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1 Einleitung

Österreich ist eine kleine Marktwirtschaft, welche stark vom Außenhandel abhängig ist. Der Exportanteil betrug 2020 in Österreich 108 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und liegt somit verhältnismäßig vor anderen Ländern der Europäischen Union (EU), wie Deutschland, Italien, Großbritannien, und Frankreich. Diese Länder handeln auch sehr viel innerhalb ihrer Grenzen und sind somit weniger vom Außenhandel abhängig als Österreich. Im Laufe der Zweiten Republik vervielfachte sich die Anzahl der Exporteure, wobei zu erwähnen ist, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit 99 % aller heimischen Betriebe das wirtschaftliche Rückgrat Österreichs bilden. Demgemäß wurde der EU-Beitritt 1995 und somit der Zugang zum europäischen Binnenmarkt aus wirtschaftlicher Perspektive gefeiert. Die außenwirtschaftliche Abhängigkeit Österreichs hat dazu beigetragen, dass das Thema Außenhandel stets, aber besonders zur Zeit des EU-Beitrittes, ganz oben auf der Agenda vieler österreichischer Parteien stand. Auch in der Bevölkerung und unter den Wirtschaftstreibenden wurde eine Integration des österreichischen Marktes in den Weltmarkt stets begrüßt. Der Stellenwert der Außenwirtschaft lässt sich nicht zuletzt auch daran erkennen, dass Österreich sich Außenwirtschaftsstrategien gegeben hat (zuletzt 2018, siehe Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Wirtschaftskammer Österreich 2018) und weltweit mehr als 100 Außenwirtschaftszentren unterhält.

Dieser Beitrag untersucht, wie sich die Außenhandelspolitik Österreichs in der Zweiten Republik entwickelt hat. Er skizziert dabei den Weg von einem Österreich, welches die Nicht-Teilnahme am EU-Binnenmarkt aus außenwirtschaftlicher Perspektive als nicht tragbar einstufte, hin zu einem Österreich, welches innerhalb der Europäischen Union als ein eher skeptisches Land in Bezug auf Außenhandel zählt.

Der Artikel beginnt mit einem Abriss über die Entwicklung der österreichischen Außenwirtschaft, vom Marshallplan zur EU-Mitgliedshaft und einer vertieften Integration in den Welthandel. Es folgt ein Vergleich Österreichs mit der Schweiz, um den Effekt der EU-Mitgliedschaft auf den Handel zu beleuchten. Bevor wir mit dem Fazit schließen, gehen wir auf die Trendwende der öffentlichen Meinung in Österreich zum Thema Außenhandel ein. Um die Präferenzen, Strategien und das Verhalten der Zweiten Republik in Zusammenhang mit der Außenwirtschaft besser zu verstehen, haben wir neben der Analyse von Beobachtungsdaten, ein Experteninterview durchgeführt.

2 Vom Marshallplan zur EU-Integration und darüber hinaus

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Außenhandel auf Hilfslieferungen beschränkt. Der Marshallplan für den Wiederaufbau Europas belebte mit den dadurch geförderten Krediten und Sachlieferungen Österreichs Außenwirtschaft. Der Güter und Dienstleistungsaustausch mit anderen Ländern, trug zentral zu Österreichs Wirtschaftswachstum bei. Dies veranlasste mitunter Österreich dazu, internationale Kooperationen zu stärken. Sowohl die Gründungsmitgliedschaft in der Organization for European Economic Cooperation (OEEC, später Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) als auch der Beitritt zum Internationalen Währungsfond (IWF) förderte die Einbindung Österreichs in den Welthandel. Es folgte 1951 die Zusage Österreichs im Rahmen des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT, später World Trade Organisation, WTO) schrittweise Zölle und Handelshemmnisse abzubauen. Bis heute sitzt Österreich in 40 Komitees und Arbeitsgruppen der WTO aktiv bei (BMEIA 2021).

Neben Dänemark, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz und England war Österreich ein Gründungsmitglied der Europäischen Freihandelsassoziation (engl. European Free Trade Association, EFTA), welche am 4. Jänner 1960 in Stockholm unterschrieben wurde. Dienstleistungen waren damals noch nicht Teil des Abkommens. Diese wurden 2001 durch ein separates Abkommen zwischen den EFTA-Staaten geregelt (Dür et al. 2014). Neben dem politischen Aspekt war die Gründung von EFTA für Österreichs Außenhandel von wesentlicher Bedeutung. Sowohl ein erheblicher Teil der Importe als auch Exporte kamen und kommen bis heute aus den EFTA-Staaten (UN Comtrade n.d.).

