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Unmittelbarkeit und Realitätsbewusstsein. Das godoteske Bewegungsbild des autoritären Charakters in der Nachkriegszeit

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Die Wiederkehr des autoritären Charakters

Part of the book series: Kritische Theorien in der globalen Moderne ((KTGM))

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Zusammenfassung

Auch im Zentrum von Manuel Clemens steht die Spannung zwischen der wahnhaften Ergebenheit und der fortwährend gegebenen Möglichkeit, dass sich diese Illusion entlarvt. Die Frage, mit der Clemens sich beschäftigt, ist aber nicht die nach der Übertragbarkeit dieser Spannung, sondern das Potenzial der Rettung, die ihr im Falle des autoritären Charakters innewohnt bzw. eben nicht innewohnt. So reicht der Verdacht, der schließlich den Fanatiker heimsucht, eben nicht aus. Im Rausch wird dieser wieder betäubt. Clemens geht davon aus, dass es gerade die Unmittelbarkeit des Lebens ist, das neben den rauschhaften Momenten des Wahns stattfindet, aus dem heraus auch im totalitären System Kritik erfolgen kann. Dieses Realitätsprinzip mag durchaus in den Faschismus hineinführen, aber es hat eben auch das Potenzial, ihn wieder zu beenden. So kommt Clemens zu dem Schluss, dass im autoritären Charakter das Unaufgeklärte genauso wie das Aufgeklärte herrscht.

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Notes

  1. 1.

    So Manfred Gangl in dem seine intensive Beschäftigung mit Friedrich Pollock resümierenden Artikel „Friedrichs Pollocks Beitrag zur Kritischen Theorie“, in: Oliver Kozlarek (Hg.), Vielfalt und Einheit der Kritischen Theorie – Kulturwissenschaftliche Perspektiven, Wiesbaden 2020, S. 140.

  2. 2.

    Manfred Gangl betrachtet Pollocks Theorie vom Staatskapitalismus als ein defätistisches und pointiertes „Schlusswort“ zu der unerfüllbar gewordenen Utopie vom Ende des Kapitalismus. (Manfred Gangl, „Friedrichs Pollocks Beitrag zur Kritischen Theorie“, S. 131.) Pollock war jedoch keineswegs der einzige Vertreter der Staatskapitalismus-Theorie: „Sie war nach eigenem Eingeständnis nur die Zusammenfassung und Systematisierung einer in Emigrantenkreisen von Trotzki bis Hilferding breit geführten Diskussion über die Qualität der neuen autoritären Staatsformen und planerischen Staatseingriffe.“ Eva-Maria Ziege, Antisemitismus und Gesellschaftstheorie, S. S. 135 f.)

  3. 3.

    So auch Max Horkheimer in dem Aufsatz „Autoritärer Staat“, in: Gesammelten Schriften, Band 5, Frankfurt/M. 1987, S. 293–319. Zur Bedeutung Pollocks für die Frankfurter Schule siehe auch: Philipp Lenhard, „Abschied vom Marxismus? Franz Neumann, Friedrich Pollock und die Entstehung der kritischen Theorie des Antisemitismus im amerikanischen Exil, 1939–1945“, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, 24/2016: „Exil und Shoah“, S. 148–170. Sowie: Manfred Gangl, Politische Ökonomie und Kritische Theorie. Ein Beitrag zur theoretischen Entwicklung der Frankfurter Schule, Frankfurt am Main 1987. In der These zur Selbststabilisierung des Staatskapitalismus verdichten sich im Institut für Sozialforschung „Max Webers Rationalisierungsthese, konservative Kultur- und Zivilisationskritik und die durch den Faschismus gründlich destruierte Revolutionshoffnungen zu jener Spielart linker Zivilisationskritik“; so Manfred Gangl, Politische Ökonomie und Kritische Theorie. Ein Beitrag zur theoretischen Entwicklung der Frankfurter Schule, S. 202 f.

  4. 4.

    Gangl zeigt, dass Horkheimer und Adorno ihre Zweifel Pollocks Theorie, nur intern, z. B. in Briefen, diskutiert haben. Nach Außen, wie in der Dialektik der Aufklärung, standen sie gingen sie mit Pollock konform und zeigten die Übertreibung nicht. Manfred Gangl, „Friedrichs Pollocks Beitrag zur Kritischen Theorie“, S. 139–145. Siehe hierzu auch den zweiten Exkurs in der Dialektik der Aufklärung, in dem es auf S. 126 ähnlich widersprüchlich heißt: „Aber nur die Übertreibung ist wahr.“

  5. 5.

