Schlüsselworter

1 Einleitung

Entwicklungshilfe (EH) ist ein Konzept, das von den westlichen Industrieländern (IL) nach dem zweiten Weltkrieg in Anlehnung an die Hilfsmaßnahmen der USA für Europa (Marshallplan) für Afrika, Asien und Lateinamerika propagiert wurde, um die Wirtschaft der Industrieländer wieder in Schwung zu bringen und Handel mit den Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika aufzubauen. Als Entwicklungspolitik wurden zunächst jene nationalen sowie multilateralen Strategien, Zielsetzungen und Politiken bezeichnet, die zur Umsetzung der Idee der öffentlichen Entwicklungshilfe von Regierungen und von öffentlichen Einrichtungen formuliert wurden. Ziel war primär die Stimulierung von Wirtschaftswachstum als Basis für die soziale und kulturelle Entwicklung eines Landes.

Der vorliegende Beitrag versucht, die historische Entwicklung der österreichischen Entwicklungspolitik in den wesentlichen Grundzügen darzustellen und vor dem Hintergrund internationaler politischer Entwicklungen zu beschreiben sowie ansatzweise Erklärungen für die Veränderungen bzw. den Zustand des Politikbereichs Entwicklungspolitik in Österreich anzubieten.

Auch wenn verschiedene außenpolitische Initiativen und Aktivitäten darauf schließen lassen, dass Österreich bereits in den 1960er-Jahren Entwicklungshilfe geleistet hat, lässt sich Entwicklungspolitik im engeren Sinn erst ab 1970 festmachen (Höll 1997, 776; Hödl 2013, 259). In den Jahren 1970–1983 (Ära Kreisky/SPÖ) hat Österreich zwar eine „aktive Außenpolitik gegenüber den Entwicklungsländern“ betrieben und bei internationalen Konferenzen „eine Reihe von Vorschlägen zur Entschärfung des Nord-Süd-Konflikts erarbeitet“, dem gegenüber steht aber eine „enttäuschende Entwicklungshilfe-Praxis“ (Höll 1986, 142).

Signifikante Steigerungen bei den konkreten Leistungen für öffentliche Entwicklungshilfe im Hinblick auf die Erreichung des bei den Vereinten Nationen (UN) 1970 vereinbarten Ziels 0,7 % des Bruttosozialprodukts (BSP) als öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) sind bis zur Gegenwart ausgeblieben. Zudem können auch die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in der Programmatik der österreichischen Entwicklungspolitik – die Dreijahresprogramme der österreichischen Entwicklungspolitik (3JPG) – und die regelmäßig wiederkehrenden Bekräftigungen der Politiker*innen, 0,7 % des BSP bzw. Bruttonationaleinkommen (BNE) als ODA erreichen zu wollen, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die österreichischen ODA-Leistungen im internationalen Vergleich der Industrieländer unterdurchschnittlich sind.

Demgegenüber kommunizieren Politiker*innen seit Jahren eine positive Bilanz der öffentlichen Entwicklungshilfe Österreichs – meistens mit historischen Referenzen (Hilfe für Flüchtlinge in der Ungarnkrise 1956, die Österreicher*innen sind „Spendenweltmeister“, Aufnahme von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem starken Engagement Österreichs bei der „Hilfe vor Ort“). Damit wird versucht, der internationalen Kritik an den geringen ODA-Leistungen ein anderes „Narrativ“ entgegenzustellen (Obrovsky 2021). Rhetorisch unterfüttert wird dies mit den Hinweisen, dass Österreich einerseits ein kleines Land sei und andererseits, dass die Europäische Union (EU) – deren Mitglied wir ja sind – der größte Geber an öffentlicher EZA sei.

Da die Literatur zur österreichischen Entwicklungspolitik überschaubar ist (Eder und Krobath 1972; Höll 1997; Kramer 2017; Liebmann 1994; Hödl 2004), wird mithilfe der Darstellung von Meilensteinen versucht, zu belegen, dass Österreich eine minimalistische Entwicklungshilfepolitik betreibt. Im Beitrag wird die österreichische Entwicklungspolitik in vier Schritten thematisiert. In einem ersten Schritt werden die allgemeinen Begriffe EH, EZA und Entwicklungspolitik kurz definiert, die im österreichischen EZA-Gesetz verwendeten Ziele beschrieben und der Wandel von der EH zur Entwicklungspolitik und von der globalen Strukturpolitik zur globalen nachhaltigen Entwicklung beschrieben. In einem zweiten Schritt werden vier Phasen der österreichischen Entwicklungspolitik von 1945–2020 in Erweiterung einer Differenzierung von Helmut Kramer (Kramer 1997, 723; 2017, 1–7) skizziert, die jeweils bestimmte charakteristische Veränderungen der Entwicklungspolitik aufweisen. In einem dritten Schritt werden die österreichischen Leistungen der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit von 1970 bis 2020 dargestellt und deren Veränderungen und Entwicklungen im Hinblick auf die Erreichung des Ziels von 0,7 % des BNE interpretiert und analysiert. In einem abschließenden Resümee werden die Einflussfaktoren, die für die Entwicklung und somit auch für den gegenwärtigen Zustand der österreichischen Entwicklungspolitik relevant sind, zusammengefasst.

2 Entwicklungspolitik ist mehr als Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe – der Versuch einer Begriffsbestimmung

Ganz allgemein werden unter Entwicklungspolitik „alle Maßnahmen verstanden, die auf eine normativ bestimmte Veränderung der Situation der Entwicklungsländer ausgerichtet sind“ (Stockmann et al. 2010, 7,8). Dieter Nohlen definiert in seinem Lexikon Dritte Welt Entwicklungspolitik als „Summe aller Mittel und Maßnahmen (…) die von Entwicklungsländern und Industriestaaten eingesetzt und ergriffen werden, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer zu fördern, d. h. die Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Entwicklungsländern zu verbessern“ (Stockmann et al. 2010, 8). Dabei unterscheidet sich aber Entwicklungspolitik ganz wesentlich von Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit. „Während die Entwicklungspolitik neben der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) als ihrem wichtigsten Element, auch handels-, finanz-, struktur-, rohstoff- und währungspolitische Maßnahmen umfasst, bezeichnet Entwicklungszusammenarbeit die Maßnahmen, die konkret zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Entwicklungsländern in Kooperation zwischen diesen und sogenannten Geberländern gemeinsam vereinbart und durchgeführt werden“ (Stockmann et al. 2010, 8). Die Liste der entwicklungspolitischen Maßnahmen ist nach der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) unter anderem um umwelt-, klima- und migrations- und sicherheits- und friedenspolitische Maßnahmen zu erweitern.

