähnt: Dieser verwendet ‚konstitutiv‘ zur näheren Bestimmung von Regeln, die nicht nur regulieren („not merely regulate“), sondern neue Verhaltensformen schaffen und definieren („create or define new forms of behaviour“), während regulative Regeln sich auf vorgängige oder unabhängig existierende Verhaltensformen beziehen („regulate antecedently or independently existing forms of behaviour“) (33).

Unter dem Aspekt der Konstitutivität rücken also tertia in den Blick, welche die Fragestellung nach ‚Recht als Literatur‘ und ‚Literatur als Recht‘ insofern konsequent weiterentwickeln, als sie nach den grundlegenden oder als grundlegend erachteten Eigenschaften, Strukturen und Funktionen fragen, deren Identifikation einen dergestalt vergleichenden Zugriff überhaupt erlauben. Nehmen Materialität und Komparativität notwendig und selbstverständlich Bezug auf institutionelle, kulturelle, epistemologische, anthropologische, soziologische und andere Kontexte, so konzentriert sich Konstitutivität auf Argumente, die zur Behauptung der (wie auch immer relativen) Autonomie einer Disziplin dienen, ungeachtet dessen, ob sie ihrerseits mitunter von weiteren inter- oder transdiziplinären Begründungen abhängig sind. Die historische oder systematische Rückführung von Recht und Literatur auf einen spezifischen Kern zielt also auf Übereinstimmungen und Differenzen auf der Ebene von Rechtsidee und Literarizität. Sie untersucht, ob, inwiefern und bis zu welchem Maße eine gemeinsame Grundlage der beiden Disziplinen auf konstitutive Elemente einer der beiden zurückgeführt werden kann, die sich als konstitutiv für die jeweils andere erweisen lassen. Um Zirkularität zu vermeiden, muss dabei der Unterschied von genealogischen und analytischen Argumenten bedacht werden.

Wenden wir uns neueren Versuchen zu, einen analytisch konsistenten Begriff von Literatur zu gewinnen, so begegnen wir nicht selten einem freudvollen Agnostizimus. „Mit bemerkenswerter Souveränität“ (80), so Jochen Hörisch (2007), habe das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Kunst und Literatur nicht allgemeingültig zu definieren seien.Footnote 50 Vermutlich ist diese Souveränität Ausdruck eines gewissen Dilemmas, dem schon Nietzsches bekanntes Diktum galt: „definirbar ist nur Das, was keine Geschichte hat“, wobei ihm die genannte höchstrichterliche Instanz jedoch kaum in der Ansicht folgen würde, dass es „heut unmöglich [ist] bestimmt zu sagen, warum eigentlich gestraft wird“ (1993, 317). Tatsächlich können wir beobachten, dass die Frage nach der Konstitutivität schnell in Aporien führt, stehen analytische Versuche, Recht und Literatur zu definieren, gemeinhin im Widerspruch zu historischen Untersuchungen, die solche Definitionen relativieren oder deren Möglichkeit gar bestreiten. Die Geschichtlichkeit der Begriffe von Recht und Literatur stellt so auch eine Forschung in Frage, die ‚wesentliche‘ Elemente einer Disziplin für ‚wesentliche‘ Verwandtschaften und Übereinstimmungen zwischen den Disziplinen verantwortlich macht, wobei die Gemeinsamkeiten nicht selten ahistorisch als systematisch und somit auch geltend behauptet, die Gründe für diese Gemeinsamkeiten aber genealogisch als historische hergeleitet werden.

