Zusammenfassung
Im Rahmen dieses Beitrages beschäftige ich mich mit der allzu bekannten Beobachtung, dass qualitative Gespräche oft sehr unterschiedlicher Art sind, und auch mit noch so vielen „Erzählstimuli“ die Gesprächspartner/ innen mitunter wortkarg bleiben. Kurze Gespräche werden dann häufig als misslungen betrachtet. Statt nun von einer unterschiedlich ausgeprägten „narrativen Kompetenz“ der Gesprächspartner/innen auszugehen, die im Zusammenhang mit diesem forschungspraktischen Aspekt oft zitiert wird, möchte ich lieber von unterschiedlichen Gesprächsstilen sprechen, die bei der Auswertung angemessen zu berücksichtigen sind. Dafür werde ich in dem Beitrag die in qualitativer Methodenliteratur häufig anzutreffende Bevorzugung von Erzähl- bzw. Narrationspassagen für die Auswertung problematisieren und einen alternativen praxistheoretischen Zugang zur Datengrundlage Interview formulieren. Ich möchte für den Fall der Dokumentarischen Methode, die zur Auswertung der Gespräche zur Anwendung kam, welche ich für meine Doktorarbeit geführt habe, reflektieren, wie ein solcher Zugang aussehen könnte und in welcher Hinsicht die Gesprächslänge, die letztlich auf unterschiedlichen Gesprächspraktiken beruht, irrelevant ist.
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Notes
- 1.
Diejenigen, die mit dem biographisch-narrativen Interview oder ethnographisch arbeiten, können darüber an dieser Stelle vielleicht nur müde lächeln (vgl. Lamneks Hinweis auf Gespräche, die ganze Tage in Anspruch nehmen, 2005, S. 339).
- 2.
So der Titel des Aufsatzes von Heinz Bude aus dem Jahre (1985) „Der Sozialforscher als Narrationsanimateur“. Die dortige Kritik bezieht sich in erster Linie auf die Methodologie des biographisch-narrativen Interviews, wie sie insbesondere Fritz Schütze vertritt.
- 3.
Anders als die „neurotischen Erzähler“, ebenfalls Bude 1985 (S. 33).
- 4.
In angemessenerer Interpretation wäre dagegen anzunehmen, dass Nichterwähntes in den zur Sprache gekommenen Kontexten nicht von Relevanz ist.
- 5.
Dies wäre der Fall, wenn man beispielsweise kürzeren Gesprächen lediglich ein „zu wenig“ unterstellt (s. auch Fußnote 23).
Literatur
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Montanari, G. (2018). Wie relevant ist die Interviewdauer? Zum angemessenen Umgang mit sehr unterschiedlichen Gesprächen. In: Meyer, F., Miggelbrink, J., Beurskens, K. (eds) Ins Feld und zurück - Praktische Probleme qualitativer Forschung in der Sozialgeographie. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-55198-1_19
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