Das österreichische EZA-Gesetz definiert Entwicklungspolitik als alle Maßnahmen des Bundes, „die geeignet sind, die nachhaltige, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer zu fördern oder eine Beeinträchtigung dieser Entwicklung hintanzuhalten; sie umfasst insbesondere die Entwicklungszusammenarbeit“. Als Ziele der österreichischen Entwicklungspolitik werden definiert:

1) die Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern durch Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, welche zu einem Prozess des nachhaltigen Wirtschaftens und des wirtschaftlichen Wachstums, verbunden mit strukturellem, institutionellem und sozialem Wandel führen soll, 2) die Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern durch Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, welche zu einem Prozess des nachhaltigen Wirtschaftens und des wirtschaftlichen Wachstums, verbunden mit strukturellem, institutionellem und sozialem Wandel führen soll, 3) die Sicherung des Friedens und der menschlichen Sicherheit, insbesondere durch die Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und guter Regierungsführung, sowie 4) die Erhaltung der Umwelt und den Schutz natürlicher Ressourcen als Basis für eine nachhaltige Entwicklung.

Darüber hinaus werden im Gesetz die Ziele und Prinzipien der Entwicklungspolitik auf alle „Politikbereiche des Bundes, welche die Entwicklungsländer (EL) berühren können“, erweitert und somit der Anspruch auf eine gesamtstaatliche Entwicklungspolitik verankert.

Die Erwartungen an die Entwicklungspolitik sind also enorm und man kann mit Nuscheler (2005, 90) von einer Überforderung der Entwicklungspolitik sprechen. Die Entwicklungszusammenarbeit – auch aller Industrieländer – ist mit diesen Erwartungen hoffnungslos überfordert und vermag angesichts der zunehmenden globalen Krisen und Problemen immer nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein bleiben.

Nuscheler (2005, 96) plädiert deshalb für eine globale Strukturpolitik, bei der durch „multilaterale Regelwerke Lösungen für Probleme“ gesucht werden, „die das einzelstaatliche Handeln überfordern“. Für Nuscheler können daher „Initiativen zur weltweiten Korruptionsbekämpfung, zur Durchsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen, zur Kontrolle der Biopiraterie, zur Eindämmung der destruktiven Auswirkungen des Klimawandels oder zur Stabilisierung kollabierender Staaten wichtiger sein als eine quantitative Aufstockung der Entwicklungsetats“.

Der Ansatz einer globalen Strukturpolitik wurde nach dem Scheitern der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen, der Überwindung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 und dem Auslaufen der Millennium Development Goals (MDGs) 2015 mit der Agenda 2030 weiterentwickelt. Bei der Vorbereitung des UN-Gipfeltreffens im Jahr 2015 zu den Sustainable Development Goals (SDGs) wurden die komplexen Zusammenhänge zwischen den Bereichen Ökonomie, Ökologie und soziale Entwicklung als zentrale Analyse- und Lösungskomponenten definiert und 17 Ziele verabschiedet, um eine globale nachhaltige Entwicklung zu erreichen (United Nations 2015b). In den SDGs ist Entwicklungszusammenarbeit nach wie vor ein relevanter Punkt, aber sie ist nur mehr ein Teil des Ziels 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ und soll dazu beitragen, dass die Länder des globalen Südens bei der Umsetzung der SDGs unterstützt werden, während alle anderen 16 ZieleFootnote 1 ebenfalls einer globalen nachhaltigen Entwicklung verpflichtet sind.

Dieser Ansatz ist nicht unumstritten und nicht frei von Widersprüchen. Er ermöglicht aber, die Bereiche Umwelt, Wirtschaft und soziale Entwicklung gemeinsam in ihren Interdependenzen zu denken und die verschiedenen Politikfelder im Hinblick auf eine globale, nachhaltige Entwicklung auszurichten. Entwicklungspolitik allein als Teil der Außenpolitik zu verorten, greift daher zu kurz. Die globale Dimension von Entwicklungspolitik bedarf einer alle Politikfelder übergreifende Politikperspektive, bei der die Außenpolitik die klassischen Themen der Globalen Governance, der Sicherheit und des Friedens sowie der Entwicklungszusammenarbeit abdeckt. Die Auswirkungen der Politikbereiche Wirtschaft, Handel, Digitalisierung, Gesundheit, Landwirtschaft usw. auf die Länder des globalen Südens sind somit Teil einer umfassenden Entwicklungspolitik für eine globale nachhaltige Entwicklung.

3 Ausbau der politischen Beziehungen Österreichs mit den Entwicklungsländern und Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Entkolonialisierung 1945–1980

Nach 1955 war zunächst der Aufbau tragfähiger Beziehungen zu den Signatarstaaten des Staatsvertrages und den europäischen Nachbarn primäres Ziel der österreichischen Außenpolitik, öffentlich finanzierte Entwicklungshilfeaktivitäten standen nicht zur Diskussion. Der ökonomische und politisch-institutionelle Wiederaufbau Österreichs nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 ließ „nur wenig Raum für die Beschäftigung mit ‚exotischen‘ Regionen der Welt“ (Höll 1986, 11). Afrika, Asien und Lateinamerika spielten daher weder außen- noch innenpolitisch eine Rolle. Da Österreich für sich in Anspruch nahm, keine koloniale Vergangenheit zu haben, sah man auch keine unmittelbare Verantwortung für die Beseitigung von „Unterentwicklung“ in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Erste Entwicklungshilfeaktivitäten wurden in den 1950er-Jahren von Einrichtungen der katholischen Kirche unternommen (vor allem von Laienorganisationen wie beispielsweise der Frauenbewegung, der Männerbewegung oder der Jungschar), die die Arbeit von Missionsstationen und von Priestern in Afrika, Asien und Lateinamerika unterstützen.

Zu Beginn der 1960er-Jahre unterstützten einige Ministerien mit öffentlichen Mitteln private Initiativen. Diese Förderungen waren jedoch unkoordiniert und folgten keinem gemeinsamen Programm bzw. keiner festgelegten Strategie. 1963 wurde erstmals ein staatliches Instrument zur Abwicklung und Organisation der „bilateralen technischen Entwicklungshilfe“ geschaffen. Das Interministerielle Komitee zur Förderung der Entwicklungsländer (IKFE) wurde durch Beschluss des Ministerrats eingesetzt und war mit Vertreter*innen aller Ministerien besetzt. 1964 wurden durch die Schaffung des Entwicklungshilfe-Export-Komitees (EEK) sowie des Starthilfekomitees die Verwaltungsstrukturen erweitert. Diese Gremien hatten die Aufgabe die Exportförderung in Entwicklungsländer zu unterstützen bzw. die Niederlassung österreichischer Firmen in Entwicklungsländern zu fördern. Die öffentliche Entwicklungshilfe wurde bereits in den 1960er-Jahren mit österreichischen Exportinteressen und deren Finanzierung verknüpft, während für bilaterale Programme und Projekte weder Strukturen noch Strategien entwickelt wurden.

