Im Rahmen des KILPaD-Projektes wurde den beteiligten Unternehmen die Möglichkeit geboten, ihre Digitalisierungsprojekte auch aus der Sicht der Organisationsentwicklung begleiten zu lassen. Diese Aufgabe durfte ich als systemische Organisationsberaterin übernehmen. Drei Unternehmen haben diese Möglichkeit genutzt und ganz unterschiedliche Themen bearbeitet. Alle Themen drehten sich um die Frage, wie man die mit der Digitalisierung notwendigen organisationalen Veränderungen wirksam umsetzen kann, so dass sie von den Menschen in der Organisation angenommen und getragen werden können. In allen drei Fällen spielte die Frage nach dem WARUM der Digitalisierung eine Rolle und darum soll es im Folgenden gehen.

1 Das WARUM von Digitalisierungsprojekten gut erläutern

Bei der Entwicklung des Integrations-Leadership-Tools (vgl. Baecker/Leske/Lieckweg in diesem Band) hat Michael Leske von Ruhrbotics seine Erfahrungen mit der Einführung von Digitalisierungsprozessen so beschrieben: „Die Leute müssen den Sinn hinter der Digitalisierung verstehen, sie müssen verstehen, wozu wir es machen.“ Dieses WARUM der Digitalisierung ist das zentrale Element von Veränderungsprozessen und ihrer wirksamen Umsetzung. Deswegen ist es eines der sechs Felder des Leadership-Tools und soll hier näher ausgeführt werden. Damit richtet sich der Blick auf die Aufgabe von Führung in Veränderungsprozessen und Prozessen der Organisationsentwicklung. Die Frage nach dem WARUM ist dabei eine Interventionsmöglichkeit, die genutzt werden kann.

Denn die Antwort auf die Frage nach dem WARUM setzt Menschen in Bewegung, sie ermöglicht Menschen, sich zu beteiligen und sie motiviert zur gemeinsamen Entwicklung von Lösungen. Simon Sinek (2011) hat das eindrücklich beschrieben. Die Antwort auf die Frage nach dem WARUM ist ein starkes, aber nicht einfach anzuwendendes Management-Tool. Mit der Antwort auf das WARUM kann man in verschiedene Richtungen arbeiten, aber vor allem kann man darüber die Menschen, die in und mit den digitalisierten Prozessen, Abläufen, Produkten oder Angeboten arbeiten, zur Mitgestaltung einladen und bewegen. Und diese Mitgestaltung ist bei Digitalisierung unverzichtbar.

Unverzichtbar ist auch das Durchhalten in Digitalisierungsprojekten. Meist funktioniert die neue Anwendung nicht auf Anhieb, es braucht Anpassungen und Verbesserungen. Hier lauert die Gefahr, auf das Vorhandene zurückzugreifen – weil es funktioniert. In diesen Situationen muss das WARUM aktiviert werden und immer wieder daran erinnert werden, wozu die Digitalisierung dienen soll.

Aber wie findet man die Antwort auf die Frage nach dem WARUM und wie nutzt man sie in der Führung und in der Zusammenarbeit?

2 Die Antwort finden und in der Führung nutzen

Die Antwort auf die Frage nach dem WARUM der Digitalisierung kann man am besten finden, wenn man sich in die Rolle der Beteiligten und Betroffenen versetzt und versucht, deren Fragen zu beantworten. Die typischen Fragen, die sich Beteiligte und Betroffene stellen, sind:

Warum braucht es diese Veränderung überhaupt? Dahinter steht die Annahme, dass es doch irgendwie läuft, dass wir es doch irgendwie hinbekommen, dass wir es gewohnt sind, so zu arbeiten.

Warum kommt diese Veränderung jetzt?  Da stecken die Fragen dahinter, warum man nicht zu einem späteren Zeitpunkt mit der Digitalisierung anfangen kann oder warum nicht schon viel früher begonnen hat.

Wohin wird die Veränderung führen? Hier muss der Gewinn, der durch die Digitalisierung erreicht wird, klar herausgestellt werden. Denn hier lauert die Frage nach der Ernsthaftigkeit des Vorhabens.

Was bedeutet die Veränderung für mich?  Wie wird sich meine Arbeit ändern? Was kommt auf mich zu? Diese Fragen müssen beantwortet werden, sonst entstehen Befürchtungen und Ängste.

