In der Behinderten- und Altenhilfe gewinnt der Einsatz unterstützender bzw. assistiver Technologien als Erweiterung des Unterstützungsarrangements an Bedeutung. Als assistive Technologien bezeichnete Konzepte und Hilfsmittel sollen Menschen mit Behinderung hinsichtlich einer selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung fördern, ihr individuelles Wohlbefinden steigern, zur Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen und die Teilhabechancen in allen Aktivitäts- und Lebensbereichen sichern bzw. erweitern (Driller et al. 2009; Klein 2020). Sie sollen Menschen mit Unterstützungsbedarf darin fördern, Handlungsanforderungen im (Wohn-)Alltag (besser) unabhängig von anderen Personen bewältigen zu können (d. h. Förderung der Selbstständigkeit und Entlastung der Unterstützungspersonen; Grunwald und Hillerbrand 2019) und bislang ungenutzte Handlungsräume zu erschließen (Stichwort: Bereicherung). Dabei soll nicht in erster Linie die Kompensation von Beeinträchtigungen in den Blick genommen werden, sondern die Erschließung vielfältiger Lebensgestaltungsmöglichkeiten durch Technik, die Förderung der Selbstständigkeit und die Teilhabe an verschiedenen Lebensbereichen (Freese und Marczinzisk 2016).

Im Sinne des biopsychosozialen Modells von Behinderung der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) bergen technische Lösungen jedoch nicht nur ein großes Potenzial für den einzelnen Menschen mit Behinderung, sondern auch für Unterstützungspersonen und für die gesamte sozialräumliche Lebensumwelt (Kunze 2018, S. 165). So stehen technische Systeme zur Verfügung, die Menschen mit Behinderungen zum einen hinsichtlich ihrer Körperfunktionen und -strukturen unterstützen (z. B. E-Rollstuhl) und zum anderen zur Förderung von Aktivitäten und Teilhabe (z. B. digitaler Tagesplaner) dienen. Außerdem bieten technische Systeme die Möglichkeit zur Unterstützung und Entlastung der Assistenz und Pflege (z. B. Sturzerkennung, Kommunikation, Dokumentation) und sie können durch passende Schnittstellen Planungs- und Managementprozesse auf organisationaler Ebene digital unterstützen.

Dieser Beitrag soll einen Überblick geben über die Potenziale und Herausforderungen, die mit dem Einsatz technischer Systeme als Erweiterung des Unterstützungsarrangements verbunden sind. Dazu werden Potenziale anhand einer Klassifizierung assistiver Technologien bezüglich ihrer Funktionen und daraus abgeleiteten zentralen Einsatzmöglichkeiten dargestellt. Erläutert wird, wie diese Technologien zur Unterstützung einer selbstständigen Lebensführung von Menschen mit Behinderung und der damit verbundenen Teilhabeplanung und dem Teilhabemanagement im organisatorischen Kontext genutzt werden können, und entsprechende konkrete Beispiele werden benannt. Technische, nutzungsbezogene und ethische Herausforderungen, die mit dem Einsatz digitaler Technologien verbunden sind, werden behandelt und münden in einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.

1 Klassifizierung: Funktionen und Einsatzgebiete

Mit Blick auf eine möglichst individuelle selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung kommt es auf umfassende und aufeinander abgestimmte Unterstützungsleistungen an, bei denen der Einsatz assistiver Technologien einen wichtigen Beitrag leisten kann. In den letzten Jahren ist die Anzahl und Vielfalt assistiver Technologien für den Unterstützungskontext auf dem Markt stetig gestiegen. Für einen besseren Überblick bietet sich daher eine Kategorisierung der Technologien anhand ihrer Funktionen und Einsatzgebiete an.

Die Funktionen assistierender Technologien zur Unterstützung von Menschen mit Unterstützungsbedarf lassen sich nach Driller et al. (2009) in vier verschiedene Bereiche einteilen. Assistive Technologien werden eingesetzt, um (1) die Sicherheit der Nutzer/innen im Lebensumfeld zu erhöhen und dadurch deren (2) Autonomie zu fördern. Zum anderen bergen sie aber auch das Potenzial, (3) die Gesundheit sicherzustellen und zu fördern und (4) die soziale Teilhabe der Nutzer/innen zu stärken. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass diese Bereiche sich wechselseitig beeinflussen, der Einsatz von Technologien auch multifunktional wirken kann (Driller et al. 2009).