Bereits im „Jahr 1961 stimmten die österreichischen Vertreter in der UN-General-versammlung (UN-GV) für das Programm der ‚ersten Entwicklungsdekade‘ und Österreich wurde Mitglied des für die Behandlung von Entwicklungsfragen eingerichteten UN-Wirtschafts- und Sozialrats ECOSOC“ (Kramer 2017, 2). „Die Bereitschaft, für die internationale Staatengemeinschaft ‚gute Dienste‘ zu leisten, stellte Österreich vor allem auch durch die Teilnahme österreichischer Kontingente an den Friedensmissionen der UN, zuerst im Kongo (1960) und Zypern (1963) und ab 1967 in Einsätzen im Nahen Osten unter Beweis“ (Kramer 2017, 2). Eine „Globalisierung der Außenpolitik“ ergab sich aus dem Umstand, „dass Österreich Bestandteil jener Strukturen wurde, mit denen der Westen die Einbindung der neuen Staaten in das kapitalistische Weltsystem sicherzustellen versuchte“ (Hödl 2004, 268).

1965 wurde Österreich Mitglied beim Development Assistance Committee (DAC) der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD)Footnote 2, das eine gemeinsame Politik der Mitgliedsländer gegenüber Afrika, Asien und Lateinamerika zu entwickeln suchte, um das wirtschaftliche Wachstum in den „Entwicklungsländern“ zu fördern. Bei der UN-GV im Jahr 1970 wurde für die ODA als quantitatives Ziel 0,7 % des Bruttosozialprodukts jedes Industrielandes als zu erbringende Quote festgehalten, um bis 1975 mit Entwicklungshilfe die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung in den „Entwicklungsländern“ zu fördern (United Nations General Assembly 1970, Abs. 43). Mit dem Monitoring der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung durch das DAC und der Publikation der Statistik der Leistungen der DAC-Mitglieder stieg auch der internationale Druck auf Österreich, konkrete Aktivitäten folgen zu lassen.

Bruno Kreisky (SPÖ) hat in der österreichischen Außenpolitik ab 1970 einen Paradigmenwechsel eingeleitet. „Damals gelang es Bruno Kreisky und seinem Team, Österreich in der Nachbarschaftspolitik, in der europäischen Politik und auch im Nord-Süd-Kontext durch eine Reihe von Initiativen und Vermittlungsaktionen zu profilieren. Hier sind besonders die Aktivitäten Kreiskys im Nahostkonflikt hervorzuheben“ (Kramer 2010, 4). Mit dem Bundesministeriengesetz 1973 wurde die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes (BKA) für die bilaterale Entwicklungshilfe festgelegt. In der Sektion IV (Verstaatlichte Industrie) wurde eine „Gruppe Entwicklungshilfe“ angesiedelt, die die Umsetzung der bilateralen technischen Entwicklungshilfe administrierte, während die Entwicklungspolitik – im Sinne einer übergreifenden globalen Politik – Chefsache des Bundeskanzlers war. Die Ansiedelung der Entwicklungshilfeagenden bei der Sektion „Verstaatlichte Industrie“ entsprach auch dem stark modernisierungstheoretisch ausgerichteten Verständnis von Entwicklungshilfe der Regierung, die in den 1970er-Jahren ihre ODA-Bilanz vorwiegend durch staatliche Kreditfinanzierungen und gestützte Exportfinanzierungskredite für Großprojekte aufbesserten, während die Mittel für Projekte bescheiden blieben. Dies lag auch daran, dass für die Durchführung der Projekte auf Firmen und verstaatlichte Betriebe (Austroplan, VOEST, Steyr Daimler Puch AG, Simmering Graz Pauker, Austrovieh) und auf EH-Organisationen (ÖED, IIZ, Österreichischer Jugendrat für Entwicklungshilfe) vorwiegend aus dem kirchlichen Bereich, zurückgegriffen werden musste (Höll 1986, 41). Da von der Politik keine Schwerpunktländer festgelegt worden waren, folgte die Finanzierung der Förderanträge den geografischen Schwerpunkten der EH-Organisationen.

Der aktiven Außenpolitik Österreichs in den 1970er-Jahren gegenüber den Entwicklungsländern steht allerdings „eine enttäuschende Entwicklungshilfe-Praxis gegenüber“ (Höll 1986, 142). Trotz der Formulierung eines Entwicklungshilfegesetzes (1974), des Aufbaus einer Entwicklungshilfeadministration im BKA, der regelmäßigen Publikation eines 3JPG und eines Berichts an den Nationalrat, die Einrichtungen eines EH-Beirates usw., bleiben die österreichischen Entwicklungshilfeleistungen sowohl quantitativ als auch qualitativ weit hinter den UN-Zielsetzungen (Höll 1986, 142–143). Eine mögliche Erklärung für die Divergenz zwischen entwicklungspolitischer Rhetorik und tatsächlicher ODA-Leistung in Österreich in den 1980er-Jahren besteht darin, dass das Versprechen der Industrieländer aus den 1950er und 1960er-Jahren, nämlich Wirtschaftswachstum und Wohlstand in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas mit Entwicklungshilfe zu fördern, vor allem von der Sozialdemokratie stärker hinterfragt und problematisiert wurde. Statt der „homöopathischen“ Förderung kleiner Projekte „richteten sie ihre politische und intellektuelle Energie eher auf große, multilaterale Anstrengungen wie die Neue Internationale Weltwirtschaftsordnung oder den ‚Marshall-Plan für die Dritte Welt‘“ (Hödl 2004, 241–242; 2013, 277–278).

