1 Einleitung

Benachteiligte oder marginalisierte Quartiere gibt es, seit es Städte gibt. Sie sind der räumliche Ausdruck sozialer Ungleichheit. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen über das Phänomen finden sich ab dem 19. Jahrhundert etwa bei Friedrich Engels „Lage der arbeitenden Klasse in England“ oder den Werken der Chicagoer Stadtsoziologie (Park et al., 1925; Zorbaugh, 1929). Auch sozialreformerische Ansätze mit dem Ziel, die Folgen der räumlichen und sozialen Ungleichheit zu lindern, finden sich bereits seit dieser Zeit, z. B. in der Settlement-Bewegung, die ausgehend von London und später den USA in vielen europäischen Ländern Nachahmung fand (vgl. Wendt, 2017, S. 354 ff.).

Bei Fragen zur gesellschaftlichen Spaltung bzw. Kohäsion wird häufig auf das Leitbild der „europäischen Stadt“ verwiesen, in welcher soziale Ungleichheiten durch Sozial- und Raumpolitik reduziert werden und „die“ Bürgerschaft sich aktiv in die Gestaltung eines gemeinsamen Gemeinwesens einbringt (Frey & Koch, 2010, S. 261 ff.). Dieses Idealbild stellt auch den Hintergrund für die Programme der sozialen Stadtentwicklung dar, die in mehreren europäischen Ländern zum Teil seit Jahrzehnten bestehen, etwa die „Politique de la Ville“ in Frankreich, das Programm „Soziale Stadt“ in Deutschland und die „Projets urbains“ in der Schweiz (2008–2015). Den Programmen ist gemeinsam, dass sie ein umfassendes Verständnis von sozialer Stadtentwicklung haben, indem sie einen integralen Politikansatz verfolgen, der verschiedene Politikbereiche einbezieht und neben baulichen und infrastrukturellen Fragen auch solche der sozialen und ökonomischen Teilhabe ihrer Bewohner*innen in den Blick nimmt (Becker et al., 2019).

Die im Rahmen dieser Programme entwickelten Maßnahmen werden permanent an die Entwicklung der eingebundenen Quartiere angepasst. Der ressortübergreifende territoriale Ansatz dieser Programme ist oft als wegweisend und innovativ bezeichnet worden (Blanc, 2006).

Das in diesem Beitrag diskutierte trinationale und grenzüberschreitende Forschungsprojekt „MARGE – Einbindung marginalisierter Quartiere in die Oberrheinregion“ (2017–2019) befasste sich mit der Sozialen Stadtentwicklung in Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Denn obwohl Programme zur integrativen Stadt- und Quartiersentwicklung seit mehreren Jahren in allen drei Länder vorliegen, fehlen noch immer praxisnahe Strukturen der grenzüberschreitenden Kooperation sowie in andere Quartiere übertragbare Beispiele guter Methoden und Techniken – sogenannte „Good Practice Modelle“. MARGE hatte sich daher zum Ziel gesetzt, diese Lücken zu schließen mittels einer Austauschplattform, einem Toolkit (Methodenhandbuch) sowie einem trinationalen Weiterbildungsprogramm. Damit wurde die Absicht verfolgt, soziale Innovationen in der Oberrheinregion zu ermöglichen und unter Berücksichtigung kontextueller Rahmenbedingungen über die Landesgrenzen hinweg zu transferieren. Dahinter steckte folgende Annahme, die nicht nur im vorliegenden Beitrag kritisch zu hinterfragen war, sondern auch im Verlaufe des dreijährigen Forschungsprojekts: „Soziale Innovationen sind dann möglich, wenn auf Basis identifizierter Bedarfe Methoden und Praktiken, die in einem Land bereits erprobt und als gut befunden worden sind, von einem anderen Land ausgewählt, adaptiert und dauerhaft durchgeführt werden. Dies gilt bzw. galt es deshalb zu reflektieren, da „nicht alles Neue auch Innovation bedeutet“ (Parpan-Blaser, 2011, S. 13; Alter, 2013, S. 7).

In diesem Beitrag wird diskutiert, wie sich die Effekte des grenzüberschreitenden Austauschs von Fachpersonen, die im Bereich der Sozialen Stadtentwicklung tätig sind, auf soziale Innovation in benachteiligten Quartieren auswirken. Hierzu werden wir versuchen zu verstehen, welche Bedingungen für diesen Austausch erforderlich sind, um soziale Innovation hervorzubringen, und um welche Art von sozialer Innovation es sich dabei handelt. Zunächst erfolgt in einem ersten Teil die Beschreibung des Forschungsprojekts, auf dem dieser Artikel basiert. Anschließend konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen des grenzüberschreitenden Austauschs – einerseits auf die soziale Innovation in den Stadtteilen und andererseits auf das Handeln der Fachpersonen in den Quartieren.

