4.1 Kurzbeschreibung

Der Nordamerikanische Waschbär Procyon lotor (Linné, 1758) ist ein Mesoprädator aus der Ordnung der Carnivora und gehört zusammen mit den Nasenbären, Katzenfretts, Makibären und Wickelbären zur amerikanischen Raubtierfamilie der Kleinbären (Procyonidae), welche zumeist in den Tropen und Subtropen vorkommen (Hunter und Barrett 2012). Die frühesten Procyoniden entwickelten sich vor ca. 30 Mio. Jahren in Europa und besiedelten von dort aus Asien und Nordamerika. Die Gattung Procyon entstand vor über 5 Mio. Jahren im unteren Pliozän in Mittelamerika (Koepfli et al. 2007) und besteht aus drei rezenten Arten (P. lotor, P. cancrivorus, P. pygmaeus). Procyoniden gehören zu den am wenigsten auf Fleischverzehr fixierten Vertretern der Carnivoren, die meisten Arten sind Allesfresser. Der Nordamerikanische Waschbär ist eine der weltweit am stärksten omnivor ausgerichtete Säugetierart (Hunter und Barrett 2012). Er ist ein mittelgroßer Raubsäuger mit einem gedrungenen Rumpf (gebogene Wirbelsäule) und relativ kurzen Extremitäten. Der Körperbau entspricht der Lebensweise eines Generalisten. Die 40 Zähne zeigen eine geringe Spezialisierung, weshalb Waschbären in der Lage sind, sowohl Nüsse zu knacken als auch Fleisch zu zerschneiden (Hohmann 2005).

Aufgrund teils gezielter, teils unbeabsichtigter Aussetzungen existieren heute mehrere stabile außeramerikanische Vorkommen von Procyon lotor – so kommt er als allochthone Art auf einigen Inseln (Prince Edward Island, Bahamas, Guadeloupe, Barbados) sowie in vier asiatischen Ländern (Japan, Aserbaidschan, Georgien, Iran) und 27 europäischen Ländern vor (inkl. Russland), wobei er seinen europäischen Verbreitungsschwerpunkt in Deutschland hat (Gehrt 2003; Tomaschek 2008; Müntinga 2022; Fischer et al. in print).

Waschbären zählen zu den erfolgreichsten Raubtieren Nordamerikas, die eine Vielzahl an Habitaten besiedelt haben. In Deutschland sind die Tiere mittlerweile in allen Bundesländern verbreitet (mit Vorkommensschwerpunkten in den östlichen Bundesländern sowie Hessen und Niedersachsen; Baudach et al. 2022; Müntinga 2022; siehe Abb. 4.1).

Abb. 4.1
figure 1

Verbreitung des Waschbären in Deutschland auf der Grundlage der gemeldeten Jagdstrecken (inkl. Todfunde) für die Jagdjahre 2017/2018 bis 2019/2020 bezogen auf die Landkreise und kreisfreien Städte bzw. Regierungsbezirke (NRW). Die Landkreise um die beiden wichtigsten Gründerpopulationen am Edersee (Nordhessen; 1934) und in Wolfshagen (Ostbrandenburg; 1945) stellen noch immer die größten Vorkommensschwerpunkte in Deutschland dar. Seit den 2000er-Jahren ist ein vermehrtes Zusammenwachsen beider Kerngebiete zu beobachten, wobei das Bundesland Sachsen-Anhalt als Bindeglied fungiert. Grafik: J. Müntinga

Fig. 4.1 Distribution of raccoons in Germany based on the reported hunting bag data for the hunting years 2017/2018 to 2019/2020 in relation to the counties and independent cities or administrative districts (NRW). The counties around the two most important founder populations at Lake Eder (North Hesse; 1934) and Wolfshagen (East Brandenburg; 1945) still represent the main distribution areas in Germany. Since the 2000s, there has been an increased convergence of the two core areas, with the state of Saxony-Anhalt acting as a link. Map: J. Müntinga

Waschbären sind überwiegend nachtaktiv und leben bevorzugt in gewässerreichen Laub- und Mischwäldern (Abb. 4.2). Aufgrund ihrer enormen Anpassungsfähigkeit kommen sie zunehmend auch in Bergwäldern, Salzwiesen und urbanen Gebieten vor. Als ausgeprägte Kulturfolger und urbanophile Art sind sie erfolgreich in Städte vorgedrungen (Hoffmann und Gottschang 1977; Hohmann et al. 2001; Michler 2004). Waschbären sind Generalisten und ernähren sich vorwiegend von dem, was leicht und in großen Mengen verfügbar ist. Das Nahrungsspektrum variiert dabei stark in Abhängigkeit vom Lebensraum und der Jahreszeit – grundsätzlich ernähren sich die Tiere in Deutschland zu ca. 50 % von Wirbellosen (vor allem Regenwürmer und Mollusken), zu 30 % von pflanzlichen Bestandteilen (Baumfrüchte und Obst) und zu 20 % von Wirbeltieren (v. a. Fische, Amphibien, Kleinsäuger; Michler 2020).

Abb. 4.2
figure 2

Adulter Waschbär in einem Quellbach – ein geeigneter Waschbär-Lebensraum bietet neben genügend Nahrungsressourcen und geeigneten Schlaf- und Wurfplätzen auch eine dreidimensionale Struktur, um sich einer Gefahr durch Klettern zu entziehen. (Foto: I. Bartussek)

Fig. 4.2 Adult raccoon in a small creek – suitable raccoon habitat provides sufficient food resources and suitable den sites and natal dens, as well as a three-dimensional structure to escape danger by climbing. (Photo: I. Bartussek)

Aufgrund ihrer kognitiven Leistungen, verbunden mit einem ausgeprägten haptischen Lernvermögen sowie ihren hoch entwickelten taktilen Fähigkeiten, gehören Waschbären zu den intelligentesten Säugetieren der Welt (Zeveloff 2002).

4.2 Hintergrund

Das Interesse neuerer zoologischer Studien richtet sich in zunehmendem Maße auf die funktionale Rolle der Tiere in den Ökosystemen und ihre Wirkung auf diese (Holtmeier 2002). Nicht zuletzt haben die zunehmenden Diskussionen über die Ursachen und die Funktion der Biodiversität in den Ökosystemen, beispielsweise die Ansiedlung von fremden Arten, die Wirkungen der Tiere in ihrem Lebensraum stärker ins Blickfeld rücken lassen. Die Auswirkungen von Neozoen auf die Biodiversität sind eine der größten Herausforderungen der Naturschutzbiologie (Sala et al. 2000).

Seit den 1990er-Jahren tritt der in Deutschland mittlerweile fest etablierte neozonale Kleinbär verstärkt in Erscheinung und ist damit Auslöser kontroverser Diskussionen über negative Auswirkungen auf einheimische Tierarten sowie über seine Rolle als potenzieller Krankheitsüberträger. Die Beurteilung der ökologischen und ökonomischen Rolle des Waschbären schwankte seit seiner Einbürgerung beträchtlich und hing stark von den vorherrschenden Intentionen und vom jeweiligen Zeitgeist ab (Bartussek 2004). In den letzten Jahren sind Richtlinien und Kriterien zur naturschutzfachlichen Einstufung und zum Management des Waschbären veröffentlicht worden (Nehring et al. 2015; Scheibner et al. 2015), dennoch herrscht weiterhin Uneinigkeit in Bezug auf den konkreten Umgang mit dieser gebietsfremden Tierart. Dies ist nicht zuletzt auf eine mangelnde wissenschaftliche Datengrundlage zurückzuführen. Nach wie vor fehlt es an evidenzbasierten Erkenntnissen zu den Auswirkungen der Waschbärenbesiedlung vor allem in naturnahen Lebensräumen und somit zur ökologischen Einnischung des Waschbären in die autochthone Faunengemeinschaft.

4.3 Kenntnisstand zu den Auswirkungen der Waschbärenbesiedlung in Deutschland

4.3.1 Ökonomische Schäden durch Waschbären

Im Gegensatz zu seiner nordamerikanischen Heimat verursacht der Waschbär in Europa bislang nur geringe wirtschaftliche Schäden (Gehrt 2003; Michler und Michler 2012).

Waschbären haben eine Vorliebe für pflanzliche Nahrung (insbesondere Obst wie Kirschen, Pflaumen, Weintrauben; Abb. 4.3) und können im Sommer bei ausreichendem Angebot zu reinen Vegetariern werden (Michler 2020). Während der Sommer- und Herbstmonate fressen sich die Tiere mit energiehaltigem Futter wie Getreide (v. a. Mais), Baumfrüchten (Eicheln, Bucheckern) und Obst ihre Fettreserven für den Winter an. Dadurch können sie durch Fraßschäden auch Ernteverluste in Obstplantagen und landwirtschaftlichen Nutzflächen verursachen (Hohmann und Bartussek 2011). Häufig kommt an solch reichhaltigen Nahrungsquellen der gesamte Sozialverband der lokalen Waschbärenpopulation zusammen (matrilinear organisierte Strukturen; Hohmann 1998; Michler 2018), sodass z. B. einzelne Obstbäume oder Weinreben innerhalb weniger Nächte fast vollständig abgeerntet werden können. Verglichen mit Fraßschäden durch zum Beispiel Starenschwärme (ein durchschnittlicher Schwarm von ca. 10.000 Staren vertilgt bei einem individuellen Kalorienbedarf von 170 kJ z. B. über 900 kg Süßkirschen pro Tag; NABU – Fakten zum Star), bleiben die durch Waschbären verursachten Schäden aufgrund der vergleichsweise geringen Populationsdichten vernachlässigbar und werden in der Regel als Bagatelldelikte wahrgenommen. So liegt der Fraßschaden beispielsweise während der Traubenreife bei einer angenommenen Abundanz von zehn Waschbären pro km2 (Michler 2004, 2018) und einem täglichen Nahrungsbedarf von 250 g (Michler 2020) bei maximal 2500 g Weintrauben pro Tag. Auch Untersuchungen über Schäden beim Futtermais haben gezeigt, dass die Verluste durch Waschbären weit unter einem Prozent bleiben (Rivest und Bergeron 1981).

Abb. 4.3
figure 3

Kirschbäume werden während der Fruktuationszeit gerne von Waschbären aufgesucht und können innerhalb weniger Nächte nahezu vollständig abgeerntet werden (links). Telemetrische Untersuchungen in Kassel haben gezeigt, dass Stadtwaschbären in 70 % der Fälle Gebäude als Tagesschlafplätze nutzen, mehr als die Hälfte davon sind ganzjährig bewohnte Häuser (rechts; Michler et al. 2004). (Fotos: I. Bartussek)

Fig. 4.3 Cherry trees are popular places to visit by raccoons during the fruiting season and can be almost completely harvested within a few nights (left). Telemetric studies in Kassel have shown that, in 70 % of cases, urban raccoons use buildings as den site. More than half of them are year-round inhabited houses (right; Michler et al. 2004). (Photos: I. Bartussek)

Eine andere Schadsituation zeigt sich im urbanen Raum. Hier erreicht der urbanophile Kleinbär Populationsdichten von bis zu 100 Tieren pro km2 (Michler 2004) – Dichten, die von keinem vergleichbaren Raubsäuger erreicht werden. Durch die Nutzung von Wohnhäusern als Schlaf- resp. Wurfplatz können an Gebäuden kostspielige Schäden entstehen (zerstörte Dachisolierung, Schäden durch Kot und Urin etc.). Auch der Verlust von Nutz- und Haustieren (z. B. Geflügel) kann im Siedlungsraum ökonomische Auswirkungen haben.

Ergebnisse aus einem umfangreichen Forschungsprojekt zur Lebensweise urbaner Waschbärenvorkommen (Hohmann et al. 2001; Michler et al. 2004) und langjährige Erfahrungen aus Anwohnerberatungen in Kassel (Nordhessen) und anderen Städten (u. a. Berlin, Magdeburg) haben gezeigt, dass durch die Anwendung eines präventiven Konfliktmanagements die vorhandenen Problemfelder effektiv und nachhaltig eliminiert bzw. minimiert werden können (Michler 2004; siehe Abschn. 4.5.6).

4.3.2 Waschbären als Vektor für Krankheiten und Parasiten

Während Waschbären in ihrer autochthonen Heimat ein relativ breites Spektrum an zoonotisch relevanten Krankheitserregern aufweisen (Gey 1998; Rosatte 2000; Gehrt 2003), spielen sie im mitteleuropäischen Raum bei der Übertragung von humanpathogenen Erregern gegenwärtig kaum eine Rolle (Beltrán-Beck et al. 2012; Schwarz et al. 2015). Aktuelle Daten haben ergeben, dass sich das Erregerspektrum der in Deutschland wildlebenden Waschbären deutlich von dem der nordamerikanischen Waschbären unterscheidet (Gey 1998; Stope 2019).

In Mitteleuropa wurden bisher einige potenzielle Zoonoseerreger bei wildlebenden Waschbären beschrieben (Hepatitis E-Virus, Cryptosporidium spp., Sarkocystis spp., Toxoplasma gondii, Alaria alata, Mesocestoides spp.; Beltrán-Beck et al. 2012; Stope 2019; Heddergott 2020a), jedoch ist bisher nur der Nematode Baylisascaris procyonis als ernsthafte parasitäre Zoonose in Erscheinung getreten (Gey 1998; Bauer 2011). Insgesamt ist das epidemiologische Risiko des Waschbären in Mitteleuropa derzeit als gering einzuschätzen (Gey 1998; Beltrán-Beck et al. 2012; Michler und Michler 2012).