    Ich folge hier Benjamin Y. Fong, “The Psychic Makeup of the New Anthropological Type”, in: Robin Marasco (Hg.), The Authoritarian Personality, Sonderheft: The South Atlantic Quaterly, 117 (4), 2018, S. 767: “It is this inability to submit one’s own tasks, goals, and values to searching and uncomfortable criticism, an inability to really dialogue with oneself and with others in a way that might lead to unexpected conclusions, that defines the new anthropological type.“

  6. 6.

    Diese Aushebelung in der Dialektik der Aufklärung beklagt auch Christian Throne, “Fulfilling the Fascist Lie: Late Reflections on the Authoritarian Personality”, in: Robin Marasco (Hg.), The Authoritarian Personality, Sonderheft: The South Atlantic Quaterly, 117 (4), 2018, S. 887.

  7. 7.

    „Wie wir aus anderen Reaktionen wissen, hat der einzelne ein variables Maß von persönlicher Eignung zur Wiederbelebung solch alter Situationen bewahrt. Ein Wissen, daß die Hypnose doch nur ein Spiel, eine lügenhafte Erneuerung jener alten Eindrücke ist, kann aber erhalten bleiben und für den Widerstand gegen allzu ernsthafte Konsequenzen der hypnotischen Willensaufhebungsorgien.“ (Adorno 1970) Überträgt man diesen Gedanken Freuds auf Adornos Kontext, dann lässt sich vermuten, dass ihr Unbehagen im tatsächlichen Leben von der Propaganda nicht vollständig kompensiert werden kann.

  8. 8.

    So Adorno in seinem jüngsten Besteller, der gegenwärtig sogar in Bahnhofsbuchhandlungen ausliegt. Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag, Berlin 2019, S. 53 und S. 55.

  9. 9.

    Vgl. Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmuth Becker 1959–1969, hrsg. von Gerd Kadelbach, Frankfurt am Main 2017. Hierzu auch: Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik, hrsg. von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried, Göttingen 2020, S. 574–589 und S. 612–615. Schild sieht hier eine „letzte Spätblüte“ (Schild 2020, S. 283) der humanistischen Kultur und Bildung“. Ebenso macht George Bollenbeck für Nachkriegszeit eine vorübergehende Reaktivierung des bürgerlichen Deutungsmusters „Bildung“ aus. Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt am Main 1994, S. 301–304.

  10. 10.

    Zu Adornos öffentlichem Engagement in der Nachkriegszeit, das die Menschen zu einem Bewusstsein von Politik und Gesellschaft jenseits ideologischer und personifizierter Verschleierungen führen soll siehe im Kontext dieser jüngst veröffentlichten Vorträge auch: Gunzelin Schmidt Noerr, „Aufklärung und Mythos. Von der Dialektik der Aufklärung zu Erziehung nach Auschwitz“, in: Richard Faber und Eva-Maria Ziege (Hg.), Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften nach 1945, Würzburg 2008, S. 17–33.

  11. 11.

    Oder mit dem Optimismus von Horkheimer gesagt: „Im Prozeß der Zivilisation hat es nicht wenige Fälle gegeben, in denen der Massenbetrug nicht durch gezielte Propaganda, sondern in letzter Konsequenz deshalb entlarvt wurde, weil die Gelehrten mit ihren unaufdringlichen, jedoch beharrlichen Arbeitsweisen untersuchten, was der Täuschung zu Grunde lag.“ Als Beispiele führt er anschließend die Überwindung des Aberglaubens an die Hexerei durch den cartesianischen Rationalismus sowie die Hinwendung der Pädagogen zu den frühkindlichen Ereignissen an.

  12. 12.

    Gordon bezieht sich hier auf die empirische Studie des Politologen Matthew MacWilliams (2016), die in der heißen Phase des US-Wahlkampfs 2016 erschien. MacWilliams kam dort zu dem Ergebnis, dass Autoritarismus der zentrale Grund für die Popularität Trumps ist. (MacWilliams 2016, S. 46). Desweiteren siehe: Matthew MacWilliams, “The One Wired Trait That Predicts Whether You are a Trump Supporter. It’s not gender, age, income, race or religion”, in: Politico, 17. Januar 2016.