Zur Veranschaulichung der Funktionen werden im Folgenden mögliche Einsatzgebiete assistiver Technologien zur Erweiterung des Unterstützungskontextes skizziert:

Haustechnik und Gebäudeautomation

Der Einsatz assistiver Technologien in der Wohnumgebung als Haustechnik und Gebäudeautomation gewinnt zur Förderung selbstständigen Wohnens von Menschen mit Behinderung immer stärker an Bedeutung. Er umfasst diverse Anwendungskonzepte. In der Allgemeinbevölkerung sind die Konzepte SmartHome oder SmartLiving wohl am bekanntesten. SmartHome-Systeme und -Verfahren werden in Wohnräumen und -häusern eingesetzt, um zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität sowie Sicherheit der Nutzer*innen beizutragen und darüber hinaus eine effizientere Energienutzung zu ermöglichen (Bendel 2021). Beim unterstützten Wohnen ist daraus abgeleitet vor allem der Ansatz des Ambient Assisted Living (AAL) als Wohnunterstützung von älteren Menschen anerkannt. Ambient Assisted Living bezeichnet das „Leben in einer durch „intelligente“ Technik unterstützten Umgebung, die sensibel und anpassungsfähig auf die Anwesenheit von Menschen und Objekten reagiert und dabei dem Menschen vielfältige Dienste leistet. Ziel ist es, die persönliche Freiheit und Autonomie über die Förderung und Unterstützung der Selbständigkeit zu erhalten, zu vergrößern und zu verlängern“ (Becks et al. 2007, S. 3).

Zu den Technologien aus dem Bereich Haustechnik und Gebäudeautomation zählen z. B. solche zur manuellen Umfeldsteuerung in der Wohnumgebung. Beim selbstständigen Wohnen kann die Bedienung diverser Vorrichtungen, wie z. B. Lichtschalter, Türen, Heizungsthermostate in der Wohnumgebung aufgrund der individuellen, zumeist motorischen Beeinträchtigung der Nutzer*innen erschwert sein. Technologien zur Umfeldsteuerung, wie z. B. Universalfernbedingungen oder spezielle Anwendungen auf dem Smartphone oder Tablet, diverse Taster oder die Steuerung durch Sprachbefehle können hier einen wesentlichen Beitrag zur Förderung einer selbstständigen Lebensführung leisten (Rodekohr und Roters-Möller 2019; Kunze 2018; Kreidenweis 2020).

Eine individuelle und selbstständige Lebensführung setzt die Gewährleistung und Erhöhung von Sicherheit in der Wohnumgebung voraus. Die Implementierung vernetzter Rauchmelder, einer automatischen Abschaltung elektrischer Geräte (z. B. Herd), von Türsprechanalagen und (Video-) Türspionen, von Bewegungsmeldern, eines aktiven Notrufs/Servicerufs sowie von Sensormatten (z. B. zur automatischen Sturzerkennung) ist hier denkbar (Driller et al. 2009). Sicherheitstechnologien spielen auch zur Unterstützung von Assistenz und Pflege, vor allem für die Gewährleistung und Verbesserung einer 24-h-Betreuung, eine wesentliche Rolle. Sensortechnologien, wie z. B. Orientierungslichter, Aufstehmelder oder eine automatische Sturzerkennung können dazu beitragen, dass sich Bewohner*innen auch in der Nacht zurechtfinden, Stürze verhindert bzw. rechtzeitig erkannt werden und somit das Assistenz- und Pflegepersonal (nicht nur im Kontext Nachtbereitschaft/Nachtwache) entlastet wird.

Gesundheitsförderung

Mit der Förderung der Sicherheit und Autonomie ist eine technisch unterstützte Gesundheitsförderung von Menschen mit Behinderung eng verknüpft. Grundsätzlich spielt dabei die Nutzung von Gesundheits-Apps in den letzten Jahren eine immer größer werdende Rolle (Klein 2020). Darunter fallen z. B. Anwendungen zum Verfolgen der eigenen Fitness, der Ernährung oder zur Symptomanalyse. Zum Einsatz kommen außerdem mobile Messgeräte für Blutdruck oder Blutzucker, die für den häuslichen Gebrauch entwickelt worden sind und z. B. Schnittstellen zum Smartphone, Tablet oder Desktop-PC aufweisen. So ist eine Messung flexibel und regelmäßig durchführbar und nicht grundsätzlich an ärztliche Betreuung gebunden. Mithilfe dieser Technologien können Gesundheitsrisiken möglichst frühzeitig erkannt und entsprechende Interventionen rechtzeitig eingeleitet werden (DGGG 2016, S. 3).