Der Waschbär ist kein Wirtstier für den Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis) und in Mitteleuropa bisher nur vereinzelt als Träger von Trichinen (Trichinella spiralis) in Erscheinung getreten (Kornacka et al. 2019; Stope 2019).

Als parasitäre Erkrankung wurde bei Waschbären der Befall mit Mesozerkarien von Alaria alata dokumentiert (Duncker ́scher Muskelegel; Michler et al. 2009; Rentería-Solís et al. 2013), wobei dieser Trematode (ebenso wie Trichinen) trotz des potenziell zoonotischen Charakters aufgrund der nicht relevanten Verarbeitung von Waschbär-Wildbret aktuell keine Gefahr für den Menschen darstellt.

In Fällen schlechter konditioneller Verfassung kann beim Waschbären in Ausnahmefällen Räude (Sarcoptes scabiei) auftreten, bisher sind in Deutschland jedoch nur wenige Einzelfälle bekannt geworden (z. B. Kassel, Berlin, Harz; Michler et al. 2009; Rentería-Solís et al. 2014b). Auch in Gebieten mit massivem Räudebefall anderer Raubsäuger (u. a. Fuchs, Marderhund, Wolf, Dachs) fiel bei Untersuchungen von Waschbären das Fehlen von Sarcoptes-Milben auf, sodass Waschbären bisher nicht als Vektor für Räudemilben in Erscheinung getreten sind. Gründe dafür werden in einer geringen Suszeptibilität gegenüber Sarcoptes scabiei sowie geringen ökologisch-parasitären Wechselwirkungen der potenziellen Wirtsarten (geringe Kontagiösität) gesehen (Rentería-Solís et al. 2014b). Auch der bei Waschbären dokumentierte regelmäßige Wechsel der Übertagungsplätze (u. a. Hohmann 1998; Michler et al. 2004; Michler 2018) scheint ein effektiver Schutz vor Ektoparasiten zu sein (Gehrt 2003).

Dagegen ist der Waschbär – wie nahezu alle heimischen Carnivorenarten – potenzieller Träger von caninen Staupeviren (CDV). Bei Staupe handelt es sich um eine ubiquitär verbreitete, meist akut verlaufende Viruskrankheit (Morbilliviren aus der Familie der Paramyxoviridae; Appel und Summers 1995; Pomeroy et al. 2008). Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt zwischen den Tieren (Tröpfcheninfektion) oder indirekt durch Kontakt von Sekretausscheidungen erkrankter Tiere. Staupe ist keine Zoonose und somit nicht auf den Menschen übertragbar, wogegen sie durch eigenständige Infektionszyklen unter Wildtieren eine große epidemiologische Bedeutung erlangen kann (Williams 2001). Für Waschbären ist Staupe, sowohl in Nordamerika als auch in Mitteleuropa, die häufigste natürliche Todesursache (Gehrt 2003; Rentería-Solís et al. 2014a, Michler 2018).

In Nordamerika spielt nach der caninen Staupe die Waschbärtollwut die bedeutendste Rolle als Mortalitätsfaktor (Gehrt 2003). Hierbei handelt es sich um eine Rabiesvirus-Vaiante, die sich (ähnlich wie andere Rabiesvirus-Varianten beispielsweise bei Stinktieren und Polarfüchsen) bei Nordamerikanischen Waschbären entwickelt hat. Deutschland ist nach den Kriterien der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) seit 2008 als tollwutfrei eingestuft – der letzte dokumentierte Fall einer terrestrischen Tollwut (Rabiesvirus, Genotyp 1) wurde Anfang 2006 bei einem Fuchs in Rheinland-Pfalz diagnostiziert. Eine Risikobewertung zur Tollwut-Epidemiologie des Waschbären in Deutschland findet sich bei Vos et al. (2012).

In Europa gilt aktuell als einzig bedeutender humanpathogener Zoonoseerreger der Waschbärspulwurm Baylisascaris procyonis aus der Ordnung der Ascaridiada (Bauer et al. 1992; Gey 1998), der in der mitteldeutschen Population Befallsraten von teilweise über 80 % erreicht (Anheyer-Behmenburg 2013; Heddergott 2020b). Im nordöstlichen Verbreitungsgebiet (Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) konnte beim Waschbären bislang keine Prävalenz mit diesen Nematoden nachgewiesen werden (Lux und Priemer 1995; Rentería-Solís 2015; Schwarz et al. 2015; Michler 2020; Heddergott et al. 2020; siehe Abb. 4.4). Somit unterscheiden sich die Tiere der mittel- und nordostdeutschen Waschbärenpopulation nicht nur genetisch voneinander (Fischer et al. 2015), sondern auch hinsichtlich der Parasitenfauna (Gey 1998; Frantz et al. 2021).

Abb. 4.4
figure 4

Verbreitung des Waschbärspulwurms auf Basis der 10 × 10-km-Referenzgitter ETRS89-LAEA5210 EEA in den Vorkommensgebieten des Waschbären in Deutschland. Die Karte zeigt den Kenntnisstand zum Vorkommen von Baylisascaris procyonis auf der Grundlage von Sektionsanalysen (n = 8104 Waschbären) in der Zeit von 2008 bis 2018. Dabei wurde B. procyonis in 113 Landkreisen bzw. kreisfreien Städten mit einer mittleren Prävalenz von 43,6 % (34,4–49,7 %) nachgewiesen. Karte M. Heddergott

Fig. 4.4 Distribution of the raccoon roundworm based on the 10 × 10-km reference grids ETRS89-LAEA5210 EEA in the areas of occurrence of the raccoon in Germany. The map shows the state of knowledge on the occurrence of Baylisascaris procyonis based on section analyses (n = 8,104 raccoons) from 2008 to 2018, with B. procyonis detected in 113 administrative districts with a mean prevalence of 43.6 % (34.4–49.7 %). Map M. Heddergott

In seltenen Fällen kann der Mensch als Fehlzwischenwirt fungieren und sich über die akzidentelle, orale Aufnahme von infektiösen Spulwurmeiern infizieren und an einer sogenannten Humanen Baylisascariose erkranken (Bauer 2013). Dabei können verschiedene Verlaufsformen einer Larva migrans (Wanderlarven; kurz LM) auftreten: die viscerale LM, okulare LM oder neurale LM, wobei die neurale Larva migrans die schwerste Verlaufsform darstellt. Empirische Daten zeigen jedoch, dass eine Humane Baylisascariose auch in stark durchseuchten urbanen Habitaten nur sehr selten auftritt. So sind in Mitteleuropa seit der Einbürgerung des Waschbären in den 1930er-Jahren lediglich ein Fall einer okularen LM (Küchle et al. 1993) sowie zwei Fälle einer (asymptomatischen) visceralen LM dokumentiert worden (Conraths et al. 1996) – in allen drei Fällen hatten die Betroffenen engen Kontakt mit handaufgezogenen Waschbären (Bauer 2011). Daten aus Nordamerika zeigen jedoch, dass subklinische bzw. asymptomatische Infektionen häufiger vorkommen können (Sapp et al. 2016). Bei einer Studie an Kleinkindern (1–4 Jahre) in den USA (Chicago) wurden bei 8 % der Kinder Antikörper gegen B. procyonis gefunden – keines der serologisch positiven Kinder zeigte klinische Symptome (Murrey und Kazacos 2004).

Die Verlaufsform einer klinischen neuralen LM ist bisher nur bei 23 Patienten in Nordamerika dokumentiert worden. Hierbei handelte es sich überwiegend um Kleinkinder < 2 Jahren (n = 13 Fälle) sowie Patienten mit geistiger Behinderung (n = 7 Fälle). In sechs Fällen führte die neurale LM nach einer eosinophilen Meningoencephalitis zum Tod. Es wird vermutet, dass Geophagie (Essen vom Boden) einen wesentlichen Risikofaktor für eine Baylisascariose darstellt (Bauer 2013).

Trotz der zum Teil hohen Prävalenzraten von B. procyonis in Mitteldeutschland ist die Dokumentationsrate für humane Infektionen in Deutschland verschwindend gering, und es gibt derzeit keine Anzeichen für ein erhöhtes Infektionsrisiko (Anheyer-Behmenburg 2013; Schwarz et al. 2015). Gerade im naturnahen Bereich, wo die Kontaktraten zwischen Mensch und Wildtier gering sind, ist daher auch in den nächsten Jahrzehnten nicht mit einer erhöhten Transmissionsgefahr des Spulwurms zu rechnen. Es wird vermutet, dass einzelne infizierte Waschbären, die in spulwurmfreie Gebiete immigrieren, nicht ausreichen, um den Infektionszyklus über die Zwischenwirte in Gang zu setzen. Ein weiterer bestimmender Faktor stellt die Nahrungsgrundlage der Tiere in den betreffenden Gebieten dar – sprich die Frage, inwieweit die für den Entwicklungszyklus notwendigen Zwischenwirte (Kleinnager) auf dem Speiseplan des Waschbären stehen (Michler 2020).

Für den Siedlungsraum wird allerdings aufgrund der zunehmenden Urbanisierung des Waschbären und dem daraus resultierenden intensiveren Kontakt zu Menschen und Haustieren (Michler 2004) ein kontinuierliches Monitoring und eine verstärkte Aufklärung über die potenziellen Risiken empfohlen (Prange et al. 2003; Sapp et al. 2016). Durch die Einhaltung grundlegender Hygienemaßnahmen lässt sich das Risiko, an einer Humanen Baylisascariose zu erkranken, nahezu vollständig eliminieren (siehe Abschn. 4.5.6).

Im Falle eines eventuell zukünftig notwendigen humanökologischen Managements ist zu erwähnen, dass die Tierart Waschbär sehr empfänglich auf Ködermaterial reagiert (Blackwell et al. 2004; Vos et al. 2012; Michler 2018) und bereits erfolgte (wurmabtötende) Beköderungsstrategien sich als sehr effektiv erwiesen haben (Rosatte et al. 1992; Smyser et al. 2010; Page et al. 2011).

4.3.3 Ökologische Auswirkungen des Waschbären

Das Management invasiver Arten ist eine Disziplin, die häufig mit voreingenommenen Ansätzen und methodischen Einschränkungen kämpft, wenn es darum geht, die Auswirkungen von Arten einzuschätzen (Bonanno 2016). Die hohe Plastizität des Waschbären, gerade auch in Bezug auf unterschiedliche Nahrungsquellen, macht es schwierig, seine Rolle innerhalb seines neuen Verbreitungsgebietes vor dem Hintergrund einer potenziellen Gefahr für einheimische Arten zu bewerten. Hierbei spielt die Kenntnis der Nahrungsgewohnheiten für die Charakterisierung der Biologie einer Art eine unabdingbare Rolle (Boitani und Fuller 2000).

Ob die Anwesenheit des anpassungsfähigen Waschbären in Deutschland nachhaltige, negative ökologische Folgen haben wird, lässt sich aufgrund einer relativ geringen Wissensbasis noch nicht endgültig beantworten. Ein grundsätzlicher Prädations- bzw. Konkurrenzdruck auf bestimmte Tierarten konnte für den Waschbären jedoch bislang nicht nachgewiesen werden und gilt aufgrund seiner mangelnden Nahrungsspezialisierung auch als unwahrscheinlich (Lutz 1995; Gebhardt et al. 1996; Hohmann 2000; Schwan 2003; Stahl 2010; Becker 2011; Engelmann et al. 2011; Michler 2020). Eine groß angelegte Metastudie zur Prädation von heimischen Vogelarten (Rauhfußhühner, Glattfußhühner, Limikolen, Greifvögel, Eulen und Singvögel) wertete über 1000 wissenschaftliche Untersuchungen aus – in keiner dieser Studien wurde der Waschbär als Prädator aufgeführt (Probst 2014).

Diesem Wissensstand gegenüber stehen Berichte, dass der Waschbär durch Prädation von insbesondere Vögeln, Amphibien und Reptilien auf lokaler Ebene einen gewissen negativen Einfluss haben kann (Günther und Hellmann 2002; Anastasiadis 2011; Stubbe 2011; Schneeweiss et al. 2019; Saghir und Panienka 2021). Für diese angenommenen populationsbeeinflussenden Prädationsereignisse von beispielsweise Graureihern, Wanderfalken, Uhus, Rotmilanen und Mauerseglern (Nicolai 2006; Henze und Henkel 2007; Schrack 2010; Görner 2011; Helbig 2011; Tolkmitt et al. 2012) existieren bis dato allerdings keine wissenschaftlichen Studien mit einem systematischen Ansatz bzw. einer fundierten, reproduzierbaren Methodik, ohne die es selbst mit eingeschränktem Prädatorenspektrum nicht möglich ist, die Bedeutung einzelner Arten zu erkennen (Hartmann 2002). Das Bilden von Zusammenhängen, die allein auf parallelen Entwicklungen fußen (zunehmende Verbreitung des Waschbären gegenüber Rückgang von potenziellen Beutepopulationen), ist wissenschaftlich nicht referenzierbar. Häufig hängt ein derartiges Missverständnis damit zusammen, dass Korrelation (statistischer Zusammenhang) und Kausalität (Ursache/Wirkung) verwechselt werden.