Obwohl der Handel mit den übrigen EFTA-Staaten durch die Mitgliedschaft wuchs, litt Österreichs Wirtschaft unter der Diskriminierung durch die Nicht-Teilnahme in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). 1972 unterschrieb Österreich ein Freihandelsabkommen mit den damals neun Mitgliedern – Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg sowie Großbritannien, Irland und Dänemark – der EWGFootnote 1. Der Prozess hin zu einem derartigen Abkommen wurde bereits 1961 durch Österreich initiiert. In der Ratstagung der EWG 1967 legte Italien allerdings ein Veto ein, welches es 1969 zurückzog.Footnote 2 Zudem sprach sich die österreichische Regierung gegen eine Harmonisierung von Standards aus, dem auch die Europäische Kommission zustimmte. Inhalt des Abkommens waren vor allem Schutzklauseln zur Regelung von Disparitäten durch Wettbewerbsverzerrungen. Die Außenzölle der Vertragsparteien blieben unverändert, aber die Binnenzölle sanken graduell im Fünf-Jahres Takt. Entgegen Österreichs Interesse, welches eine umfassende Senkung aller Handelsbeschränkungen vorsah, wurden sensible Güter, wie landwirtschaftliche Produkte, Stahl, Papier, und Zellulose vom Abkommen ausgeschlossen. Besonders die Ausklammerung des Agrarsektors lief Österreichs Handelspräferenzen zuwider (Bauer 1993; Stermann 1972).

Zwischen dem Freihandelsabkommen mit den EWG-Mitgliedern und dem EU-Beitritt unterschrieb Österreich nur ein einziges weiteres Freihandelsabkommen. Grund dafür war der Wettbewerbsnachteil, welcher durch das zwischen der Europäische Gemeinschaft und den Färöer-Inseln unterschriebene Handelsabkommen, entstand. Daraufhin bot Dänemark im Namen der Färöer-Inseln den Beginn der Verhandlungen zu einem Abkommen zwischen Österreich und den Färöer-Inseln an (Österreichisches Parlament 1994).

Die Diskussion innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, bis 1992 einen europäischen Binnenmarkt zu gründen, erhöhte den Druck auf Österreich, sich der Gemeinschaft anzuschließen. Aufgrund der starken Handelsverknüpfung Österreichs mit den EG-Mitgliedern, wären die Opportunitätskosten bei Nicht-Teilnahme am Binnenmarkt sehr hoch gewesen. Österreich wickelte damals zwei Drittel des gesamten Außenhandels mit den EG-Mitgliedern ab (Bauer 1993). Abb. 1 zeigt die 12 handelsstärksten Sektoren vor dem EU-Beitritt. Es fällt auf, dass der Atomstrom bezogene Handel vor 1997, als das österreichische Parlament einstimmig für die Anti-Atom-Politik stimmte, dominierte. Am 17. Juli 1989 stellte Österreich durch Außenminister Alois Mock (ÖVP) den Antrag Mitglied der EWG zu werden. Bereits Ende Juli begannen die informellen Beitrittsverhandlungen. Die EU-Kommission genehmigte zwei Jahre später, 1991, den Beitritt Österreichs, woraufhin die formellen Beitrittsverhandlungen starteten.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der COMTRADE Daten: https://comtrade.un.org/)

Die 10 handelsstärksten Sektoren Österreichs vor dem EU-Beitritt.

Diese eröffnete Außenminister Mock mit den folgenden Worten: „Austria was entering the Community in a spirit of self-confidence because its economic performance, economic and social stability, the strong shilling, its workers‘ skills, its intellectual resources and its historical relations with the countries of Central and Eastern Europe would be a major asset to the Community“ (Dokument zu den Beitrittsverhandlungen, 18–19). Die österreichische Verhandlungsposition war, vor allem durch das Interesse am Export von landwirtschaftlichen Produkten, die Erhaltung von Sozial- und Umweltstandards, und Übergangsfristen zu den vier Grundfreiheiten gekennzeichnet (Dokument zu den Beitrittsverhandlungen, 19). Die EU gewährte Österreich Ausgleichszahlungen, um die Umstrukturierung des Landwirtschaftssektors zu erleichtern. Die nationalen Umwelt- und Sozialstandards entsprachen grundsätzlich jenen der EU, mussten aber besonders im Bereich Fahrzeugemissionen, im Schutz von Arbeiter*innen vor ionisierender Strahlung und im Schutz von weiblichen Arbeiterinnen nachgebessert werden. Ein weiterer gewichtiger Punkt für Österreich war die Erhaltung der Neutralität, welche bereits im Brief zum Antrag der Mitgliedschaft an die Europäische Kommission hervorgehoben wurde. In Kap. 24 des Beitrittsdokumentes wurde im Interesse von Österreich, aber auch Finnland und Schweden, auf die Neutralität eingegangen.

