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Zusammenfassung

In allen therapeutischen Settings kann die Sorge um das Wohl eines Kindes oder Jugendlichen entstehen. Wenn die Sorgeberechtigten dann nicht als hilfreiche Ressource zur Verfügung stehen, gar Teil des Problems sind, kann guter Rat teuer sein. Auch bei sehr erfahrenen Fachkräften lösen Kinderschutzfälle bisweilen Unsicherheit aus. Hier steht seit Juli 2017 die Medizinische Kinderschutzhotline zur Verfügung. Rund um die Uhr werden Fachkräfte aus allen Bereichen der Medizin und aus therapeutischen Berufen unter der bundesweit kostenfreien Telefonnummer 0800 19 210 00 beraten.

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Notes

  1. 1.

    Eine umfassende Expertise zu diesem Thema, an der zwei Autoren des Kapitels mitgewirkt haben, ist abrufbar unter 7 http://signal-intervention.de/download/Infothek_Expertise_Aerztliche_Versorgung_Minderjaehriger_nach_sexueller_Gewalt_5_2018.

Weiterführende Literatur

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Download references

Hintergrund

Die Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes (s. hierzu auch ► Kap. 42 im vorliegenden Klinikmanual) ergab, dass auch Jahre nach dem Inkrafttreten

  • viele der Regelungen den handelnden Fachkräften noch weitgehend unbekannt waren, insbesondere die Befugnisnorm zum Bruch der Schweigepflicht

  • eine erhebliche Unsicherheit in Kinderschutzfällen bestand

Zudem deckt sich die in Deutschland durchgeführte Aufarbeitung tragisch verlaufener Kinderschutzfälle mit der internationalen Forschung, dass Kommunikationslücken und Missverständnisse zwischen der Medizin und der Jugendhilfe nachgerade lebensgefährlich für gefährdete Kinder sein können.

Viele Fragen und Unsicherheiten entstehen aus konkreten, häufig komplexen Fällen heraus und müssen im dicht getakteten Klinik- und Praxisalltag rasch ausgeräumt werden, wenn man nicht riskieren will, dass eine notwendige Intervention aus Unsicherheit unterbleibt.

Als logische Konsequenz hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) den Auftrag zur Einrichtung der Medizinischen Kinderschutzhotline erteilt (◘ Tab. 49.1).

Tab. 49.1 Die Medizinische Kinderschutzhotline im Überblick

Struktur

Die technische Infrastruktur der Medizinischen Kinderschutzhotline entspricht der eines modernen Callcenters: Über die bundesweit einheitliche und für die Anrufer kostenlose Rufnummer 0800 19 210 00 werden die Anrufe auf die Diensthandys der gerade tätigen Mitarbeiter verteilt, ohne dass diese deshalb am selben Ort sein müssen. Dokumentiert wird ebenfalls online, in einem geschützten, nur für die Mitarbeiter zugänglichen Portal. Hier sind zudem umfangreiche Informationen für die Beratertätigkeit hinterlegt, von Dienstplänen über Kontaktinformationen spezialisierter Ansprechpartner zu aufbereiteten Fachinformationen, z. B. der Spurensicherung nach sexuellem Übergriff, notwendiger Diagnostik nach vermuteter körperlicher Gewalt etc.

Berater

Den Beratern, selbst zu einem Teil bereits mit Facharzttitel, stehen zudem ebenfalls rund um die Uhr fachärztliche Hintergrunddienste aus den Bereichen Rechtsmedizin, Pädiatrie/Kinderschutzmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Verfügung. Hier kann auch im Notfall eine erste Akutsupervision geleistet werden, weitere Supervisionsmöglichkeiten stehen bei Bedarf und im Rahmen regelmäßig stattfindender Teamtreffen zur Verfügung.