  13. 13.

    Adorno bezieht sich, neben Freud, hier auch auf Sartres Essay, der diese Behauptung allerdings auch nur wiederholt und nicht weiter begründet. Vgl. Adorno, Bemerkungen zu „The Authoritarian Personality“, S. 57–62 und Jean-Paul Sartre, „Betrachtungen zur Judenfrage“, in: ders., Drei Essays, Frankfurt am Main/Berlin 1972, S. 115.

  14. 14.

    Volker Weiß spricht von einer „erlebbaren Autorität“, die stärker ist als eine weniger intensiv erlebte Kritik: “Statt in einer abstrakt verwalteten Welt unterzugehen, wählen sie lieber die unmittelbar erlebbare Autorität.“ Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, S. 74 (Nachwort). Zur abstrakten Welt kann sicherlich auch Bildung und Aufklärung gezählt werden. Es sind diese Momente der Unmittelbarkeit, die der Nazi-Bewegung Kraft und Stärke verleihen hat. Vgl. desweiteren: Peter Reichelt untersucht die ästhetische Inszenierung des Dritten Reichs und Ian Kershaw den Bezug dieser Inszenierungen zum realen Tagesgeschehen. Stephan Marks zeigt die tiefenpsychologischen Auswirkungen auf die Bevölkerung und Robert Paxton macht in den „mobilisierten Leidenschaften“ (S. 320) auf allen Ebenen, die Grundstrukturen des Faschismus aus. Vgl. Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus, Frankfurt am Main 1993, Ian Kershaw, Der Hitler Mythos. Führerkult und Volksmeinung, Stuttgart 1999, Stephan Marks, Warum folgten sie Hitler? Die Psychologie des Nationalsozialismus, Ostfildern 2011. Die zentralen Begriffe von Marks sind: Magisches Bewusstsein, Hypnotische Trance, Schamabwehr, Nazismus und Traumata.

  15. 15.

    Die Kolumnistin Salena Zito hat diese Einstellung in Bezug auf Donald Trump hervorragend auf den Punkt gebracht: Journalisten, so Zito, würden Trump zwar ernst, aber nicht wörtlich nehmen, während Trumps Anhänger ihn nicht wörtlich, dafür aber ernst nehmen. Salena Zito, „Taking Trump Seriously, Not Literally”, in: The Atlantic, 23. September 2016.

  16. 16.

    Über die schnelle und geräuschlose Anpassung der Deutschen an die demokratische Ordnung waren selbst die Alliierten erstaunt, die durchaus Partisanenkämpfe mit Nazi-Untergrundgruppen nach 1945 erwartet hatten. Harald Jähner, Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945–1955, Berlin 2020, S. 373–380.

  17. 17.

    Adorno 1959, S. 27. Zu Adornos zwiespältigem Verhältnis zur Psychoanalyse siehe: Wolfgang Bock, Dialektische Psychoanalyse. Adornos Rezeption der Psychoanalyse, Heidelberg 2018.

  18. 18.

    Adorno 1959. Allerdings meint Adorno mit dem Bezug auf die unmittelbaren Interessen, dass man den Menschen immer wieder die Katastrophe vor Augen führen soll, in die die Naziherrschaft geführt hat und nicht das, was wir unter dem Realitätssinn der Nachkriegszeit herausgearbeitet haben. Insofern geht es ihm hier immer noch um „Freiheit und Humanität“, die über die Einsicht in die Vernichtungs- und Kriegskatastrophen des Nationalsozialismus das unmittelbare Interesse nach Leben und Selbsterhaltung ansprechen können.

  19. 19.

    In dieser Anpassung könnte auch der Keim für die Flexibilisierung des autoritären Charakters liegen, wie sie Detlef Österreich für die 1990er Jahre ausmacht. Während Fromm den autoritären Charakter vom Patriachat entkoppelt, zeigt sich bei Adorno eine Ablösung von den sozialen und politischen Kontexten. Ursachen und Ziele seiner Unterordnung und Wut können variieren. Österreich löst ihn dann noch ein weiteres Mal von allgemeinen Kontexten und betrachtet ihn gemäß individueller Lebenssituationen, in denen dieser unterschiedlich autoritär oder eben auch mal nicht autoritär reagieren und handeln kann. Vgl. Detlef Österreich, Flucht ins Autoritäre. Zur Theorie des Autoritarismus und der autoritären Reaktion, Wiesbaden 1996, S. 93–111. Zum situativen des autoritären Charakters siehe auch Karen Stenners empirische Untersuchung jüngeren Datums: The Authoritarin Dynamic, Cambridge University Press 2005.