Wie aus Abb. 1 zu entnehmen ist, war der Automobilsektor für Österreichs Außenwirtschaft wichtig. In diesem Zusammenhang musste Österreich Konzessionen gegenüber der EU eingestehen und versprechen, Substitutionen gegenüber Autoherstelllern zu eliminieren. Österreich machte dies in Bezug auf Steyr/MAN-Nutzfahrzeuge in Grunding, aber weigerte sich derartige Substitutionen gegenüber General Motors nachzulassen und musste eine Strafzahlung an die EU tätigen.

Nach acht Verhandlungsrunden konnte im April 1994 ein Abschluss erzielt werden. Das österreichische Parlament stimmte mit 378 von 517 (73 %) Abgeordneten-Stimmen dem EU-Beitritt zu. Neben der Zustimmung durch das Parlament war eine Volksabstimmung notwendig, um den Beitritt abzuschließen. In dieser sprachen sich 66,58 % der Bevölkerung für einen Beitritt aus. Nach der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages im Juni 1994 stimmte das Parlament im November des gleichen Jahres für den EU-Beitritt. Mit 1. Jänner 1995 wurde Österreich zum offiziellen EU-Mitgliedsstaat. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union im Jänner 1995 löste sich die EFTA-Mitgliedschaft auf, jedoch sanken Österreichs Handelsbarrieren gravierend. Dies lag zum einen an der Neu-Mitgliedschaft in der Zollunion, welche den Handel mit anderen, damals 15 EU-Staaten, erleichterte.

2004 erfolgte ein weiterer Meilenstein. Mit der EU-Osterweiterung traten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern der EU bei. 2007 folgte der Beitritt von Rumänien und Bulgarien. Österreich spielte von Beginn an eine gewichtige Rolle in der Ostpolitik der EG und später EU (Neuhold 1994) und galt als starker Befürworter für die Osterweiterung. Bereits in der Eröffnungsrede zu den eigenen Beitrittsverhandlungen, betonte Außenminister Mock, dass Europa sich in Osteuropa und Ex-Jugoslawien ausdehnen sollte (Dokument zu den Beitrittsverhandlungen S. 19). Nicht zuletzt da die österreichische Wirtschaft schon viel in diese Länder investiert hatte und wesentlich von den Importen als auch den Arbeitskräften aus Mittel- und Südosteuropa abhängig war (Breuss und Schebeck 1998; Stankovsky 1996). Infolge der Osterweiterung ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0.4 Prozentpunkte pro Jahr gestiegen (Breuss 2013).

Mit der EU-Mitgliedschaft ging ein Großteil der Außenhandelskompetenzen Österreichs an die Europäische Union über. Fortan wurden Handelsabkommen mit Drittstaaten durch die EU-Kommission, welche durch den/die EU-Chef Verhandler*in vertreten wird, verhandelt (Frennhoff 2007). In Anlehnung an Putnam (1988) wird häufig von einem Drei-Ebenen-Spiel gesprochen, wo Interessen international, innerhalb der EU und innerhalb der EU-Kommission austariert werden müssen (Frennhoff 2007; Meunier 2000; 2007). Abb. 2 stellt dieses Drei-Ebenen-Spiel dar, wobei auf der ersten Ebene die EU durch die Vertretung mit dem Mitgliedsstaat verhandelt. Hinter der EU-Vertretung verbirgt sich die EU-Kommission, welche sich innerhalb des Rates mit den einzelnen Mitgliedsstaaten koordiniert (Ebene 2). In jedem der einzelnen Mitgliedsstaaten werden ebenso Gespräche geführt (Ebene 3).