Tagesstrukturierung

Die Strukturierung des Tagesablaufs ist für das Gelingen einer selbstständigen Lebensführung ein essenzieller Faktor, der Orientierung und Sicherheit im Alltag bieten kann. Hierzu bergen visuelle Hilfen ähnlich dem TEACCH-Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (Häußler 2016, 2018) ein großes Unterstützungspotenzial. Ein digitaler Tagesablaufplaner kann darin unterstützen, tagesstrukturierende Maßnahmen und Termine flexibel zu planen und zu verwalten. Im Tagesplaner eingebundene routinierte Abläufe und Aufgaben können je nach individuellem Bedarf in kleinere Teilschritte niederschwellig differenziert werden. Dies vermag die vollständige Erledigung solcher Aufgaben im Lebensalltag zu erleichtern und macht darüber hinaus Zusammenhänge alltäglicher Situationen nachvollziehbar. Die Auswahl bestehender digitaler und zusätzlich barrierefreier Anwendungen zur Strukturierung des Tagesablaufs im Unterstützungskontext ist bisher äußerst gering. Großes Potenzial bieten jedoch beispielsweise die Anwendungen RoutineFactory aus den Niederlanden (abrufbar unter: www.routinefactory.com) oder der TagesPlaner des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) Selbstständiges Wohnen gGmbH, der sich aktuell noch in der Entwicklung befindet (LWL SeWo 2020). Im smarten (Forschungs-)Apartment, welches im Rahmen des BMBF-Projektes „KogniHome“ entwickelt wurde und dessen Technologien in eine Musterwohnung des Vereins „KogniHome“ überführt wurden, soll ein virtueller Dialogassistent durch die Verwaltung von Erinnerungen und Terminen Menschen mit Behinderungen bei der Tagesstruktur unterstützen (aufrufbar unter: www.kognihome.de/vereinsvision).

Gestaltung freier Zeit

Als wesentlicher Teil der Tagesstrukturierung zählt die Gestaltung freier Zeit. Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sind in jedem Lebensalter und in allen Wohnformen auf Freizeitangebote in ihrem Wohnumfeld angewiesen, die für sie barrierefrei und offen zugänglich sind. Das gilt aber insbesondere für selbständig und oft allein Lebende und Menschen im Alter (vgl. Dieckmann et al. 2015). Mit Blick auf allgemein vorherrschende Informationsdefizite von Menschen mit Behinderung (BMAS 2021) mangelt es häufig an entsprechend barrierefrei zugänglichen Informationen über Freizeitangebote (z. B. zum Veranstaltungsort oder ggf. anfallenden Teilnahmekosten), die Menschen mit Behinderung soweit wie möglich selbstständig nutzen können. Im Vergleich zu klassischen analog verfügbaren Informationsquellen, wie z. B. Flyern, Programmheften oder Plakaten sind digitale Informationen orts- und zeitunabhängig und somit äußerst flexibel nutzbar. Außerdem bieten digitale Anwendungen vielfältige Anpassungsmöglichkeiten, um Informationen für Menschen mit Behinderung barrierefrei zur Verfügung zu stellen (W3C 2009). Zwei prägnante Beispiele für digitale Informationsplattformen sind z. B. der Freizeitkalender Fritz der Ev. Familienbildungsstätte Münster (abrufbar unter: www.fritz-kalender.de) oder der Inklusive Kulturführer Münsterland des Benediktushof Maria Veen (abrufbar unter: www.kulturführer-muensterland.de).