4.3.3.1 Prädation bei Vögeln

Unter normalen Umständen halten Vogelpopulationen verhältnismäßig hohe Prädationsraten aus, ohne nachhaltig abzunehmen (Tolkmitt et al. 2012). Selbst sehr hohe Prädationsraten sind nicht notwendigerweise ein Nachweis für die substantielle und dauerhafte Minimierung von Beutepopulationen (Valkama et al. 2005). Bei Singvogelpopulationen sind bestandsgefährdende Prädationsraten bisher nur in Ausnahmefällen bekannt geworden (Bellebaum 2002). Bereits eine in den 60er-Jahren stattgefundene Langzeitstudie zur Kohlmeise (Parus major) in Holland (Kluijver 1966) bestätigte, dass Singvögel sehr hohe jagdliche Nutzungsraten verkraften können (Zusammenfassung in Kalchreuter 1994). Auch McCulloch et al. (1992) konnten durch eine über mehr als drei Jahrzehnte andauernde Studie der EU-Kommission keinen Zusammenhang zwischen Bejagungsintensität und Bestandstrend von Singvögeln in Europa nachweisen. Die Populationen der einzelnen Arten fluktuierten unabhängig vom Jagddruck. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand können Raubsäuger bei Prädationsverlusten mitunter eine spürbare Rolle spielen, doch ist bei Analogieschlüssen grundsätzlich Vorsicht geboten, da die Gründe für die Verluste verschiedener Arten im selben Gebiet sehr unterschiedlich sein können (Übersicht bei Bellebaum 2002). Große Bedeutung wird in der öffentlichen Diskussion den Neozoen unter den Raubsäugern beigemessen. Allerdings gibt es in Deutschland mit Ausnahme des Amerikanischen Minks (Neovison vison; Zschille et al. 2014) bislang keine Belege dafür, dass sie im Prädationsgeschehen tatsächlich bedeutsam wären (Langgemach und Bellebaum 2005; Probst 2014). Neben Raubsäugern können zahlreiche andere Säugetier- und Vogelarten Brutverluste verursachen. So wird beispielsweise immer wieder der enorme Prädationseinfluss von Hauskatzen auf Singvögel in den verschiedensten Ökosystemen hervorgehoben (George 1974; Liberg 1982, Zusammenstellung bei Hackländer et al. 2014; Weggler 2020), da diese auch tagsüber jagen und in teilweise sehr hohen Populationsdichten vorkommen. Auch verschiedene Greifvogelarten wie Sperber, Habicht und Uhu werden häufig als Hauptprädatoren identifiziert (Zusammenstellung bei Probst 2014). Eine tatsächlich bestandsregulierende Wirkung können allerdings nur Arten haben, die sich als gezielte Jäger auf ein bestimmtes Beutespektrum spezialisiert haben (z. B. Amerikanischer Mink, Frettchen; Bodey et al. 2011; Zschille et al. 2014). Hochgradig generalistische Arten wie der Waschbär sind nur unter sehr spezifischen Voraussetzungen (z. B. Inselpopulationen) in der Lage, den Gesamtbestand von Arten nachhaltig zu beeinflussen.

Als zusätzlicher Aspekt wird der Waschbär in Deutschland immer wieder für den schlechten Bruterfolg von Boden- und Höhlenbrütern verantwortlich gemacht (Helbig 2011). Dabei bestehe die vom Waschbären ausgehende Gefahr nicht nur im Fressen und Zerstören von Gelegen sowie im Erbeuten von Jungtieren und Altvögeln, auch die Nutzung von Horsten als Schlafplatz könne zu einer Verdrängung von Vögeln aus ihren Brutstätten (Horste) führen und stelle ein wachsendes Problem dar (Görner 2009). Systematische Untersuchungen konnten dagegen keinen signifikanten Einfluss des Waschbären auf Greifvogelbruten ermitteln (Schütz et al. 2020). Auch alle bisher vorliegenden Telemetriestudien zum Waschbären in Europa liefern keinen Anhaltspunkt für eine vorhandene Konkurrenzsituation bezogen auf die Requisite Horst (Übersicht bei Michler 2018; siehe Abschn. 4.5.1).

4.3.3.2 Prädation bei Amphibien & Reptilien

Amphibien wurden als Beuteobjekte bislang nur in wenigen Studien dokumentiert und haben vermutlich im allochthonen Verbreitungsgebiet eine deutlich höhere Bedeutung als Nahrungskategorie. Über die Wechselwirkungen von Waschbären mit nativen Amphibienarten ist derzeit noch nicht viel bekannt. Andere Raubsäuger wie Mink oder Marderhund scheinen die heimische Herpetofauna nur in kleineren isolierten Populationen zu gefährden, denn der Prädationsdruck verursacht wenn nur lokal temporäre Bestandseinbrüche, die offenbar mittelfristig wieder ausgeglichen werden (Dunstone 1993; Zschille et al. 2004; Drygala et al. 2013). Für den Waschbären kann nach derzeitigem Wissensstand von einer ähnlichen Wirkungsweise ausgegangen werden. Trotz zum Teil saisonal hoher Nutzungsraten (bis zu 20 % Biomasse) wird eine generelle Gefährdung von Amphibien in den betreffenden Studien ausgeschlossen und der Einfluss als lokal und zeitlich begrenzt beschrieben (Schwan 2003; Bartoszewicz et al. 2008; Lüning und Zucchi 2010; Engelmann 2011; Michler 2020). In Anbetracht der allgemein hohen Reproduktionsraten von Amphibien (Günther 1996) ist nicht davon auszugehen, dass diese Nahrungskategorie durch den Waschbären langfristig so stark dezimiert wird, dass mit negativen Bestandstrends zu rechnen ist. Stärker auf Amphibien spezialisierte Fressfeinde wie Graureiher, Weißstorch, Kranich, Iltis und einige Fischarten (z. B. Blaubandbärbling) können hier unter Umständen eine deutlich größere Rolle spielen (Günther 1996; Jolley et al. 2010; Conz und Stübing 2017; siehe Abschn. 4.5.5). Die aktuellen Gefährdungsursachen für Amphibien liegen in erster Linie in der Habitatzerstörung bzw. -zerschneidung, der Trockenlegung von Flächen und der Intensivierung der Landwirtschaft bzw. dem Einsatz von Chemikalien (Weißmair 1996). Auch der Chytridpilz wird als zunehmender Faktor für den allgemeinen Rückgang der Amphibiendichten genannt (Hachtel et al. 2009).

Reptilien traten als Nahrungsobjekte für Waschbären in Europa bislang nicht in den Vordergrund (Lutz 1981; Engelmann 2011; Michler 2020). Bei einer Langzeitstudie zur Ökologie der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) wurden jedoch mehrere Prädationsereignisse durch Waschbären dokumentiert (Schneeweiss und Wolf 2009).

In den gemäßigten Breiten Nordamerikas gilt der Nordamerikanische Waschbär als geschickter Prädator adulter Wasserschildkröten verschiedener Arten. In diesem Zusammenhang sind vor allem hohe Prädationsraten der unechten Karettschildkröte (Caretta caretta) zu nennen (Engemann et al. 2003), welche aber vorwiegend auf Inseln zum Tragen kommen, auf denen das Nahrungsspektrum für Waschbären begrenzt ist und die Tiere häufig nahe der Umwelt-Kapazitätsgrenze leben (Parsons et al. 2013).

Neben dem allgemeinen Prädationsdruck wird häufig auch ein möglicher Konkurrenzdruck auf heimische Arten diskutiert. So wurde z. B. in Wildkatzenlebensräumen eine mögliche Konkurrenz im Hinblick auf Schlaf- und Wurfplatzressourcen diskutiert. Bei einer zeitgleich durchgeführten radiotelemetrischen Untersuchung von Waschbären und Wildkatzen (Felis silvestris) im Solling (Südniedersachsen) wurde deutlich, dass beide Arten ein ungleiches Raum-Zeit-Verhalten aufweisen und sich in gemeinsam genutzten Lebensräumen völlig unterschiedlich einnischen (Hohmann und Hupe 1998). Ebenso gibt es aufgrund der opportunistischen Lebensweise und der spezifischen Einnischung bezüglich des Nahrungsverhaltens des Waschbären (taktile Nahrungssuche) bislang keinen Anhaltspunkt für einen vorhandenen Konkurrenzdruck auf heimische Raubwildarten wie Dachs, Rotfuchs oder Baum- und Steinmarder (Lutz 1981). Erwähnt werden soll auch, dass keinerlei Hybridisierungen bekannt sind, die zu einer Gefährdung einheimischer Arten führen könnten.

Die in Amerika zahlreich durchgeführten Untersuchungen zur Nahrungsbiologie (Zusammenstellung bei Zeveloff 2002) können nur in beschränktem Maße zur Beurteilung seiner Einflüsse auf seinen mitteleuropäischen Lebensraum herangezogen werden (Holtmeier 2002), und auch innerhalb des allochthonen Verbreitungsgebietes bedingt die opportunistische Lebensweise des Waschbären eine nur geringe Übertragbarkeit vorhandener nahrungsökologischer Studien (siehe Zusammenstellung bei Michler 2020). Um Aussagen zur Relevanz von Prädationsereignissen und somit zu den ökologischen Auswirkungen treffen zu können, muss zudem die Möglichkeit bestehen, die genutzten Nahrungskomponenten mit den im Gebiet vorhandenen Ressourcen in Zusammenhang zu bringen. Dieser Ansatz konnte erstmalig in einem langjährigen, integrierten Forschungsprojekt in einem naturnahen Lebensraum in Mecklenburg-Vorpommern (Müritz-Nationalpark) verfolgt werden (Michler 2018, 2020). Umfassende Nahrungsanalysen und Berechnungen zur Höhe bzw. Relevanz von Prädationsereignissen ergaben, dass Wirbeltierspezies überwiegend in sehr geringen Mengen entnommen wurden und zu den Arten gehörten, die eine hohe bzw. überdurchschnittlich hohe Abundanz im Gebiet aufwiesen. Die meisten im Gebiet vorhandenen geschützten Arten gehörten nicht zum Beutespektrum der Waschbären. Das vorhandene Nahrungsspektrum sprach eindeutig für eine hochgradig opportunistische Nutzung der gebietsspezifischen Nahrungsressourcen. Die Vermutung, dass der Einfluss des Waschbären auf einzelne Arten in einem anthropogen stärker beeinflussten Lebensraum aufgrund eines geringeren vorhandenen Nahrungsangebots größer ist, konnte für das Gebiet der nordostdeutschen Tiefebene anhand eines Referenzgebietes (Naturpark Feldberger Seenlandschaft) ebenfalls nicht bestätigt werden (Michler 2020). Vor dem Hintergrund abweichend ausgestatteter Habitate in anderen Lebensräumen kann ein mitunter lokaler Prädationseinfluss aufgrund von möglichen (saisonalen) Spezialisierungen aber grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden.

Der Nachweis, ob und in welchem Umfang der Waschbär in bestimmten Gebieten unter den jeweils gegebenen Rahmenbedingungen eine lokale Bestandsgefährdung heimischer Arten verursachen kann, bleibt weiterhin in jedem Einzelfall aufwendig und schwierig. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es aus seinem allochthonen Verbreitungsgebiet auch bei fortschreitendem Populationswachstum derzeit keine wissenschaftlich reproduzierbaren Belege für einen negativen ökologischen Einfluss (Lutz 1980; Hohmann 2000; Winter et al. 2005; Becker 2011; Michler und Michler 2012; Michler 2020).

4.4 Rechtlicher Status des Waschbären

Der Waschbär ist in weiten Teilen Europas naturalisiert und galt nach bundesdeutschem Recht bis zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes am 16.09.2017 als „heimische Tierart“ (BNatSchG § 7 Abs. 2 Nr. 7). Vom Bundesamt für Naturschutz wurde er als invasive Art eingestuft (Managementliste;Footnote 1 Nehring et al. 2015) und fällt nun begrifflich unter das BNatSchG § 7 Abs. 2 Nr. 9. Die hierbei verwendete Methodik zur naturschutzfachlichen Invasivitätsbewertung für gebietsfremde Arten (Nehring et al. 2013) wurde bislang anhand der Tiergruppe Fische getestet (Nehring et al. 2010) und wird seitdem auf die anderen Organismengruppen übertragen. In der aktuellen Roten Liste der Säugetiere Deutschlands ist der Waschbär als etabliertes Neozoon eingestuft (Meinig et al. 2020). Eine differenzierte Übersicht über die vorhandene wissenschaftliche Grundlage zur Einstufung geben Becker (2011) und Ocakdan (2020).