Abb. 2
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Drei-Ebenen-Spiel Abbildung in Anlehnung an Frennhoff (2007)

Mit dem Beitritt zur EU kommt es demzufolge auch zu einer Verschiebung auf der Akteursebene in der Handelspolitik. Trafen zuvor österreichische Nationalratsabgeordnete die Entscheidung, tritt per dato das Europäische Parlament (EP) als zentraler Akteur auf die Bühne (Experteninterview, abgehalten am 2.12.2021). Dies birgt für Österreich einerseits die Herausforderung seine Position in den Verhandlungen mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten und in Folge mit den Handelspartnern außerhalb der EU durchzusetzen und andererseits die Chance als größerer und stärkerer Akteur in Verhandlungen zu internationalen Handelsabkommen aufzutreten. Während Österreich wenig Chance hätte, sich gegenüber Staaten wie Kanada oder den USA durchzusetzen, bietet die Einbettung in die EU ein stärkeres Verhandlungsgewicht.

Als Österreich der EU beitrat, hatte die EU bereits 53 Handelsabkommen mit Drittländern. Seit 1995 kamen weitere 51 dazu. Aktuell (Stand Juni 2021) sind Abkommen mit China, Neuseeland, Australien, Mexico, den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, und Uruguay) geplant. Besonders China ist für Österreich ein wichtiger Handelspartner mit 7 % der gesamten Importe aus dem Ausland und knapp 3 % der Exporte in das Ausland (WKO 2020). Abb. 3 zeigt den Status der Handelsabkommen von der EU/Österreich. Hier zeigt Österreich auch ein besonderes Engagement. Es wurden diverse Förderprogramme, wie zum Beispiel das Global Incubator Network (GIN) für den chinesischen Raum erweitert (Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres und Wirtschaftskammer Österreich 2018).

Abb. 3
figure 3

(Quelle: DESTA und Dür et al. 2014)

Handelsabkommen der EU (und Österreich) seit 1994 (Stand Juni 2021).

Auch wenn, wie zum Beispiel in Bezug auf China, ein besonderer Einsatz Österreichs zu erkennen ist, lässt sich die Rolle Österreichs in der EU bei Verhandlungen zu den genannten Handelsabkommen oft nur schwer identifizieren. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens ist die Formation der Handelsinteressen der EU aufgrund des Drei-Ebenen-Spiels komplex. Auch Drittstaaten betonen oftmals diese Komplexität, welche es ihnen erschwert Einblicke zu gewinnen (Meunier 2007). Zweitens gibt es grundsätzlich wenige Einblicke und Dokumentationen von derartigen Verhandlungen.

Jedoch war es so, dass in der österreichischen Position zur Außenwirtschaft eine Trendwende über die Zeit zu erkennen ist. Bis zum Vertrag von Lissabon 2007 wurde Österreich in der Handelspolitik auf europäischer Ebene kaum wahrgenommen. Dies änderte sich mit den zunehmend kritischen Stimmen in der Bevölkerung und den damit verbundenen Demonstrationen gegen bestimmte Handelsabkommen. Seither zeigt sich Österreich in der europäischen Handelspolitik vermehrt als Trittbrettfahrer. Entgegen der politisch kommunizierten Koalition der frugalen Vier, mit den Niederlanden, Dänemark und Schweden, welche eine wirtschaftsliberale und handelsbefürwortende Position vertreten, ist Österreich gegenüber großen Handelsabkommen in einer informellen, jedoch nicht stringenten, Veto-Partnerschaft. Beim umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA) auf der Seite Deutschlands, Belgiens und Polens und im Falle des EU-Mercosur-Abkommens, auf jener Frankreichs und Irlands (Experteninterview, abgehalten am 2.12.2021; Republik Österreich 2019).