2 Das Forschungsprojekt MARGE: Drei Länder, neun Quartiere, ein Raum für Innovation?

MARGE ist ein von INTERREG V – Oberrhein gefördertes Forschungs- und Entwicklungsprojekt, das 2017 aus einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen der ESEIS (Ecole Supérieure Européenne de l’Intervention Sociale de Strasbourg), der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Katholischen Hochschule in Freiburg hervorgegangen ist. Gegenstand von MARGE war die Entwicklung von Quartieren und deren Gestaltung durch die Fachpersonen aus der öffentlichen Verwaltung, der Sozialen Arbeit und weiteren lokalen Akteur*innen mit Einfluss auf die soziale Quartierentwicklung.Footnote 1 Ziel war, den grenzüberschreitenden Austausch zwischen den Fachpersonen aus Verwaltung und Sozialer Arbeit aus den neun teils benachteiligten QuartierenFootnote 2 der Länder Frankreich, Deutschland und der Schweiz in der Oberrheinregion systematisch zu fördern. Damit wurde die Absicht verfolgt, den Ausbau transnationaler Kontakte und Kooperationen der Akteur*innen der sozialen Stadt- und Quartierentwicklung sowie den Austausch guter Methoden und Projekte („Good Practice Modelle“) zu stärken, um auf lange Sicht eine stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit und ein Zusammenrücken der involvierten Fachpersonen zu initiieren. Mit MARGE sollten also weniger die Rahmenbedingungen sozialer Quartierentwicklung untersucht werden, sondern die Vielfalt und Erweiterung der Möglichkeiten von Interventionen für die Quartierentwicklung im trinationalen Kontext. Die hierbei leitende Fragestellung lautete: Inwiefern beeinflusst grenzüberschreitender Austausch soziale Innovationen im Quartier?

Das dem Forschungsprojekt MARGE zugrunde liegende Verständnis sozialer Innovation geht davon aus, dass erst dann von einer sozialen Innovation die Rede sein kann, wenn sie „sozial akzeptiert wird und breit in die Gesellschaft bzw. bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche diffundiert, dabei kontextabhängig transformiert und schließlich als neue soziale Praxis institutionalisiert bzw. zur Routine wird“ (Howaldt & Schwarz, 2010, S. 90). Für die Soziale Arbeit und somit auch für die Quartierarbeit bedeutet dies, dass Innovationen auf neuem oder neu kombiniertem Wissen basieren, in intendierten und kooperativen Prozessen entwickelt werden und neuartige Konzepte, Verfahren und Organisationsformen erzeugen, die einen Mehrwert namentlich für Quartierbewohner*innen erzeugen (Parpan-Blaser, 2011, S. 242). Insbesondere das Kriterium des „Mehrwerts“, oder des „sozialen Nutzens“ (Offredi & Ravoux, 2010), gilt es hierbei in den Vordergrund zu rücken. Dies grenzt die Quartierarbeit von einer ökonomischen Innovationslogik ab. Damit kann im Hinblick auf die leitende Fragestellung festgehalten werden, dass der grenzüberschreitende Austausch dann zu sozialen Innovationen in den Quartieren führt, wenn „es gelingt, die kritische (empirische) Beobachtung und Reflexion der eigenen Praxis und den damit verbundenen Wissenszuwachs produktiv zu nutzen, oder Anstösse von oben (Politik, Gesetzgeber) oder von unten (Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen) unter fachlichen Gesichtspunkten in den disziplinären Diskurs einzubinden“ (Parpan-Blaser, 2011, S. 119). Orientierung bietet hierbei der Nutzen für die Bewohner*innen der jeweiligen Quartiere.

Als Forschungs- und Entwicklungsprojekt, das auf innovative Veränderungen und Optimierung sozialer Quartierentwicklung mittels grenzüberschreitender Kontakte und Kooperation setzte, verfolgte MARGE eine Kombination aus Analysen und Interventionen. Die von den im Forschungsprojekt MARGE beteiligten Quartieren selbst ausgewählten Projekte und Methoden fungierten hierbei als Vergleichsgegenstand. Der Vergleich selbst beinhaltet folgende zwei Ebenen:

  • erstens einen internationalen Vergleich zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz;

  • zweitens einen Vergleich der Sichtweisen zwischen Fachpersonen der sozialen Stadtentwicklung und der Forschung.

Um den am Forschungsprojekt beteiligten Quartieren eine echte Aneignung ausländischer Projekte zu ermöglichen und sich selbst die Möglichkeit zu geben, soziale Innovationen zu fördern, wählte MARGE für seine Forschungsarbeit die Methode der Aktionsforschung aus. Mit der angestrebten Aufhebung der Subjekt-Objekt-Beziehung von Forschenden und Beforschten hin zu einer gleichberechtigten Kooperation und dem Verständnis von Forschung als Teil von Lern- und Entwicklungsprozessen und damit einhergehend der Verbindung von Analyse und Intervention (vgl. Bortz & Döring, 2016, S. 337 f.) besteht eine gute Passung zum emanzipatorischen Anspruch der Sozialen Arbeit. Vor allem in der Quartiers- und Gemeinwesenarbeit werden Elemente der Aktionsforschung etwa mit der aktivierenden Befragung seit langem eingesetzt (vgl. Lüttringhaus & Richers, 2019). Es galt jedoch selbstkritisch zu berücksichtigen, dass Aktionsforschung auch Risiken in sich birgt, die unter anderem mit der Reduktion der Distanz der Forscher*innen zum Untersuchungsgegenstand und mit dem partizipativen Ansatz zu tun hatten.