Die Erfahrungen aus dem ersten Jahr des Hotline-Betriebs zeigen:

  • Es ist ein erheblicher Beratungsbedarf aus allen Bereichen der Medizin und der therapeutischen Berufe vorhanden

  • Anrufende aus allen Bundesländern waren ungefähr entsprechend der Bevölkerungsgröße vertreten

  • Ebenso sind alle beruflichen Kontexte und Hierarchiestufen vertreten, von Psychotherapeuten in der Ausbildung bis hin zu Chefärzten aus Praxen, Ambulanzen und Kliniken

Beratungsthemen

Ganz allgemein können die Fragen an die Hotline in vier große Kategorien eingeteilt werden:

  • Reicht das, was ich wahrnehme, um sich Sorgen um das Kind zu machen bzw. um tätig zu werden?

  • Wie bespreche ich meine Sorge mit den Eltern bzw. muss oder soll ich auch mit den Eltern sprechen, wenn der/die Jugendliche das gar nicht will?

  • Was soll ich als Nächstes tun? Darf (oder muss) ich meine Schweigepflicht brechen?

  • Wer kann weiterhelfen?

  • Darüber hinaus werden häufig Hinweise zur rechtssicheren Dokumentation gegeben

  • Für die Mitbeurteilung von körperlichen Befunden oder bildgebenden Verfahren verweisen die Berater an die nächstgelegene Kinderschutzambulanz oder das nächste rechtsmedizinische Institut, da die Medizinische Kinderschutzhotline bislang keinen Kanal zur sicheren Befundübermittlung umfasst

Wenig überraschend spiegeln sich auch aktuelle Themenkomplexe in Anfragen an die Medizinische Kinderschutzhotline wider, da zu ganz aktuellen Themen noch wenig schriftliche Arbeitshilfen vorliegen:

  • diagnostische Sicherheit beim Schütteltrauma

  • Fragen zu sexuellem Missbrauch in Einrichtungen des Gesundheitswesens

  • Kinder psychisch kranker Eltern

  • Hundebisse durch den Familienhund

Die Berater greifen diese Themen auf, bündeln die hierzu verfügbaren Informationen und bereiten sie dann einerseits zur Schulung der anderen Mitarbeiter auf, und stellen sie aber andererseits in Form von Übersichtsarbeiten und Fallberichten der Fachöffentlichkeit zur Verfügung.

Die Medizinische Kinderschutzhotline ist im Bericht der Weltgesundheitsorganisation zu Fortschritten im Kinderschutz in Europa als einziges gelungenes Praxisbeispiel aus Deutschland hervorgehoben und erwähnt worden.

Im Folgenden werden drei exemplarische Konstellationen geschildert, zu denen regelmäßig Beratungen bei der Medizinischen Kinderschutzhotline angefragt werden.

Fallbeispiel 1

In der ambulanten Psychotherapie erzählt die 15-jährige Mascha dem Therapeuten von ihrem besten Freund, dem ebenfalls 15-jährigen Paul. Paul sei in letzter Zeit zunehmend niedergeschlagen und würde es zu Hause nicht mehr aushalten. Deswegen habe er auch schon einige Male im Freien übernachtet. Maschas Eltern erlauben nicht, dass sie Paul über Nacht nach Hause bringe. Der Grund für Pauls Niedergeschlagenheit sei, dass er zu Hause von seinem Vater regelmäßig verprügelt, beschimpft und bedroht werde. Paul gehe nicht mehr in den Sportverein, weil er Angst habe, dass die vielen Verletzungen dort auffallen würden. In letzter Zeit nähmen die Misshandlungen deutlich zu. Paul wolle aber auf keinen Fall, dass etwas davon nach außen dringe. Er sei überzeugt, dass sein Vater sich an seiner Mutter und an seiner jüngeren Schwester „austoben“ würde, wenn Paul nicht mehr da wäre. Deswegen nehme sich Paul immer wieder seine „Auszeit“, wie er das nennt, und übernachte im Park bei Obdachlosen, mit denen er sich angefreundet habe. Mascha würde ihrem Freund gerne helfen, bittet aber den Therapeuten, ebenfalls keinesfalls etwas zu erzählen, auch nicht ihren eigenen Eltern.