3 Effekt der EU-Mitgliedschaft: Österreich vs. Schweiz

Die Schweiz und Österreich werden in der Literatur immer wieder als Vergleich in Bezug auf EU-Integration und Außenhandelspolitik herangezogen (Breuss 2013). Abb. 4 stellt die Entwicklung der Handelsdaten beider Länder gegenüber. Diese Darstellung bezweckt, dass generelle Weltwirtschaftstrends ausgeblendet werden können und der Effekt der EU-Erweiterung auf Österreich besser interpretierbar wird. Die rein graphische Darstellung deutet daraufhin, dass Österreichs Handel durch die EU-Integration gestiegen ist. Speziell rund um den EU-Beitritt 1995 und der EU-Osterweiterung 2004 holt Österreich im Vergleich zur Schweiz auf. Diese rein deskriptive Darstellung der Effekte erlaubt noch keine Schlussfolgerung. Über diese beschreibende Analyse hinaus, schätzen Oberhofer und Winner (2015) die Handelseffekte der EU-Integration und finden positive und signifikante Effekte des EU-Beitritts und der Ostererweiterung, sowohl auf die Anzahl der Handelspartner, als auch auf das Handelsvolumen. Oberhofer und Winner (2015) sprechen die Vorzieheffekte des EU-Beitrittes an, welche in der Grafik durchaus ersichtlich sind. Es ist zu erkennen, dass der Handel bereits vor dem tatsächlichen Beitritt anstieg. Das lässt sich darauf zurückführen, dass Firmen oft als erste versuchen, neue Märkte zu erschließen und somit Handelseffekte bereits vor 1995 eintraten. Des Weiteren kongruent mit der Grafik sind die nicht-signifikanten Effekte der Euro-Einführung. Diese sind laut rezenter Literatur nicht so groß, wie zum Beispiel, andere Integrationsprojekte der Währungsunion. Baldwin et al. (2008) haben die Außenhandelsauswirkungen auf den Euro untersucht und einen durchschnittlichen 5 % Gewinn in Handelsvolumen gefunden. Im Fall von Österreich lagen die Ereignisse, wie die Öffnung Osteuropas (1989), der Beitritt zur EU (1995), die Euro-Einführung (2002) und die EU-Osterweiterung (2004) sehr knapp beieinander, was eine Isolation der Effekte erschwert (Beer 2011). Zudem zeigte sich, dass eine gemeinsame Währungsunion auch indirekten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum nehmen kann, zum Beispiel durch bessere Preisstabilität in Krisenzeiten (Beer 2011).

Abb. 4
figure 4

EU-Integration und Handel. (Datenquelle: Weltbank)

4 Trendwende (?) der öffentlichen Meinung zur Außenwirtschaft

Bis jetzt konnten wir festhalten, dass Österreich ein von der Außenwirtschaft abhängiges Land ist. Diese Abhängigkeit stellt eine der wesentlichen Erklärungsfaktoren für Österreichs Ambitionen zur EU-Mitgliedschaft dar. Als es Österreich dann gelang den EU-Beitrittsprozess zu konkretisieren stiegen die Handelsflüsse von Österreich mit Drittstaaten. Kurzum, Österreich profitierte wirtschaftlich von der EU-Mitgliedschaft. Aber wie wurde und wird die Außenwirtschaftspolitik Österreichs in der Bevölkerung wahrgenommen? Im folgenden Abschnitt besprechen wir die öffentliche Meinung zum Außenhandel innerhalb der österreichischen Bevölkerung.

In einer Umfrage des Eurobarometer, welche 2019 durchgeführt wurde, gaben 58 % der Österreicher*innen an, vom internationalen Handel zu profitieren. Diese Zustimmung war vor 2013, dem Start der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA (kurz TTIP), noch größer. So stimmten 2010 knapp 70 % der befragten Österreicher*innen für den Freihandel. Zu dieser Zeit wurden in anderen Ländern, wie Deutschland und Polen die kritischen Stimmen zum multilateralen Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (engl. Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA) laut. Dieser Widerstand führte in Deutschland zur Gründung der Piraten-Partei und in weiterer Folge, mit TTIP, CETA und TiSA (Trade in Services Agreement) zeichnete sich auch in Österreich eine Trendwende im Stimmungsparameter ab. Infolgedessen gingen im April 2015 rund 22.000 Demonstrant*innen österreichweit auf die Straßen, um gegen TTIP zu protestieren (Der Standard 2016). Oftmals richteten sich die Proteste gleichzeitig gegen TTIP, TiSA und CETA, was zu einer Verschmelzung der einzelnen Handelsabkommen in der zivilgesellschaftlichen Meinungsbildung führte. Nicht zuletzt hatten während der Verhandlungen zu ACTA und in weiterer Folge TTIP, TiSA, CETA etc. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) damit begonnen, sich öffentlich kritisch gegenüber Handelsabkommen zu äußern. Zumal bei gemischten EU-Abkommen zusätzlich die Ratifikation der Mitgliedstaaten benötigt wird.