Mobilität

Die Zugänglichkeit von Freizeitangeboten, aber auch die selbstständige Erledigung von Alltagsaufgaben im Lebensumfeld (Einkaufen, Arztbesuche etc.) sind eng mit der Mobilität verknüpft. Jedoch ist diese wiederum für Menschen mit Behinderung von der Zugänglichkeit von Informationen über Mobilitätssysteme und der Barrierefreiheit der Umwelt abhängig (Dieckmann et al. 2015). Leicht zugängliche Informationen zur Lage behindertengerechter Toiletten oder zur Bodenbeschaffenheit für mobilitätsbeeinträchtigte Personen können beispielsweise über die Online-Plattform Wheelmap (www.wheelmap.org) abgerufen werden. Die Anwendung dient der Identifikation barrierefreier bzw. rollstuhlgerechter Orte. Darüber hinaus sind auch Informationen zu örtlichen Fahr- und Bringdiensten für die Mobilität essenziell. Einen sogenannten Nahverkehr auf Bestellung bietet beispielsweise die digitale Anwendung Loop-Münster, mit der ein regionaler Fahrservice individuell und flexibler buchbar wird.

Digitale Anwendungen können Menschen mit Behinderung auch bei der Navigation bzw. Orientierung in der nahen Umgebung unterstützen. Die Nutzung von GPS-Geräten kommt vor allem für Personen infrage, die z. B. aufgrund einer intellektuellen Beeinträchtigung und/oder dementiellen Erkrankung einen eingeschränkten Orientierungssinn haben. Einerseits ermöglicht das technische Gerät den Nutzer*innen eine Erweiterung des Bewegungsradius, in dem sie sich selbstständig und frei bewegen können. Andererseits können sie durch das Tragen dieses Geräts stets von Betreuungspersonen gefunden werden oder selbst Hilfe holen. Da somit ihre Autonomie und Sicherheit (auch bei ggf. steigendem Unterstützungsbedarf) erhalten bleibt bzw. gestärkt wird, hat dies positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen (DGGG 2016, S. 3).

Gestaltung sozialer Beziehungen

Ein weiterer zentraler Bestandteil individueller Lebensführung und Teilhabe ist die Gestaltung sozialer Beziehungen. Soziale Beziehungen durchziehen alle Bereiche menschlichen Lebens, doch verfügen Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung häufig nur über begrenzte Sozialkontakte. Es bestehen vorwiegend Kontakte zu Angehörigen, Mitbewohner*innen oder Arbeitskolleg*innen und Professionellen (Park 2012, S. 266 f.; Seidel 2016, S. 122). Für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung ist es aufgrund personen- und strukturbedingter Faktoren häufig schwierig, in ihrem Lebensumfeld neue Personen kennenzulernen (Park 2012, S. 267; Sagner 2014, S. 64). Die Nutzung digitaler Sozialer Medien birgt für sie deshalb ein enormes Teilhabepotenzial. Die klassische Gestaltung sozialer Beziehungen durch den direkten Kontakt face-to-face wird mehr denn je durch die Möglichkeiten der Online-Kommunikation ergänzt. Soziale Medien erweitern grundsätzlich die Möglichkeiten der Kommunikation sowie Information, da sie orts- und zeitunabhängig flexibel zugänglich sind. Durch das Knüpfen neuer Kontakte oder die Pflege bestehender Kontakte im virtuellen Raum kann einer sozialen Isolation und dem Gefühl des Alleinseins entgegengewirkt werden (Shpigelman und Gill 2014, S. 619). Dies betrifft institutionell lebende Menschen ebenso wie Menschen, die alleine ohne Gemeinschaftsbezug wohnen. Die Nutzung von Online-Kommunikationsangeboten kann dazu beitragen, dass neue Kontakte zu Menschen außerhalb der Institution bzw. zur Nachbarschaft erschlossen werden.

Im Unterstützungskontext bergen Soziale Medien wie Instant Messenger außerdem Vorteile für die Kommunikation mit Unterstützungspersonen, um schwerpunktmäßig beim selbstständigen Wohnen flexibel und kurzfristig notwendige Absprachen treffen zu können.

Teilhabeplanung/ -management

Es liegt nahe, dass Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Sicherheit durch die gesicherte Kommunikation mit Unterstützenden, die einfachere Inanspruchnahme und Verknüpfung von Dienstleistungen sowie die verbesserte Einbeziehung in das sozialräumliche Wohnumfeld erhöht werden können. Wie eingangs erwähnt, ist es deshalb wichtig, unterstützende Technik nicht allein im Zusammenhang mit der Person mit Behinderung, sondern die Nutzung als Teil eines soziotechnischen Systems zu betrachten. Der Einsatz, die Akzeptanz und die Nutzung der Technik sind maßgeblich von den Zusammenhängen und deren Wechselwirkungen zwischen der Person mit Behinderung, den Unterstützungspersonen und den Bedingungen der Umwelt beeinflusst. Aufgrund dieser Zusammenhänge ist der Einsatz assistiver Technologien als Bestandteil des Unterstützungsarrangements auch mit Blick auf eine digital unterstützte und partizipativ gestaltete Teilhabeplanung und das Teilhabemanagement aus organisatorischer Sicht zu betrachten (Klein 2020; Kreidenweis 2020).

Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) sind Leistungsträger in der Verantwortung, im Rahmen der Teilhabe- bzw. Gesamtplanung individuelle Bedarfe zu ermitteln und Teilhabeziele gemeinsam mit den Leistungsberechtigten zu entwickeln. Aufgabe der Leistungserbringer ist es dann, diese Ziele gemeinsam mit den Leistungsberechtigten für den Alltag zu konkretisieren, die für die Zielerreichung erforderliche Unterstützung zu planen und die Planungen im Alltag umzusetzen. Die Umsetzung der Teilhabeziele und deren Unterstützung durch Leistungen muss dokumentiert und mit Blick auf den Inhalt und Umfang der vereinbarten Ziele und Leistungen an verschiedene beteiligte Akteure zurückgemeldet werden.

Digitale Hilfen können es den beteiligten Akteuren im Planungs- und Managementprozess wesentlich leichter machen, die Anforderungen, u. a. an die Kommunikation untereinander, die Bereitstellung von Information, die Dokumentation und Ressourcenplanung zu erfüllen. Sie können dafür eingesetzt werden, um Ziele und Maßnahmen gemeinsam mit den Leistungsberechtigten und informellen Unterstützungspersonen (z. B. Angehörigen) zu planen und diese im Prozess fortlaufend zu dokumentieren. Sie bieten die Möglichkeit, in Planungsgesprächen wie auch beim alltäglichen Austausch im Betreuungskontext gesprächsbegleitende und interaktionsförderliche Unterstützung zu leisten. Dazu müssen digitale, flexibel anpassbare und, wenn notwendig, bildhafte Benutzeroberflächen (z. B. auf einem Tablet) zur Verfügung stehen. Die Dokumentation, Koordination und Abstimmung von Teilhabeleistungen kann über Schnittstellen zwischen Dienstplänen, individuellen Termin- und Einsatzplänen des Betreuungs- und Pflegepersonals, persönlichen Tagesplanern der Leistungsempfänger*innen und Messengern als Austauschplattformen ermöglicht werden.

2 Herausforderungen

Mangelnde Vernetzung von Fachsoftware und anderen Tools

Obwohl die Anzahl und Vielfalt von Planungs- und Managementsystemen für den sozialen Sektor stetig wachsen, werden sie noch nicht überall und im vollen Umfang im sozialen Sektor genutzt. Auch wenn der Umgang mit digitalen Technologien für viele Professionelle schon zum Arbeitsalltag gehört (Schönhauer et al. 2021), schreitet der Prozess der umfassenden Digitalisierung in den meisten Einrichtungen nur sehr langsam voran (Kreidenweis 2020). Zudem fehlen digitale Lösungen, mit denen den neuen Anforderungen durch das BTHG teilhabeförderlich und ressourceneffizient begegnet werden kann. Hierzu mangelt es an technischer Vernetzung sowie einheitlichen Schnittstellen, die die bisherige Fachsoftware ergänzen. Die bislang genutzten Funktionalitäten beschränken sich auf organisationale und Betreuungsplanungs-Aspekte innerhalb einer Einrichtung (Kreidenweis 2018, S. 195). Der steigende Bedarf eines leistungsträger- und anbieterübergreifenden Informations- und Kommunikationsaustausches zur Umsetzung der Teilhabe- und Unterstützungsplanung wird mit den bestehenden Softwarelösungen nicht gedeckt.

Komplexe Benutzeroberflächen und Funktionen mindern außerdem die Attraktivität und Akzeptanz der Nutzung – vor allem für wenig technikaffine Menschen. Dies ist besonders problematisch, sollen doch Leistungsberechtigte mit verschiedenen Behinderungen durch das BTHG an der Teilhabe- und Unterstützungsplanung aktiv partizipieren. Im Sinne digitaler Teilhabe bedeutet dies auch die Teilhabe an digitalen Planungs-, Kommunikations- und Interaktionsprozessen. Vereinzelt besteht für Leistungsberechtigte die Möglichkeit, Informationen passiv abzurufen, jedoch ist bisher keine barrierefreie und aktive Partizipation der Personengruppe in den bestehenden Softwarelösungen vorgesehen (Kreidenweis 2018, S. 198).