4 „De-Globalisierung der österreichischen Außenpolitik. Rückgang der aktiven Entwicklungspolitik“ (1980–1995)

Bruno Kreisky (SPÖ) hat für die Nord-Süd-Konferenz in Cancun 1981 einen Vorschlag zu einem neuen „Marshallplan für die Dritte Welt“ eingebracht, der in Analogie zum Marshallplan für Europa nach dem 2. Weltkrieg einen großzügigen Ressourcentransfer vorsah, mit dem einerseits der Ausbau der Infrastruktur in Ländern der Dritten Welt gefördert werden sollte und von dem andererseits auch die Industrieländer profitieren sollten. Vor allem die neoliberale Wende der Wirtschaftspolitik der USA und UK (Reaganomics and Thatcherism) verhinderten sowohl multilaterale Initiativen für gerechtere weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen als auch für staatlich finanzierte groß angelegte Infrastruktur-investitionen in sich entwickelnden Ländern. Der Nord-Süd-Gipfel ging ohne konkrete Ergebnisse zu Ende. Das bedeutet auch ein Ende eines „produktiven Nord-Süd-Dialogs“ auf internationaler Ebene und „damit wurde auch der Handlungs- und Vermittlungsspielraum einer aktiven Dritte-Welt-Politik, wie sie von Kreisky in den 1970er-Jahren praktiziert worden war, deutlich eingeengt“ (Kramer 2017, 4).

Vor allem die ÖVP kritisierte das Engagement Kreiskys für die Dritte Welt und forderte eine stärkere Umorientierung der österreichischen Außenpolitik auf Europa. Bereits unter der SPÖ/FPÖ Koalition unter Sinowatz (SPÖ) (1983–1986) erfolgte eine Refokussierung auf Europa (Kramer 2017, 5). Ab 1985 wurde die Kompetenz für Entwicklungszusammenarbeit vom BKA ins Außenministerium übersiedelt und ebendort eine eigene Sektion (Sektion VII) mit der Organisation und der Durchführung der EZA betraut, wobei die Koordinierungsfunktion der Entwicklungspolitik nicht geklärt wurde. Die Integration der EZA in die diplomatische Hierarchie der Außenpolitik wurde mit einer politischen Aufwertung der Agenden der EZA argumentiert, die es ermöglichen sollte, dem 0,7 % ODA-Ziel näher zu kommen.

Die „realistische Außen- und Neutralitätspolitik“ (Kramer 1997, 728) wurde mit der Übernahme des Außenministeriums durch Alois Mock (ÖVP) in der Koalitionsregierung der SPÖ/ÖVP unter Vranitzky (SPÖ) vollzogen. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit kam es zu Neuorientierungen. Eine Ausrichtung der EZA an markt- und privatwirtschaftlichen Entwicklungskonzepten (Hödl 2013, 272) sowie eine verstärkte Kooperation mit Schwellenländern stand ebenso auf dem Programm wie die Reduktion der österreichische EZA an Nicaragua. Das Ziel einer EU-Mitgliedschaft sollte nicht durch Entwicklungshilfe an das sandinistische Nicaragua gefährdet werden (Obrovsky 1993, 84). Vor allem die ÖVP unter Parteiobmann und Außenminister Mock setzte sich für eine neoliberale Wirtschaftspolitik im globalen Süden ein, um „die möglichst freie Entfaltung kapitalistischer Marktkräfte“ zu ermöglichen (Hödl 2004, 181).

Im Jahr 1991 wechselte die Kompetenz und die Verantwortung für die EZA wiederum ins BKA, in ein eigenes Staatssekretariat, wo bis 1992 Staatssekretär Peter Jankowitsch (SPÖ) und bis 1995 Staatssekretärin Brigitte Ederer (SPÖ) für die EZA und für die europäische Integration zuständig waren. In diese Phase fällt mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und dem Ende der Sowjetunion 1991 eine geografische Erweiterung der EZA an Länder des globalen Südens um die Ostzusammenarbeit. Da viele Staaten in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion teilweise schlechtere Wirtschaftsdaten und BNEs als EL aufzuweisen hatten, wurde auf der Ebene der G-24 Staaten die Unterstützung dieser Länder bei der Transformation von einer Planwirtschaft zur Marktwirtschaft beschlossen. Aufgrund der österreichischen Geschichte hat Österreich besonders gute Beziehungen zu Osteuropa und dementsprechend war das Engagement Österreichs bei der Ostzusammenarbeit groß. Die Ostzusammenarbeit wurde in Österreich ab 1993 in einer eigenen Abteilung des BKA verwaltet, um zu verhindern, dass Budgets aus der EZA für Ostzusammenarbeit umgewidmet werden. Im Jahr 2000 wurde die Verwaltung der Ostzusammenarbeit mit der der EZA im Bundesministerium (BM) für Europa, Integration und Äußeres zusammengelegt.

Der Ausbruch der Jugoslawienkriege 1991 und die darauffolgende Fluchtbewegung haben zu einer Verlagerung der Prioritäten der Entwicklungszusammenarbeit hin zu humanitärer Hilfe und Hilfe für Geflüchtete geführt. Diese Entwicklungen ließen den Anteil der Kosten für Asylwerber*innen in der österreichischen ODA rasch ansteigen.

Um die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit besser zu koordinieren und um Programme und Projekte auf die konkreten Bedürfnisse der Partnerländer besser abstimmen zu können, wurden in den Partnerländern ab 1991 (Eröffnung des ersten Koordinationsbüros in Kampala) schrittweise Koordinationsbüros eingerichtet sowie Länder- und Sektorprogramme formuliert.

Im Kernbereich der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, der Programm- und Projekthilfe, kam es 1992 zu wesentlichen Reformen. Mit dem 3JPG 1994–1996 erfolgte eine Konzentration auf Schwerpunkt- und Kooperationsländer (Nicaragua, Kap Verde, Burkina Faso, Uganda, Rwanda, Äthiopien, Mosambik und Bhutan) anstatt die Förderung von Kleinprojekten österreichischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in vielen verschiedenen Ländern weiterzuführen. Ziel war es, die geringen verfügbaren Mittel auf Partnerländer zu konzentrieren und die zwischenstaatliche Kooperation mit den Partnerländern zu verstärken. Diese Reformen waren ein Teil eines Professionalisierungsprozesses des Sektors, um einerseits die österreichische Wirtschaft für die EZA stärker zu interessieren und andererseits auch als Heranführung an die EZA Instrumente und Verfahren der EU.

Im Juni 1993 wurde in Wien die zweite UN-Menschrechtskonferenz durchgeführt, bei der die universelle Geltung aller Menschenrechtsnormen bekräftigt und das Recht auf Entwicklung in den Menschrechtskatalog aufgenommen wurde. Die UN-Menschrechtkonferenz in Wien war auch ein entwicklungspolitisches Statement Österreichs, das aber in den Folgejahren nicht entsprechend weiterverfolgt wurde.

