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Hass aus philosophischer Sicht – Die Antwort(en) des Aristoteles

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Brücken zwischen Psychiatrie und Philosophie
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Zusammenfassung

Aristoteles betrachtet (theorein) den Hass in einer Abgrenzung von dem ihm benachbarten Affekt: dem Zorn. Hass ist erkalteter und generalisierter Zorn. Während der Zorn sich gegen eine einzelne Person richtet, so der Hass auf die Gattung/die Gruppe, zu der diese Person gehört. Auch wenn Hass und Zorn Affekte sind, die logisch geordnet werden können, weil sie jeweils ein Gegenteil haben, so ist doch der Ort von Hass wie Zorn die Öffentlichkeit der Bürger Athens und ihrer Interaktionen. In Fortführung des platonischen Ansatzes einer philosophischen Rhetorik erfasst Aristoteles mit seiner Analyse politische Fehlentwicklungen in der Stadt Athen. Zum Staats- bzw. Stadtfeind konnten alle prominenten Personen werden, derer man sich durch Asebieprozesse zu entledigen wünschte. Hass ist nicht bloß disruptiv, sondern destruktiv. Für die Bürger ist häufig nicht klar, wer jeweils der Staatsfeind ist; der Ankläger oder der Angeklagte. Hass ist eine Verwirrung von Bürgern wie von Gesellschaften.

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Notes

  1. 1.

    C. Koppetsch, Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. Bielefeld 2019. A. Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Berlin 2018. J. Vogl, Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart. München 2021.

  2. 2.

    Dazu Rapp: „Im pejorativen Beiklang des Ausdrucks ‘Sykophant’, mit dem die berufs- oder gewohnheitsmäßigen Ankläger bezeichnet wurden, spiegelt sich nicht nur die hohe Frequenz solcher Klagen, sondern auch die Erfahrung wider, dass solche Klagen verleumderischer Natur waren.“ (S. 203).

  3. 3.

    Wollte man die politische Wirklichkeit in Athen gewissermaßen aus der Lebenswelt der Bürger anschauen, könnte man das in den platonischen Dialogen teilweise sehr anschaulich nachvollziehen. Meist verschwiegen wird, dass die amoralistischen Positionen bis hin zu den immoralistischen dann auch darzustellen wären.

  4. 4.

    D. Eribon, Rückkehr nach Reims. Berlin 2016.

  5. 5.

    Rhetorik ist die Theorie, wie Überzeugungen öffentlicher Meinungen und Werthaltungen durch Reden gemacht und verändert werden können – so wie man (i.e. der Redner oder Politiker) gerade will.

  6. 6.

    „Die Emotionen sind die Dinge, durch welche sich (die Menschen), indem sie sich verändern, hinsichtlich ihrer Urteile unterscheiden und welchen Lust oder Schmerz folgt ….“ (Rh B1, 1378a19–21).

  7. 7.

    Platon, Staat 1. Buch: Gerechtigkeit heißt, dem Freund zu nützen und dem Feind zu schaden.

  8. 8.

    Rh. B4, 1380b35; Rh. 1382a15: Der Zorn will verletzen (Schmerz zufügen), während der Hass das Nicht-mehr-existieren des Feindes will (Der Hass will den Tod bereiten).

  9. 9.

    Das Wort bedeutet „Geringschätzung, Verachtung“. Es ist eine Nominalisierung von oligos, was „wenig, gering, klein, kurz, schwach, beschränkt“ bedeutet. Die Übersetzung mit „Kränkung“ ist mir etwas zu allgemein, denn es geht gerade darum, dass in der Ilias der beste, weil schnellste und listige Kämpfer Achill kleiner, kürzer gemacht wird von jemandem, der ein Heerführer ist, nämlich Agamemnon. Er ist zwar auch ein Kämpfer, der sich in der Schlacht um Troja bewährt, aber er wird später von seiner eigenen Frau Klytaimnestra im Bad erschlagen, was ihr nur deswegen gelingt, weil sie ihm zuvor ein Netz überwirft. Bei Euripides (Iphigenie auf Aulis) erscheint Agamemnon als unentschlossener Schwächling (er wird von seiner Frau besiegt!).

  10. 10.

