Zusammenfassung
Im Kontext des Konzepts der Imperialen Lebensweise spielen Tiere bislang eine eher unwesentliche Rolle, dabei ist das Machtverhältnis zwischen Menschen und Tieren, welches mit der Bezeichnung Speziesismus (siehe Ryder 1971) problematisiert wird, maßgeblich mit der imperialen Lebensweise verschränkt. Verschränkungen offenbaren sich beispielsweise im Zusammenhang der Massentierhaltung mit naturausbeuterischen Praktiken und dem Klimawandel. In diesem Beitrag wird eine zentralere Verschränkung jedoch in der Ausbeutung von Tieren selbst gesehen, die häufig unreflektiert bleibt und hinter dem Deckmantel einer konstruierten Normalität verschwindet.Anliegen dieses Beitrags ist es, das Politische am Mensch-Tier-Verhältnis herauszuarbeiten sowie aufzuzeigen, warum es sich lohnt, Speziesismus, Imperiale Lebensweise und politische Bildung zusammenzudenken.
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Notes
- 1.
Die Grenzlinie der Ausbeutung liegt jedoch nicht ausschließlich am Äquator, denn auch in wohlhabenderen Gesellschaften lässt sich Ausbeutung finden. Die Grenzlinien der Ausbeutung werden durch soziale Spaltungslinien und konstruierte Kategorien (wie Geschlecht, Hautfarbe) bestimmt. Die Zuschreibung von Andersartigkeit und geringerer Wertigkeit legitimiert Diskriminierung und Ausbeutung von Individuen und Natur (siehe Brand und Wissen 2017, S. 61; I.L.A. Kollektiv 2019, S. 17).
- 2.
Da der Begriff Tiere die zu kritisierende Mensch-Tier-Grenze reproduziert, wird er in diesem Beitrag – wie auch in Beiträgen aus dem Bereich der Human-Animal-Studies (siehe etwa Chimaira 2011, S. 8) – im Sinne einer tiergerechten Sprache entweder kursiv gesetzt oder es werden Adjektive wie nichtmenschliche oder andere vorangestellt. Man sollte sich auch dessen bewusst sein, dass der Begriff Tiere als Kategorie die Vielfalt an Lebewesen verschleiert, welche sich dahinter verbirgt. In Begriffen wie Mensch-Tier-Verhältnis wird einfachheitshalber auf eine Hervorhebung verzichtet.
- 3.
Unter Karnismus – als Spezialform des Speziesismus – versteht man ein (unsichtbares) gesellschaftliches Überzeugungsmuster, welches den Konsum von Fleisch bestimmter Tierarten sowie den Konsum anderer tierischer Produkte als natürlich, normal und notwendig betrachtet und damit legitimiert (siehe Joy 2013).
- 4.
Der Ausbeutung von Natur und Menschen soll hier jedoch keineswegs die Relevanz abgesprochen werden, die Problematik der imperialen Lebensweise könnte jedoch ganzheitlicher betrachtet werden, wenn das Mensch-Tier-Verhältnis stärker und in Wechselwirkung reflektiert würde.
- 5.
Auch im Kontext der Imperialen Lebensweise weisen Nilda Inkermann und Jannis Eicker (2021) darauf hin, dass durch Bildung „als zentrale gesellschaftliche Infrastruktur […] Denkmuster erlernt werden, die durch gesellschaftliche Herrschafts- und Machtverhältnisse geprägt sind“ (ebd., S. 33). Sie sprechen in diesem Sinne von hegemonialem Wissen, welches durch die Institution Schule vermittelt und verbreitet wird (ebd.). Bildung ist damit selbst Teil der hegemonialen Strukturen der imperialen Lebensweise und reproduziert diese.
- 6.
Trotz des pädagogischen Potenzials der Entschlüsselung gemeinsamer Logiken verschiedener Diskriminierungsformen, birgt die Untersuchung der Intersektionalität eine Ironie, dass eine Kritik des Speziesismus eine Bestätigung durch andere diskriminierungskritische Anliegen zu erfordern scheint. Dennoch ist der Vergleich von Speziesismus mit anderen Diskriminierungsformen ein wichtiger Ansatzpunkt (siehe Gunnarsson Dinker und Pedersen 2016, S. 420).
- 7.
Politische Bildung hinterfragt seit langem in der Gesellschaft vorherrschende Vorurteile und Normalität. Mit einer solchen kritischen Herangehensweise sollte auch das Mensch-Tier-Verhältnis und die Normalität der Ausbeutung beleuchtet werden.
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Bloise, J. (2023). Speziesismus und die Imperiale Lebensweise – Das Politische am Mensch-Tier-Verhältnis und die Herausforderung für die politische Bildung. In: Kierot, L., Brand, U., Lange, D. (eds) Solidarität in Zeiten multipler Krisen. Citizenship. Studien zur Politischen Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40794-0_10
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