  20. 20.

    Max Horkheimer, „Preface“, in: Theodor W. Adorno u. a., The Authoritarian Personality, London, New York Neuauflage 2019 [zuerst 1950], S. ix. Die Übersetzung findet sich in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften. Band 5, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, Frankfurt am Main 1987, S. 415.

  21. 21.

    In dieser Richtung geht auch die namentlich nicht gekennzeichnete „Conclusion“, in: Theodor W. Adorno u. a., The Authoritarian Personality, London, New York Neuauflage 2019 [zuerst 1950], S. 971–976.

  22. 22.

    Schlussendlich sind es die Siegermächte, die die Deutschen aus der Hypnose „aufwecken“. Dies führt zu einem traumatischen Ich- und Sinnverlust sowie einer Leere aufgrund derer man sich mühelos mit den Werten der Sieger identifizieren kann. Adornos Ticketdenken dort vor allem im Anti-Kommunismus weiterleben, der viele Muster der Nazi-Ideologie übernimmt. Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern, S. 40–47.

  23. 23.

    Diese Realitätsgerichtetheit zeigt sich in der Utopiefeindlichkeit des autoritären Charakters. „There Will Be No Utopia“ lautet eines der Zwischenüberschriften bzw. charakteristischen Merkmale der High Scorers unter den autoritären Charakteren, was mit einschließt, dass man pädagogische Eingriffe und Idealen mit großer Skepsis begegnet.

  24. 24.

    Der Widerspruch zwischen Rausch und Realität zeigt sich auch in Heinrich Manns Roman Der Untertan. Hier sieht man gewissermaßen das Urbild der autoritären Persönlichkeit, der aber nicht nur an den Rausch des Nationalismus und Kaiserkult glaubt, sondern als Mann der Tat es auch genauso gut versteht, sich den Bedingungen des modernen Kapitalismus erfolgreich anzupassen. Siehe hierzu auch: Walter Delabar, „Einer seiner großen Männer. Zu einer abweichenden Lesart von Heinrich Manns Der Untertan“, in: literaturkritk.de, vom 3. März 2021 mit dem Schwerpunkt: 150. Geburtstag von Heinrich Mann. Dalabars Resumé über den Protagonisten lautet dementsprechend: „Der Blick ist also nicht auf das schwache Kind zu richten, das alles tut, um Bestätigung zu erfahren, sondern auf den skrupellosen Akteur im öffentlichen Leben, für den Öffentlichkeit eine Bühne ist, auf der er alles spielen kann und für den Nutzen nur im eigenen Profit besteht.“ Delabar versteht ihn weniger, wie in der klassischen Lesart, als einen Vertreter royalistischer Interessen, der dem Wilheminismus nützt, sondern vor allem als einen Aufsteiger, der gleichzeitig seine bürgerlichen Interessen bedient. So kommt es zu einer Win–Win-Situation gegen die Demokraten und der vermeintliche Untertan triumphiert am Schluss als erfolgreicher Unternehmer und einflussreicher Politiker. Sein Realitätssinn führt ihn zum pragmatischen Handeln und auf den Kaiser (und manchmal auch auf die Demokraten) stützt er sich nur soweit wie sie ihm nutzen.

  25. 25.

    „Solche Beschreibungen befriedigten das intensive Bedürfnis der damaligen Zeit, sich in einem geschützten Raum geborgen zu fühlen, und zwar mit einem Pathos, der vielen von uns unerträglich und möglicherweise sogar unaufrichtig erscheint.“ (Gumbrecht 2012, S. 213.)

  26. 26.

    Zu Koeppens Roman in diesem Kontext siehe auch: Margarete Mitscherlich, Erinnerungsarbeit. Zur Psychoanalyse der Unfähigkeit zu trauern, Frankfurt am Main 2006, S. 127–144.

  27. 27.