Der Therapeut entschließt sich zum Anruf in der Medizinischen Kinderschutzhotline, um die Handlungsoptionen zu besprechen.

Folgende Aspekte sind relevant:

  • Auf die Frage, ob Maschas Schilderungen glaubhaft sind oder sie in Wirklichkeit eigene Misshandlungserfahrungen schildert, kann in der telefonischen Beratung nicht eingegangen werden. Hier wird ggf. auf die Supervision verwiesen.

  • Ist der Therapeut an seine Schweigepflicht gebunden? Mascha hat dem Therapeuten zunächst die Weitergabe von Informationen untersagt, die sie ihm in seiner Eigenschaft als Behandler anvertraut hat. Ob er daran gebunden ist, hängt davon ab, ob er Mascha als einwilligungsfähig einschätzt. Wenn sie einwilligungsfähig ist, dann muss sie den Therapeuten vor einer Informationsweitergabe an ihre Eltern erst von der Schweigepflicht entbinden. Das hat sie hier aber gerade nicht getan. Darüber hinaus muss bedacht werden, welche Folgen der resultierende Vertrauensbruch auf die therapeutische Beziehung zwischen Mascha und ihrem Therapeuten hätte – und dieser ist der Therapeut unmittelbar verpflichtet. Wenn schließlich das Informieren von Maschas Eltern als einzig geeignetes Mittel erschiene, Paul zu helfen, käme ein Bruch der Schweigepflicht im Rahmen eines rechtfertigenden Notstandes infrage. Dies schätzt der Therapeut selbst aber nicht so ein.

  • Sollte der Therapeut überhaupt tätig werden? Dazu hilft die Frage weiter, ob in der geschilderten Situation eine Gefährdung von Pauls Entwicklung zu befürchten ist, wenn nichts unternommen wird. Das kann klar bejaht werden. Eine nähere Erläuterung der im § 4 KKG genannten „gewichtigen Anhaltspunkte“ vgl. ► Kap. 42.

  • Die geeignete Instanz, um zu klären, wie Paul geholfen werden kann, ist das Jugendamt. Dieses kann allerdings nur tätig werden, wenn es informiert wird.

  • Was passiert, wenn sich einer der Beteiligten an das Jugendamt wendet? In Fällen vermuteter Kindeswohlgefährdung ist das Jugendamt verpflichtet, zunächst eine Risikoabschätzung durchzuführen und geeignete Maßnahmen zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen zu planen. Hier werden die Beteiligten so weit als möglich einbezogen.

  • Muss man Pauls Wunsch nicht respektieren, um seine Geschwister nicht zu gefährden? In die Risikoabschätzung werden auch weitere im Haushalt lebende Kinder und Jugendliche einbezogen. Ein Hilfeplan kann viele verschiedene Maßnahmen umfassen, von denen die Inobhutnahme nur ein Aspekt ist. Das Jugendamt muss allein schon deshalb informiert werden, um überhaupt das Ausmaß der Gefährdung von Paul und seinen Geschwistern einschätzen zu können. Es ist zu befürchten, dass bereits die aktuelle Situation auch für Pauls Geschwister eine Kindeswohlgefährdung darstellt.

  • Allerdings sind viele Maßnahmen der Jugendhilfe auch auf die Kooperation der Beteiligten angewiesen. Daher ist anzustreben, zunächst das Gespräch mit Paul zu suchen. Bei diesem Gespräch sollten die genannten Aspekte besprochen und dringend auf einen Kontakt zum Jugendamt durch Paul selbst oder mit Unterstützung des Therapeuten hingewirkt werden. Dies stärkt das Gefühl der Selbstwirksamkeit und erleichtert die Akzeptanz der Maßnahmen der Jugendhilfe.

Am Ende des Gesprächs hatte der Therapeut den konkreten Plan, Mascha zu bitten, Paul zu einem gemeinsamen Gespräch mitzubringen. Dort sollte die Gefährdung mit Paul besprochen und die Kontaktaufnahme zum Jugendamt gebahnt werden. Sollte Paul weiterhin einen Kontakt ablehnen, wäre die Information des Jugendamtes durch den Therapeuten gerechtfertigt und notwendig.