In den neun MARGE-Quartieren bildeten Akteur*innen der verschiedenen Ebenen (Politik, Verwaltung, Soziale Arbeit, Bewohner*innen) Fokusgruppen, die sich über drei Jahre hinweg trafen. Der Einbezug lokaler Akteur*innen aus der öffentlichen Verwaltung, der Sozialen Arbeit und der Quartier- und Stadtentwicklung entspricht methodischen Standards, „denn es ist eine praktizierte Ausgangsbedingung von Aktionsforschung, alle Beteiligten zu einer Kooperation zu bewegen, und das bedeutet, vom obersten Manager über die Verwaltung, bis hin zu den direkten Vorgesetzten und verschiedenen Untergebenen alle einzubinden“ (Schaffer, 2002, S. 83). Die insgesamt neun Fokusgruppen trafen regelmäßig in einer gemeinsamen trinationalen Projektgruppe zusammen. Jede dieser Fokusgruppen wählte bewährte Projekte und Methoden aus ihrem Quartier aus, die sie den Vertreter*innen der anderen Quartiere präsentierte. Bei der anschließenden Interessensbekundung ging es darum, dass sich jedes Quartier für mindestens ein Projekt aus einem Nachbarland entschied, welches es kennenlernen und für einen Transfer prüfen wollte. Auf Grundlage dieser Interessenbekundungen wurden in einem weiteren Schritt die „Felderkundungen“ konzipiert: ein- oder zweitägige Veranstaltungen, die in jedem der neun Quartiere stattfanden, in denen Vertreter*innen ausländischer Quartiere zu Besuch waren, die dortigen Projekte kennenlernten und mit den involvierten Personen sprachen. Alle Teilnehmenden fertigten Forschungsnotizen an, die gemeinsam mit den Protokollen der Fokus- und Projektgruppentreffen und den von der Forschungsgruppe geführten Interviews das Datenmaterial bildeten, um die gestellte Forschungsfrage zu beantworten, inwiefern grenzüberschreitender Austausch soziale Innovation in den Quartieren beeinflusst.

3 Die eigenen Grenzen überschreiten, Denkweisen neu gestalten: die notwendigen Prämissen zur Innovation

Nach Schütz (2002) ist der hauptsächliche Effekt der Begegnung mit dem Fremden das Hintersichlassen des unhinterfragt Akzeptierten. Das Gleiche lässt sich bei grenzüberschreitenden Begegnungen beobachten. Landesgrenzen schaffen effektiv Universen von für selbstverständlich gehaltenen Praktiken und Überzeugungen, die sich stark von den Diskursen in den Nachbarländern unterscheiden können. Der Sozialarbeitende im Quartier schreibt sein Handeln in eine Geschichte und Praktiken ein, die ihm vorausgehen und die er reproduziert. Die einfache Tatsache, eine Landesgrenze zu überschreiten und Praktiken, Methoden oder Dispositive zu übernehmen, zu „übersetzen“, führt daher zu einer Dezentrierung, einer notwendigen Voraussetzung für soziale Innovation.

Auch im Rahmen von MARGE finden sich zahlreiche Beispiele, die Fachpersonen gezwungen haben, ihre eigenen Praktiken zu hinterfragen, basierend auf dem Erstaunen, das die ausländischen Praktiken hervorriefen. Konzentrieren wir uns unter diesen Beispielen auf einen wesentlichen Aspekt der städtischen sozialen Entwicklung: die Beteiligung von Bewohner*innen.

Im Folgenden ein Auszug aus einem Feldforschungsbuch:

31. Juli 2017

Ich bin zurück von den Fokusgruppentreffen in Kehl und Pratteln. Ich hatte erwartet, Schweizer und deutsche Fachpersonen aus den Quartieren der beiden Ortschaften zu treffen. Meine Überraschung war groß, als ich mich mit einer Vielzahl von Menschen wiederfand, die ich nicht kannte. Nach den üblichen, die Fokusgruppe eröffnenden Vorstellungsrunden, stelle ich fest, dass eine beträchtliche Anzahl der Personen am Tisch Quartierbewohner*innen sind.

Aufgrund der Tatsache, dass ich selbst die französischen Fokusgruppen zusammengestellt hatte und mir der Gedanke, Bewohnende aus dem Quartier einzuladen, nicht in den Sinn gekommen war, war der Schock umso größer. Ebenso wenig auf diese Idee gekommen zu sein schienen die Fachpersonen der an dem Projekt beteiligten französischen Quartiere.

Gleichzeitig jedoch war die Anweisung, welche meine Schweizer und deutschen Kolleg*innen bei der Bildung dieser Fokusgruppen angewendet hatten, dieselbe wie meine: „Die Akteur*innen des Quartiers zusammenzubringen.“

Diese Erfahrung zeugt zunächst davon, dass „das Andere“, das Fremde es ermöglicht, das „Selbstverständliche“ im eigenen System zu reflektieren.