In der zweiten Phase erfolgte aufgrund der Änderung der parteipolitischen Zuständigkeit für die österreichische Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) eine stärkere Anpassung an neoliberale Entwicklungsansätze. Eine Steigerung des finanziellen Engagements bei der österreichischen ODA wurde zwar in Aussicht gestellt, jedoch nicht realisiert. Dafür dürfte auch eine ideologische Diskrepanz zwischen den privaten EZA-Organisationen, die vorwiegend öffentlich finanzierte Projekte durchführten und der Neuausrichtung der EZA- Politik ausschlaggebend gewesen sein. Der auch in den Medien ausgetragene Konflikt von katholischen Einrichtungen (Österreichischer Entwicklungsdienst, Institut für Internationale Zusammenarbeit) mit dem Außenministerium bei der Reduktion des Engagements in Nicaragua zeigte deutlich, dass die Entwicklungspolitik innerhalb der Außenpolitik eher als Störfaktor für die Neuorientierung der Außenpolitik angesehen wurde. Im Hinblick auf die Bedeutung des Beitritts Österreichs zur EU war Entwicklungspolitik auch für Politiker*innen der SPÖ zu Beginn der 1990er-Jahre ein politisch weniger wichtiges Thema. Die Anhebung der österreichischen ODA-Quote wurde als automatische Konsequenz der von Österreich zu leistenden Beiträge an das EU-Budget für die gemeinsame EU-EZA und an den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) angenommen. Die geringen bilateralen Programm- und Projektmittel wurden beibehalten, um innerhalb der EU auf eigene Projekterfahrung verweisen zu können und um eine österreichische EZA Identität zu behalten (Liebmann 1993, 126).

5 Harmonisierung der österreichischen Entwicklungspolitik mit der EU-Entwicklungspolitik (1995–2015)

Der Beitritt Österreichs bei der EU im Jahr 1995 hat einerseits die wiederholte Bekräftigung der ODA-Zielvorstellung von 0,7 % des BNE zur Folge gehabt, da sich die EU und ihre Mitgliedstaaten zur Erreichung dieses Zieles verpflichtet hatten. Andererseits benötigte der Beitritt zur EU eine stärkere Professionalisierung und eine Anpassung der EZA an die internationalen Praktiken, da Österreich sowohl seine EZA als auch seine Entwicklungspolitik mit der den anderen Gebern sowie mit der EU koordinieren und abstimmen musste. Österreichs finanzielle Beiträge zur EU-EZA führten zu einem kurzfristigen Anstieg der ODA-Leistungen Österreichs und ermöglichten sowohl Firmen als auch privaten Einrichtungen, sich bei EU-Budgetlinien der EU-EZA um Fördergelder zu bewerben.

Einerseits sind die Anforderungen an den diplomatischen Dienst durch die EU-Mitgliedschaft Österreichs gestiegenFootnote 3, andererseits hat die Anzahl der österreichischen Botschaften und Vertretungen vor allem in Afrika und in Lateinamerika sowie die Anzahl der Diplomat*innen abgenommen, sodass ein Rückgang des österreichischen Investments in außenpolitischen Interessen diagnostiziert werden muss (Kramer 2017, 6). Auch die EZA Verwaltung in der Sektion VII des Außenministeriums war unterdimensioniert. Die Harmonisierung und Anpassung der österreichischen EZA an die Strukturen der EU wurde daher sowohl von administrativen, strukturellen Defiziten als auch von fehlenden strategischen Ausrichtungen behindert. Die österreichischen Möglichkeiten die EU-EZA und Entwicklungspolitik der EU mitzugestalten wurden durch die geringen österreichischen ODA-Leistungen nicht gerade gefördert, da Österreich quantitativ kein relevantes Geberland war.

Ein wichtiger Paradigmenwechsel in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit folgte mit den Millennium Development Goals im Jahr 2000, mit denen erstmals anhand von 8 konkreten ZielenFootnote 4 Indikatoren entwickelt wurden und die Erfolge bei der Umsetzung der Maßnahmen bis zum Jahr 2015 überprüft werden sollte.

Österreich unterstützte diesen Ansatz und errichtete 2004 eine Entwicklungsagentur (Austrian Development Agency – ADAFootnote 5), um die finanziellen Mittel zur Umsetzung der MDGs bis 2010 auch professioneller durchführen zu können. Die Gründung der Agentur wurde mit einer Adaptierung und Novellierung des EZA-Gesetzes 2003 begleitet. Während das Außenministerium ab 2004 für die Erarbeitung der entwicklungspolitischen Strategien und Programme zuständig war, wurde die Umsetzung der Projekte und Programme an die privatwirtschaftlich organisierte ADA ausgelagert, die außerhalb der staatlichen Verwaltung rascher und effizienter agieren sollte. Die ADA-Gründung ist auch als notwendige Erweiterung der öffentlichen EZA-Administration mit Expert*innen zu verstehen, um nicht nur in der EU, sondern vor allem auch in der konkreten Arbeit in den Partnerländern Abstimmungs- und Koordinationsprozesse der Geberländer vornehmen zu können. Die ADA und die Vertreter*innen in den Koordinationsbüros in den Schwerpunktländern übernahmen daher auch außenpolitische Funktionen, die mit dem Außenministerium abzustimmen waren.

Der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 hat allerdings den entwicklungspolitischen Neustart mit den MDGs im Ansatz erstickt und zu einer Verschiebung der Schwerpunktsetzung der weltweiten EZA von Armutsbekämpfung zu Terrorbekämpfung geführt. Während im internationalen Diskurs versucht wurde, das Konzept der MDGs zu retten, indem die fehlenden finanziellen Mittel durch eine stärkere Fokussierung auf die Wirkung der EZA wettgemacht hätte werden sollen (Aid Effectiveness Agenda 2005), kam es im Jahr 2008/2009 zu einer Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die weltweit Kürzungen der EZA-Budgets zur Folge hatte.

In Österreich wurde im Jahr 2008 die Österreichische EntwicklungsbankFootnote 6 (OeEB) – als Tochter der Österreichischen Kontrollbank – gegründet, die im Auftrag des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) marktnahe Finanzierungen und Kapitalbeteiligungen in Entwicklungs- und Schwellenländern anbietet. Mit der OeEB wurde ein Instrument für die Förderung des Privatsektors in Entwicklungsländern geschaffen. Da die OeEB vorwiegend Investitionen privater Unternehmen finanziert, erhöhen diese nur geringfügig die österreichische ODA-Quote.

