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Ironien des Anti-Autoritären. Eine Relektüre von Richard Sennetts Autorität

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Die Wiederkehr des autoritären Charakters

Part of the book series: Kritische Theorien in der globalen Moderne ((KTGM))

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Zusammenfassung

Christoph Paret stellt sich der Frage, wie man die Ungläubigkeit zu verstehen hat, die das Autoritäre neuerdings kennzeichnet. Offensichtlich feit die Ablehnung von Autorität nicht vor Autoritätshörigkeit. Paret verknüpft diese Frage wiederum mit der Beobachtung von neuen Formen der Machtausübung, die über das Zulassen von Freiheiten funktionieren. Diese Autorität operiert nicht mehr über Verbote und Unterdrückung, sondern über den Anschein von Autonomie, der den ‚Zögling‘ sich selbst und somit seiner eigenen Haltlosigkeit überlässt und eben genau dadurch eine Sogwirkung erzeugt. Die Autorität sitzt also entgegen verbreiteten Annahmen im Abseits. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer subversiv sein will, begibt sich in einen Raum der Hörigkeit. Dies trifft aber nicht nur auf die neue Autorität der Schein-Autonomie zu. Auch die paternalistische Autorität und ihre Empfänger heben sich immer von der bestehenden Ordnung ab. Zwischen ihnen drohen diejenigen hin und her getrieben zu werden, die versuchen, sich der Autorität zu entziehen. Die von Paret vorgeschlagene Alternative sieht wie folgt aus: Statt Autorität abzulehnen – und ihr so wieder zu verfallen – sollte man sie vor sich hertreiben.

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Notes

  1. 1.

    Im Übrigen hätte ihm Hannah Arendt in diesem Schritt, wenn auch aus anderen Gründen, beigepflichtet. Arendt trennt zwischen Autoritarismus und Totalitarismus: „Ein autoritär geleitetes Gemeinwesen wie die Katholische Kirche ist nicht totalitär, und totale Herrschaft, wie wir sie von den Hitler- und Stalin-regimen kennen, hat mit Autorität nicht das geringste zu tun. Aufgabe der Autorität ist immer gewesen, die Freiheit zu begrenzen und gerade dadurch zu sichern, so daß eine autoritäre Staatsform ihre eigentliche Substanz verliert, wenn sie die Freiheit schlechterdings abschafft. Sie ist dann eben nicht mehr autoritär, sondern tyrannisch“ (Arendt 1994, S. S. 162).

  2. 2.

    Arendt sagt Mitte der 1950er Jahre, „daß wir in der modernen Welt kaum noch Gelegenheit haben zu erfahren, was Autorität eigentlich ist“ (Arendt 1994, S. 159). Luhmann beobachtet Mitte der 70er Jahre (also zu dem Zeitpunkt, wo Sennett seine Überlegungen vorträgt), „daß die Frage nach der ‚Legitimität von Herrschaft‘ schlechthin (und nicht als Frage nach der Legitimität eines Herrschers) gestellt wird; und heute schon zunehmend (…) gar nicht mehr gestellt wird, sondern ihre Beantwortung im negativen Sinne unterstellt wird“ (Luhmann 2003, S. 133).

  3. 3.

    In seinen ideengeschichtlichen Ausführungen zum Autoritätsbegriff führt Herbert Marcuse die unkritische Hinnahme von Autorität als solcher auf die Lutherische Trennung von Amt und Person zurück: „Das Amt behält seine unbedingte Autorität, auch wenn die amtierende Person diese Autorität nicht verdient.“ (Marcuse 2005, S. 144) Bemerkenswerterweise resultiert für Marcuse daraus nicht die Ablehnung von Autorität per se, Vielmehr gelte es einen „positiven Autoritätsbegriffs“ zu entwerfen (Marcuse 2005, S. 210). Autorität ist, wie es mit Friedrich Engels heißt, in zweierlei Hinsicht unabdingbar: Als „Sach-Autorität“, und zwar auch noch in „einer zukünftigen Gesellschaft“, die den Kapitalismus hinter sich gelassen haben wird, und sodann in Form jener Autorität, die für den Übergang in ebendiese Art der Gesellschaft ursächlich sein wird. Eine entscheidende Funktion „echter Autorität“ wäre nämlich die „Rolle der Führung und der führenden Partei in der Revolution“ (Marcuse 2005, S. 210 f.).