Ohne diesen Blick von außen wären die französischen Projektteilnehmer*innen nicht zu der folgenden einfachen Erkenntnis gelangt: Es ist auch möglich, es anders zu machen. Nun können diese Beobachtungen vertieft werden. Die oben geschilderte Erfahrung bedeutet nicht, dass es in den drei französischen Quartieren keine Bürgerbeteiligung gibt, sondern vielmehr, dass die Bedingungen für eine solche Teilnahme nicht dieselben sind. Aus den im Rahmen von MARGE erhobenen und analysierten Daten ist es nun möglich, eine Analyse dieser Beteiligungsvoraussetzungen vorzunehmen.

Es scheint uns interessant, das Vertrauen und insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Politik, Verwaltungen, lokalen Akteur*innen und Bewohner*innen der Quartiere als einen der wesentlichen Erklärungsfaktoren für diese Unterschiede zu betrachten. Diese Vertrauensverhältnisse sind durch die Wechselwirkung zwischen der Geschichte der Entstehung des Nationalstaats, von politischen Entscheidungen und von lokalen Besonderheiten ausgeprägt (Küppers, 2019). MARGE erlaubt uns wenig zu sagen über die nationalen Gegebenheiten, aber es erlaubt uns eine gute Darstellung, wie auf lokaler Ebene Vertrauensverhältnisse aufgebaut sind.

Auf Quartierebene lassen sich die gesellschaftlichen Regeln, Normen und Gesetze, die das Vertrauen umrahmen, feststellen. Dadurch entsteht ein spezifisches „Vertrauensverhältnis“ zwischen den verschiedenen Komponenten des Quartiers. Jede Akteurin und jeder Akteur des Quartiers „weiß“, was von den anderen Akteur*innen zu erwarten ist, und kann dabei Teil der „Vertrauenskette“ sein, die alle Individuen verbindet.

Die soziale Stadtentwicklung ist natürlich Teil dieser Kette, wie die beiden oben beschriebenen Erfahrungen veranschaulichen.Footnote 3

In den drei französischen Quartieren basiert das Vertrauensverhältnis auf Delegation. Jede*r Bürger*in delegiert an die Institutionen (Gebietskörperschaften, Staat, Soziale Arbeit usw.), welche für das „Gemeinwohl“ zuständig sind. Die Konzeption der Gleichheit hat hierbei Vorrang vor der Freiheit. Ausschließlich Institutionen, die über den*die Einzelne*n hinausreichen, sind dazu geeignet, die Gleichstellung aller Bürger*innen zu gewährleisten.

Anders stellt sich die Situation in den Schweizer Quartieren dar, in denen die Bürger*innen die Verantwortung des Gemeinwohls nur teilweise an die Politik delegieren. Letztere hat die Pflicht, die gesamte Politik gemeinsam mit den Bürger*innen auszuarbeiten. Das gesamte System basiert somit auf der ständigen gegenseitigen Abhängigkeit aller Gesellschaftsteile. Diese Form der gegenseitigen Abhängigkeit führt dazu, dass jede radikale Reform äußerst kompliziert wird.

In den deutschen Quartieren wiederum ist das Vertrauensverhältnis vom Subsidiaritätsprinzip geprägt. Die höchsten Institutionen sind nicht die mit der größten Macht. Die Zivilgesellschaft ist dafür verantwortlich, sich eines Teils des Gemeinwohls anzunehmen. In den Quartieren ist die Zivilgesellschaft (Verbände, Kirchen usw.) im Namen der Kommune für die Verwaltung des Gemeinwohls verantwortlich.

Es ist zusammenfassend sinnvoll, keines der Modelle der Vertrauensbeziehung im Vergleich zu den anderen zu idealisieren. So bemerkten viele Schweizer und deutsche Teilnehmer*innen in Frankreich positiv die Investitionen durch den Staat, welcher als Garant für Gleichheit auftritt. Die Pflicht einer Gemeinde, in ihre ärmsten Quartiere zu investieren, war jenseits des Rheins nicht realisierbar, während das daraus entstehende Vertrauensverhältnis in den französischen Quartieren für diese sehr interessant war.

Auf französischer Seite äußern die Teilnehmer*innen Verdrossenheit bezüglich des Mangels an Vertrauen, den sie auf allen Ebenen verspüren: Die gewählten Vertreter*innen gegenüber der Verwaltung, die Verwaltung gegenüber den Mittlerorganisationen und diese drei Ebenen gegenüber den Bewohner*innen. Es scheint als sei dies eines der Hauptergebnisse von MARGE: sich von den Vertrauensverhältnissen der Nachbarländer inspirieren zu lassen, und dadurch offen zu werden, das eigene System zu reflektieren und neu zu denken. Es wäre möglich und spannend, die auf lokaler Ebene dargestellten Vertrauensverhältnisse mit anderen französischen, deutschen und Schweizer Quartieren zu vergleichen, um eine breitere Sicht zu gewinnen und vielleicht verallgemeinern zu können. Besonders wichtig wäre dabei, die anderen Faktoren näher zu beschreiben (Geschichte der Entwicklung der Nationalstaaten, politische Entscheidungen etc.). Auf Grundlage der bei MARGE erhobenen Daten sind jedoch nur Aussagen auf lokaler Ebene möglich.