In der Literaturwissenschaft wird dem Problem dadurch begegnet, dass eine „doppelte“, sowohl historische als auch institutionelle Einbettung von Literatur heute weitgehend als unstrittig erachtet wird (Lamarque 2009, 78; vgl. Widdowson 1999, 96). Als literarisch gilt einer aktuell herrschenden pragmatischen Tendenz zufolge dasjenige, was als Literatur produziert oder rezipiert wird (Jannidis et al. 2009, 3–37). Diesem historischen Befund steht jedoch eine Entwicklung neueren Datums entgegen, welche die Konstitutivität von Literatur erneut in den Mittelpunkt zu rücken versucht. Nach einer Phase der (nach mancher Auffassung ausufernden) ‚Kulturalisierung‘ oder des ‚Panfiktionalismus‘ (vgl. Blume 2004, 12–16), in der die textuelle Verfasstheit von Wirklichkeiten, von menschlichem Weltverhalten und insbesondere von Ideologien zum zentralen Analysegegenstand einer kulturwissenschaftlich ausgeweiteten Literaturwissenschaft wurde, erfolgte so in den letzten Jahren eine Rückbesinnung auf das genuin Literarische, die allerdings den Erkenntnissen der verschiedenen cultural turns Rechnung trägt.Footnote 51 Beispielhaft für diese theoriebewusste Fokussierung kann der von Jannidis/Lauer/Winko verantwortete Band über die Grenzen der Literatur (2009) stehen, der eine Neubestimmung des ‚Phänomens des Literarischen‘ anstrebt. Die Frage ‚Was ist Literatur?‘ wird von Gottschalk/Köppe (2006) programmatisch im Kontext einer weiteren Debatte über Kunstphilosophie und -ontologie gestellt; der Literaturbegriff selbst ist zudem Gegenstand einer ganzen Reihe von Publikationen, für die hier nur stellvertretend Rosenbergs umfangreiche Studie über die Verhandlungen des Literaturbegriffs (2003) sowie der transdisziplinäre Band von Löck/Urbich (2010) genannt seien. Ebenso, wenn nicht noch dezidierter stellt sich die sogenannte philosophy of literature im englischsprachigen Raum Grundfragen literarischer und ästhetischer Verfasstheit.Footnote 52 Mag auch die Zentralität dieser Anliegen unbestritten oder gar unbestreitbar sein, so waren sie dennoch im Zuge der theory wars lange Zeit aus dem Blick geraten.

Betrachten wir die Literaturgeschichte, so lässt sich allerdings feststellen, dass die Frage nach dem Wesen der Dichtung spätestens seit der Wiederentdeckung der Aristotelischen Poetik um 1550 zentral und ununterbrochen be- und verhandelt wurde. Sind es auch Grundbegriffe der Aristotelischen Poetik, die in der Folge als konstitutiv für die Dichtung erachtet werden, so muss zudem aber auch der Rezeptionshintergrund bedacht werden, der zum einen durch die systematischen Vorgaben der Rhetorik, zum andern durch die kontinuierlich tradierte Horazsche Ars poetica gebildet wird.Footnote 53 Hauptsächlich drei Fragen erscheinen in unserem Zusammenhang relevant: Das Wie (Vers, Stilebene), das Was (wahrscheinliche Handlungen von Menschen) und das Wozu (Unterhaltung, Belehrung) (vgl. Weinberg 1961, 793–813). Sehr verknappt lässt sich sagen, dass sowohl der Fragebereich als auch die Orte, die zur Beantwortung herangezogen werden, bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts eine überschaubare Menge autoritativer Elemente darstellen, die eher neu kombiniert denn durch neue ergänzt werden. Erst die romantische Vorstellung einer Selbstkonstitution des Kunstwerks bricht dezidiert mit der synkretistischen Tradition der im wesentlichen Aristotelischen Dichtungsvorstellung: Im Sinn der ‚romantischen Ironie‘ erscheint der literarische Text nun als essentiell selbstreflexiv (Garber 1988; Quendler 2001; Kohns 2007; Pirholt 2012), insofern jedes Werk aufs Neue begründet und transformiert, was es bedeutet, Literatur zu schaffen. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, dass gängige Vorstellungen von Literatur irritiert, ja geradezu ‚dekonstruiert‘ werden, indem etwa die Möglichkeit der Entstehung, Wirkung und Geltung von Literatur sowie die gesetzte Differenz zu Nichtliterarischem problematisiert werden. Mag ein solches Verständnis schon in Cervantes’ Don Quijote vorgezeichnet sein, so begegnen wir erst in der deutschen Frühromantik dem Anspruch, die Grenze zwischen Literaturtheorie und literarischem Werk aufzulösen. Dadurch wird das intrikate Verhältnis von Genese und Beschaffenheit des literarischen Werkes selbst zur Produktion literarischer Werke nutzbar gemacht. Dieser höchst reflexive Literaturbegriff ist unter der Bezeichnung ‚Metafiktion‘ in neuester Zeit zum Gegenstand intensiver literaturwissenschaftlicher Forschungen geworden (vgl. Waugh 1984; Setzkorn 2000; Frank 2001; Grub und Bareis 2010).