Fallbeispiel 2

Die 9-jährige Marie ist in ambulanter Psychotherapie. Auslöser waren ausgeprägte Fehlzeiten in der Schule wegen chronischer, nicht somatisch begründeter Bauchschmerzen. Nach der Sommerpause, in der die Therapeutin Marie einige Wochen nicht gesehen hatte, meldet sich die Kriminalpolizei bei der Therapeutin und verlangt die Herausgabe der Patientenakten, da es um einen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Marie gehe. Die Therapeutin ruft die Mutter von Marie an, diese berichtet ihr, dass Marie in den Ferien von sexuellem Missbrauch durch den getrennt lebenden Kindsvater erzählt habe. Während eines gemeinsamen Wochenendes habe der Vater mit Marie offensichtlich pornographische Filme gesehen, und Marie sollte dabei seinen Penis streicheln. Die Kindsmutter habe sofort Anzeige erstattet.

Die Therapeutin ist nun unsicher, ob sie zum einen die Behandlungsunterlagen an die Polizei übergeben darf, und wie sie therapeutisch mit Marie weitermachen kann.

  • Schweigepflicht: Das Besondere der ärztlichen/therapeutischen Schweigepflicht (im Gegensatz zu den meisten nichtapprobierten Heilberufen) ist ja gerade, dass sie auch ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO umfasst, das heißt im Strafprozess (und den vorgeordneten Ermittlungsverfahren) keine Aussage über den Patienten getätigt werden muss. Anders ist es bei Vorliegen einer gültigen Schweigepflichtsentbindung, die bei nicht einwilligungsfähigen Kindern aber in der Regel von beiden Sorgeberechtigten unterzeichnet sein muss. In Kinderschutzfällen, wo häufig ein oder beide Sorgeberechtigte kein Interesse an der Zusammenarbeit mit der Polizei und Staatsanwaltschaft haben, liegt aber häufig die Schweigepflichtsentbindung von höchstens einem Elternteil vor. Hier kommt ein Bruch der Schweigepflicht eigentlich nur im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes in Betracht, wenn die Informationsweitergabe zum Schutz des Kindes als notwendig und sinnvoll erscheint.

    Allerdings ist es ja häufig so, dass Behandlungsunterlagen für medizinisch-therapeutische Laien wie Polizeibeamte und Juristen nicht ohne Weiteres aussagekräftig sind. Daher besteht zumindest in ähnlich gelagerten Fällen die pragmatische Möglichkeit, dass die Therapeutin eine Epikrise über Marie verfasst, in der alle wichtigen Aspekte zusammengefasst und gewertet sind und diese Epikrise der Mutter zur Verfügung stellt (ob die Weitergabe der Epikrise an den Vater verantwortet werden kann oder ob die Sorge, damit zusätzlichen Schaden für Marie zu verursachen, das Recht des Vaters auf Einsicht überwiegt, sollte durch eine Rechtsberatung bei der Psychotherapeutenkammer geklärt werden). Die Mutter kann die Epikrise dann an die Polizei weitergeben.

  • Wichtig ist hierbei aber, dass das Ermittlungsverfahren allein nicht den Schutz des Kindes sicherstellt. Mindestens bis zur Klärung der Vorwürfe durch das Ermittlungsverfahren, wahrscheinlich ja aber auch danach, ist zu klären, ob und unter welchen Umständen der Kindsvater Kontakt zu Marie haben darf. Eine Einschränkung des Umgangsrechts kann entweder direkt mit dem Familiengericht geklärt werden oder das Jugendamt kann zur Erstellung eines Schutz- und Hilfeplans eingeschaltet werden. Der naheliegende Weg wäre, dass die Therapeutin der Mutter rät, sich im Jugendamt beraten zu lassen.