Einflussfaktoren auf die Akzeptanz und Nutzung

Die Akzeptanz und die Nutzung von Technologien hängen nach Davis (1989) davon ab, wie Nutzer*innen deren Bedienbarkeit und Nützlichkeit wahrnehmen (Jokisch 2010). Dabei spielen persönliche Einstellungen und Erfahrungen im Lebenslauf eine Rolle. Erwachsene Menschen mit lebenslanger Behinderung gehören zu einer Personengruppe, die in der Regel wenig Mediensozialisation erfahren hat. Sie leben mit intellektuellen und/oder motorischen Einschränkungen und gerade die Älteren unter ihnen sind häufig nicht mit digitalen Technologien aufgewachsen. Die Bedienung einer fremden und komplexen Hard- und Software ist somit erschwert (Doh 2010, S. 39 ff.; Driller et al. 2009, S. 128). Können potentielle Nutzer*innen das Gerät bzw. die Anwendung nicht bedienen, sprechen sie auch die individuelle Nützlichkeit ab. Der Umgang mit neuen Technologien ist stets auch Ergebnis eines Sozialisations- bzw. Lernprozesses, durch den Technikkompetenz erworben werden kann. Im Zuge des Sozialisations- und Lernprozesses kann sich die wahrgenommene Nützlichkeit einer Technologie schrittweise verändern, sodass ein zunächst unattraktives Hilfsmittel mit der Zeit als nützlich bewertet wird. Dem sozialen Umfeld kommt dabei eine modellierende Funktion zu. Die Akzeptanz und der Gebrauch der Technologien hängen stark davon ab, wie die Nutzung im sozialen Umfeld eingeübt, vorgemacht und angeleitet wird. Im Unterstützungskontext sind somit die technischen Kompetenzen der Mitarbeitenden ausschlaggebend für die Quantität und Qualität der medienpädagogischen Unterstützung.

Neben dem Einfluss von Sozialisations- und Lernprozessen ist auch die Barrierefreiheit der Technologie selbst entscheidend für die tatsächliche Akzeptanz und Nutzung. Zur weiteren Erläuterung dient die Barrierefreiheit digitaler Anwendungen für mobile Endgeräte, wie Smartphones oder Tablets, als Beispiel. Für die individuelle Lebensführung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung spielt die selbstständige Nutzung digitaler Anwendungen für das Smartphone oder Tablet eine wichtige Rolle. Sie kommen in vielen verschiedenen Bereichen zum Einsatz, um z. B. Elemente der Haustechnik manuell vom eigenen Endgerät steuern zu können, um an Informationen über den ÖPNV oder Freizeitangebote zu gelangen oder um soziale Beziehungen zu pflegen. Damit Menschen mit Behinderung diese große Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten ausschöpfen und Funktionen nutzen können, müssen Anwendungen barrierefrei sein. Zur Gestaltung der Barrierefreiheit bieten internationale und nationale Standards, wie die Web Content Accessibility Guidelines (kurz: WCAG 2.0) und die darauf basierende Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie – Informationstechnik – Verordnung, kurz: BITV 2.0), Orientierung. Sie beziehen sich in erster Linie auf Internetauftritte und -angebote, sind aber auch für andere digitale Anwendungen relevant.

Die WCAG 2.0 legen vier Grundprinzipien fest, die für die Gestaltung digitaler Web-Angebote gelten (W3C 2009) und inhaltlich einigen der Dialoggestaltungsprinzipien nach ISO 9241-110 ähneln:

  • wahrnehmbar: Die Nutzer*innen der digitalen Anwendung müssen die Benutzeroberfläche und deren Funktionen wahrnehmen können.

  • bedienbar: Die Nutzer*innen müssen die Anwendung auf vielfältige Weise bedienen können.