Die Aufstockung des EZA Budgets, die ein wesentliches Argument für die ADA Gründung darstellte, konnte nicht realisiert werden. Im Gegenteil, die OEZA-Mittel – also das Budget der ADA für Programme und Projekte in den Schwerpunkt- und Partnerländern – sind von 94 Mio. € im Jahr 2010 bis 66 Mio. € im Jahr 2012 gefallen. Die OEZA-Mittel sind insgesamt bis 2015 nur auf rund 74 Mio. € angestiegen. Die geringen OEZA-Mittel stehen daher im Widerspruch zu den etwa im SPÖ/ÖVP Regierungsprogramm „Gemeinsam für Österreich 2008–2013“ festgeschriebenen Absichten der Bundesregierung Faymann 1 im Bereich Entwicklungszusammenarbeit, da die ODA-Quote am Ende der Legislaturperiode im Jahr 2013 nur 0,27 % des BNE betrug:

Die österreichische Bundesregierung ist bestrebt, das 0,51 %-Ziel 2010 zu erreichen. Die Erreichung dieses Ziels erscheint jedoch vor dem Hintergrund der beschränkten budgetären Möglichkeiten schwierig. Zudem gehen ab 2009 die Entschuldungen drastisch zurück, was beachtliche zusätzliche Budgeterfordernisse bedeutet. Vor diesem Hintergrund werden – im Rahmen der Budgeterfordernisse insgesamt – entsprechende finanzielle Anstrengungen zur Erreichung dieses Ziels zu unternehmen sein. Dies gilt auch für den weiteren Pfad zur Erreichung des Millenniums-Zieles 0,7 % im Jahr 2015. Dabei werden in den nächsten vier Jahren insbesondere die gestaltbaren Mittel der OEZA sowie die freiwilligen Beiträge zu internationalen Entwicklungsorganisationen schrittweise und kontinuierlich substanziell angehoben. (Republik Österreich 2008, 250)

Im Regierungsprogramm der SPÖ/ÖVP Regierung Faymann 2 „Erfolgreich. Österreich“ 2013–2018 wurde sogar die Stärkung der „EZA als staatliche Gesamtverantwortung“ angestrebt und die „Entwicklung und gesetzliche Verankerung eines Stufenplans zur Erhöhung der EZA-Mittel bis zur Erreichung des 0,7 %-Ziels“ als Maßnahme des gemeinsamen Arbeitsprogramms festgeschrieben. Die Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds (AKF) auf jährlich 20 Mio. € wurde bereits im Regierungsprogramm als Reaktion auf die wachsende Zahl humanitärer Krisen festgelegt (Republik Österreich 2013, 83).

Im September 2015 wurden bei der UN-Generalversammlung die SDGs als neuer globaler Referenzrahmen für nachhaltige Entwicklung beschlossen (United Nations 2015b). Österreich – vertreten durch Bundespräsident Fischer (SPÖ) und Außenminister Kurz (ÖVP) – hat sich zum Ziel einer sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaften, im September 2015 bei der UN-GV in New York bekannt. Bei der im Juli 2015 in Addis Abeba abgehaltenen 3. Financing for Development Conference, wurde wieder einmal die 0,7 % des BNE ODA-Quote bekräftigt. Auf Initiative Österreichs hat die EU „its collective commitment to achieve the 0.7 per cent of ODA/GNI target within the time frame of the post-2015 agenda“, abgegeben (United Nations 2015a, 26, 27). Das bedeutet, dass die Zusage nur mehr für alle EU-Staaten gemeinsam besteht, ohne dass ein konkreter Aufteilungsschlüssel zwischen den Ländern vereinbart wurde.

Da die Erreichung der 0,7 % ODA-Quote bis 2030 für Österreich unwahrscheinlich ist, da dies ab dem Budget 2021 eine jährliche Steigerung von rund 140 Mio. € bedürfte, hat Österreich die Zielformulierung abgeschwächt. Nach 20 Jahren EU-Mitgliedschaft Österreichs sind die anfänglichen Erwartungen im Bereich der Entwicklungspolitik nicht erfüllt worden. „Da verbindliche Verträge über die ODA-Leistungen der einzelnen EU-Mitgliedsländer fehlen, konnte sich Österreich mit Entwicklungsrhetorik und effizienteren Managementstrukturen hinter der EU-Entwicklungspolitik verstecken ohne die ODA-Mittel signifikant zu erhöhen“ (Lightfoot und Obrovsky 2016, 11).

6 Außenpolitische Neupositionierung als Katastrophenhelfer. Ausbau der bilateralen humanitären Hilfe in Krisenregionen zur Eindämmung der Migration (ab 2015)

Mit der humanitären Krise im Nahen Osten in Folge des Syrienkrieges sind viele Menschen im Jahr 2015 nach Mitteleuropa aufgebrochen, um bessere Lebensbedingungen zu finden. Da die Kosten für Geflüchtete aus EL im ersten Jahr als ODA angerechnet werden können, sind die österreichischen ODA-Leistungen 2015 um fast 400 Mio. € und 2016 um fast 540 Mio. € angestiegen (Obrovsky 2020, 97). Die ÖVP/FPÖ Regierung unter Bundeskanzler (BK) Kurz (ÖVP) hat die Wahl nicht zuletzt wegen ihrer restriktiven Migrations- und Asylpolitik gewonnen. Während im 3JPG 2016–2018 noch davon gesprochen wurde, mit EZA mittelfristig auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Ursachen von Migration zu leisten steht im Regierungsprogramm der ÖVP/FPÖ Regierung unter dem Titel Bekenntnis zu einer effizienten Entwicklungszusammenarbeit (Republik Österreich 2017, 25):

Im Zusammenhang mit dem anhaltenden Migrationsdruck und im Falle von Kriegen, Hunger oder Naturkatastrophen ist es wichtig, den Betroffenen Hilfe vor Ort zu leisten und beizutragen, dass sie in ihrem eigenen Land eine Lebensperspektive aufbauen können. Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ist dabei auch ein Instrument zur Förderung eines wohl verstandenen Eigeninteresses Österreichs mit dem Ziel, insbesondere Migrationsströme zu verhindern.

