Zusammenfassung
Neben der Einteilung nach kalendarischem Alter der Gefangenen muss bei der Versorgung älterer Gefängnisinsassen vordergründig deren individuelle Bedürfnislage in den Bereichen medizinische Versorgung, pflegerische Versorgung, Feststellung von Behinderung und zugehörige Nachteilsausgleiche ermittelt und in den Fokus gerückt werden. Diese Bedürfnisse sind dann auch im Justizvollzug bedarfsgerecht zu decken ohne die resozialisierende Behandlung einzuschränken. Die dabei auftretenden Fragestellungen und Problematiken werden erörtert und durch plakative Falldarstellungen ergänzt. Die Betrachtung erfolgt primär aus der Innensicht von Vollzugspraktiker:innen.
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Notes
- 1.
Vgl. Landeshaushaltsordnungen und berücksichtige, dass i. d. R. Doppelhaushalte erlassen werden, sodass hier von einem ca. fünfjährigen Vorlauf, beispielsweise bei Baumaßnahmen oder Veränderungen im Personalhaushalt, auszugehen ist.
- 2.
Grundsatz der Sicherheit und Ordnung: „Es sind insbesondere geschlechtsspezifische Belange sowie die besonderen Belange lebensälterer und behinderter Gefangener zu berücksichtigen.“ (StVollzG Bln § 81 (2)).
- 3.
Wobei bspw. das Bayrische Strafvollzugsgesetz davon abweicht und die Arbeitspflicht mit 65 Jahren enden lässt (Art. 43 StVollzG Bay).
- 4.
Vgl. Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern über die Gefangenentransportvorschrift (GTV) vom 7. Januar 2008 (AllMBl. S. 3), die zuletzt durch Bekanntmachung vom 19. Mai 2020 (BayMBl. Nr. 309) geändert worden ist.
- 5.
Vgl. bspw. § 9 f. StVollzG Bln, im Einzelnen § 10 Abs. 1 Nr.7 bezüglich der „Berücksichtigung indizierter medizinischer Maßnahmen, sofern diese zur Erreichung des Vollzugsziels erforderlich sind“ und Nr. 8 bezüglich der „Teilnahme an Maßnahmen zur Behandlung von Suchtmittelabhängigkeit und Suchtmittelmissbrauch“.
- 6.
§ 12 SGB V: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“
- 7.
§ 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V, Ruhen des Leistungsanspruchs gegenüber der Krankversicherung während staatlicher Freiheitsentziehung.
- 8.
Vgl. § 7 Abs. 1 S. 2 StVollzG Bln zum Aufnahmeverfahren: „Sofern es für die sprachliche Verständigung mit den Gefangenen erforderlich ist, sind Sprachmittlerinnen oder Sprachmittler hinzuzuziehen.“
- 9.
In der Anlage 1 SGB XI findet sich eine detaillierte Tabelle zu den Einzelpunkten der Module 1–6. Die folgenden Beispielfragen wurden der Broschüre „Ratgeber Pflege“ des Bundesministeriums für Gesundheit entnommen (2023, S. 45).
- 10.
Verwaltungsvorschriften zur Versorgung der Gefangen mit Arznei- und Verbandmitteln, Zahnersatz und Zahnkronen, Sehhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln zu Abschn. 11 des Berliner Strafvollzugsgesetzes vom 08. Februar 2023 JustVA III A 2.
- 11.
Vgl. SGB XI § 78.
- 12.
Eigene Anschauung im März 2019 im Rahmen eines Prison-Visit der Northern Dimension Partnership in Public Health and Social Well-being (NDPHS) Gefängnismedizin (Prison Health EG) Arbeitsgruppe.
- 13.
Fallbeispiele wurden in Teilaspekten zum Schutz der Persönlichkeitsrechte anonymisiert bzw. sinnerhaltend angepasst.
- 14.
„Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürfnissen von Frauen und Kindern mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder sowie Menschen mit seelischen Behinderungen oder von einer solchen Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen.“ (§ 1 SGB IX). Gem. § 2 Abs. 1 SGB IX gilt zur Behinderung: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.“ Abs. 2 und 3 definieren Schwerbehinderte und denen Gleichgestellte.
- 15.
„Die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Identität, werden bei der Vollzugsgestaltung im Allgemeinen und im Einzelfall berücksichtigt.“ (§ 3 Abs. 6 StVollzG Bln).
- 16.
Im Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) ist die Barrierefreiheit im § 4 BGG definiert.
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Lehmann, G., Lehmann, M. (2023). Gesundheitssorge im Justizvollzug im Spannungsfeld „Alter, Krankheit, Pflege und Behinderung“. In: Ghanem, C., Hostettler, U., Wilde, F. (eds) Alter, Delinquenz und Inhaftierung. Edition Forschung und Entwicklung in der Strafrechtspflege. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41423-8_16
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