Der Waschbär ist im BJagdG nicht als jagdbare Art aufgeführt, wurde aber mittlerweile in alle 16 LJagdG aufgenommen. In sieben Bundesländern genießt der Waschbär festgesetzte Schonzeiten (BW, BE, HB, HE, NI, NW, RP), mitunter gelten für Jungtiere andere Festlegungen als für Alttiere (HB, HE, NI, NW, RP). In einigen Bundesländern (MV, HH, ST, SN, SH, SL, TH) ist er mit Ausnahme der Aufzuchtszeit (§ 22 Abs. 4 BJagdG, Elterntierregelung, Ausnahme BY) ganzjährig jagdbar und wiederum andere Bundesländer haben den Zeitraum für den Elterntierschutz (Setzzeit) über eine Durchführungsverordnung festgelegt (BB; siehe Tab. 4.1).

4.4.1 Gesetzliche Situation in Deutschland

Tab. 4.1 Jagdrechtliche Schon- und Jagdzeiten des Waschbären in den Bundesländern der BRD (Stand Mai 2022)

4.4.2 EU-Verordnung über invasive gebietsfremde Arten

Für das Gebiet der Europäischen Union ist der Waschbär mit Wirkung zum 3. August 2016 Bestandteil der „Unionsliste der invasiven gebietsfremden Arten von unionsweiter Bedeutung, die vermutlich die europäische Artenvielfalt und Biodiversität bedrohen“ (Durchführungsverordnung EU 2016/1141). Die im Rahmen der Biodiversitätsstrategie erstellte Unionsliste ist in der EU-Verordnung über invasive gebietsfremde Arten (Invasive Alien Species; kurz: IAS) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 1. Januar 2015 verankert (Verordnung EU Nr. 1143/2014). Sie bildet eine rechtsverbindliche Handlungsgrundlage zum Schutz der biologischen Vielfalt vor invasiven Arten und sieht für bereits weitverbreitete Arten vor, geeignete Managementmaßnahmen zu identifizieren und umzusetzen. Damit eine gebietsfremde Art in diese Liste aufgenommen wird, muss unter anderem nachgewiesen werden, dass sie nach vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Biodiversität oder die damit verbundenen Ökosystemleistungen hat.

Nach dem Inkrafttreten der EU-Verordnung 1143/2014 für invasive gebietsfremde Arten am 01.01.2015 erfolgte aufgrund der einzig vorhandenen Risikobewertung aus Großbritannien die Aufnahme des Waschbären in die Unionsliste. Der Waschbär war von Großbritannien für das britische Territorium als „moderate risk“ eingeschätzt worden (GB Non-native Organism Risk Assessment Scheme 2011). Obwohl Deutschland die größten Waschbärvorkommen außerhalb der USA und Kanada beherbergt (Gehrt 2003), fand ein diesbezüglich aktueller Wissensstand anhand neuerer Literatur bzw. deutscher Studien bei dieser Bewertung keine Berücksichtigung. Deutschland hat im Dezember 2015 die Aufnahme des Waschbären auf die Unionsliste abgelehnt. Diese Ablehnung wurde mit der Feststellung begründet, dass neun der gelisteten Arten – darunter auch der Waschbär – die Kriterien der EU-Verordnung nicht erfüllten (Umweltministerkonferenz 2015, TOP 26). Da bei der Abstimmung zur EU-Verordnung 1143/2014 nicht über einzelne Arten, sondern über die gesamte Liste entschieden wurde, hat Deutschland neben seinen unmittelbaren Nachbarländern Belgien, Niederlande und Polen (die ebenfalls substantielle Waschbärpopulationen aufweisen) gegen die Unionsliste gestimmt. Eine Mehrheit der EU-Länder hat die Liste jedoch letztendlich angenommen. Trotz Listung des Waschbären heißt es in der offiziellen Risikobewertung, dass es auf Basis der internationalen Roten Listen (IUCN) keine bedrohte Art in Europa gibt, die unter Prädationsdruck des Waschbären steht. Nach 2016 ist die Unionsliste zweimal erweitert worden, und in der letzten Fassung von 2019 umfasst diese nun 66 verschiedene Tier- und Pflanzenarten (Nehring und Skowronek 2020).

Sowohl die Einstufung des Waschbären in die bundesweite Managementliste als auch in die Unionsliste erfolgte nach Ansicht der Autoren also ohne ausreichend vorhandene wissenschaftliche Grundlage. Zum Zeitpunkt der Einstufungen war nachweislich unbekannt, ob in Deutschland bzw. Europa eine Gefährdung heimischer Arten durch den Waschbären besteht. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) führt im Positionspapier zur Naturschutzfachlichen Invasivitätsbewertung (Nehring et al. 2015) als Grundlage der Einstufung vor allem einen starken Prädationsdruck des Waschbären im Frühjahr auf Vögel an, der aber bislang wissenschaftlich nicht verifiziert werden konnte. Aus keinem seiner deutschen Verbreitungsgebiete liegen wissenschaftliche Daten zu einer nachweislich negativen Einflussnahme auf heimische Vogelarten vor. Auch die dort gewerteten Hinweise zur Raumkonkurrenz mit Vögeln halten den Leitlinien des BfNFootnote 2 vor einem wissenschaftlichen Hintergrund nicht stand. Die wenigsten der zugrunde liegenden Untersuchungen zum Gefährdungszustand von Arten erfüllen die Kriterien für verlässliche Erfassungen und Bewertungen (Reichholf 1993). Auch zu möglichen negativen ökonomischen Auswirkungen des Waschbären gab es zum Zeitpunkt der Einstufung noch keine Studie, auf die sich berufen werden konnte.

Dass es sich bei der Unionsliste um eine teilweise politisch motivierte und nicht auf wissenschaftlichen Evidenzen beruhende Zusammenstellung handelt (Michler 2020), wird u. a. auch durch die Tatsache sichtbar, dass der Amerikanische Mink (Neovison vison) als eine der vier „schlimmsten invasiven Arten Europas“ (Nentwig et al. 2010) bzw. der „100 invasivsten Arten weltweit“ (Vilà et al. 2009) aufgrund einer starken Pelztierlobby bis heute nicht auf der Unionsliste steht.

Mit dem Durchführungsgesetz von 2017 wurde die EU-Verordnung 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten ins deutsche Recht umgesetzt (Deutsches Gesetz Nr. 62, 2017). Gemäß der Verordnung gelten invasive Arten als weitverbreitet, wenn sie sich über längere Zeiträume hinweg in einem Land etablieren konnten. Zu dieser Kategorie wird auch der Nordamerikanische Waschbär gezählt. In der Regel sind Managementmaßnahmen bei solchen weitverbreiteten Arten, die allgemein ein hohes Ausbreitungspotenzial haben, nur eingeschränkt erfolgversprechend. Sie sollen daher darauf abzielen, den negativen Einfluss dieser Arten auf bestimmte besonders schützenswerte Arten, Lebensräume oder Gebiete sowie ggf. auf die menschliche Gesundheit oder die Wirtschaft zu minimieren. Nach Absatz 1 Art. 19 ist es den Mitgliedsstaaten überlassen, die entsprechenden Methoden zu wählen und anzuwenden. Die Maßnahmen sehen neben letalen auch verschiedene nicht-letale Managementansätze vor, wie z. B. geeignete Schutzmaßnahmen für die gefährdeten Arten (Absatz 2 Art. 19). Gegebenenfalls schließen die Managementmaßnahmen auch solche ein, die das gesamte aufnehmende Ökosystem betreffen und dessen Widerstandsfähigkeit gegen laufende und künftige Invasionen stärken sollen (z. B. Förderung der Biodiversität, Verringerung anthropogener Einflüsse).

4.5 Managementmaßnahmen und Handlungsempfehlungen

Für den Waschbären liegen in Deutschland bis dato zwei publizierte Zusammenstellungen von konkreten Managementmaßnahmen vor. Neben dem 2015 vom BfN herausgegebenen Management-Handbuch zum Umgang mit gebietsfremden Arten (Scheibner et al. 2015) sind nach einer Beteiligung der Öffentlichkeit die Managementmaßnahmen für alle in der Unionsliste enthaltenen Arten durch den Ad-hoc-Arbeitskreis „Invasive Arten“ des ständigen Ausschusses „Arten- und Biotopschutz“ der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA) verfasst und von allen Bundesländern übernommen worden. Die Managementmaßnahmen für den Waschbären wurden im Februar 2018 verabschiedet (Waschbär-Management- und Maßnahmenblatt zu VO (EU) Nr. 1143/2014). Die weitere länderspezifische Priorisierung, Umsetzung und abschließende Festlegung der konkreten Maßnahmen obliegt den jeweiligen Umweltministerien.

Inzwischen hat sich gezeigt, dass bei den meisten bekannten Konfliktfeldern präventive Maßnahmen effizienter sind und häufig ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis aufwiesen als letale Maßnahmen (Michler 2004; Hohmann und Bartussek 2011; Gleichner und Gleichner 2013; Conz und Stübing 2017; Klammer et al. 2018; Nachtigall et al. 2020; Schütz et al. 2020). Darüber hinaus hat die EU-Kommission erkannt, dass im Hinblick auf ein durchgreifendes und annehmbares Management von bereits etablierten Tierarten nicht-letale Maßnahmen aufgrund des Tierschutzrechts auch eine bessere öffentliche Akzeptanz durch die ausführenden Gruppen bewirken und dadurch leichter angewandt werden können. Neozoen sollten nicht um ihretwegen, sondern nur dann bekämpft werden, wenn sie nachweislich erhebliche Schäden verursachen (Geiter et al. 2002; Krüger 2010).

Für die Planung und Realisierung eines effektiven Managements ist es erforderlich, Bestandsentwicklungen und -verluste von Zielarten über ein Monitoring zu untersuchen und die jeweiligen Prädatoren sowie weitere Gründe für Bestandsreduktionen zu identifizieren. Voraussetzung für den Erfolg von Maßnahmen ist immer ihre Anpassung an den maßgeblichen Prädator. Ansonsten besteht die Gefahr, dass aufgrund von Wissenslücken im Hinblick auf ein effizientes Management ungeeignete Maßnahmen gewählt werden, die nicht den gewünschten Erfolg bringen. Die regelmäßige Überprüfung der Maßnahmen auf Effektivität und Effizienz stellt einen weiteren wichtigen Baustein dar. Einen aktuellen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen des Prädatorenmanagements geben Fawzy et al. (2017) sowie Hommann (2019).

Ergänzend zu den oben genannten, bisher publizierten Managementempfehlungen werden im Folgenden Maßnahmen vorgestellt, die in wildbiologischen Forschungsprojekten erarbeitet wurden und sich in der Praxis bewährt haben (u. a. Solling: Hohmann 1998; Bad Karlshafen: Voigt 2000; Kassel: Michler et al. 2004; Müritz: Michler 2018; Michler 2020).

4.5.1 Schutz von Horstbäumen besonders schutzbedürftiger Arten (u. a. Schwarzstorch, Greifvögel)

Eine durch Waschbären verursachte Horstprädation konnte bisher nur vereinzelt belegt werden (z. B. Kormoran, Uhu). Bei wehrhaften Vogelarten wie dem Seeadler ist sie nach heutigem Wissenstand vermutlich sehr gering. Das gilt auch für wehrhafte am Boden brütende Arten wie den Kranich, der bei der Abwehr von Waschbären sehr erfolgreich ist (Kolbe 2017). Bei weniger wehrhaften Arten dürfte das Risiko einer Horstprädation durch Waschbären hingegen höher sein. Für besonders gefährdete Arten wie Schwarzstorch oder Schreiadler ist jeder Verlust einer Brut ein herber Rückschlag. Aus diesem Grund sollte jedes Risiko einer Gefährdung möglichst eliminiert werden. Manschetten am Stamm von Horst- und Höhlenbäumen können das Prädationsrisiko durch Waschbären sicher verhindern. Waschbären können sehr gut klettern, sie sind aber nicht in der Lage, zu springen. Daher sind richtig angebrachte Überkletterschutzmanschetten am Stamm der Bäume eine sehr effektive Maßnahme, um Waschbären davon abzuhalten, auf Horst- bzw. Höhlenbäume zu gelangen (Gleichner und Gleichner 2013; Conz und Stübing 2017; Klammer et al. 2018; Nachtigall et al. 2020; Schütz et al. 2020; Abb. 4.5). Bewährt haben sich transparente PET-Manschetten, die UV-beständig, frostsicher und preiswert sind (Materialkosten für einen Horstbaum ca. 20 €). Die Manschetten müssen vor der Brutzeit angebracht werden, und es ist darauf zu achten, dass die Horste nicht über benachbarte Bäume erklettert werden können. Nach der Brutzeit können die Manschetten umgehend wieder entfernt werden. Prädatoren wie Baummarder, die auf die Jagd in Baumkronen spezialisiert sind, lassen sich mit dieser Methode jedoch nicht abhalten.

Abb. 4.5
figure 5

Manschetten am Stamm von Horst- oder Höhlenbäumen verhindern effektiv das Erklettern der Bäume durch Waschbären und bieten somit einen sicheren Schutz vor Prädation von baumbrütenden Vögeln. Links eine Manschette aus transparentem PET-Kunststoff (die sich sehr einfach an- und abbauen lässt), mittig eine Metallmanschette, die sich für längerfristige Schutzmaßnahmen eignet. (Fotos: F. Michler (li), T. Langgemach (mi), I. Bartussek (re))

Fig. 4.5 Cuffs on the trunk of hoards or cavity trees effectively prevent raccoons from climbing the trees and thus provide secure protection against predation of tree-nesting birds. On the left, a cuff made of transparent PET plastic (that is very easy to attach and detach), centered, a metal collar suitable for longer-term protection. (Photos: F. Michler (l.), T. Langgemach (mi), I. Bartussek (r.))

