Zusammenfassung
Das Thema „arbeitsrechtliche Konfliktlösung“ erfordert gerade im Hinblick auf die Frühe Neuzeit einige Differenzierungen. Weniger problematisch ist dabei die vor einiger Zeit diskutierte Frage der Angemessenheit des Begriffs „Arbeitsrecht“ für die Frühe Neuzeit (dazu etwa Schröder 1984). Zwar ist das durch soziale Schutznormen und die Figur des abhängigen Arbeitnehmers gekennzeichnete Arbeitsrecht bekanntlich ein Produkt des 20. Jahrhunderts. Jedoch hatte es auch in der Frühen Neuzeit Verträge gegeben und daraus resultierende Pflichten. Anders als im 20. Jahrhundert waren diese nicht an eine juristische Abstraktion abhängiger Arbeit und universelle Vorstellungen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gebunden, sondern an konkrete Situationen der Berufsausübung, wobei ständisch geprägte Rollenmuster mitbestimmend waren. Somit stellten sich Konflikte zwischen arbeitenden Menschen und den Personen, auf deren Veranlassung sie tätig wurden nicht nur als sozial-informelle Konflikte dar, etwa zwischen Herrn und Knecht, Meister und Lehrling, Fabrikherrn und Arbeiterin, Bergwerkseigner und Bergmann, Master and Servant; allgemein formuliert, zwischen Dienstherrn und Dienstverpflichteten. Sie enthielten auch eine konkrete juristische Dimension und können je nach Zeit und Region an verschiedene Rechtsquellen rückgebunden werden. Typische Arbeitskonflikte entstanden etwa um Ausmaß, Fälligkeit und Qualität von Leistung und Gegenleistung, um persönliche Verhaltenspflichten zwischen den Parteien sowie die Dauer von Dienstverhältnissen. In dieser Vertragsgebundenheit bestimmter Konflikte kann für rechtshistorische Forschung je nach Fragestellung ein Abgrenzungskriterium zu anderen Formen von Auseinandersetzungen mit Bezug zu Arbeitswelten liegen, zu deren Lösung ebenfalls normativ typisierte Muster, vielleicht sogar prozedurale Formen, existierten. Wenn etwa ein Geselle einen Standesgenossen auf der Herberge bestiehlt, liegt darin zwar ein Konflikt, der unter den spezifischen Bedingungen eines arbeitsweltlich geprägten Rahmens zustande kam. Dieser befindet sich jedoch außerhalb der für Arbeitsverhältnisse charakteristischen Spannung zwischen Dienstberechtigtem und Dienstverpflichtetem. Diese Konflikte konnten freilich auch auf einer kollektiven Ebene ausgetragen werden (Sieg`l 1993), worin ein charakteristisches Merkmal für Arbeitskonflikte liegt. Relevant war diese kollektive Ebene auch in der Frühen Neuzeit, wo man erste Formen kollektiver Interessenartikulation bei Streiks von Handwerksgesellen beobachtet (sozialgeschichtlich Reith 1988). Die Forschung sieht darin Vorformen moderner kollektiver Auseinandersetzungen im gewerblichen Bereich (vgl. Kittner 2005; Althaus 1997; Grießinger 1981).
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Keiser, T. (2021). Handwerker und Zünfte. In: Decock, W. (eds) Konfliktlösung in der Frühen Neuzeit . Handbuch zur Geschichte der Konfliktlösung in Europa , vol 3. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56102-7_23
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