  • verständlich: Der Aufbau und der Inhalt der Seite muss so eindeutig wie möglich sein, damit bestenfalls eine intuitive Bedienung möglich ist. Stichwort: lesbar, vorhersehbar, Hilfestellung bei der Eingabe

  • robust: Nutzer*innen müssen mittels verschiedener Betriebssysteme oder Hilfsprogramme auf die Anwendung zugreifen können. Stichwort: Kompatibilität

Inhaltlich legen die benannten Standards vor allem technische Anforderungen fest. Dazu zählt die Vermeidung einer unübersichtlichen optischen und strukturellen Gestaltung der Benutzeroberflächen. So müssen beispielsweise Animationen manuell steuerbar sein, starke Kontraste eingehalten und eine Textlastigkeit sowie zu kleine Darstellung vermieden werden (Schaten 2014, S. 1). Trotz dieser Festlegungen ist die Zugänglichkeit digitaler Medien für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung nicht automatisch gewährleistet. Letztere sehen sich bei der Nutzung digitaler Angebote mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert, die durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Beeinträchtigungen bedingt werden. Der Personenkreis der Nutzer*innen mit intellektueller Beeinträchtigung ist sehr heterogen. So haben viele der Betroffenen z. B. Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Für Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung ist neben der technischen auch die inhaltliche barrierefreie Gestaltung digitaler Angebote essenziell. Komplizierte Textinhalte, die Verwendung von Fachbegriffen und Abkürzungen sowie verschachtelte, lange Sätze stellen hier wesentliche Barrieren dar (Schaten 2014, S. 2).

Da die Standards zur Schaffung einer digitalen Barrierefreiheit demnach für die Zielgruppe von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung eher als Orientierung zu verstehen sind, gewinnt die tatsächliche Umsetzung durch die programmierenden Personen an Bedeutung. Der Interpretations- und Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung ist groß. Weil digitale Inhalte beispielsweise nicht in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden, entstehen Informationslücken bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. Das wirkt sich auf die individuell wahrgenommene Nützlichkeit digitaler Medien und auf die Nutzung und Teilhabemöglichkeiten negativ aus.

Ethische Herausforderungen bei der Anwendung und Entwicklung innovativer Technologien

Ansätze der partizipativen Technikgestaltung betrachten die oben genannten Einflussfaktoren der Akzeptanz bei der Entwicklung der Technologien direkt mit. Dieses Einbinden von Nutzer*innen und allen Beteiligten ist eine gängige Methode, um die Gebrauchstauglichkeit (Usability) und das Nutzungserlebnis (User Experience) und damit auch die Akzeptanz zu erhöhen. Dies geschieht beispielsweise bei der Menschzentrierten Gestaltung nach ISO 9241-210. Zudem stellt diese Partizipation eine „originär ethische Forderung im Sinne des Empowerments dar“ (Weber und Wackerbarth 2017, S. 83). Instrumente und Methoden aus der Software-Entwicklung lassen diese ethische Perspektive jedoch größtenteils außer Acht. Orientieren sich diese Methoden doch eher an funktional-ökonomischen Kriterien, wie der Reduktion von Kosten durch spätere Softwareverbesserungen (Weidekamp-Maicher 2021, S. 113).

Wird die Entwicklung und spätere Anwendung innovativer Technologien unter ethischen Aspekten betrachtet, so ist die intensive Einbindung von Menschen mit Behinderung bei der Entwicklung barrierefreier Systeme unerlässlich. Insbesondere bei dieser Zielgruppe ist das ethische Vorgehen auf zwei Ebenen zu beachten:

Einerseits ist es notwendig, eine partizipative Technikfolgenabschätzung/Technikbewertung vorzunehmen, um Herausforderungen und Risiken, die durch die Nutzung entstehen könnten (z. B. Überwachung, Einschränkung der Autonomie oder Souveränität durch eine Vermessung und zahlenmäßige Bewertung von Menschen anhand von Messgeräten zur Gesundheitsförderung), mit geeigneten Instrumenten zu beleuchten, wie beispielsweise dem MEESTAR-Modell (Manzeschke et al. 2013). Andererseits sind bei einem partizipativen Vorgehen mit Blick auf die Zielgruppe zusätzliche Anforderungen zu beachten:

  • Wenn Interviews und Beobachtungen, wie sie in der Softwareentwicklung üblich sind, zu Personae (Profile prototypischer, fiktiver Nutzer*innen) zusammengefasst werden, sollte der Fokus auf den Fähigkeiten und nicht lediglich auf Behinderungen der Persona gelegt werden (Holt et al. 2011).