Sowohl in der literarischen als auch in der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Konstituiertheit von Literatur geht es um die klassischen kunstontologischen Fragen nach der „Art und Weise der Existenz von Kunstwerken“ und nach den „Bedingungen der Identität von Kunstgegenständen“ (Schmücker 2014, 7, Hervorhebung im Original; vgl. auch Urbich 2011, 45–66). Es sind dies jedoch nicht die einzigen Fragen, die zur Begründung des Autonomieanspruchs von Literatur gestellt werden. Sie werden durch theoretische Überlegungen ergänzt, bisweilen auch verdrängt, die danach fragen, wie sich der Gegenstand aufgrund sozialer Erkenntnisinteressen innerhalb der Literaturwissenschaft disziplinär und wissenschaftsdiskursiv entwickelt hat, oder aber ob – und falls ja: welche – soziale Wirkmacht der Literatur zugesprochen wird. In Analogie zu anderen Wissenschaften ließen sich die Fragestellungen der ersten Art, die auf Existenzmodus und Identitätsbedingungen literarischer Werke zielen, als Formalismus, diejenigen der zweiten, deren Interesse sich auf Genealogie und Wirkung literarischer Werke richtet, als Instrumentalismus bezeichnen.

Auch in der Rechtswissenschaft wird die Frage nach dem ‚Proprium‘, ehemals ‚Wesen‘ (vgl. Zippelius 1965) des Rechts primär als eine Frage der Grenzziehung zu den übrigen expliziten Normensystemen diskutiert, das heißt an erster Stelle zu Moral bzw. ethisch fundierten Sollenssätzen, sodann zu Sitte, Konvention oder Brauch.Footnote 54 Erst in der jüngeren Forschung ist die Abgrenzung zu anderen Disziplinen oder gesellschaftlichen Subsystemen, die als ‚implizite Normensysteme‘ bezeichnet werden mögen, hinzugekommen. Es handelt sich hierbei um Systeme, die ebenfalls in der Lage sind, entweder normative Ansprüche zu erheben oder aber Verhaltensregeln zu formulieren und so zumindest faktisch in Konkurrenz zu den vom Recht generierten normativen Verhaltenserwartungen treten können – hier soll der exemplarische Hinweis auf die ‚Eigenrationalität der Wirtschaft‘ genügen.Footnote 55

Im Unterschied zur Tradition des Literaturbegriffs, die im Sinne der Aristotelischen Poetik die mimesis zusammen mit den Mitteln von rhythmos und logos als konstitutiv erkennt (1147a24),Footnote 56 können wir vor dem 19. Jahrhundert kaum von einem autonomen Rechtsbegriff sprechen. Wird die Dichtung zwar material auf die Darstellung von Handlungen beschränkt sowie final durch gewisse Zwecke (man denke an das berühmte Horazsche aut prodesse aut delectare) legitimiert, so ist versprachlichte mimesis nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit ein Konzept, das von anderen Künsten und Wissenschaften kaum reklamiert wird. Die Abhängigkeit des Rechts (ius) von dem Gerechten (iustum) hingegen ist seit Isidors EtymologiaeFootnote 57 ein hundertfach wiederholter Gemeinplatz. Zwar wird dieser von Niccolò Machiavelli und den politici sowie später von Thomas Hobbes in Frage gestellt, doch einzig, um das Recht von seiner Göttlichkeit, Vernünftigkeit und aequitas zugunsten eines zweckmäßigen, der necessità geschuldeten Kalküls bzw. zugunsten absoluter staatlicher Autorität zu befreien.Footnote 58 Für die meisten Rechtstheoretiker der vormodernen Phase ist das Gesetz schriftlicher Ausdruck der Gerechtigkeit, die als Tugend, Instinkt oder Vernunft in einem übergeordneten Prinzip gründet, das seinerseits in einem übergeordneten Wissen der Ethik, Politik oder Theologie seine Begründung findet. Dies gilt gleichermaßen für das natürliche wie für das positive Recht (vgl. Fasso 1972, 41).