Wir können diese Erkenntnisse über die Beteiligung der Bewohner*innen und das Vertrauensverhältnis mit einigen Anmerkungen zu den Auswirkungen des grenzüberschreitenden Austauschs auf die soziale Innovation abschließen. Das Erstaunen, das durch die Unterschiede zwischen den Beteiligungspraktiken in den neun im Rahmen von MARGE betrachteten Stadtteilen verursacht wird, ist an sich keine soziale Innovation. Es führt jedoch dazu, dass die Bedingungen für soziale Innovation geschaffen werden, indem allen Beteiligten im Quartier gestattet wird, die Selbstverständlichkeiten und die „Vertrauensbeziehungen“, in die ihre Praktiken eingebettet sind, infrage zu stellen. Der grenzüberschreitende Austausch eröffnet die Möglichkeit, neue, von Unsicherheit geprägte, originelle Maßnahmen umzusetzen, die von einem bestimmten Kontext in einen anderen übersetzt werden, was allesamt Innovationsmerkmale sind.

4 Austausch und Innovation

Schauen wir nun genauer auf den grenzüberschreitenden Austausch, der einen Spezialfall des internationalen Austauschs darstellt. Durch die räumliche Nähe der Akteur*innen sind direkte Begegnungen einfacher und häufiger möglich und dadurch leichter zu verstetigen. Im besten Fall entsteht dadurch etwas, was man in Anlehnung an Saskia Sassens Begriff der „borderlands“ als „Grenzraum“ bezeichnen könnte, der als Einheit wahrgenommen wird und der die Akteur*innen dies- und jenseits der Landesgrenze nicht mehr trennt, sondern verbindet (vgl. Sassen in Interview mit Bourdeau-Lepage, 2009). Claude Courlet hat hierfür das schöne Bild von der Grenze, die sowohl „coupure“ als auch „couture“, sowohl ein trennender Schnitt als auch eine verbindende Naht, sein kann, gefunden (vgl. Courlet, 1988, S. 9).

Die Entstehung eines gemeinsamen Raums in Form einer grenzüberschreitenden Community ist eines der zentralen Ergebnisse von MARGE, der von den beteiligten Akteur*innen sehr geschätzt und auch über das Projektende hinaus eigenaktiv weitergepflegt wird.Footnote 4

Was hat dieser grenzüberschreitende Austausch bei den beteiligten Akteur*innen aus den Quartieren bewirkt?

Im Zentrum von MARGE stand die Begegnung, der grenzüberschreitende Austausch und ein zeitweiliges Eintauchen in ein anderes Umfeld mit dem Ziel, hieraus Nutzen für die Situation „zuhause“ zu ziehen. Wir haben die Haltung, die es dafür braucht und welche die an MARGE Beteiligten entwickelt haben, in dem gefunden, was Ulf Hannerz (2002) als Kosmopolitismus definiert: „eine Orientierung, eine Bereitschaft, sich auf das Andere einzulassen“ (S. 142 f.), die Offenheit „durch Zuhören, Beobachten, Intuition und Nachdenken“ (S. 143) Zugang zu den neuen Erfahrungen zu finden und in einem zweiten Schritt darum, sich im bis dato fremden „System von Bedeutungen(…) mehr oder weniger vertraut zu bewegen“ (S. 143). Zumindest die erste Stufe des so skizzierten Kosmopolitismus, die Bereitschaft zuzuhören und zu beobachten und sich auf das Neue einzulassen, entspricht ziemlich gut den Beobachtungen, die wir im Rahmen von MARGE machen konnten. „Das Forschungsprojekt ermöglicht es, Horizonte zu öffnen und verschiedene Erfahrungen zu machen, also aus der Routine auszubrechen und andere mögliche, offene Denkweisen kennen zu lernen (…)“ (Aussage aus einer Wandzeitung im Rahmen eines MARGE-Projektgruppentreffens) – oder um es mit den Worten einer anderen Teilnehmerin auszudrücken, „Grenzgänger*in“ zu werden.

5 Ungeplantes Nebenprodukt: Anerkennung

Neben der Wahrnehmung, „Grenzgänger*in“ geworden zu sein, und dem Gefühl, zu einer grenzüberschreitenden Community zu gehören, haben die in das Projekt MARGE einbezogenen Fachpersonen und die Bewohner*innen konstatiert, dass der grenzüberschreitende Austausch eine Möglichkeit für Anerkennung darstellt.

Im Rahmen des grenzüberschreitenden Austauschs wurden neben regelmäßigen Projektgruppentreffen, an denen die Akteur*innen aus allen neun Quartieren teilnahmen, die bereits weiter oben ausgeführten Felderkundungsbesuche durchgeführt. Die Durchführung dieser ein- bis zweitägigen Veranstaltungen ermöglichte den Teilnehmer*innen einen vertieften Einblick in die Handlungspraxis der sozialen Stadtentwicklung in den besuchten Quartieren und bot ihnen Impulse für ähnliche Themen und Herausforderungen im eigenen Quartier.