Was sind die ersten Schritte im Zuge der Veränderung? Diese müssen deutlich werden, damit das Digitalisierungsvorhaben als realistisch erlebt wird.

Mit der Antwort auf diese Fragen entstehen ein Zukunftsbild und erste Pfade für die Umsetzung. Damit entsteht eine Verbindung zwischen dem längerfristig angestrebten Ziel und dem notwendigen Start in die Veränderung. Diese Brücke ist unverzichtbar, damit überhaupt Bewegung entsteht. Diese Brücke zu bilden, ist eine relevante Führungsaufgabe in Digitalisierungsprojekten, denn Digitalisierungsprojekte brauchen Erklärungen – und zwar nicht nur einmal, sondern laufend und wiederholend. In die Beantwortung dieser Fragen sollte man die Mitarbeiter*innen einbeziehen und so die Geschichte von Beginn an zu einer gemeinsamen Geschichte machen.

Denn bei Digitalisierungsprojekten sollten nicht allein die Prozesse, Produkte oder Leistungen im Vordergrund stehen, sondern vor allem auch die Menschen. Es ändert sich die Arbeit der Menschen im Betrieb, die Menschen im Betrieb müssen mit den digitalen Lösungen klarkommen, sie annehmen und weiterentwickeln. Nur dann werden Digitalisierungsprojekte erfolgreich. Deswegen ist es eine wichtige Führungsaufgabe, den Menschen im Betrieb den Weg zur Digitalisierung zu ebnen, sie in die Entwicklung und Umsetzung mit einzubeziehen und ihre Ideen zu nutzen. Dazu muss man aber auch Ängste abbauen und bearbeiten. Und dafür braucht es eine andere Kommunikation.

Hier spielt Zuhören eine wichtige Rolle. Aber auch die andere Seite verändert sich: es geht nicht mehr in erster Linie um Anweisungen und Erklärungen, um Anleitungen und Begründungen, sondern vor allem darum, die Führungskommunikation in die Form von Geschichten zu bringen und sich mit diesen selbst zu verbinden. Geschichten, die Menschen mitnehmen, ansprechen, überzeugen und berühren. Geschichten, an denen sich Menschen orientieren können. Geschichten, in denen die Menschen selbst eine Rolle spielen. Diese Geschichten können auch von Beginn an in einem gemeinsamen Dialog entwickelt werden. Dafür ist das untenstehende Beispiel von SHA ein gutes Vorbild: Die Geschichte wurde in einem Workshop von Geschäftsführung und Mitarbeiter*innen aus Produktion und Verwaltung gemeinsam entwickelt.

Wir kennen alle richtig gute Geschichten, wir sind mit ihnen aufgewachsen, erzählen diese anderen und lieben Bücher, in denen sie erzählt werden. Im Marketing, in der Unterhaltungsbranche und in der Unternehmenskommunikation ist Storytelling schon lange angekommen. Aber Geschichten in der Führungsarbeit zu nutzen, fällt vielen Führungskräften immer noch schwer.

Wie entsteht nun eine gute Geschichte, die in der Führungsarbeit und in der Zusammenarbeit genutzt werden kann? Sie braucht erst einmal eine gute Vorbereitung. Und zu dieser Vorbereitung gehört es, sich über folgende Elemente klar zu werden:

Was genau ist das Thema meiner Geschichte?

Wie bin ich selbst mit dieser Geschichte verbunden?

Um welchen spannenden Widerspruch, Konflikt geht es?

Wer sind die Helden der Geschichte?

Welche Werte werden hier verhandelt?

Und auf welcher Bühne spielt das Ganze?

Mit dieser Art der Führungskommunikation gelingt es, Menschen in Bewegung zu bringen, weil sie sich ganz anders zu dem Thema in Beziehung setzen können. Geschichten sind ein starkes Werkzeug, da sie die Menschen auf einer emotionalen Ebene ansprechen, da sie bei den Zuhörenden Bilder entstehen lassen und Möglichkeiten zur Identifikation bieten. Gerade deshalb sind sie für eine Führung, die das WARUM von Digitalisierungsprojekten vermitteln will, unverzichtbar. Und sie sind ein wichtiges Instrument, die Veränderung von Beginn an gemeinsam auszugestalten – sowohl bei der Entwicklung der Geschichte zum WARUM der Veränderung als auch bei der Umsetzung der Digitalisierung selbst.