Die hier avisierten Untersuchungen zur Konstitutivität tragen dieser historisch ganz unterschiedlichen Entwicklung konstitutionsspezifischer Argumente in den beiden Disziplinen Rechnung, indem zunächst Abstand genommen wird von demjenigen, was in der jeweiligen gestrigen und heutigen Forschung als im weiten Sinne ‚konstitutiv‘ (spezifisch, wesentlich) erachtet wird. Wendet man sich der engen, fachsprachlichen Verwendung von ‚konstitutiv‘ zu, so erscheint die Wahl des Ausdrucks ‚Konstitutivität‘ durch die juristische Terminologie motiviert. In der Rechtswissenschaft gilt eine Handlung als konstitutiv, wenn sie Recht begründet, aufhebt oder gestaltet. Im Gegensatz dazu wird ein Vorgang als ‚deklaratorisch‘ bezeichnet, wenn er eine bereits eingetretene Rechtsfolge lediglich feststellt. Die Begriffe sind also nicht deckungsgleich mit einer Forschung, welche das Recht oder gewisse Rechte auf einen konstitutiv literarischen Kern rückzuführen versucht. Sie bedient sich hierzu nicht selten der Vorstellung von Mythos und der dem Mythos eigenen Narrativität; sie invertiert,Footnote 59 ja subvertiert die Vorstellung, wonach Dichtung ein bereits existierendes Recht zum Ausdruck bringe. Von der Narrativität als Darstellungsmodus verzeitlichter Prozesse wird auf Fiktionalität geschlossen und eine Genealogie konstruiert, die das Recht zum diskursiven, kodifizierten Ausdruck einer ursprünglichen Fiktion macht. Es stellt sich also die Frage, ob das „Rechtsdenken“ für die Dichtung „konstitutiv“ (Schmidt 2010, 70) ist oder umgekehrt die Dichtung für das Rechtsdenken.Footnote 60 Die Beantwortung setzt die kritische Erörterung voraus, ob Imaginiertes und Narrativik vereint Fiktionalität (und nicht eine Lüge, ein exemplum etc.) ergeben und diese ihrerseits mit guten Gründen als konstitutiv literarisch erachtet werden kann.

Wie man diese Frage im Einzelnen auch beantworten mag, so lassen sich Erzählweisen und -verfahren im Rahmen eines narratologischen Zugriffs untersuchen, und es lässt sich dabei die Bedeutung spezifischer Erzählmuster für die Funktionsweisen und Sinnkonstitution der jeweiligen Wertsphären erkennen (von Arnaud 2009, 14–50; Koschorke 2007; Koschorke 2004). Da sich nun die Literaturwissenschaft unbestritten auf dem Feld der Narratologie methodologisch ausweist, so kann daraus aber nicht a priori gefolgert werden, dass der nachvollziehbare Fokus der literaturwissenschaftlichen Narratologie auf fiktionale Texte eine grundlegende Übereinstimmung von Erzählen und Erfinden impliziere.Footnote 61 Die Ansicht, Fiktionalität dürfe nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal der Literatur betrachtet werden, da recht besehen auch das Recht von Fiktion(en) geprägt sei, ist vorschnell und führt zu einer theoretischen Haltung, deren Anfechtbarkeit heute sicherlich deutlicher hervortritt, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Eine Zuordnung, der zufolge das Verhältnis von Literatur zur Welt durch Fiktionalisierung, das von Recht zur Welt hingegen durch einen Wahrheitsanspruch bestimmt sei, als obsolet und als bloße Verhüllung der ‚literarischen‘ Wesenheit des Rechts zu deklarieren, ist hier weder intendiert, noch scheint sie nachvollziehbar (vgl. Heijl 1990, 221–228; Struck 1990, 179–186; Seibert 1990, 87–196).Footnote 62