    Koeppen 2017, S. 23. Zu diesen Sachzwängen siehe auch Österreich, Flucht ins Autoritäre, S. 23 und S. 80–85. Zu den Sachzwängen zählt Österreich nicht nur die blinde Akzeptanz ökonomischer und administrativer Entscheidungen, sondern auch die Identifikation mit den Siegermächten und ihren Werten.

  28. 28.

    Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1990, S. 20–26. Zum Denken in Sachzwängen, weil man sich die Welt nur als eindimensional vorstellen kann und die Dinge nicht mit Sinn, sondern mit ihrem bloßen Funktionieren gerechtfertigt werden, weil „das gegebene Universum der Tatsachen als den endgültigen Zustand“ hinnimmt, siehe: Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, München 1994, S. 13. Sowie aus jüngerer Zeit: Oliver Decker, „Flucht ins Autoritäre“, in: Oliver Decker und Elmar Brähler (Hg.), Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft, Gießen 2018, S. 41–48. Die Bedeutung der ökonomischen Rationalität enthält automatisch auch die Autorität der Rationalität als solche, was sich beim autoritären Charakter dann auch dadurch äußert, dass er Sachzwänge ohne Widerspruch und Reflektion akzeptiert. Sowie: Detlef Österreich, Flucht ins Autoritäre, S. 72–76.

  29. 29.

    Sigmund Freud, „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“, in: Gesammelte Werke, Band 10, S. 336. Eine die Kulturheuchelei dekuvrierende, aber immer noch kulturvierte „Gefühlsbefreiung by proxy“ ist dann weniger schlimm als von Christine Kirchhoff angenommen. Vgl. Christine Kirchhoff, „Gefühlsbefreiung by proxy. Zur Aktualität des autoritären Charakters“, in: Katrin Henkelmann (et al.), Konformistische Rebellen. Zur Aktualität des autoritären Charakters, Berlin 2020, S. 213–227.

  30. 30.

    Die Nebenwirkungen dieser starren Realitätsorientierung formulieren rund 20 Jahre nach Kriegsende Alexander und Margarete Mitscherlich. Aufgrund der Unfähigkeit über die Vergangenheit zu trauern, will „kein lebendiges, spannungsreiches Leben unter unserer demokratischen Verfassung in der Bundesrepublik aufkommen“; stattdessen dominieren „autoritäre Verwaltungsroutine und sterile Reaktionsweisen“ vor. Vgl. Die Unfähigkeit zu trauern, S. 38.

  31. 31.

    Dass die Elterngeneration von 1933 die Generation von 1968 zweifelsohne gegen ihren Willen produzierte, schildern kurz und bündig die Kapitel „Befreiung vom Elend der Gegenwart“ und „Was die Studenten dachten“ in Götz Alys äußerst kritischer Abrechnung mit den 68ern. Götz Aly, Unser Kampf. Ein irritierender Blick zurück, Frankfurt am Main 2008, S. 61–88.

  32. 32.

    Mit den USA als demokratische Vaterfigur treten die Deutschen nicht nur tiefer in die Kulturindustrie ein, sondern sie vermischt sich auch mit dem Politischen. Masse und Industrie sind jetzt kein Betrug mehr, der aus Hollywood oder Washington kommt, sondern die Ressourcen des neuen demokratischen Lebens und der Kultur. Vgl. hierzu Detlef Siegfrieds ausführliche Studie aus dem Jahre 2016 Time is on my Side, deren Titel bereits die jugendliche Stimmung auf den Punkt bringt und im Untertitel Konsum und Politik in der westlichen Jugendkultur die Widersprüche der neuen Popkultur. Auch Kaspar Maase, BRAVO Amerika. Erkundungen zur Jugendkultur der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, Hamburg 1992, S. 74: „Orientierung auf die Vereinigten Staaten war in keiner Weise oppositionell, entsprach vielmehr der Staatsräson. Dadurch abgesichert, konnte man in den Konflikt gehen, der bei konsequenter ‚Amerikanisierung‘ aufbrechen musste.“

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Clemens, M. (2022). Unmittelbarkeit und Realitätsbewusstsein. Das godoteske Bewegungsbild des autoritären Charakters in der Nachkriegszeit. In: Clemens, M., Päthe, T., Petersdorff, M. (eds) Die Wiederkehr des autoritären Charakters. Kritische Theorien in der globalen Moderne. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36203-4_7

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