    Rh. B2, 1378a30–32. Die Formulierung von J. Barnes ist vielleicht eleganter: „Anger might be defined as a desire accompanied by pain, for a conspicuous slight at the hands of men who have no call to slight oneself or one’s friends.“ (The Complete Works of Aristotle. Vol 2, p. 2195).

  11. 11.

    „Den Mann nenne mir, Muse, den vielgewandten, der gar viel umgetrieben wurde, nachdem er Trojas heilige Stadt zerstörte.“ (Homer, Odyssee. Übersetzung von Helmuth Schadewaldt. Hamburg 1958).

  12. 12.

    Um das Ausmaß der Macht des Zorns zu begreifen, geht es weiter mit: „ … und viele Seelen dem Hades vorwarf von Helden, sie selbst aber zur Beute schuf den Hunden und den Vögeln zum Mahl, und es erfüllte sich des Zeus Ratschluss – von da beginnend, wo sich zuerst im Streit entzweiten der Atreus-Sohn, der Herr der Männer, und der göttliche Achilleus.“ (Homer 1975, Ilias. Übersetzung von Helmuth Schadewaldt. Frankfurt).

  13. 13.

    Wenn Aristoteles über den Zorn spricht, verwendet er nicht das alte, von Homer verwendete Wort für Zorn (menis), sondern das mehr als 400 Jahre später übliche Wort für Zorn (orge).

  14. 14.

    Rh B2,1378a33 u. ö.

  15. 15.

    Parallel zu der glücklichen Formulierung Freuds im Titel seines Aufsatzes „Triebe und Triebschicksale“. Vgl. S. Freud, STA Bd. 3, S. 81–102.

  16. 16.

    Vgl. dazu die bei Platon wie Aristoteles geteilte Bestimmung von pathos: dynamis tou agein kai paschein.

  17. 17.

    Rh. B2, 1378b1–3.

  18. 18.

    Barnes II, 2195.

  19. 19.

    Rapp „Herabsetzung“ (S. 73), Cope „slight“ (vol. 2, p. 12).

  20. 20.

    Für Aristoteles ist das Erzürnen das Gegenteil der Besänftigung. Die Affekte werden auf dem Boden der aristotelischen Gegensatzlehre dargestellt, unterliegen also einer eigenen Ordnung.

  21. 21.

    Homer, Ilias, I 214 (Schadewaldt).

  22. 22.

    Ebd., I 119 (Schadewaldt).

  23. 23.

    Achills Zorn zeigt uns ganz plastisch und anschaulich, dass und wie er durch den Zornaffekt niedergerungen wird und seine Mächtigkeit über sich selbst verliert. Gegenüber Agamemnon ist er noch stehen geblieben und hat sich behauptet, aber in der Folge strauchelt er und versinkt später, durch den Tod seines Freundes Patroklos, der von Hektor im Kampf bezwungen wird, in der Trauer; er legt das Schwert beiseite, greift zur Lyra und trägt am Ende Frauenkleider. Erst in der letzten Szene der Ilias überwindet er seine Lethargie, als Priamos zu ihm in sein Zelt kommt, um Hektors Leichnam von Achill zu erbitten. Es treffen sich zwei Trauernde, die im trojanischen Krieg am Rande des Todes leben und dennoch im Mitleiden aneinander wachsen. (Vgl. dazu Ph. Wüschner, Eine aristotelische Theorie der Haltung. Hexis und Euexia in der Antike. Hamburg: Meiner Verlag 2016).

  24. 24.

    In B4, 1382a1 ff.

  25. 25.

    Die Übersetzung von Barnes bringt diesen Theoriestatus nicht ganz so gut zum Ausdruck: „Enmity and hatred should clearly be studied by reference to their opposites.“ (II, 2201) Expliziter ist Rapp: „Über die Feindseligkeit und das Hassen muss man offenbar die Betrachtung aus den Gegenteilen anstellen.“ (4.1, S. 82).

  26. 26.

    Rh B4, 1380b36–1381a1. Barnes übersetzt: „We may describe friendly feeling towards anyone as wishing for him what you believe to be good things, not for your own sake but for his, and being inclined, so far as you can, to bring these things about.“ (II, 2200).

  27. 27.

    Rapp: „Freundschaftlichkeit“, Cope: „love“.

  28. 28.