Es mag nicht überraschen, dass die Suche nach ästhetischen Eigenschaften von Recht und Gesetz bisweilen dazu herhalten muss, in Eleganz und Formvollendetheit gewisser Rechtstexte ästhetische Modelle auch für literarische Texte zu finden. Die Frage stellt sich jedoch, ob z. B. die mustergültige Klarheit dadurch eine konstitutive Bedeutung des Rechts für die Literatur erhält, dass sie als charakteristische Tugend der Rechtssprache erscheint. Für Genette (1991) ist das berühmte Diktum Stendhals, dass dieser jeden Morgen im Code civil lese, um sich auf die Redaktion seines Romans La Chartreuse de Parme einzustimmen, bezeichnenderweise Ausweis für ein konditionales Argument, das aus einer „attitude individuelle“ (8) heraus ein nicht-literarisches Werk zu einem literarischen Modell erklärt. Genette setzt somit voraus, dass Argumente erst dann konstitutiv sind, wenn sie allgemeine Geltung erhalten, nicht aber durch eine bloße oder willkürliche Setzung. Die Reflexion über die soziale Geltung einer solchen normativen Behauptung führt uns tatsächlich in eine Disziplin, die zwar mit derjenigen der Literaturwissenschaft heute eng verwandt erscheint, in ihrer Geschichte sich aber ganz und gar nicht unter dem Diktat der Poetik bewegt hat. Die Klarheit nämlich ist dem Tugend-Katalog der Rhetorik entnommen und diese Rhetorik hat ursprünglich wohl eine größere Nähe zur forensischen Praxis als zur literarischen.Footnote 63 So mag es überraschen, dass die Rhetorik von Seiten der law-as-literature-Forschung für die Behandlung des Rechts als spezifisch literarisch ins Feld geführt wird. Der Grund hierfür dürfte wohl zum einen in der Hinwendung des Rechts zu Fragen der Rhetorik, genauer der Topik, zu finden sein, wie sie etwa von Viehweg (1953) und Perelman (1963) unabhängig voneinander betrieben worden ist.Footnote 64 Erst durch Paul de Mans dekonstruierende Behandlung der rhetorischen Figuren und Tropen jedoch erhielten diese, und mit ihnen die gesamte Rhetorik, den Status von Zeichen, die das Gegenteil von demjenigen tun, was sie bedeuten.Footnote 65 Die Rhetorisierung des Rechts in dieser zweiten Phase war also nicht mehr ein Bewusstmachen des enthymematischen Charakters juristischer Syllogistik, sondern vielmehr der Versuch, Recht auf der Grundlage einer ‚restringierten Rhetorik‘Footnote 66 zu literarisieren. Die Verengung der Rhetorik, wie sie hauptsächlich der Literaturwissenschaft bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts angelastet werden muss, sowie die in der literarischen Hermeneutik verbreitete Vorstellung, dass Tropen, allen voran die Metapher, etwas Orakelhaftes haben und zur Wesensschau beitragen, liefern den Ausgangspunkt, an welchem Paul de Mans radikale Bedeutungskritik ansetzt. Auch wenn eine solche Rhetorik-Vorstellung heute in der Literaturwissenschaft als überwunden gilt, so hat sich die dekonstruierende Wirkung der Vokabel ‚Rhetorizität‘ auf eben dieser Basis gehalten.

Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, inwieweit die genuine Verwendung von topischen und inventiven Techniken im Bereich der Jurisprudenz einen Einfluss auf literarische Gattungen, kompositorische Techniken und stilistische Ideale u. a. m. gehabt hat. Es liegt nahe, Verhör- und Gerichtssituationen auf ihren Einfluss auf das Erzählen zu untersuchen, aber auch hermeneutische Regeln zur Auslegung rechtlich normativer Aussagen an literarische Texte heranzutragen und nach dem Einfluss der juristischen Hermeneutik auf die Auslegung literarischer Texte zu fragen. Solche Untersuchungen setzen jedoch keinen konstitutiven Rechtsbegriff voraus, sondern ergeben sich vielmehr aus der Ubiquität von Rhetorik und Stilistik, von Erzählen und Verstehen, die weder historisch noch systematisch als Proprium der einen oder der anderen Disziplin erachtet werden dürfen, wenngleich sie eine komparative Betrachtung sinnvoll erscheinen lassen.

Ist auch oft mit wenig Trennschärfe von einer Recht-und-Literatur-Forschung die Rede, die allgemeine Verfahren der Textproduktion, -rezeption und -evaluation als Ausweis einer tiefenstrukturellen Übereinstimmung behauptet, so ist noch größere Vorsicht geboten, wo ebendiese Forschung ‚Recht und Literatur‘ mit ‚Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft‘ verwechselt. Um die Relevanz der Frage nach der konstitutiven Funktion der Rechtswissenschaft für die Literaturwissenschaft sowie der Literaturwissenschaft für die Rechtswissenschaft zu verdeutlichen, kann exemplarisch auf die Genese der Germanistik als Fachwissenschaft(en) stehen. Bekanntlich ging Jacob Grimm von einem gemeinsamen Ursprung von Recht und Literatur aus und betonte die wechselseitige Verbindung: beide seien „miteinander aus einem bette aufgestanden“, ihre Stoffe speisten sich „aus einer quelle“, was ihn zum Schluss verleitet: „die poesie wird folglich das recht enthalten wie das gesetz die poesie in sich schlieszen“ (Grimm 1965, 153 f.). Recht und Literatur sind aus dieser Perspektive genealogisch untrennbar miteinander ‚verwandt‘. Für die Etablierung der Germanistik als Fachdisziplin war diese Ansicht grundlegend, ist sie für Grimm doch eine Wissenschaft des deutschen Rechts im Kontext germanischer Sprach- und Literaturtraditionen. Dem rechtswissenschaftlichen Streit zwischen ‚Germanisten‘ (die einem gewachsenen deutschen Volksrecht anhingen) und ‚Romanisten‘ (die in den Pandekten Justinians die eigentliche Rechtsquelle suchten) verdankte sich der erste deutsche ‚Germanistentag‘ 1846 in Frankfurt am Main, der gemeinhin als Beginn des Faches Germanistik gilt. Dieses differenziert sich jedoch bald gemäß eher juristischer bzw. eher philologischer Interessen in zwei geschiedene Fächer gemeinsamen Namens (vgl. Schäfer 2008).