  • Außerdem gilt es, Menschen mit Behinderung durch die Teilnahme an Studien nicht zu überfordern. Z. B. sollte deutlich gemacht werden, dass in Usability- und User Experience-Studien häufig nicht perfekt funktionierende Prototypen/Softwarelösungen eingesetzt werden, sodass diese Personen Schwierigkeiten und Hemmnisse der Anwendung nicht auf sich selbst zurückführen, sondern auf die Technik (Friedhof 2017).

  • Des Weiteren ist es wichtig, dass bei Menschen mit Behinderung trotz Freiwilligkeit kein Druck entsteht und dass sie ebenso wie nicht beeinträchtigte Proband*innen für ihren Aufwand vergütet oder anderweitig belohnt werden (Friedhof 2017).

  • Es wird empfohlen, dass insbesondere diejenigen, die mehrfach an den Prozessen der Technikentwicklung teilnehmen, über den Fortgang der Entwicklung und das Resultat informiert werden (Friedhof 2017). So ist es unabdingbar, wenn Personen mit Behinderungen eingebunden werden, nicht nur die Informationen vor und während der Studie verständlich für die Menschen mit Behinderung aufzubereiten und z. B. in Leichte Sprache zu übersetzen, sondern auch nach Projektabschluss Ergebnisse in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen bzw. Präsentationen für die entsprechende Gruppe zu halten.

3 Fazit und Ausblick

Mit Blick auf die BTHG-gemäßen Anforderungen an die Teilhabeplanung und das Teilhabemanagement, die fortschreitenden wirtschaftlichen Ökonomisierungsbestrebungen im Sozialwesen, die umfassende Nutzung von Technologien in der Gesamtgesellschaft und die innovativen technischen Entwicklungen für den Unterstützungskontext befinden sich Menschen mit Behinderung sowie Leistungsanbieter und Leistungsträger der Eingliederungshilfe in einem neuen Verhältnis zu innovativen Technologien und damit verbundener technischer Assistenz. Durch diese Entwicklung und die sich ständig weiterentwickelnden technischen Möglichkeiten wird sich die Technikakzeptanz und -affinität bei Menschen mit Behinderung und deren Unterstützungspersonen stetig erweitern. Leistungsberechtigte und Angehörige werden zunehmend digitale Ausstattungen, wie z. B. eine Internetausstattung im Wohnkontext, einfordern. Auch wenn viele Einrichtungen noch ganz am Anfang stehen und sich bisher kaum oder gar nicht mit den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten unterstützender Technologien auseinandergesetzt haben, ist der Trend doch eindeutig. Unterstützungsprozesse werden zukünftig immer stärker technisch begleitet werden. Auf Planungs- und Organisationsebene sind Einrichtungen der Behindertenhilfe deshalb gefragt, Dienstleistungs- und Refinanzierungsmodelle weiterzuentwickeln (Kunze 2018), sich somit auf die Erweiterung des Unterstützungsarrangements durch den Einsatz von Technik einzulassen und von den neuen Möglichkeiten zu profitieren.

Aufgrund der hohen Diversität von Nutzer*innen bedarf es bei der Implementierung von Technik einer bedarfsgerechten Auswahl assistierender Technologien sowie deren individuellen Anpassung. Außerdem sollten sie eine möglichst hohe Flexibilität aufweisen und somit ein breites Spektrum an Unterstützungsmöglichkeiten bieten (Albayrak et al. 2008, S. 7). Offene Schnittstellen sind hier ein entscheidender Faktor, damit Technologien und Hilfsmittel je nach individuellen Bedarfen und im Unterstützungskontext auf vielen Ebenen unkompliziert miteinander vernetzt werden können.

Es muss allgemein für die Anforderungen an eine barrierefreie selbstständige Nutzung von Technologien und einen barrierefreien Zugang zu digitalen Medien sensibilisiert werden. Dieser Schritt beginnt mit einer partizipativen Entwicklung digitaler Lösungen, bei der die Weichen für die Akzeptanz gegenüber der Technik und einer barrierefreien und somit bedarfsgerechten Nutzung durch Menschen mit Behinderung gestellt werden. Zudem ist eine ethisch reflektierte Abwägung über den Einsatz der Technologien immer essentiell. Denn trotz aller Chancen, die sich durch die Technologien bilden, gilt es eines immer im Blick zu behalten: Menschliche Unterstützung ist und bleibt elementar. Der Einsatz von Technologien muss als eine Erweiterung der Unterstützung zur Förderung der Selbstständigkeit betrachtet werden.