Ein solch vertiefter Austausch zwischen Personen verschiedener Quartiere ist unserer Erfahrung nach relativ ungewöhnlich und erfordert nicht nur viel Zeit und Vorbereitung, sondern vor allem die Bereitschaft zur Offenheit und zur Reflexion der eigenen Praxis. Sowohl der Empfang der Besucher*innen im eigenen Quartier als auch die Felderkundungen in den ausländischen Quartieren boten dazu die Möglichkeit und wurden dazu genutzt.

Die interessierten Nachfragen und die Notwendigkeit, die eigene Praxis im Vorfeld zu reflektieren, um sie „Ausländer*innen“ erklären zu können, führten häufig zu der Erkenntnis „dass bei uns im Quartier doch nicht alles so schlecht läuft und dass wir eine gute Arbeit machen“ (Gedächtnisprotokoll eines Quartierakteurs).

Die vielfach positiven Rückmeldungen der ausländischen Gäste wurden als sehr wohltuend und bestärkend erlebt. Dies nicht zuletzt, weil gerade Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit immer noch häufig wenig Anerkennung für ihre Leistung erfahren (vgl. Bereswill & Ehlert, 2012).

Aber nicht nur durch die ausländischen Gäste wurde den Quartiersakteur*innen Anerkennung zuteil. An den Felderkundungen, aber auch an den innerhalb jedes Quartiers implementierten Fokusgruppen nahmen viele Akteur*innen teil, die sich zwar untereinander in der Regel kannten, aber sich selten die Zeit genommen hatten, sich ihre Arbeit gegenseitig so differenziert vorzustellen. So hat MARGE teilweise auch zu einer besseren Vernetzung im Quartier beigetragen.

Last, but not least stieß der im Rahmen der Felderkundungen stattfindende Besuch einer ausländischen Delegation im „benachteiligten“ Quartier der eigenen Gemeinde in der Regel auch auf Aufmerksamkeit und Interesse der lokalen Politik und Öffentlichkeit. So stellte beispielsweise der im Rahmen einer grenzüberschreitenden Felderkundung in Frankreich stattgefundene Besuch beim Präfekten eine für die involvierten französischen Akteur*innen noch nie erfolgte Begegnung dar. Der Austausch zwischen den Gästen und dem Präfekten als Vertreter des Staates und ausführendes Organ der Politik hinterließ bei den Fachpersonen einen bleibenden Eindruck. Insbesondere die lokalen Akteur*innen erachteten die durch den grenzüberschreitenden Austausch möglich gewordene Begegnung als Zeichen der Wertschätzung ihrer professionellen Tätigkeiten.

Wir können nun versuchen, die zentrale Frage des Forschungsprojekts zu beantworten: Inwiefern beeinflusst der grenzüberschreitende Austausch die soziale Innovation in Quartieren? Am Ende unserer Überlegungen zu den drei in der Einleitung gestellten Fragen erscheint es uns möglich, diese Frage zumindest teilweise zu beantworten.

6 Welche Art der sozialen Innovation entsteht bei welchem grenzüberschreitenden Austausch?

6.1 MARGE als ein Erfahrungsprojekt

MARGE ist, wie viele andere Forschungsprojekte auch, ein Erfahrungsprojekt. Dies bedeutet, dass es im Wesentlichen von den Projektteilnehmer*innen erlebt wird und daher schwierig zu übertragen ist. Das neue Wissen wurde durch die immersive Erfahrung erworben, mithilfe der verschiedenen Sinne, der Herzlichkeit und Freude an diesem Austausch teilzunehmen. Es ist nicht akademisches Wissen, welches „outside the box“ vermittelt werden konnte, sondern setzt sich zusammen aus winzigen Signalen, die schwer zu benennen und zu identifizieren sind und dabei Praktiken und Erfahrungen widerspiegeln. Diese Dimension kann als „hypersubjektiv“ bezeichnet werden. Dieses Konzept, das aus der Forschung von Anne Perraut-Soliveres stammt, beschreibt die Schwierigkeit, eine individuelle Erfahrung, die von einer starken Subjektivität geprägt ist, auszudrücken und in Worte zu fassen (Perraut-Soliveres, 2001, S. 251).

Diese Hypersubjektivität macht Innovationen auf der Ebene eines Quartiers kompliziert. Es ist schwierig, den Beitrag des grenzüberschreitenden Austauschs zu bewerten, da er sich stark auf die Haltungen, auf eine oft leichte Verschiebung des Verhältnisses zu den Einwohner*innen auswirkt. Die Übertragung dieser Veränderung individueller Praktiken auf die Ebene einer Institution ist nicht selbstverständlich. Oftmals nahmen ein oder zwei Personen aus verschiedenen Organisationen an MARGE teil, was es nicht erlaubt, Veränderungen durch die vorhandenen Strukturen zu übernehmen. Menschen können ihre Praktiken individuell ändern, werden dabei jedoch sehr schnell mit der Organisation und der Struktur konfrontiert. Um Methoden spürbar zu verändern, Arbeitsprozesse neu zu gestalten und diese Veränderungen zu institutionalisieren, muss die Dynamik des Austauschs und des Bewusstseins für das Thema verstärkt werden.