Für die Begründung der Germanistik bleibt die Wechselbeziehung zwischen Rechtswissenschaft und einer im Entstehen begriffenen Literaturwissenschaft indes konstitutiv (Gruber 2009, 295). Dies äußert sich nicht zuletzt, wenn man Heuristik und Methodik der Rechts- und Literaturwissenschaft in den Blick nimmt. Ungeachtet aller Unterschiede im Großen und Kleinen sind auch heute noch fundamentale Gemeinsamkeiten zu erkennen, die sich vor allem hinsichtlich der Analyse und der Interpretation von Texten abzeichnen. Doch auch hier muss beachtet werden, dass im Gegensatz zu den (editions-)philologischen Verfahren die oft angeführte Hermeneutik weder genuin noch spezifisch literaturwissenschaftlich ist. Genau genommen ist auch hier die Distanz der Rechtswissenschaft zur Interpretationslehre historisch betrachtet wohl geringer als diejenige der Philologie. Wenn also heute in der Recht-und-Literatur-Forschung hermeneutischen Fragen große Aufmerksamkeit geschenkt wird (Binder und Weisberg 2000, 112–200; Lachenmaier 2008, 79–145; Posner 2009, 273–328), so hat das damit zu tun, dass – ungeachtet aller Kritik von Seiten des Formalismus, des Strukturalismus oder des Dekonstruktivismus – Interpretation auch heute noch oftmals als ein spezifisch literaturwissenschaftliches Verfahren erachtet wird, das zudem wie kein anderes im Zentrum der Methodendebatten der Literaturwissenschaft steht. So kann denn auch nicht zu Unrecht Rüdiger Zymner (2013) die heutigen „Grundfragen der Literaturwissenschaft“ als die einer „erklärenden Hermeneutik“ erachten. Hierzu verweist er auf das „Manifest der Gruppe Erklärende Hermeneutik“, in der als Antwort auf die „methodologische Grundlagenkrise“ der Literaturwissenschaften eine „erfahrungswissenschaftlich orientierte Hermeneutik“ empfohlen wird (46).Footnote 67 Einzig aufgrund einer solchen Prominenz erscheinen interpretatorische Verfahren als ein Beitrag, der in der rechtswissenschaftlichen Forschung als literaturwissenschaftlich verbucht werden kann. Dabei wird jedoch die große Methodenvielfalt der Literaturwissenschaft unvermeidlich auf ein bestimmtes Verständnis von Hermeneutik beschränkt, das sich in der law-and-literature-Forschung in den meisten Fällen als ein poststrukturalistisch informiertes erweist. Es entsteht der Verdacht, dass der spezifische Beitrag einer literaturwissenschaftlichen Hermeneutik nicht darin besteht, Interpretationen zu liefern, sondern sich darin zu erweisen, dass es die eine richtige Interpretation nicht gebe. In der deutschsprachigen Rechtswissenschaft profiliert etwa Ino Augsberg (2009) gegen eine verbreitete Tendenz, Rechtswissenschaft zunehmend im Sinne einer pragmatisch ausgerichteten Handlungswissenschaft zu verstehen, einen Zugang zum Recht, den er unter dem Schlagwort der ‚Lesbarkeit des Rechts‘ als „texttheoretische Lektionen für eine postmoderne juristische Methodologie‬“ empfiehlt, um der unter Juristen und Juristinnen in der Auslegung von Rechtstexten vorherrschenden Naivität zu begegnen (9–14).