  • Falls die Patientin im Verlauf der Therapie Angaben zum Missbrauch macht, sollten diese von der Therapeutin so dokumentiert werden, dass sie ggf. verwertbar sind. Dazu sollte die Reflexionsebene stets von der Sachebene getrennt werden. Aussagen des Kindes sollten möglichst verbatim dokumentiert werden. Darüber hinaus sollten der Kontext, die Art der Mitteilung (spontan oder auf Nachfrage) und ggf. die gestellten Fragen dokumentiert werden. Das geschilderte Verhalten sollte konkret beschrieben und die erfolgten Maßnahmen ebenfalls beschrieben werden. Im Verlauf der Therapie sollte die Patientin auf posttraumatische Stresssymptome hin exploriert und ggf. eine traumafokussierte Therapie eingeleitet werden.

Fallbeispiel 3

In der Notaufnahme stellt sich die 16-jährige Vanessa vor. Sie berichtet, kurz zuvor überfallen und sexuell genötigt worden zu sein. Die diensthabende Kinder- und Jugendpsychiaterin wird hinzugezogen und erfährt, dass Vanessa sich vor einigen Stunden mit einer Internetbekanntschaft getroffen habe. Dieser Mann habe sie in seiner Wohnung mit der Drohung zum Sex gezwungen, sonst allen ihren Mitschülern ihre vorangegangenen Sextings öffentlich zu machen. Sie schäme sich so, dass sie keinesfalls ihren Eltern davon erzählen wolle, sei aber jetzt besorgt, dass sie schwanger geworden sein könnte. Die Psychiaterin ist unsicher, wie sie ohne die Einwilligung der Sorgeberechtigten vorgehen kann und meldet sich bei der Kinderschutzhotline.

  • Notwendige Maßnahmen: Zeitnahe (notfallmäßige) gynäkologische Vorstellung. Neben Infektions- und Empfängnisprophylaxe ist hierbei auch die Sicherung evtl. vorhandener Täter-DNA durch standardisierte Kits durchzuführen. Eine Strafanzeige ist hierfür nicht Voraussetzung, da die meisten rechtsmedizinischen Institute inzwischen eine vertrauliche Spurensicherung anbieten.

  • Einwilligung: Sofern die Patientin einwilligungsfähig ist (keine starre Altersgrenze, mit 16 Jahren wird dies aber meist der Fall sein), kann sie selbst in notwendige medizinische Maßnahmen einwilligen. Ebenso kann sie ihre Persönlichkeitsrechte selbst ausüben, das heißt darüber entscheiden, ob die Schweigepflicht gegenüber ihren Eltern gilt oder nicht.Footnote 1

  • Versichertenstatus: Zu beachten ist bei privat Versicherten, dass immer eine Information an die hauptversicherte Person erfolgt (i. d. R. ein Elternteil). Hier würde also eine Information der Eltern ungewollt durch den Versicherer erfolgen.

  • Nachsorge: Es ist, auch wenn die Eltern nicht informiert werden sollen, natürlich sicherzustellen, dass die Patientin auch nach der Akutvorstellung sicher betreut ist. Es ist im Gespräch mit der Patientin zu klären, wie eine therapeutische Begleitung sichergestellt werden kann.

Medizinische Kinderschutzhotline

Projektleitung:

  • Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm, Ulm, Deutschland joerg.fegert@uniklinik-ulm.de.

  • Prof. Dr. Michael Kölch, Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Universitätsmedizin Rostock Rostock, Deutschland

Umsetzung:

  • Kooperation mit den DRK Kliniken Berlin und dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Freiburg

  • Diese Institutionen stellen die Berater der Kinderschutzhotline und kooperieren zudem bei der technischen Umsetzung und Schulung der Mitarbeiter

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Fegert, J.M., Berthold, O., Kölch, M., Witt, A. (2020). Die Medizinische Kinderschutzhotline . In: Kölch, M., Rassenhofer, M., Fegert, J. (eds) Klinikmanual Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58418-7_49

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-58418-7_49

  • Published:

  • Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg

  • Print ISBN: 978-3-662-58417-0

  • Online ISBN: 978-3-662-58418-7

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