6.2 Ein begrenzter Zeitraum für die Messung der Auswirkungen von Transfers auf die Veränderung von Methoden

MARGE dauerte drei Jahre. Das erste Jahr ermöglichte es, die Arbeitsgruppen („Fokusgruppen“ in jedem Quartier und auf der Ebene der neun beteiligten Quartiere) zu bilden und die zu entwickelnden Projekte für die Feldforschungsbesuche zu benennen. Im zweiten Jahr gingen die Projektpartner*innen zu den Feldforschungsbesuchen, was für alle Beteiligten ein besonderes Highlight war. Es mussten die An- und Abreisen organisiert, eine persönliche Verfügbarkeit über mehrere Tage sichergestellt, die vorgestellten Projekte und Methoden verstanden sowie gemeinsam darüber nachgedacht werden, wie vorzugehen ist, um die „Transfers“ zu organisieren. Das dritte Jahr ermöglicht es lediglich, die Praktiken und Methoden auf die eigenen Kontexte anzupassen und auf die herausgearbeiteten Bedürfnisse anzuwenden.

Von sozialer Innovation kann gesprochen werden, wenn sie „gesellschaftlich anerkannt und weitreichend in der Gesellschaft oder zumindest einigen Teilen dieser verbreitet ist, obgleich sie sich entsprechend des Kontextes entwickelt und letztendlich wie eine neue gesellschaftliche Praktik institutionalisiert ist, diese also gewissermaßen zur Routine wird“ (Howaldt & Schwarz, 2010, S. 90).

Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh, um die Auswirkungen der Transfers vollumfassend zu erkennen. Darüber hinaus wurden die Feldforschungsbesuche nach Ansicht der Fachpersonen von MARGE von vielen als eine Möglichkeit angesehen, den eigenen Horizont um neue Praktiken zu erweitern, ohne notwendigerweise den Wunsch oder die Mittel für die Übertragung eines Projekts zu besitzen. Um die gemachten Erfahrungen besser einzuordnen, kann Kegelmanns Typisierung des Lernens herangezogen werden:

„Auf der Ebene des Single-Loop-Lernens werden bestehende Praktiken verbessert und optimiert. Beim Double-Loop-Lernen findet eine Veränderung der handlungsleitenden Vorstellungen, Zielsetzungen und Grundüberzeugungen statt. Deutero-Learning hingegen sammelt und kommuniziert Wissen über vergangene Lernprozesse und wird aIs Lernen des Lernens aufgefasst.“ (Kegelmann, 2019, S. 443).Footnote 5

Bezogen auf MARGE, betreffen die beobachteten Veränderungen der Praktiken die erste und vielleicht längerfristig auch die zweite Stufe. Die an MARGE beteiligten Fachpersonen und Bewohner*innen konnten, verglichen mit den Praktiken in anderen Quartieren, manchmal mit radikal unterschiedlichen Praktiken konfrontiert werden. Dabei ließen sich auch die ersten Auswirkungen dieser Konfrontationen auf die Praxis feststellen.

Die im vorherigen Abschnitt vorgestellten Überlegungen zur Beteiligung der Bewohner*innen bezeugen dies.

6.3 Ein Innovationsprojekt für innovative Quartiere?

MARGE zielte darauf ab, soziale Innovation durch grenzüberschreitenden Austausch zu ermöglichen. Obwohl diese Dimension zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu erfassen und zu quantifizieren ist, hat es MARGE dennoch ermöglicht, Keime für eine soziale Innovation zu säen.

Erinnern wir uns an die sechs Merkmale der sozialen Innovation (Parpan-Blaser, 2011, S. 43):

  • Neuerung

  • Originalität

  • Ungewissheit

  • Emergenz

  • Relativität

  • Plastizität

Durch den grenzüberschreitenden Austausch und die partizipative Projektmethodik hat MARGE die Bildung einer grenzüberschreitenden Gemeinschaft von Akteur*innen der sozialen Stadtentwicklung ermöglicht. Diese Gemeinschaft ist transnational, transprofessionell und transkulturell zugleich.

Die Arbeitsmethode hat es ermöglicht, neue Praktiken zu entdecken, aber auch, über die eigenen Praktiken zu reflektieren. Die Feldforschungsbesuche (im eigenen oder im fremden Quartier) besaßen eine wichtige reflektierende Dimension. Oftmals haben sie Fachpersonen von MARGE dazu veranlasst, einen differenzierten Blick auf ihre Arbeitsmethoden zu werfen, während sie gleichzeitig Verbesserungsspielraum für Fortschritte und mögliche Entwicklungen herausgearbeitet haben.