Untersucht man schließlich Ausdifferenzierungsprozesse, wie sie hauptsächlich in der Soziologie modelliert worden sind, so lassen sich sicherlich Parallelen zwischen der historischen Etablierung und Erhaltung rechtlicher und literarischer Wertsphären ausmachen. Was als Recht bzw. als Literatur gilt, erscheint aus dieser Perspektive als kulturell und historisch variabel und nur unter Einbeziehung institutioneller, kommunikativer und habitueller Dimensionen erfassbar. Doch auch diese Parallelen dürfen nicht überschätzt werden: Ob die neuzeitliche Konstitution von Recht und von Literatur nun mit Weber als kulturelle Wertsphären verstanden, mit Luhmann (1993; 1995) als gesellschaftliche Teilsysteme begriffen oder mit Bourdieu (1986, 3–19; 1992) als Felder bezeichnet werden, die Erkenntnis, dass sie Ähnlichkeiten aufweisen, ist zunächst einmal das Ergebnis methodologischer Vorgaben, wenn nicht gar einer offen eingeforderten systemtheoretischen Universalität, die per definitionem für jeden sich ausdifferenzierenden Bereich gilt.

Der sich abzeichnenden Gefahr solch vager, allgemeiner und unspezifischer Thesen muss begegnet werden, indem heuristisch der Fokus auf Kernbereiche gerichtet wird, die am deutlichsten analytischen Erwartungen an die jeweilige Disziplin entsprechen. Es sind dies die Setzung, Anwendung und Durchsetzung rechtlicher Normen einerseits sowie die mimetische Erzeugung möglicher oder wahrscheinlicher Welten in einer an ästhetischen Ansprüchen sich messenden Sprache andererseits. Was die normative Grundlegung konstitutiv rechtlicher Elemente und ihre Wirkung auf die Literatur betrifft, so gilt es hauptsächlich, das Rechtsinstitut des Vertrags, das Rechtssubjekt des Urhebers, das Grundrecht der Kunstfreiheit sowie den Schutz des Persönlichkeitsrechts zu bedenken. Seit Lejeunes Pacte autobiographique ist der Vertrag zu einem verbreiteten Definiens literaturwissenschaftlicher Fiktionstheorien geworden (1996, 23). Diese Verträge, die ‚der Autor‘ mit der/m Leser/in aufgrund der Namensidentität von Autor- und Erzählername eingeht, regeln, ob ein Text referentiell („pacte référentiel“) oder fiktional zu lesen ist („pacte romanesque“) (1996, 36 und 28). Der Vertrag ist hier also durchaus als konstitutiv zu verstehen; er macht einen Text zu einem literarischen qua Fiktionalität oder zu einem nicht-literarischen qua Referentialität oder Faktualität.Footnote 68 Die Dissoziation einer Autorin oder eines Autors von einem Erzähler und die damit verbundene Auflösung einer referentiellen Verpflichtung stellt zum einen Aufgaben an die literaturwissenschaftliche Forschung, insofern sich diese nicht einfach auf Vertragsschließung beschränken kann, sondern die rechtlichen Implikationen der Verwendung von ‚Pakt‘ und ‚Vertrag‘ systematisch und historisch zu benennen hat, z. B. die Geltungsdauer, die allfälligen Sanktionen bei Vertragsbruch, Formen der Einwilligung etc. (vgl. Achermann 2013, 23–53). Sie stellt zum anderen Aufgaben an die Rechtswissenschaft, da die Konsequenzen einer solchen Vertragstheorie für die Definition der Kunstfreiheit doch bisweilen als maßgeblich erachtet werden. Garantierte ein Pakt die Referentialität z. B. einer Autobiographie oder eines Essays, so ließe sich schwer begründen, wie etwa ästhetische Qualitäten den Urheber eines solchen Textes von der Beachtung von Vorschriften zum Schutz der persönlichen Ehre entpflichten sollten. Eine Kollision von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten erschiene in solchen Fällen noch unvermeidbarer als bei einem mutmaßlich satirischen Roman wie, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen, Klaus Manns Mephisto.

Besonders deutlich wird die konstitutive Funktion des Rechts dort, wo es um Autorenrechte und Zensurmaßnahmen geht. Die Urteilsbegründungen sehen sich in beiden Fällen gezwungen, sich zum literarischen bzw. nicht-literarischen Status von Texten zu verhalten. Der Geschichte des Autorenrechts, namentlich seiner Beziehung zu Ästhetik und Geniedenken, ist in den letzten Jahrzehnten auch von Seiten der Literaturwissenschaft große Aufmerksamkeit zugekommen (Bappert 1962; Dock 1962; Bosse 1981; Constable 1983, Dölemeyer 1986; Klippel 1993; Feather 1994a; Feather 1994b; Woodmansee 1995; Gieseke 1995, Boncompain 2002; Wadle 1996–2003; Werner-Meyer 2004; Wadle 2012; Stolleis 2012). Es ist ein Mix poetologischer und ästhetischer Kategorien, die zur Begründung des Autorenrechts herangetragen werden: Eigenständigkeit der Invention, Originalität und Wiedererkennbarkeit, formale Individualität, Relevanz der strittigen Elemente für das gesamte Werk etc. Als Beispiel sei hier eine richterliche Begründung angeführt, die mit den genannten Versatzstücken den Werkbegriff konstituiert und damit auch Verfasserinnen oder Verfasser zu Autorinnen oder Autoren macht:

Ideas, concepts, and the like found in the common domain are the inheritance of everyone, [so that] focus must be on the similarity of the expression of an idea or fact, not on the similarity of the facts ideas, or concepts themselves.Footnote 69

Die Feststellung der Originalität, verstanden als Originarität und Individualität, dient je nach Rechtsauffassung der Normierung sowohl eines ‚ökonomischen oder Besitzrechts‘ als auch eines ‚moralischen oder persönlichen Rechts‘.Footnote 70 Beide Aspekte dürften den Status literarischer Autorschaft sowie den Umgang mit literarischen Texten weit stärker bestimmen, als dies gemeinhin angenommen wird.

Gleichsam als Pendant hierzu finden wir die Zensur, die Verfasserinnen und Verfassern nicht Rechte aufgrund der eigenständigen Qualität ihrer Werke verleiht, sondern das Recht auf freie Äußerung, nicht selten nach Verneinung ästhetischer Qualitäten, entzieht.Footnote 71 Dabei beschränkt Zensur nicht nur die Zirkulation von Literatur, sondern hat immer auch Auswirkungen auf die literarische Produktivität (Selbstzensur oder die sprichwörtliche ‚Schere im Kopf‘).Footnote 72 Dass die Zensur kein historisches Phänomen ist, das nur unter bestimmten politischen Bedingungen (Diktatur) virulent ist, sondern zensorische Literaturkontrolle ein transepochales und politisch weitgehend indifferentes Kulturmerkmal ist, zeigen aktuelle Forschungen (Lorenz 2009; zu früheren Epochen Kerby-Fulton 2006 oder Birn 2012).Footnote 73

Die Frage, was Recht bzw. Literatur ausmacht, zählt mithin zum ‚Kerngeschäft‘ der Rechts- bzw. Literaturwissenschaft. Ungeachtet der vielfältig erforschten Einflussbeziehungen zwischen Recht und Literatur stehen Forschungen, welche die fundamentale Bedeutung der Konstitutivität für Recht und Literatur in ihrer wechselseitigen Verschränkt- und Bedingtheit in den Blick nehmen, noch aus. So sollen die im Folgeband 3 vorgestellten Forschungen dazu beitragen, auch hier eine Forschungslücke zu schließen. Sie versprechen Einsichten in Strukturprinzipien und Denkmuster der jeweiligen Wertsphären, deren Genese sie gleichzeitig nachzuzeichnen erlauben. Sie komplettieren ein Forschungsspektrum, das in Materialität und Komparativität zwei weitere aspektuelle Ausdifferenzierungen der einen Frage nach der Beziehung von Recht und Literatur kennt. Im Unterschied zur Relation der Materalität, in der letztlich aneignende Begegnungen von Recht und Literatur fokussiert werden, und jener der Komparativität, wo vergleichende Begegnungen (ohne Vermischungen) im Zentrum stehen, rücken die Arbeiten zur Konstitutivität solche disziplinären Begegnungen in den Blick, die sich in einem Bedingen, Verknüpfen oder im Überschreiten von Grenzen manifestieren. Grenzen aber bilden auf konzeptueller Ebene einen Bezugspunkt, da Fragen zu Materialität und Komparativität oftmals die Dimension der Konstitutivität der beiden gesellschaftlichen Bereiche Recht und Literatur betreffen: Wechselseitige Gegenstandsnahme und vergleichende Betrachtung laufen letztlich auf eine Reflexion dessen hinaus, was Recht und Literatur bzw. Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft wesentlich voneinander unterscheidet oder eint, und somit auch, was sie in ihrem Kern jeweils ausmacht. Mit den drei Beziehungsarten Materialität, Komparativität und Konstitutivität kann so das ‚und‘ zwischen Literatur und Recht nach Auffassung der Beiträgerinnen und Beiträger dieses und der beiden folgenden Bände für ein differenziertes Verständnis aufschließen und dazu verhelfen, ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht sinnvoll zu systematisieren.