Es existieren Berichte, dass Waschbären zum Teil tagelang Greifvogelhorste als Schlafplätze nutzen und somit unter anderem das erfolgreiche Brüten von Greifvögeln verhindern können (Görner 2009; Wernicke 2013). Telemetrische Studien konnten eine regelmäßige Horstschlafplatznutzung in Europa bislang nicht bestätigen (Hohmann 1998; Lux et al. 1999; Michler 2003; Frantz et al. 2005; Bartoszewicz et al. 2008; Hiery und Hohmann 2011). In der bisher umfangreichsten telemetrischen Studie zum Waschbären wurden bei 11.241 Schlafplatzortungen von 69 telemetrierten Waschbären im Müritz-Nationalpark lediglich 25 Horstnutzungen registriert – das entspricht 0,2 % aller Schlafplatznutzungen (Michler 2018). Trotz des hohen Angebotes an Greifvogelhorsten (überdurchschnittlich hohe Brutdichten im Müritz-Nationalpark, Vökler 2014) wurde im Schnitt nur alle 82 Tage ein Horst von einem Waschbären aufgesucht. Dabei lag der Schwerpunkt der Nutzungen außerhalb der Brutzeit in den Herbst- und Wintermonaten (76 %). Eine Horstnutzung über mehrere Tage hinweg wurde in keinem Fall beobachtet. Bei den dokumentierten Nutzungen der Horste ist davon auszugehen, dass es sich um reine Schlafplatznutzungen handelte und keine Prädation vorausgegangen ist. Bei Waschbären sind die Orte der Nahrungsaufnahme stets von den Plätzen der Ruhelager getrennt – das bedeutet, dass Waschbären grundsätzlich nicht dort schlafen, wo sie gefressen haben (Gehrt 2003).

4.5.2 Waschbärsichere Brutvogelkästen

Bei systematisch ausgebrachten Nistkästen können Waschbären diese gezielt aufsuchen und die vorhandene Brut prädieren (Sedlaczek 2018). Vor allem wenn die Nisthöhlenkästen regelmäßig an Waldwegen oder Alleen angebracht werden, weiß der anpassungsfähige Kleinbär diese Nahrungsressource für sich zu nutzen (Abb. 4.6), und die Nistkästen drohen so zu einer ökologischen Falle für Höhlenbrüter zu werden (Heßler und Quillfeldt 2018; Sedlaczek 2020). Darüber hinaus werden z. B. Rückegassen oder Waldwege gerne als Flugschneisen vom Sperber (spezialisierter Kleinvogeljäger) genutzt. Unregelmäßig, nicht linear angebrachte Nistkästen in naturnahen Beständen sind dagegen deutlich weniger gefährdet, vom Waschbären prädiert zu werden (Hohmann und Bartussek 2011; Sedlaczek 2020).

Abb. 4.6
figure 6

Künstliche Nisthilfen (hier eine Schwegler Nisthöhle Typ 1B) können unter Umständen regelmäßig von kletternden Raubsäugern wie Waschbär und Baummarder aufgesucht werden und somit zu hohen Prädationsraten führen. (Fotos: I. Bartussek (li), M. Sedlaczek (re))

Fig. 4.6 Nesting boxes (here a Schwegler Type 1B nest box) may be regularly visited by climbing predatory mammals such as raccoons and pine martens, which might lead to increased predation rates. (Photos: I. Bartussek (l.), M. Sedlaczek (r.))

Bei örtlich verstärktem Nestraub haben sich waschbärensichere Brutkästen bewährt (Abb. 4.7). So hat z. B. der NABU Springe (Niedersachsen) unter der Leitung des Ornithologen Karl Haverkamp in Zusammenarbeit mit dem Wisentgehege Springe in den Jahren 2013–2015 Nistkastenkonstruktionen entwickelt, die ein Hineingreifen durch Waschbären effektiv verhindern können. Mit diesen Brutkästen konnte der Bruterfolg von vorher < 50 % auf 76,7 % gesteigert werden, räuberische Eingriffe des Waschbären wurden nicht mehr festgestellt (T. Hennig, Springe pers. Mitt.). Dabei kamen zwei Konstruktionen zum Einsatz:

  • Variante 1: Kästen mit einem tunnelartigen Vorbau (Käfigfrontklappe oder Schutzkorb), der den Abstand zwischen Bodenplatte und Einflugöffnung von ursprünglich 13–15 cm auf >18 cm erhöht – diese Bauweise hat sich u. a. für Trauerschnäpper bewährt (Abb 4.7a).

  • Variante 2: Für Vogelarten, die dazu neigen, im Bruteifer hohe Nester zu bauen (Kohlmeise), wurde eine Konstruktion mit einer Blende entwickelt („Schikane“), sodass der Einstieg vertikal von unten nach oben erfolgt, dann horizontal durch die Einflugöffnung und innen wieder nach unten (siehe Zeichnung Abb. 4.7). Waschbären sind somit nicht mehr in der Lage, mit ihren Vorderpfoten ins Innere des Nistkastens vorzudringen.

Abb. 4.7
figure 7

Waschbärsichere Nistkästen sind eine effektive Maßnahme zur Verhinderung von Nestprädation durch kletternde Raubsäuger. Verschiedene Schutzvorrichtungen wie Käfigfrontklappen, Schutzgitter oder Schikanen verhindern effektiv ein Hineingreifen in den Brutinnenraum (C). Die Zeichnung zeigt schematisch die Funktionsweise eines waschbärensicheren Brutkastens mit einer angebrachten „Schikane“. Zeichnung: I. Bartussek, Fotos: Peter Schulze (A), M. Sedlaczek (B&C)

Fig. 4.7 Raccoon proof nest boxes are an effective measure to prevent nest predation by climbing predatory mammals. Various protective devices such as cage front flaps, protective grids or baffles prevent reaching into the interior (C). The drawing shows the function of a raccoon-safe nest box. Drawing: I. Bartussek. (Photos: Peter Schulze (A), M. Sedlaczek (B&C))

Sehr gute Erfahrungen wurden auch mit dem Nistkasten „Typ Neschwitz“ gemacht (Sedlaczek und Menge 2019a, b; Sedlaczek 2020, siehe Abb. 4.7b, c). Hierbei handelt es sich um einen Nistkastentyp, der bereits Anfang der 1960er-Jahre an der Vogelschutzwarte Neschwitz (Sachsen) entwickelt wurde und Prädation durch Waschbären und Baummarder sicher verhindert. Der Kastentyp wird von mehreren Waldvogel- und Fledermausarten gerne angenommen. Sedlaczek (2020) nennt u. a. folgende Anforderungen, die ein prädationssicherer Nistkasten erfüllen sollte:

  • Vergrößerter Abstand (ca. 18 cm) zwischen Einflugloch und Nistplatz z. B. mittels Schutzgitter („Noel Guards“) oder Schikanen

  • Verwendung von Höhlenkästen (keine Halbhöhlenkästen)

  • Möglichst zwei Einfluglöcher (verringert die Gefahr des Abfangens von Altvögeln)

  • „Unbequeme“ Dachform mit wenig Halt für Räuber

  • Stabile Befestigung, um ein Kippen zu verhindern

  • Regelmäßige Säuberung, um sich aufstauendes Nistmaterial zu entfernen

  • Unregelmäßige, nicht lineare Verteilung der Nistkästen

Ähnlich erfolgreich wehrt ein vom Verein für Natur- und Vogelschutz Villingen e. V. (Hessen) entwickelter Nistkasten mit Waschbärschutz potenzielle Nesträuber ab (Heßler und Quillfeldt 2018). Hierbei handelt es sich um einen Holzkasten mit einem speziellen Schutzgitter (Abb. 4.7a), der ein Hineingreifen durch Prädatoren ausschließt.

Ein weiterer im Handel erhältlicher Brutkasten mit einem erweiterten Waschbärschutzsystem ist die Nisthöhle 2GR-WBS der Firma Schwegler®. Diese Nisthöhle eignet sich als Aufenthalts- und Bruthöhle für Wildvögel sowie als Hangplatz für Fledermäuse. Das integrierte Schutzgitter in Verbindung mit der zusätzlichen Baumbefestigung minimiert die Prädation lokaler Vogelpopulationen durch den Waschbären und bietet für Vogelgelege, Jung- und Altvögel sowie Fledermäuse einen stark erweiterten Schutz.

4.5.3 Einzäunung von Vorkommensgebieten/Laichhabitaten gefährdeter Arten

4.5.3.1 Boden- und Koloniebrüter

Auf der Basis zahlreicher Untersuchungen kann als gesichert gelten, dass die gegenwärtige Gefährdung vieler Bodenbrüterarten primär ein Ergebnis umfangreicher Lebensraumveränderungen ist (Conz und Stübing 2017). In deren Folge hat sich die Habitatqualität vieler Gebiete anscheinend durch Zunahme der Prädatoren zusätzlich verschlechtert. Neu hinzugekommene Prädatorenarten wie der Waschbär dürften die Situation verschärfen, doch sind die Zusammenhänge noch ungenügend erforscht. Die Wirklichkeit ist also wesentlich komplizierter als eine simple Räuber-Beute-Beziehung (Langgemach und Bellebaum 2005). Die heute verfügbaren Studien über Prädation behandeln gewöhnlich den Brutbestand eng begrenzter Untersuchungsgebiete. Um verlässlich zu entscheiden, ob Prädation eine grundsätzliche Gefährdung darstellt, sind generell Bilanzen für ganze Populationen bzw. größere Teilpopulationen nötig. Diese sind bisher aber die Ausnahme (Kube et al. 2005; Thyen et al. 2005). Unabhängig davon haben Erfahrungen gezeigt, dass eine flächendeckende Bejagung von Beutegreifern in der Agrarlandschaft allein nicht geeignet ist, um den Bruterfolg von Boden- und Koloniebrütern langfristig zu steigern (siehe Abschn. 4.5.5.1). Durch Abschuss freigewordene Reviere werden rasch neu besiedelt. Dagegen gilt der Schutz einzelner Nistplätze und Gelege sowie eine großflächige Ausgrenzung von Prädatoren bei einigen Arten lokal als erfolgversprechend (Schifferli et al. 2011; Smith et al. 2011; Conz und Stübing 2017). Weiterhin können Brutflöße zusammen mit passiven Schutzmaßnahmen einen Ausschluss terrestrischer Prädatoren bieten, und auch durch wasserbauliche Maßnahmen kann der Zugang für viele Beutegreifer erschwert werden. Diese Maßnahmen sind aber nicht wirksam gegen semiaquatische oder schwimmende Raubsäuger (u. a. Mink, Iltis, Fischotter, Waschbär) oder Beutegreifer aus der Luft. In bestimmten Gebieten stellen in diesem Zusammenhang Eulenvögel wie der Uhu ein größeres Problem als die neozonalen Raubsäuger dar (Hommann 2019). Der Einsatz von Fotofallen auf den Inseln und Flößen kann bei der Identifikation der maßgeblichen Prädatoren sehr hilfreich sein.

Waschbären und andere Bodenprädatoren lassen sich durch mobile oder dauerhaft installierte Zäune von bestimmten Flächen fernhalten. Sowohl ein Nestschutz mit Elektrozäunen (Abdeckhauben können von Raubsäugern untergraben werden) als auch eine Umzäunung von Brutinseln mit Überkletter- und Untergrabeschutz sind bei einigen Arten durchaus erfolgversprechend. Vor allem Zäune, die eingegrabenes Drahtgeflecht und stromführende Teile kombinieren, sind zur Prädatorenabwehr geeignet (Schifferli et al. 2011).

So entstanden aufgrund teilweise immenser Bestandsanstiege von Beutegreifern in den drei deutschen Schutzgebieten der Großtrappe in Brandenburg und Sachsen-Anhalt eingezäunte Areale zwischen 15 und 30 Hektar Größe. Hinreichende Sicherheit der Zäune ließ sich durch 60 cm tiefe Einlassung in die Erde, eine Höhe von 2,20 m mit Abwinkelung als Übersteigeschutz bzw. bei geringerer Höhe durch den Einsatz von Strom erzielen. Während außerhalb der Zäune bisher kein oder kaum Nachwuchs zu verzeichnen ist, werden innerhalb der Zäune regelmäßig Küken flügge. Die Hennen fliegen inzwischen gezielt die mit Schutzzäunen gesicherten Areale an (Litzbarski und Eschholz 1999).

Eingezäunte Teilflächen können zwar durchaus als lokale Source-Habitate wirken, doch bleibt es für den Schutz der Gesamtpopulationen von Bodenbrütern unabdingbar, dass entweder ein hinreichend großer Anteil der Brutvögel auf diesen Teilflächen brütet oder auch außerhalb davon der Bruterfolg nicht zu gering ist (Langgemach und Bellebaum 2005). Der hohe Aufwand bei Aufbau und Unterhaltung von Elektrozäunen setzt dem Einsatz auf größeren Flächen allerdings deutliche Grenzen, da regelmäßige Kontrolle und Instandhaltung notwendig sind, um einen sicheren Ausschluss der Prädatoren zu gewährleisten.