    Rh. B4, 1382a2–3. Eindeutiger jedoch ist Rapp: „Dinge, die Feindseligkeit hervorbringen, sind: Zorn, Boshaftigkeit, Beschuldigung.“

  29. 29.

    Sokrates war – wie einige andere auch – der Asebie, der Gottlosigkeit angeklagt. „Sokrates lehrt keine oder andere Götter (=Daimonion) als die Stadt Athen.“

  30. 30.

    Vgl. dazu Alexander Demandt, Sokrates vor dem Volksgericht von Athen 399 v. Chr. In: Ders. (Hrsg.), Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte. München 1990, dort S. 13 ff.

  31. 31.

    Im Griechischen steht epereasmos (Rh. B4, 1382a2), was von Sieveke mit „kränkende Behandlung“ (Rapp: Boshaftigkeit) wiedergegeben wird. Barnes spricht von „spite“, was aber schlicht „Kränkung“ bedeutet, wodurch der bes. Sinn dieser Art von „Verachtung“ nicht herauskommt. Vgl. dazu die Definition der kränkenden Behandlung in Rh. B2, 1378b17–29. Ebenso ist die Parallelstelle für die Verwendung dieses seltenen Wortes in der Politik III, 1287a38 zu beachten: „Die politischen Beamten aber pflegen immer vieles aus Abneigung oder Gunst zu tun. Wo Ablehnung ist, da ist auch Hass.“

  32. 32.

    Rh B4, 1382a6–7.

  33. 33.

    Ton gar klepten misei kai ton sykophanten apas. (Rh B4, 1382a6–7).

  34. 34.

    Vgl. dazu Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht. Darmstadt 1955. Auch im griechischen Strafrecht zahlte der Beklagte sein Bußgeld an den Kläger, wenn er recht bekam. Einen „Staat“ im modernen Sinn gab es nicht.

  35. 35.

    Rh B4, 1382a15.

  36. 36.

    Rh B4, 1382a7.

  37. 37.

    Von da aus ist es ein weiter Weg bis zu der Vorstellung, dass der Satan, also der Teufel (diabolos) und sein Treiben gemeint sein kann. Er bringt die Menschen auseinander, indem er die freundschaftlichen Beziehungen unterbricht.

  38. 38.

    Symp. 222d1.

  39. 39.

    Agathon verlässt seinen Platz neben Alkibiades und setzt sich zu den Füßen des Sokrates (Symp. 222e3), wodurch er sich als sein Bewunderer bekennt, während Alkibiades selbst nun neben Sokrates sitzt.

  40. 40.

    Ironie und Komik sind die beiden Grundzüge des gesamten Dialogs.

  41. 41.

    Tatsächlich waren es 501 Richter, um mögliche Pattsituationen zu vermeiden.

  42. 42.

    Apol.19b4.

  43. 43.

    Damit auch dem Letzten klar wird, für wie gefährlich Sokrates gehalten wird, könnte man seine Aktivitäten mit modernen Bewegungen vergleichen: Mit ihm erleben die Athener gleichzeitig, was in der Moderne in mehreren Jahrhunderten sich zugetragen hat: die Aufklärung durch die Naturwissenschaftler (Galilei et al.), eine Religionskritik (16./17. Jhh.) und deren Radikalisierung im 19. Jahrhundert.

  44. 44.

    Platon, Phdr. 230d5.

  45. 45.

    Platon, 7. Brief, 324e2.

  46. 46.

    Platon, Soph. 231a6.

  47. 47.

    Aristoteles, Met. I, 987b1–2.

  48. 48.

    Aristoteles, Met. XIII, 1078b27.

  49. 49.

    In der Politik beschreibt Aristoteles die Machtmittel, die der Tyrann benutzt, um seine Herrschaft abzusichern: „Indem man die Bürger durcheinanderbringt und Freunde gegen Freunde sowie das Volk gegen den Adel und die Reichen verhetzt werden.“ (Pol. V.11, 1313b16 ff.).

  50. 50.

    Rapp, S. 170.

  51. 51.

    De an. I, 403a30–31.

Literatur

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Eming, K. (2022). Hass aus philosophischer Sicht – Die Antwort(en) des Aristoteles. In: Reuster, T., Schönknecht, P. (eds) Brücken zwischen Psychiatrie und Philosophie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-64295-5_11

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