Weiters wurde beabsichtigt, die Vergabe von EZA-Mittel an die Bereitschaft der Partnerländer zur Rücknahme von abgelehnten Asylwerbern zu knüpfen (Republik Österreich 2017, 25). Da die Empfängerländer der österreichischen EZA andere als die Herkunftsländer der Geflüchteten sind, ist es bei einer Ankündigung geblieben. Die Argumentationslinie der ÖVP/FPÖ Koalition Entwicklungszusammenarbeit mit Migrationsverhinderung zu verknüpfen, hat zwar auch zu einer Erhöhung des ADA-Budgets und der Mittel für den AKF beigetragen. Inhaltliche Diskussionen über die Ursachen für Migration oder über die Höhe der Mittel, die erforderlich sind, um die Situation „vor Ort“ nachhaltig zu verbessern, haben nicht stattgefunden. So ist die Aufstockung der ADA-Mittel von 65 Mio. € 2015 auf 85 Mio. € 2017 und des AKF von 5 Mio. € auf 25 Mio. € zwar positiv, die Erhöhung ist aber sowohl zu gering, um eine signifikante Veränderung der ODA-Quote Österreichs herbeizuführen, als auch zu gering, um Lebensperspektiven „vor Ort“ aufzubauen und Migration zu reduzieren.

Die Koalition aus ÖVP/Grünen unter BK Kurz (ÖVP) ab dem Jahr 2020 konnte sich zwar mit dem Regierungsprogramm auf ein umfangreiches Arbeitsprogramm im Bereich der EZA einigen (Republik Österreich 2020, 133–135), da aber die Leitung des Außenministeriums mit Schallenberg bei der ÖVP angesiedelt ist, bleibt die Entwicklungspolitik Verhandlungsgegenstand innerhalb der Koalition. Eine Aufstockung des AKFs um weitere 25 Mio. € auf 50 Mio. € im Jahr 2020 und die Zusage dieses Budget bis zum Ende der Legislaturperiode auf 60 Mio. € zu steigern geht auf die Weigerung der ÖVP zurück, Geflüchtete nach einem Brand des Flüchtlingslagers Moria auf der Insel Lesbos in Österreich aufzunehmen. Anstatt der Aufnahme von Geflüchteten wurde das Budget für „Hilfe vor Ort“ aufgestockt. Gekoppelt an die Steigerung des AKFs war auch die Erarbeitung eine Strategie für humanitäre Hilfe, die bis Herbst 2021 erarbeitet werden soll.

Die Veränderung der Schwerpunktsetzung von der langfristiger EZA auf die humanitäre Hilfe ist einerseits der Zunahme von weltweiten humanitären Krisen geschuldet. Andererseits folgt diese Veränderung auch dem Wandel der politischen Kommunikation seit der ÖVP/FPÖ Koalition. Öffentlichkeitswirksame Präsentationen von Auszahlungen in der humanitären Hilfe stellen ein willkommenes alternatives Narrativ dar, das Defizite sowohl bei den gesamten ODA-Leistungen als auch bei der Asylpolitik verdeckt. Mit dem unscharfen Begriff der „Hilfe vor Ort“ (Obrovsky 2021) lassen sich jeweils anlassbezogene Maßnahmen und Aktivitäten kommunizieren und ein breites humanitäres Engagement vermitteln, das zwar grundsätzlich positiv zu bewerten ist, das aber alleine weder den international vereinbarten Zielen noch den Ansprüchen einer globalen nachhaltigen Entwicklung gerecht wird.

7 Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit in Zahlen – ein Überblick

Die gesamten FinanzflüsseFootnote 7 der DAC Mitgliedsländer an die Länder des globalen Südens werden vom DAC der OECD erhoben und die Leistungen der Mitgliedsländer dargestellt und verglichen. Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit ist jener Teil davon, der aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Im Rahmen der UN-GV im Jahr 1970 wurde die ODA-Quote von 0,7 % des BSP an öffentlicher EH beschlossen.

Die ODA besteht aus Leistungen, die von einem Geberland direkt an ein Partnerland vergeben werden (bilateral) oder aus Leistungen an multilaterale Organisationen (UN und UN-Unterorganisationen, Internationale Finanzinstitutionen wie die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung/IBRD, der Internationale Währungsfonds/IWF, regionale Entwicklungsbanken sowie aus Leistungen an die EU, für deren EZA (multilateral)). Bei den bilateralen Leistungen können auch – den gemeinsamen Melderichtlinien entsprechend – Entschuldungen, indirekte Kosten für Studierende aus EL und Kosten für Asylwerber aus EL im ersten Jahr angerechnete werden. Ein wichtiger Teil der bilateralen Leistungen wird für entwicklungspolitisch gestaltbare Programme und Projekte ausgegeben. In Österreich ist dies das in erster Linie das operative Budget der ADA sowie des AKF.

Betrachtet man Abb. 1, dann fällt auf, dass die österreichische ODA keine lineare Entwicklung seit 1970 aufweist, sondern dass die Linie sehr unregelmäßig ausschlägt. Diese „peaks“ der österreichischen ODA gehen zumeist auf Ausgaben in bestimmten nicht planbaren Bereichen zurück, die in der ODA-Statistik angerechnet werden konnten. Die ODA Linie in der Grafik zeigt, dass die ODA-Quote nicht planbar ist, sondern von verschiedenen Zufällen geprägt ist. Das 3JPG enthält zwar ein Prognoseszenario, das aber vorbehaltlich der jeweiligen Budgetbeschlüsse des Parlaments vollkommen unverbindlich ist. Die Steigerungen in den 1980er-Jahren gehen auf die Anrechnung von geförderten Exportkrediten zurück, während die Steigerungen 2005 bis 2008 auf die Anrechnung von Entschuldungen im Rahmen des Pariser Clubs hauptsächlich für den Irak zurückzuführen sind. Die Zunahme der ODA-Quote 2015 und 2016 geht auf die Anrechnung der Kosten für Geflüchtete während der Krise 2015 und 2016 zurück. Exkludiert man diese Schwankungen, dann lag Österreich mit seiner ODA-Quote seit 1970 meist unter dem DAC-Durchschnitt und weit von der im Jahr 1970 zugesagten ODA-Quote von 0,7 % des BNE.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: OECD DAC, IDS online databases)

Die ODA Österreichs in % des BNE 1970–2020.

Ein Blick auf Tab. 1, die sowohl die Regierungen als auch die für die Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Politiker*innen enthält, zeigt, dass die ODA-Quote durchgehend seit 1970 – unabhängig von der parteipolitischen Zugehörigkeit – nur geringfügig angestiegen ist. Ab dem Beitritt Österreich zur EU 1995 sind die Leistungen auf einem höheren Niveau, allerdings immer noch weit unter den internationalen Zusagen.