In Folge kam es auch in Österreich zu einem Stimmungsumschwung. Diese breite Bewegung veranlasste schließlich die Regierungs- und Oppositionsparteien in Österreich einen Blick in die eigene Wähler*innenschaft zu werfen (Experteninterview, abgehalten am 2.12.2021). Daraufhin stellte die SPÖ einen Antrag für eine Volksabstimmung über CETA. Dieser wurde jedoch von den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sowie den NEOS abgelehnt. Am 23. Mai 2019 wurde CETA trotz kritischer Stimmen in Österreich ratifiziert. Generell erlebt das Thema Außenhandel ein gesteigertes Interesse in der Öffentlichkeit. Die nächste Grafik (Abb. 5) zeigt, wie häufig in Österreich das Wort „Freihandelsabkommen“ gesucht wurde.

Abb. 5
figure 5

(Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Daten von Google Trends)

Google Suche nach ‚Freihandelsabkommen‘ in Österreich.

Mit einer klaren Spitze um 2014, wo TTIP und CETA in der Öffentlichkeit viel diskutiert wurden, lässt sich ein genereller Trend nach oben erkennen. Neuere Handelsabkommen, wie das EU-Mercosur oder das EU-Japan-Abkommen erhielten weniger Resonanz als TTIP und CETA, wurden aber deutlich öfter in den Medien erwähnt als Freihandelsabkommen, welche vor 2013 unterzeichnet wurden (APA n.d.).

5 Resümee

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Österreichs Außenhandelspolitik besonders bis hin zur EU-Mitgliedschaft eine stetige Reduktion von Handelsbarrieren anstrebte und versuchte Zugang zum EU-Binnenmarkt zu gewinnen. Die stark wachsende und gewinnbringende Exportwirtschaft motivierte Österreich, sich für eine EU-Mitgliedschaft zu engagieren. Auch mit Beginn der EU-Mitgliedschaft galt Österreich als starker Befürworter für mehr und umfassende Handelsabkommen mit Drittstaaten. Nicht zuletzt der öffentliche Druck für mehr Transparenz und höhere Standards – wobei die Forderung nach höheren Standards nicht immer faktenbasiert war (De Bièvre et al. 2020; Bièvre und Poletti 2020) – führten zu kritischeren Debatten zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien. Allerdings ist auch festzuhalten, dass der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union eine Zustimmungswelle zum Freihandel ausgelöst hatte. Wie sich die Stimmung rund um das Thema Außenhandel in Österreich in Zukunft entwickelt, bleibt also spannend.

Weiterführende Quellen

Breuss, F. 2020. „Makroökonomische Effekte der 25-jährigen EU-Mitgliedschaft Österreichs“. Monetary Policy & the Economy. Quarterly Review of Economic Policy Q1-Q2 (20): 27-28. https://fritz.breuss.wifo.ac.at/Breuss_AUT_25_Jahre_in_EU_Makroeffekte_MOP_Q1+Q2_2020.pdf.

Breuss schätzt in diesem Artikel die makroökonomischen Effekte der EU-Integration für Österreich nach 25-jähriger Teilnahme. Die größten Auswirkungen betreffen neben dem Zutritt zum EU-Binnenmarkt, auch eine deutliche Steigerung im Außenhandel und ausländischen Direktinvestitionen.

Broschek, Jörg. 2021. „The Federalization of Trade politics in Switzerland, Germany and Austria“. Regional & Federal Studies 1-22. https://doi.org/10.1080/13597566.2021.1932829.

Broschek untersucht in dieser Studie die Aktivität subföderaler Einheiten in der Handelspolitik im DACH-Raum. Er zeigt anhand vier Faktoren, dass institutionelle Ressourcen und die Intensität der Präferenzen einen stärkeren Einfluss haben als die parteipolitische Rolle und soziale Mobilisierung in den untersuchten Ländern.

Wolfmayr, Y., P. Mayerhofer, und J. Stankovsky. 2007. „WIFO-Weißbuch: Exporte als Wachstumsmotor. Maßnahmen zur weiteren Belebung der Ausfuhr“. WIFO Monatsberichte 80 (3): 249-261.

Die Autoren eruieren in dem Bericht exogene und endogene Faktoren, welche für Österreichs Exportwirtschaft hinderlich und förderlich (gewesen) sind. Ein Ausblick in Kombination mit praktischen Vorschlägen zum Erhalt der österreichischen Exporterfolge.