Beim Einsatz von Elektrozäunen ist Folgendes zu beachten (nach Schifferli et al. 2011)

  • Das Vorhaben ist vorgängig mit den lokalen Akteuren abzusprechen (Landwirte, Jägerschaft, Landwirtschafts-, Jagd- und Naturschutzbehörden).

  • Elektrozäune sind über möglichst kurze Perioden aufzustellen, damit sich Prädatoren nicht daran gewöhnen und um mögliche Risiken für andere Wildtiere gering zu halten.

  • Elektrozäune dürfen erst dann aufstellt werden, wenn brütende Vögel zu beobachten sind, und müssen unverzüglich abgebaut werden, wenn alle Jungen flügge sind.

  • Zum Schutz von beispielsweise Kiebitzbruten haben sich in der Landwirtschaft verwendete Weidenetze von 90–110 cm Höhe und einer Maschenweite von ca. 10 × 15 cm bewährt. Viehhüter mit 9-V-Batterien erzeugen die nötige Spannung.

  • Am besten werden ganze Flächen mit Bruten eingezäunt, nicht einzelne Nester. Womöglich sollte die eingezäunte Fläche die Nahrungsgründe für die Jungenaufzucht einschließen.

  • Der unterste leitende Draht muss einen Abstand von mindestens 10 cm zum Boden haben, damit sich Kleintiere (z. B. Amphibien, Igel, Feldhase) nicht darin verfangen.

  • Elektrozäune sind alle 2–3 Tage zu kontrollieren. Die verantwortlichen Personen müssen ausreichend instruiert werden, damit sie bei einem Zwischenfall unverzüglich und richtig reagieren können.

  • Damit Weidenetze einen wirksamen Schutz bieten, müssen sie immer unter Spannung stehen. Eingewachsene Vegetation bewirkt rasch einen Spannungsabfall und muss zurückgeschnitten werden.

Optische, akustische oder olfaktorische Reize können Prädatoren von Gelegen abschrecken, wobei die Erfahrungen im Großtrappenprojekt gezeigt haben, dass ständig wechselnde Reize erforderlich sind, um Neophobie (Angst vor Unbekanntem) – in diesem Fall bei Kolkraben – immer neu zu erzeugen (Brigham und Sibly 1999). Wichtig ist, dass dabei nicht die Brutvögel selbst gestört werden. Auch die Vergrämung von Prädatoren durch geruchliche oder geschmackliche Veränderungen potenzieller Beute kann prinzipiell zu deren Schutz beitragen (Übersicht bei Gill et al. 1999). Eigene Versuche, Waschbären mit olfaktorischen Repellentien (Waschbär-Stopp®) oder Ultraschallgeräten von künstlich angelegten Futterplätzen zu vergrämen, waren jedoch nicht erfolgreich.

Weil wirksame Maßnahmen gegen eine artübergreifende Prädation bisher nur begrenzt verfügbar sind, kommt Schutzmaßnahmen gegen andere Verlustursachen eine umso größere Bedeutung zu. So kann beispielsweise gezielter Gelegeschutz durch Aussparung in der Landwirtschaft eine effektive Schutzmaßnahme für bestimmte, nutzungstolerante Arten wie Kiebitz und Brachvogel sein (Kipp und Kipp 2003). Als anschauliches Beispiel kann hier auf die erfolgreichen Kiebitzschutzprojekte der Hessischen Gemeinschaft für Ornithologie und Naturschützer (HGON) und des NABU Hessen in der Wetterau oder im Kreis Marburg Biedenkopf hingewiesen werden.

Ein ausführliches Konzept zum Schutz von bodenbrütenden Vogelarten findet sich bei Langgemach und Bellebaum (2005).

4.5.3.2 Amphibien & Reptilien

4.5.3.2.1 Einzäunung von Laichgewässern/Reproduktionsflächen

Wildschutzzäune (mit Überkletterschutz) und selbst Zäune aus Plexiglasscheiben werden von Waschbären problemlos überklettert (Hohmann und Bartussek 2011; Gramentz 2020).

Um die Tiere von sensiblen Bereichen wie kleineren Amphibien-Laichgewässern oder Gelegeplätzen von Reptilien dennoch effizient fernzuhalten, haben sich stromführende Litzen oder Weidezäune als sehr erfolgreich erwiesen. Waschbären versuchen Barrieren, auch niedrige Zäune (< 40 cm Höhe), stets zu überklettern, und springen grundsätzlich nicht darüber. Wichtig ist, dass der Waschbär immer bereits Kontakt mit stromführenden Litzen bekommt, wenn er sich noch auf dem Boden befindet und nicht schon am Zaun emporklettert. Bei höheren Zäunen, die nur oben mit einer Elektrolitze gesichert sind, erfolgt die Flucht des Waschbären nach einem Stromschlag in der Regel immer nach oben, das heißt über den Zaun.

Neben der Einbauhöhe muss auch die Anzahl der Stromlitzen beachtet werden. In der Regel genügen zwei, besser sind drei Stromlitzen, wobei die unterste Litze bereits in ca. 14 cm Höhe gespannt werden sollte (ansonsten besteht die Gefahr der Unterwanderung). Die zweite Litze sollte in ca. 25 cm Höhe, die dritte in 35 cm Höhe folgen. Ein zusätzlicher Überkletterschutz ist beim Waschbären nicht erforderlich. Um die Funktionalität der Stromlitzen zu gewährleisten, müssen regelmäßige Zaunkontrollen durchgeführt werden. Auch ein Zurückschneiden der Vegetation unterhalb des Zauns und das Entfernen von Ästen und Laub ist erforderlich. Wenn möglich, sollte auf ein eventuelles Untergraben der untersten Stromlitze geachtet werden. Die Laichwanderung der Amphibien wird durch den Elektrozaun nicht beeinflusst (Gramentz 2020).

In Brandenburg wurden im Rahmen eines Artenschutzprojektes einzelne Reliktvorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) vollständig mit stabilen Elektrozäunen versehen. Dieser führt zur völligen Ausgrenzung aller landgebundenen Prädatoren. Die Nester werden zudem mit Schutzgittern abgedeckt (Schneeweiss et al. 2019). Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Prädation durch terrestrische Raubsäuger seitdem als Verlustursache nahezu ausgeschlossen werden konnte.

4.5.3.2.2 Amphibienschutzzäune

Um Verluste von wandernden Amphibien auf Straßen zu reduzieren, werden seit vielen Jahren an relevanten Abschnitten erfolgreich dauerhafte (in die Straße integrierte Tunnelsysteme) und provisorische Schutzanlagen installiert. Die provisorischen Amphibienschutzzäune werden im Frühjahr entlang der Straßen aufgestellt und Kübelfallen in die Erde eingelassen, in welche die Kröten, Frösche und Molche hineinfallen. Bei den Zäunen handelt sich meist um ca. 50 cm hohe undurchsichtige Kunststofffolien, die an Pfosten aufgespannt und parallel zur Straße aufgebaut werden (NABU Amphibien- und Reptilienschutz 2021). Ein immer stärker werdendes Problem an den Schutzzäunen ist, dass verschiedene Fressfeinde wie Dachs, Elstern, Krähen, Graureiher, Wildschweine aber zunehmend auch Waschbären diese Nahrungshotspots für sich entdeckt haben und die Bodenfallen an den Schutzzäunen regelmäßig ausleeren (Wüstemann 2002). Um dies zu verhindern, haben sich spezielle Auffangbehältnisse bewährt, in denen die Amphibien vor Fressfeinden sicher sind (BUND – Merkblatt Amphibienschutz Ortsgruppe Lemgo). Gute Erfahrungen wurden mit tiefen und stabilen, fest verschließbaren Kübeln und Kisten mit aufgesetzten Gitterkorb bzw. engen seitlichen Öffnungen gemacht (Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin).

4.5.4 Sicherung gefährdeter Fledermausquartiere gegen das Eindringen von Waschbären

Übergriffe vom Waschbären auf Quartiere von Fledermäusen werden selten dokumentiert. Es wird aber vermutet, dass der Waschbär Verluste bei Fledermäusen verursachen kann (Horn 2021). Deswegen sollen gefährdete Fledermausquartiere in Stollen und Gebäuden gegen das Eindringen gesichert werden. Eingänge von Strukturen, die sich als Sommer- oder Winterquartiere für bestimmte Fledermausarten eignen, können durch Gitter, feste Türen mit horizontalen Einflugöffnungen (50 bis 80 cm breit, <10 cm hoch) oder mechanische Schutzvorrichtungen (die ein Erklettern verhindern) gesichert werden, um Störungen und Prädation zu vermeiden (Fledermausschutz Augsburg 2021). Der Aufbau dieser Maßnahmen sollte möglichst in Zusammenarbeit mit sachkundigen Personen erfolgen. Als Tagesquartiere bieten sich zudem spezielle, vor Beutegreifern sichere Nistkästen an (siehe Abschn. 4.5.2), die möglichst an Kiefern befestigt werden sollten. Aufgrund ihrer glatten Spiegelrinde bietet diese Baumart den Waschbären beim Erklettern keinen sicheren Halt und wird daher meist gemieden (Michler 2018).

4.5.5 Lokale Populationskontrolle in Bereichen, in denen der Waschbär eine Gefährdung heimischer Arten verursachen kann

4.5.5.1 Machbarkeit regulativer Eingriffe mittels eines jagdlichen Managements

Eine gezielte Bejagung des Waschbären zum Schutz gefährdeter Arten ist nur unter besonderen Rahmenbedingungen möglich und sinnvoll (z. B. Inselpopulationen oder in Kolonien brütende Vögel).

Neben der Frage nach der Notwendigkeit stellt sich auch die Frage nach der Machbarkeit regulativer Eingriffe in Waschbärenpopulationen. 1954 begann in Deutschland die Bejagung des Waschbären mit dem vorrangigen Ziel einer Wiederausrottung (Kampmann 1972; Kampmann 1975). Im Ergebnis dieser Bemühungen stieg die Jagdstrecke beständig auf mittlerweile über 200.000 erlegte Waschbären pro Jahr an (Jagdjahr 2020/2021), ohne jedoch den gewünschten Effekt einer Zurückdrängung zu erreichen. Der Waschbär breitete sich in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich in Deutschland aus und kommt mittlerweile in allen 16 Bundesländern vor. Wie die Streckenentwicklungen dokumentieren, erreichten die Eingriffe in die Waschbärenpopulation trotz zeitweiser recht drastischer Maßnahmen (z. B. Einsatz von Tellereisen, Bauvergasungen, Abschussprämien) keinen nachhaltig reduktiven Effekt, wahrscheinlich wurde die Bestandszunahme nicht einmal verlangsamt (Langgemach und Bellebaum 2005; Krüger 2010). So werden aktuell in Deutschland jährlich maximal 10 % des vorhandenen Gesamtbestandes erlegt (Michler und Michler 2012; Fischer et al. 2016; Baudach et al. 2022). Nach einer konservativen Schätzung, bezogen auf die aktuelle Fläche mit stabilen Waschbärenvorkommen (2021: ca. 52 % der Landesfläche; Fischer et al. 2016) und einer angenommen mittleren Dichte von 8 Individuen pro km2 (ermittelte Abundanzen liegen in Deutschland zwischen 2–6 Waschbären/km2 im naturnahen Habitat und maximal 100 Waschbären/km2 im urbanen Habitat; Michler 2018), leben derzeit ca. 1,5 Mio. Waschbären in Deutschland (Fischer et al. in print). Von diesem Bestand wurden in den letzten fünf Jagdjahren (2015–2020) im Mittel knapp 161.000 Waschbären pro Jagdjahr erlegt (entspricht ca. 11 % des Gesamtbestandes). Bei einer mittleren jährlichen Wachstumsrate von 26 % (Michler 2018), müsste die Jahresjagdstrecke aktuell bei mindestens 600.000 erlegten Waschbären liegen, damit der jagdliche Eingriff einen reduktiven Charakter erreicht (Nehring 2018). Diese Zahlen machen deutlich, dass mit der derzeitigen Jagdpraxis/Gesetzgebung ein reduktiver Eingriff bzw. die Eliminierung oder Verhinderung einer Neubesiedlung auf großer Fläche nicht realisierbar ist (Krüger 2010; Conz und Stübing 2017). Die Anwendung eines jagdlichen Managements kann deshalb nur lokal in besonders sensiblen Bereichen (z. B. Insellagen, Bodenbrüterkolonien) zielführend sein und ist immer mit einem hohen Aufwand verbunden sowie als eine Daueraufgabe zu etablieren (Pull-Effekte). Die Effizienz einer Populationskontrolle setzt eine gut funktionierende Kooperation der involvierten Behörden und Institutionen sowie geschultes Fachpersonal voraus. Grundvoraussetzung ist in jedem Fall die Durchführung eines aussagekräftigen Monitorings mit standardisierten Methoden, um den Erfolg der Kontrollmaßnahmen zu überprüfen (Scheibner et al. 2015).