Tab. 1 Die Entwicklung der ODA- Leistungen Österreichs 1970–2020 Auszahlungen, netto in Mio ATS/ab 2000 in Mio. €

8 Resümee

Aufgrund des geringen Interesses an den Beziehungen zu Ländern des globalen Südens sowohl bei Politiker*innen als auch bei einem Großteil der Bevölkerung in der Nachkriegszeit und der vom Westen aufoktroyierten Agenda der internationalen Entwicklung wurden die Ziele nur rhetorisch mitgetragen (Hödl 2013, 278). Dazu kam das Fehlen österreichischer transnationaler Firmen und ein eingeschränktes Verständnis von Entwicklung. Der Entwicklungszusammenarbeit wurden verschiedene Funktionen zwischen Armutsbekämpfung, Humanitärer Hilfe, Förderung von nationalen Wirtschaftsinteressen und letztlich Migrationsabwehr zugeschrieben. Da sowohl die Entwicklungszusammenarbeit als auch die auf Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit reduzierte Politik diese Funktionen nur unzureichend erfüllen konnte, blieb der Stellenwert der Entwicklungspolitik in der österreichischen Politik marginal (Hödl 2013, 276). Das Fehlen einer gesamtstaatlichen Planung bei der österreichischen Entwicklungspolitik bringt es mit sich, dass der auf das Außenministerium und die ADA reduzierte Geltungsbereich des 3JPG nur die jeweiligen internationalen thematischen Schwerpunktsetzungen (Frauenförderung, Umwelt, Landminen, Menschenrechte usw.) und die Interessen der jeweiligen Minister*innen widerspiegelt. In Österreich wurde und wird daher bestenfalls eine minimale Entwicklungshilfepolitik realisiert, zumal für eine gesamtstaatliche Entwicklungspolitik („Whole of Governance Approach“) weder ein parteipolitischer Konsens noch die rechtlichen und administrativen Grundlagen zur Koordinierung und Steuerung gesamtstaatlicher Prozesse vorhanden sind.

Seit den 1970er-Jahren hat keine Regierung einen verbindlichen Stufenplan zur Erreichung der ODA-Quote von 0,7 % des BNE entwickelt. Bei der ODA-Finanzierung fällt über Jahrzehnte der Widerspruch zwischen den politisch beabsichtigten Zielsetzungen und der tatsächlichen Realisierung auf.

Dies geht auch darauf zurück, dass das bei der UN-GV 1970 verabschiedete Ziel keinen völkerrechtlich verbindlichen Beschluss darstellt, sondern als Absichtserklärung und Selbstverpflichtung der Industrieländer verstanden wird. Obwohl das DAC der OECD als auch die EU und ihre Mitgliedsstaaten dieses finanzielle Commitment immer wieder bekräftigt haben, gibt es bei Nichterreichen der Zielsetzungen keinerlei Sanktionen. Da Österreich seit 1970 aufgrund der unterdurchschnittlichen ODA-Leistungen keine politischen oder wirtschaftlichen Nachteile im Vergleich zu anderen Industrienationen in den internationalen Beziehungen realisierte, sah man offensichtlich als „kleines Land“ auch keine Notwendigkeit, mehr ODA als unbedingt erforderlich bereitzustellen.

Die Verlagerung der Verwaltung und der Kompetenzen für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit und der Entwicklungspolitik im Jahr 1985 ins Außenministerium hat – gemessen an der ODA-Quote Österreichs – weder zu einer Stärkung des Politikbereichs noch zur Erreichung der internationalen Zielsetzungen beigetragen.

Der Beitritt Österreich zur EU hat im Bereich der Entwicklungspolitik und der EZA zwar zu einer Professionalisierung bei der Projektdurchführung und Projektkoordination geführt und großen österreichischen Firmen einen Zugang zu internationalen Budgetlinien ermöglicht, in der ODA-Quote Österreichs haben sich die Vorteile der Mitgliedschaft Österreichs bei der EU noch nicht niedergeschlagen.

Die ab 2015 verfolgte Strategie, mehr Engagement im Bereich der humanitären Hilfe zu setzen ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, da sie budgetäre Steigerungen vorsieht. Diese sind aber insgesamt zu gering, um die ODA-Quote signifikant ansteigen zu lassen und im internationalen Vergleich ist die Humanitäre Hilfe Österreichs immer noch sehr gering.

Die Schwerpunktsetzung humanitäre Hilfe kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine nachhaltige globale Entwicklungspolitik nicht mehr allein von der Außenpolitik durchgeführt werden kann, sondern dass Entwicklungspolitik eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die sowohl von der Außenpolitik als auch von anderen Politikbereichen koordiniert, abgestimmt und wahrgenommen werden muss.

Weiterführende Quellen

Hödl, Gerald. 2004. Österreich und die Dritte Welt: Außen- und Entwicklungspolitik der Zweiten Republik bis zum EU-Beitritt 1995. Wien: Promedia.

Gerald Hödl bietet mit dieser Arbeit eine umfassende Analyse der österreichischen Außen- und Entwicklungspolitik vor dem Hintergrund einer im Westen vorherrschenden globalen Entwicklungskonzeption, mit der die Volten der Außen- und Entwicklungspolitik erklärt werden können. Als Quellen verwendet Hödl auch viele stenografische Protokolle des Nationalrates zu relevanten parlamentarischen Diskussionen. Damit gelingt es ihm, die entwicklungspolitischen Debatten in Österreich gut zu dokumentieren.

Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung – ÖFSE, Hrsg. 1985-2020. Die österreichische Entwicklungspolitik: Analysen Berichte Informationen. https://www.oefse.at/publikationen/oesterreichische-entwicklungspolitik/.

Die Publikation der ÖFSE bietet seit 1985 detaillierte Daten und Analysen der gesamten Finanzflüsse Österreichs an Entwicklungsländer an. Neben der öffentlichen finanzierten EZA, werden auch die privaten Mittel und die Gastarbeiterüberweisungen an EL dargestellt. Trends oder Veränderungen in der österreichischen Entwicklungspolitik werden ebenso thematisiert und diskutiert.

United Nations. 2015. Transforming our World, The 2030 Agenda for Sustainable Development. A/RES/70/1. https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/21252030%20Agenda%20for%20Sustainable%20Development%20web.pdf.

Die 2030 Agenda beschreibt einen Paradigmenwechsel in der internationalen entwicklungspolitischen Debatte, da erstmals die Bereiche Wirtschaft, soziale Entwicklung und Umwelt gemeinsam gedacht werden und umfassende Ziele veröffentlicht werden, die für die österreichische Außen- und Entwicklungspolitik richtungsweisend sind.