  4. 4.

    Bei dieser Art der Negation von Autoritäten handelt es sich, mit Jon Elster gesagt, um eine aktive anstelle einer passiven Negation (in Analogie etwa zum Unterschied zwischen der Ablehnung des Atheisten und der Indifferenz des Agnostiker) Im Hintergrund schwebt hier die Frage, ob die wahre Freiheit besser gegen oder ohne alle Autorität zu erlangen ist. Wenn Sennetts Kritik zutrifft, dann bestünde die entscheidende, nämlich die emanzipierende, Differenz zur Autorität letztlich in Indifferenz. Und dafür wäre es immer schon zu spät, sobald man die Autorität auch nur in den Blick genommen hätte. Vgl. Elster (1985).

  5. 5.

    Ich denke hier etwa an die kantische Bestimmung des Rechts als „Inbegriff der Bedingungen […][,] unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (Kant 1979, S. 337 [AB 33]).

  6. 6.

    Dies ist der Grund, weshalb die Erschütterung des Autoritätsbegriffs nicht den Machtbegriff stärkt, das Moment des Zwanges fehlt hier völlig.

  7. 7.

    Vgl. dazu Butler (2001, S. 101–123) und Bedorf (2010, S. 78–84).

  8. 8.

    Vgl. Bröckling (2007, S. 27–31).

  9. 9.

    Vgl. Kojève (2020, S. 15–25) und Arendt (1994, S. 159 f.).

  10. 10.

    Ein erhellendes Fallbeispiel diskutiert Barker (1993).

  11. 11.

    Vgl. Foucault (2004, S. 88 ff.). Dazu kritisch: Groys (2000, S. 220 f.).

  12. 12.

    So das Resümee Marcuses (2005, S. 144).

  13. 13.

    Dirk Baecker sekundiert Luhmann, wenn es heißt, „dass die Macht der einzige gesellschaftliche Ort ist, an dem die Willkür eine Chance hat.“ (Baecker 2009, S. 31).

  14. 14.

    Zu den sozialen Verwerfungen der Marktgesellschaft vgl. Polanyi (1978, S. 224–243).

  15. 15.

    Um nur ein Beispiel zu nennen. Pierre Bourdieu zufolge geht es darum, die „primären Evidenzen“ zu durchbrechen. Als Weg dahin empfehle sich „die Historisierung, die es ermöglicht, die Auswirkungen dieser Naturalisierung und insbesondere das Vergessen der individuellen und kollektiven Genese einer Gegebenheit, die sich als durch und durch natürlich ausgibt und als bare Münze genommen werden will, taken for granted, zumindest im Bereich der Theorie zu entschärfen“ (Bourdieu 2001, S. 233 f.).

  16. 16.

    Für eine derartige Verflüssigung spricht sich etwa der späte Foucault aus, wenn er die Momente problematisiert, wo sich reversible Machtbeziehungen zu Herrschaftsverhältnissen versteinern. Vgl. Foucault (2005, S. 878).

  17. 17.

    Vgl. Baudrillard (2012, S. 175–178).

  18. 18.

    Zu diesem Begriff vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson, Bern 2011, S. 232 ff.

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Paret, C. (2022). Ironien des Anti-Autoritären. Eine Relektüre von Richard Sennetts Autorität. In: Clemens, M., Päthe, T., Petersdorff, M. (eds) Die Wiederkehr des autoritären Charakters. Kritische Theorien in der globalen Moderne. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36203-4_12

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