3 Beispiele aus der KILPaD-Praxis

In einigen KILPaD-Projekten wurden sehr gute Antworten auf die Frage nach dem WARUM gefunden und in Geschichten überführt, die sich weitererzählen lassen. Zwei sollen hier vorgestellt werden.

3.1 Multiprofil

„Heute haben wir in unserer Produktionsplanung zu wenig Optionen. Wir machen alles per Hand und versprechen dem Kunden Liefertermine, die wir dann zum Teil nicht einhalten könnten.

Die Liefertermine sind aber der zentrale Wert, den wir unseren Kunden bieten. Deswegen kommen Kunden zu uns.

Damit wir dieses Versprechen künftig noch besser einhalten können und unsere Fachexperten mehr Zeit für die relevanten Aufgaben haben, brauchen wir eine teilautomatisierte Planung.

Wir müssen mit der teilautomatisierten Planung jetzt beginnen, da wir die verschiedenen Digitalisierungsvorhaben im Unternehmen zusammenbringen wollen. Erst wenn verschiedene Puzzle-Teile der Digitalisierung zusammenpassen, kommen wir zu einer teilautomatisierten Planung. Wir müssen diese aber von Beginn an mitdenken.

Wenn uns das gelingt, dann werden wir vom System Vorschläge erhalten, in welcher Reihenfolge wir die Aufträge bearbeiten müssen, damit wir die Liefertermine einhalten können. Keiner von uns wird mehr mit einem Zettel durch die Halle laufen und alles immer wieder aufs Neue aufnehmen. Das spart Zeit und macht uns flexibel.

Für jeden einzelnen von uns bedeutet das, dass wir unsere Arbeit anders organisieren, wir werden nicht mehr alles einzeln entscheiden, das System wird uns Vorschläge machen. So gewinnen wir Zeit für andere Aufgaben und werden schneller und flexibler in der Auftragsbearbeitung.

Als nächstes werden wir jetzt die notwendigen Daten erfassen, damit wir in einer Testphase Schritt für Schritt zu einer neuen – digitalen – Planung kommen.“

3.2 SHA

„Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verändert. In dieser Situation müssen wir dafür sorgen, dass wir für unsere Kunden die beste SHA sind, die sie sich vorstellen können. Wir müssen die besten Lieferanten sein. Und dafür brauchen wir eine standardisierte, fehlerfreie Produktion.

Dies wird möglich durch einen digitalen Baukasten, einen Konfigurator, der uns einen Teil der Arbeit abnimmt. Damit werden aber Veränderungen im gesamten Auftragsprozess verbunden sein. Die Arbeit wird sich für uns alle verändern.

Für den Vertrieb wird es leichter werden, Aufträge zu schreiben und es wird Zeit für Kundenschulungen frei werden. Das Auftragsmanagement wird entlastet und es wird mehr Sicherheit bei Terminaussagen entstehen. In der Konstruktion wird mehr Raum für spezielle Anfertigungen und für höhere Qualität entstehen.

Als nächstes werden wir jetzt überall, wo es möglich ist, einen Standard definieren und danach einen Katalog im Entwurf erstellen. Bis zum Herbst wollen wir 90 % der Ausarbeitung geschafft haben. Dann geht es in die Umsetzung.“

Die beiden Beispiele zeigen, dass die Erklärungen und Antworten ganz unterschiedlich sein können. Gemeinsam ist den beiden Beispielen, dass sie gut zeigen, warum die Veränderung wichtig ist, wie sie angegangen wird, wohin sie führen wird und welche Auswirkungen für die Beschäftigten damit verbunden sind. Beides sind gute Geschichten, die sich weitererzählen lassen.

4 Und zum Schluss: Dranbleiben ist wichtig

Digitalisierung braucht Zeit. Das zeigen auch die beiden Beispiele. Gerade deswegen ist es wichtig, eine gute, überzeugende, aktivierende Story zu haben, die man im Alltag immer wieder anbringen kann. Denn das Durchhalten ist besonders wichtig für Digitalisierungsvorhaben, da die digitale Version meist noch nicht auf Anhieb funktioniert. Hier kann die Story helfen, sich immer wieder daran zu erinnern, warum es sich lohnt, in die Veränderung zu investieren.