Beispiele für ein erfolgreiches jagdliches Prädatorenmanagement stammen am ehesten von Inseln, auf denen die vollständige Beseitigung von Bodenprädatoren zu einer nachweislichen Erhöhung der Reproduktion von See- und Küstenvogelarten oder Raufußhühnern geführt hat (Marcström et al. 1988; Nordström et al. 2004). Versuche zur Reduktion des Prädatorendrucks auf dem Festland erzielten dagegen oft keine oder nur kurzfristige Erfolge (Übersicht bei Coté und Sutherland 1997; Schwarz et al. 2005). In diesem Zusammenhang werden auch indirekte Effekte diskutiert, die zu einer Steigerung der Reproduktionsdynamik von Prädatoren führen können (Ansorge 1991; Conz und Stübing 2017).

Grundsätzlich bedürfen letale Maßnahmen gegen Prädatoren einer sorgfältigen Abwägung. Deshalb sind vorab Fragen der Ethik und der Vertretbarkeit der Mittel ebenso zu klären wie die primäre Frage, ob die relevanten Prädatoren bekannt sind und ob sie tatsächlich eine Gefährdungsursache über die lokale Ebene hinaus darstellen (Langgemach und Bellebaum 2005). Auch nach § 40 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG sind die Erfolgsaussichten geplanter Maßnahmen und die Verhältnismäßigkeit des Erfolges zum erforderlichen Aufwand vorher zu prüfen (Nehring et al. 2015). Vertretbar sind in jedem Fall nur solche Maßnahmen, die Prädation nachweislich wirksam verringern können. Eine entsprechende Erfolgskontrolle (Entwicklung Prädationsverluste sowie Bestandsgröße der Prädatoren) sowie eine wissenschaftliche Begleitung sind in jedem Fall notwendig.

Häufig übersteigt der Aufwand einer (auch nur zeitlich und lokal begrenzten) erfolgreichen Bekämpfung bzw. Zurückdrängung die vom Waschbären verursachten Schäden um ein Vielfaches (Conz und Stübing 2017). Auch fehlen in vielen Fällen die fachlichen Grundlagen bzw. die Notwendigkeit für die Anwendung letaler Wildtiermanagementstrategien oder es stehen keine wirksamen Maßnahmen zur Verfügung (Befriedete Bezirke). In der Mehrzahl der Fälle sind es nicht-tödliche Konfliktminderungsstrategien (Stichwort präventives Konfliktmanagement), die zu einer deutlich kostengünstigeren Beseitigung bzw. Verringerung der Konflikte führen können (Michler 2004; Langgemach und Bellebaum 2005; Vos et al. 2012; Scheibner et al. 2015; Conz und Stübing 2017; Schütz et al. 2020).

4.5.5.2 Artübergreifendes Prädatorenmanagement

Managementmaßnahmen, die das Ziel haben, hohe Brutverluste beispielsweise von Bodenbrütern oder Küstenvogelarten mittels eines jagdlichen Prädatorenmanagements zu verringern, stoßen immer wieder an ihre Grenzen, wenn der Fokus dabei auf einigen wenigen jagdbaren Arten liegt. Meist kommt es im Ergebnis solcher Bemühungen lediglich zu Verschiebungen der Prädationsraten zwischen den verschiedenen Prädatorenarten, die absoluten Verlustraten bleiben jedoch nahezu unverändert (siehe auch „mesopredator release“, Crooks und Soulé 1999). Um bestandsgefährdende Prädationsraten mittels eines jagdlichen Prädatorenmanagements effektiv zu senken, müsste jedoch das gesamte maßgebliche Prädatorenspektrum in die Maßnahmen einbezogen werden. Aus diesem Grund sind groß angelegte Projekte beim jagdlichen Management mittlerweile auf ein möglichst großes Artenspektrum ausgelegt (z. B. Prädatorenmanagement zum Schutz der Großtrappe in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Langgemach und Bellebaum 2005). Aus jagd- und naturschutzrechtlichen Gründen können hierbei in der Regel jedoch nur Arten berücksichtigt werden, die als jagdbare Art gelistet sind und über eine Jagdzeit verfügen.

Bei zahlreichen Untersuchungen zu Prädationsursachen wurden allerdings häufig Tierarten als Hauptprädatoren identifiziert, die eine ganzjährige Schonzeit und einen eigenen Schutzstatus aufweisen, beispielsweise Rohrweihe (Prädator von Enten-/Hühnervögeln; Bro et al. 2001; Stier et al. 2009), Wiesenweihe (Prädator von Feldlerche; Hölker und Wagner 2006), Seeadler (Prädator in Graureiherkolonien, R. Weber pers. Mitt.), Kolkrabe (Prädator u. a. von Großtrappe und Kranich; Langgemach und Bellebaum 2005; Barwisch 2018) und Fischotter (Prädator von Trauerseeschwalbe; F. Tetzlaff pers. Mitt.) bzw. nicht im Jagdgesetz gelistet sind wie z. B. Uhu (Prädator von u. a. Trauerseeschwalbe, Lachmöve, Wanderfalke; Brambilla et al. 2006; Hommann 2019) oder Igel (Prädator von u. a. Uferschnepfe, Rotschenkel, Zwergseeschwalbe, Lachmöwe; Grosskopf 1989; Thyen et al. 1998; Jackson 2003; Jacob et al. 2004).

Aufgrund der genannten rechtlichen Situation wird der Fokus beim Prädatorenmanagement daher häufig auf die jagdbaren Raubsäuger gelegt, die in manchen Fällen jedoch nur nachgeordnete Prädatoren für eine Zielart darstellen, sodass die Maßnahmen nicht zum erwünschten Erfolg führen. Weil wirksame Maßnahmen gegen das maßgebliche Prädatorenspektrum bisher nur begrenzt verfügbar sind, kommt anderen Schutzmaßnahmen im Rahmen eines „Prädationsmanagements“ eine umso größere Bedeutung zu (Abschn. 4.5.1 bis 4.5.4).

Beim Management ungenügend berücksichtigt werden häufig auch Wildschweine, die nachweislich zu sehr hohen Verlustraten bei Bodenbrütern und Rauhfußhühnern (Tetraonidae) führen können (Gärtner und Klaus 2004; Ryslavy 2005). Aktuelle Beobachtungen aus dem Baltikum und Ostpolen zur Entwicklung von Bodenbrütern nach dem Zusammenbruch der Schwarzwildbestände durch die Afrikanische Schweinepest (ASP) verdeutlichen das potenzielle Ausmaß der Prädation durch Schwarzwild. So wurden beispielsweise beim Brutvogelmonitoring in den letzten Jahren sehr hohe Brutdichten der Großen Rohrdommel (Botaurus stellaris) ermittelt – Abundanzen die vorher in dieser Größenordnung nicht für möglich gehalten wurden (B. Jaroszewicz pers. Mitt).

4.5.5.3 Effekte von Landschaftsstrukturen auf Prädation

Die Produktivität und Komplexität des jeweiligen Habitats haben großen Einfluss auf das Interaktionsverhalten zwischen Räuber und Beute (Thompson und Gese 2007) wobei die Landschaftsgenese des besiedelten Raumes das Artenvorkommen und damit auch das potenzielle Nahrungsangebot bedingt. Lokale Gegebenheiten und unterschiedliche Landnutzungsstrategien beeinflussen nachweislich die Abundanz von Prädatoren und somit auch die potenziellen Prädationsraten (Beasley et al. 2007; Fiderer et al. 2019). Forschungsstudien haben gezeigt, dass die Waschbärendichte eines Gebietes in hohem Maße von den lokalen Habitatstrukturen abhängt (Dijak und Thompson 2000; Chamberlain et al. 2007). Es wird davon ausgegangen, dass bestimmte Fragmentierungstypen das Vorkommen von Waschbären im Gebiet erhöhen, und zwar diejenigen, die zum einen für die Fortbewegung genutzt werden und zum anderen Nahrungsressourcen bereitstellen (Thompson und Burhans 2003). Trotz ihrer Eigenschaften als Habitat- und Nahrungsgeneralisten (Gehrt 2003) kann die Verteilung und Aktivität der Waschbären und somit ihre potenzielle Bedeutung als Nestprädator demnach auf Regional- und Landschaftsebene durch Variationen in der Ressourcenverfügbarkeit beeinflusst werden (Dijak und Thompson 2000; Beasley und Rhodes 2010; Chalfoun et al. 2002; Thompson und Burhans 2003).

Das Problem erhöhter Prädationsraten tritt häufig auch in kleineren Schutzgebieten in den Vordergrund, da diese attraktiven Lebensräume Prädatoren anziehen können („ökologische Falle“ für die Zielart). Auch gut begründete Schutzmaßnahmen haben oft schwer vorhersagbare Nebeneffekte, z. B. können Schutzmaßnahmen indirekt den Prädatoren zugutekommen, indem potenzielle Beutearten zunehmen. Dort, wo die Ausbreitung von Arten durch (Naturschutz-) Maßnahmen begünstigt wird, werden die Attraktivität und wohl auch die Kapazität dieser Gebiete für Raubsäuger dauerhaft steigen (Köster und Bruns 2004).

In nahezu allen Ökosystemen stehen gestiegene Prädationsverluste meist in direktem Zusammenhang mit menschlichen Eingriffen (z. B. Entwässerung, Ausschluss natürlicher Dynamik, Eutrophierung; Evans 2004), sodass die Auswirkungen von Neozoen auf die Lebensgemeinschaften kaum mehr eindeutig von den Folgen anderer Einflussgrößen zu trennen sind (Lutz 1996). In Summe zeigen sich äußerst komplizierte ökologische Zusammenhänge, wobei viele noch einer eingehenden Untersuchung harren. Man muss davon ausgehen, dass die (wesentlich leichter zu studierenden) letalen Eingriffe von Räubern sich häufig weniger gravierend auf die Lebensgemeinschaft auswirken als Konkurrenz, Ausschluss und indirekte Effekte (Stichwort „landscape of fear“).

4.5.6 Waschbären im urbanen Raum

Dem Waschbären ist es dank seiner hohen ökologischen Plastizität, seines Klettervermögens und seiner taktilen Fähigkeiten in besonderer Weise gelungen, den menschlichen Siedlungsraum für sich zu erobern (Abb. 4.8). In den 1920er-Jahren wurde erstmalig aus einer Vorstadtsiedlung von Cincinnati (USA) über Waschbären im Siedlungsraum berichtet. In Europa hingegen war der seit nunmehr 90 Jahren erfolgreich angesiedelte Kleinbär lange Zeit ein völlig unbekannter Stadtbewohner. Die ersten Beobachtungen stammen hier aus den 1960er-Jahren aus der Großstadt Kassel (Hessen). Mittlerweile existieren in zahlreichen deutschen Städten stabile Waschbärpopulationen mit Populationsdichten von zum Teil 100 Tieren pro km2 (Voigt 2000; Hohmann 2001; Hohmann et al. 2001; Michler 2004).

Abb. 4.8
figure 8

Unsere gegenwärtige Wohlstandsgesellschaft verursacht im Siedlungsraum einen riesigen Nahrungsüberschuss, der den anpassungsfähigen Waschbären ein fast unerschöpfliches Energiepotenzial liefert. (Fotos: I. Bartussek)

Fig. 4.8 Our current affluent society causes a huge food surplus in the settlement area, which provides the adaptable raccoons with an almost inexhaustible energy potential. (Photos: I. Bartussek)

Mit dem Vordringen von Waschbären in den Siedlungsraum hat sich das Konfliktpotenzial zwischen Menschen und Waschbären verschärft. Forderungen, den Waschbären aus dem Siedlungsraum zu eliminieren und dauerhaft fernzuhalten, sind bei den günstigen Lebensbedingungen, wie sie urbane Habitate bieten, und der heutigen Gesetzgebung (BJagdG, TierSchG) nicht durchführbar (siehe Abschn. 4.5.5.1). Übergeordnetes Ziel ist es daher, ein konfliktarmes Zusammenleben von Menschen und Waschbären zu ermöglichen. Ergebnisse aus einem umfangreichen Forschungsprojekt zur Lebensweise urbaner Waschbärenvorkommen und die Erfahrungen aus Kassel sowie anderen urbanen Räumen haben gezeigt, dass durch die Anwendung eines präventiven Konfliktmanagements die vorhandenen Problemfelder effektiver und nachhaltiger minimiert werden können. Das wichtigste Kriterium hierfür ist eine intensive Öffentlichkeitsarbeit bzw. Informationspolitik.

Bei den durch Waschbären verursachten Problemen haben sich drei übergeordnete Konfliktfelder herauskristallisiert:

  1. 1)

    Waschbären dringen in Wohnhäuser ein und nutzen Dachböden oder Kaminschächte als Schlaf- und Wurfplätze bzw. Winterlager. Der Aufstieg auf das Dach erfolgt meist über Fallrohre der Regenrinnen, angrenzende Bäume oder eine Fassadenbegrünung (z. B. Efeu; Michler 2003). Über lockere Dachziegel oder andere Einschlupflöcher (die z. T. aktiv vergrößert werden) erfolgt dann der Einstieg in den Dachboden (siehe Abb. 4.9). Besonders bei Wurfplätzen können durch die Spielaktivitäten der Welpen und die Anlage von Latrinen bis zum Verlassen der Wurfhöhlen nach acht bis zehn Wochen kostspielige Schäden am Haus entstehen.