MARGE ist aufgrund seines internationalen und grenzüberschreitenden Kontextes ein innovatives Forschungs- und Entwicklungsprojekt an sich. Letzteres hatte sicherlich Einfluss auf die Motivation und Neugierde der Teilnehmer*innen. Die „exotische“ Dimension des Austauschs erlaubte es ihnen, ihre eigenen Praktiken von neuem zu hinterfragen, ohne sich in einem normativen oder präskriptiven Rahmen zu befinden. Für Patrick Hassenteufel sind „die Beiträge des internationalen Vergleichs vielfältig. Erstens ermöglicht der vergleichende „Umweg“ einen dezentrierten Blick auf die eigene nationale Realität (…). Vor allem der vergleichende Ansatz ermöglicht es, durch Multiplikation der Anzahl der beteiligten Fälle, empirisch fundierte allgemeine theoretische Hypothesen zu validieren (oder zu verwerfen), wenn dieser deduktiv verwendet wird“ (2005, S. 113).

In dieser Hinsicht erfolgte die von MARGE produzierte Innovation im Gegensatz zur disruptiven Innovation schrittweise. Mit anderen Worten, sie erfolgte in Kontinuität mit den bestehenden Methoden, ohne einen radikalen Bruch mit dem Kontext und den bestehenden Praktiken durchzuführen. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Methode die Akzeptanz von Veränderungen verbessern wird.

Im Rahmen von MARGE entstanden mehrere Projekte (in Form von Transfer oder neuen Projekten), die der Definition von sozialer Innovation gemäß MARGE entsprechen:

  • Ein grenzüberschreitendes Quartiersfest wurde zwischen den Stadtvierteln Kreuzmatt in Kehl und Port du Rhin in Straßburg organisiert.

  • Die Stadt Saverne hat eine Reflexion über die Rolle der Bewohner*innen bezüglich der Funktionsweise des soziokulturellen Zentrums angestoßen und versucht dabei, eine Dynamik der Umwandlung der Praktiken bei allen Beteiligten, insbesondere Mandatsträger*innen, Verwaltungspersonal, Betreuer*innen, Direktion/Leitung usw. nach dem Vorbild der in Pratteln beobachteten Funktionsweise anzustoßen.

  • Der Verein Forum Weingarten in Freiburg ist sehr daran interessiert, ein inklusives Kunstprojekt nach dem Vorbild des Projekts Michto, welches in Port du Rhin vorgestellt wurde, zu organisieren.

  • In Basel hat eine MARGE-Teilnehmerin das in Freiburg-Haslach besuchte Projekt „Ruhewohnung“ aufgegriffen und einer sozialen Wohnungsbaugesellschaft vorgeschlagen. Dies fällt zwar nicht in ihren Zuständigkeitsbereich, während sie trotzdem als „Vermittlerin“ von Ideen und Erfahrungen fungiert.

  • Die Gemeinde Pratteln prüft, inwiefern sie die in Weingarten beobachtete Mietermitbestimmung in einigen Liegenschaften in ihrer Gemeinde umsetzen kann.

  • In Straßburg beschloss die Unterpräfektin, die Bedingungen für die Ausschreibung von Projekten bezüglich der Festlichkeiten am Jahresende zu überprüfen. Der Ansatz ist eher „bottom-up“ und basiert auf den Bedürfnissen des jeweiligen Quartiers. Die Überlegung liegt insbesondere in dem Feldforschungsbesuch in Suhr begründet, bei dem viele Personen aus Frankreich an einer Gemeindeversammlung teilnehmen konnten, welche ihre Vorstellungen zum Thema „Bürger*innenbeteiligung“ erschütterte.

Diese Liste ist nicht vollständig, zeichnet jedoch ein Bild von der Art der stattgefundenen Veränderungen. Die genannten Maßnahmen sind ein gutes Beispiel dafür, was ein Transfer im Hinblick auf soziale Innovation bedeutet, sofern er Reflexionen und Fragen in der eigenen beruflichen Praxis aufwirft. Es geht nicht darum, die anderswo gesehene Maßnahme auf die gleiche Art und Weise zu reproduzieren, sondern sie zu kontextualisieren. Darüber hinaus werden diese Maßnahmen alle als „eine Neuerung, die als Verbesserung des Bestehenden anerkannt wird“ (Braun-Thürmann, 2005, S. 6), angesehen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass MARGE die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass soziale Innovation durch grenzüberschreitenden Austausch stattfinden kann. Angesichts der Dauer des Projekts und der zu überwindenden Hindernisse (Sprachbarriere, Bedarf der Einbindung weiterer Akteur*innen usw.) wurden vorerst nur die Keime sozialer Innovation gelegt. Der Prozess hat soeben erst begonnen. Damit sich diese Keime weiterentwickeln und sprießen können, lassen sich drei elementare Faktoren hervorheben: Kreativität (Verlassen der Komfortzone), Mut (es wagen, die eigenen Praktiken zu verändern) und schließlich die Erprobung (Übergang zum Handeln). Die Fortführung des Forschungsprojekts in Form von trinationalen Fachtagen und einer Austauschplattform sollte es ermöglichen, die soziale Innovation in der Praxis der beteiligten Akteur*innen fortzusetzen und weiter zu verstärken.