  2. 2)

    Angst vor Krankheiten, die vom Wildtier auf den Menschen übertragbar sind (Zoonosen). Durch die zum Teil sehr hohen Populationsdichten und den damit einhergehenden verstärkten Kontakt zwischen Mensch und Waschbär resultiert bei der Übertragung von Krankheiten und Parasiten ein erhöhtes epidemiologisches Problem mit einem gewissen Infektionsrisiko für die Bevölkerung. Anders als in seiner amerikanischen Heimat weist der Waschbär in Mitteleuropa allerdings nur ein begrenztes Parasitenspektrum auf und spielt als Überträger von Krankheitserregern bislang kaum eine Rolle (siehe Abschn. 4.3.2).

  3. 3)

    Das Nahrungsangebot in Ortschaften ist nahezu unerschöpflich. Bei der Nahrungssuche können Schäden im Garten und im Umfeld der Häuser wie abgeerntete Kirschbäume, verwüstete Gartenteiche, umgestürzte Blumenkübel, aufgewühlte Grasnarben, aufgerissene Müllsäcke u. a. entstehen (Abb. 4.9). Diese Schäden werden vom Großteil der Betroffenen allerdings meist als „Kavaliersdelikte“ angesehen.

Abb. 4.9
figure 9

Das Eindringen von Waschbären in bewohnte Gebäude verursacht häufig ein großes Konfliktpotenzial (links & Mitte). Aufgerissene Müllsäcke, abgeerntete Obstbäume sowie umgestürzte Blumenkübel werden dagegen meist als „Kavaliersdelikte“ wahrgenommen (rechts). (Fotos: I. Bartussek)

Fig. 4.9 The intrusion of raccoons into inhabited buildings often causes a great potential for conflict. Ripped open garbage bags, harvested fruit trees as well as overturned flower pots, on the other hand, are usually perceived as “trivial offenses”. (Photos: I. Bartussek)

Bei den genannten Konfliktfeldern sind vielfältige Lösungswege bekannt. Als das größte Problem wird das Eindringen von Waschbären in Wohnhäuser empfunden. Einzelne Tiere wegzufangen, um Schäden zu vermeiden, ist eine reine Symptombekämpfung und aufgrund der Tradierung von Schlafplätzen uneffektiv. Vorbeugende Maßnahmen, die ein Gebäude „waschbärsicher“ machen, d. h. den Einstieg in das Gebäude verhindern, sind dagegen eine relativ einfache und überaus wirkungsvolle Methode. Waschbären lassen sich im Vergleich zum Steinmarder deutlich einfacher davon abhalten, in Gebäude einzudringen. Bei dem sensiblen Thema Zoonosen hat es sich gezeigt, dass durch eine transparente und sachliche Information über Gefahren und Risiken die vorhandenen Probleme und Ängste effektiv beseitigt werden können.

Insgesamt ist es durch Aufklärung und gezielte Maßnahmen möglich, mit relativ geringem Aufwand das bestehende Konfliktpotenzial effektiv zu minimieren. Als wichtigstes Kriterium hat sich hierbei ein gezielter Wissenstransfer mittels intensiver Presse- und Öffentlichkeitsarbeit herausgestellt. Einige Städte wie beispielsweise Kassel, Marburg oder Berlin haben bereits erfolgreich die Bürgerinnen und Bürger mit in das Management einbezogen, indem in eigenen Broschüren bzw. auf der Internetseite der Senatsverwaltung/des Ordnungsamtes verschiedene Regelungen bezüglich des Umganges der Menschen mit den Waschbären empfohlen werden. Auch Wildtierberatungsstellen, Wildtiertelefone oder Waschbär-vor-Ort-Beratungen (wie mittlerweile erfolgreich in Berlin umgesetztFootnote 3) erfüllen diese Aufgabe.

4.5.6.1 Die wichtigsten Maßnahmen für ein konfliktarmes Zusammenleben mit dem Waschbären

  1. 1.

    Öffentlichkeitsarbeit (Aufklärung der Anwohner mittels Informationsflyer, Internetseiten, Waschbärbeauftragten, Vortragsreihen etc.)

    1. a)

      Vermittlung von grundlegenden Kenntnissen zur Lebensweise und Biologie des Waschbären

    2. b)

      Nahrungsüberschuss, den unsere heutige Wohlstandsgesellschaft produziert, ist Ursache und Hauptlösungsansatz für die meisten Konflikte: Füttern muss unbedingt unterlassen werden, provoziert Erwartungshaltung und lockt die Tiere in meine Nähe (siehe Abb. 4.10)

    3. c)

      Wie gefährlich sind die Tiere für Mensch und Haustier, was fressen sie, wo schlafen sie und warum gibt es gerade in meinem Garten so viele Waschbären (Nahrungshotspots)?

    4. d)

      Direkten Kontakt wegen Krankheitsübertragung meiden (keine akute Gefahr, Waschbären sind nicht aggressiv und greifen Menschen nicht an)

    5. e)

      Schutz vor Zoonosen: Waschbären legen Latrinen an (Dachboden, Holzstapel, Flachdach Gartenhaus etc.), die vom gesamten Sozialverband der lokalen Waschbärenpopulation regelmäßig genutzt werden. Daher:

      • Kinder, insbesondere Kleinkinder, und Haustiere von Latrinen fernhalten, Latrinen mit Mundschutz und Gummihandschuhen entfernen und Exkremente in fest verknoteten Plastikbeuteln über den Restabfall entsorgen, kontaminierte Flächen möglichst mit siedendem Wasser begießen

      • Größere Latrinen im Haus (Dachboden) sollten von Fachpersonal beseitigt werden (Desinfektion, Abflammen mittels Gasbrenner)

      • Direkten Kontakt mit Waschbären vermeiden

      • Haustiere regelmväßig impfen und entwurmen

  2. 2.

    Habitatmanagement (Verschlechterung der Lebensbedingungen für den Waschbären)

    1. a)

      Nahrungsressourcen verringern

      • Waschbären nicht füttern!

      • Müll und Abfälle (Futterreste) unzugänglich aufbewahren

      • Keine hochkalorischen Speisereste auf den Kompost werfen (Gemüse, Kartoffelschalen etc. sind unproblematisch), evtl. verschließbare Schnellkomposter verwenden

      • Müll- und Biotonnen mit Spanngummis oder Schwerkraftschlössern sichern

      • Gelbe Säcke erst morgens herausstellen oder in verschließbaren Holzboxen aufbewahren

      • Zur Fruchtzeit Aufstieg in Obstbäume mit glatten Manschetten verbauen – es dürfen keine Überstiegsmöglichkeiten von benachbarten Bäumen, einem Haus/Schuppen bestehen

      • Reifes Obst/Beeren ernten und Fallobst aufsammeln

      • Haustiere nicht im Freien füttern oder die Futterreste abends ins Haus räumen

      • Wertvolle Pflanzungen, Gartenteiche (Goldfische werden gerne gefangen), mit Elektrozaun-Anlagen sichern

      • Gehege für Hausgeflügel etc., die nachts nicht vollständig verschlossen sind, mit Elektrolitzen sichern

      • Vogelfutter nur dann ausbringen, wenn Waschbären und andere Wildtiere keinen Zugang haben (z. B. Baum mit Manschette sichern, siehe Abschn. 4.5.1)

      • Nur waschbärensichere Vogelkästen aufhängen (siehe Abschn. 4.5.2)

    2. b)

      Das Haus sichern (Strukturen, die als Schlaf- u. Wurfplätze genutzt werden können, dauerhaft unzugänglich machen)

      • Den Aufstieg auf das Dach mit stabilen Schutzvorrichtungen verhindern (z. B. PET- oder Blechmanschetten, die sich um die Fallrohre/Blitzableiter schmiegen; siehe Abb. 4.11). Handelsübliche Katzenkränze, Baumspiralen oder Stacheldraht sind bessere Kletterhilfen und funktionieren nicht.

      • Einstiege in die Häuser (lose Dachziegel, Kellerfenster, Kaminschacht) konsequent verschließen. Metallgitter auf dem Schornstein anbringen.

      • Bäume, die an oder über das Dach reichen, großzügig zurückschneiden

      • Schwer zu sichernde Häuser (Holzhäuser, Grünfassade mit Efeu oder Wilder Wein) mit Elektrolitzen versehen (es sind mittlerweile sehr effektive Schutzvorrichtungen auf dem Markt; z. B. www.waschbaerschutz.de)

      • Katzenklappen nachts verschließen oder chipgesteuerte Klappen mit Schließfunktion verwenden

      • Vergrämung: Versuche, Waschbären mit Lärm, Duftstoffen, Ultraschallgeräten, Licht, Chemie oder mechanischen Mitteln zu vertreiben, haben häufig nur kurzfristigen Erfolg. Bei Wurfplätzen können Vergrämungen aufgrund des hohen Sicherheitsbedürfnisses der Mutter allerdings sehr wirkungsvoll sein.

Abb. 4.10
figure 10

Eine der grundlegenden Maßnahmen im Rahmen eines erfolgreichen Konfliktmanagements ist die effektive Reduzierung von Nahrungsressourcen. Daher ist eine der wichtigsten Forderungen, Waschbären nicht aktiv zu füttern. Aber auch indirekt durch den Menschen zur Verfügung gestellte Nahrungsquellen wie Abfalltonnen und Gelbe Säcke müssen unzugänglich gemacht werden. (Fotos: I. Bartussek (li & re), F. Michler (Mi))

Fig. 4.10 One of the basic measures in successful conflict management is the effective reduction of food resources. Therefore, one of the most important requirements is not to actively feed raccoons. However, food sources provided indirectly by humans, such as garbage cans and yellow bags, must not be accessible to raccoons. (Photos: I. Bartussek (l & r), F. Michler (mi))

Abb. 4.11
figure 11

In Kassel nutzten die telemetrierten Waschbären in > 70 % der Fälle die Abfallrohre der Regenrinnen, um auf das Dach der Gebäude zu kommen (Michler et al. 2004). Der Einstieg in das Haus erfolgt dann in der Regel über lose Dachziegel oder den Kaminschacht. Mechanische Schutzvorrichtungen an den Fallrohren können effektiv den Aufstieg auf die Häuser verhindern. (Fotos: I Bartussek (li & Mi), F. Michler (re))

Fig. 4.11 In Kassel, raccoons examined by telemetry used the waste pipes of the rain gutters to access the roof of buildings in > 70 % of the cases (Michler et al. 2004). Entry into the house is then usually via loose roof tiles or the chimney shaft. Mechanical guards on downspouts can effectively prevent them from climbing onto houses. (Photos: I Bartussek (l & mi), F. Michler (r))

4.6 Künftige Herausforderungen für Forschung und Management

Weltweit sind Raubsäuger ein integraler Bestandteil von Ökosystemen. Ein nachhaltiges Management entsprechender Arten stützt sich auf fundierte Kenntnisse biologisch-ökologischer Zusammenhänge. Die Erarbeitung von Strategien zum Management der Neozoen in ihrem neuen Lebensraum scheitert jedoch häufig am unzureichenden Wissensstand über die Biologie der Tierarten. So ist die Ermittlung der ökologischen Ansprüche der Arten sowie die Information der Öffentlichkeit Voraussetzung für eine effiziente Prävention von ökonomischen und ökologischen Schäden (Holtmeier 2002). Sowohl ein zukünftiger Umgang mit der Tierart Waschbär als auch ein effizienter Artenschutz und die Erarbeitung und Erprobung von Managementkonzepten ist ohne grundlegende Kenntnisse zur Populationsbiologie in den betreffenden Vorkommensgebieten und ohne ein elementares Verständnis der angewandten Methoden nicht realisierbar (Hofer 2016). Rein auf indirekten Nachweisführungen basierende Untersuchungen sollten bei gesetzlichen Entscheidungen bzw. ökologischen Einstufungen keine Verwendung finden. Voraussetzung für die Handlungsentscheidungen müssen zukünftig vielmehr eine auf die konkrete Teilpopulation bezogene Einschätzung sein, inwieweit eine erhebliche Gefährdung für lokale Populationen natürlich vorkommender, geschützter Arten belegbar oder begründbar ist (Scheibner et al. 2015). Die valide Einstufung des Gefährdungspotenzials muss regionalspezifisch und unter einer differenzierten Relation der Gefährdungspotenziale erfolgen. Aussagen zu eventuellen Ursachen für eine zunehmende Instabilität von Lebensgemeinschaften sollten generell nur auf der Grundlage von validem wissenschaftlichem Datenmaterial basieren (Boitani und Fuller 2000). Bei der Vielzahl publizierter und unveröffentlichter Wahrnehmungen und Bewertungen muss eine weitgehende Reduktion auf Versuche mit systematischem Ansatz und wissenschaftlicher Auswertung erfolgen (Langgemach und Bellebaum 2005). Insbesondere bei der zunehmend geforderten Bewertung dieser Art und der Erstellung von Managementplänen besteht eine dringende Forderung nach der systematischen Auswertung verfügbarer Evidenz (Sutherland et al. 2004).