Schlüsselwörter

1 Einleitung

Freiwilliges Engagement in einer Kleinstadt profitiert von der (räumlichen) Nähe der Einwohner*innen untereinander. Eine Stadt der „kurzen Wege“ zur Administration, zu Vereinen und Unternehmen eröffnet eine breite Palette an Ideen und Unterstützung für Engagement. Denn die Zuständigen in Politik und Verwaltung erscheinen für die Zivilgesellschaft nahbarer, ein Agieren auf Augenhöhe scheint eher möglich, sollte man meinen. Doch wie gestaltet sich freiwilliges Engagement, wenn knapp über die Hälfte der kleinstädtischen Bevölkerung weggezogen ist, vor allem junge Menschen; wenn aufgrund knapper kommunaler Haushaltsmittel vor allem freiwillige Daseinsvorsorgeleistungen wegfallen; wenn es sich lokale Unternehmen weder in Form von Finanzmitteln noch Humankapital leisten können, sich in ehrenamtliches Arbeiten einzubringen? Nadler (2017, S. 456) spricht hier von einem geografischen Dilemma, da sich diese Rahmenbedingungen vor allem in strukturschwachen, ländlich-peripheren Räumen wiederfinden: Dort, wo mit freiwilligem Engagement Daseinsvorsorgeleistungen erbracht werden könnten, fehlen durch den demografischen Wandel die Menschen, die sie erbringen könnten. Deshalb erscheint es umso wichtiger, Engagementpotenziale in diesen Regionen zu bündeln und zu stärken.

Schaut man sich die empirischen Befunde des Freiwilligensurveys 2014 an, so engagieren sich eher jüngere Bevölkerungsgruppen (46,9 % im Alter zwischen 14 und 29 Jahren, 47,0 % im Alter zwischen 30 und 49 Jahren im Vergleich zu den über 65-Jährigen mit 34,6 %, Vogel et al. 2016, S. 93). Dabei engagieren sich Frauen weniger (41,5 %) als Männer (45,7 %) (ebd.). Frauen sind in Leitungspositionen im Ehrenamt und bestimmten Engagementbereichen, wie zum Beispiel im Sport, unterrepräsentiert. Vor allem junge Frauen im Alter zwischen 25 und 30 Jahren sind seltener ehrenamtlich engagiert als Männer (BMFSFJ 2012, S. 13). Aufgrund dieser empirischen Befunde stellen sich folgende Fragen: Wie und in welchen Bereichen gestalten junge Frauen ihre Kleinstadt mit? Welche Rahmenbedingungen hindern junge Frauen an der Ausübung einer freiwilligen Arbeit, welche sind förderlich? Der Beitrag verfolgt das Ziel, ein tieferes Verständnis für die Belange von jungen Frauen im freiwilligen Engagement zu vermitteln und Rahmenbedingungen aufzuzeigen, die es jungen Frauen ermöglichen, sich stärker zu engagieren.

Um die beiden Fragen auch im räumlichen Kontext unter Schrumpfungsbedingungen in einer strukturschwachen Region beantworten zu können, stützt sich der Beitrag auf die empirischen Befunde aus dem Forschungsprojekt „Kleinstadt_gestalten“, welches von 2016 bis 2019 in Weißwasser/Oberlausitz in Nordsachsen im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ durchgeführt wurde.

Das folgende Kapitel beginnt mit einer kurzen Begriffsklärung zum freiwilligen Engagement und dessen Inhalten, um anschließend den Stand der Forschung zum freiwilligen Engagement in Deutschland anzureißen. Vor allem die derzeitige Situation der jungen Frauen im freiwilligen Engagement wird dabei detailliert betrachtet. Im Kap. 3 werden die empirischen Befunde der ethnografisch angelegten Einzelfallanalyse in Weißwasser über engagierte und kaum engagierte junge Frauen lebensweltlich dargestellt und, die im Kap. 4 im Sinne der Mitgestaltung und Koproduktion diskutiert. Im Fazit werden Rahmenbedingungen erläutert, die aus der lebensweltlichen Sicht der jungen Frauen sowohl eine Aktivierung zum Engagement wie auch die Weiterführung von Engagement ermöglichen.

2 Freiwilliges Engagement in Deutschland

Laut dem Dritten Engagementbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bezieht sich freiwilliges Engagement auf freiwillige Arbeit, „findet im öffentlichen Raum statt, ist gemeinschaftsbezogen, dient dem Gemeinwohl und ist nicht auf materiellen Gewinn gerichtet“ (BMFSFJ 2020, S. 10). Dabei spielt für die Gemeinnützigkeit des Engagements eine wesentliche Rolle, etwas für die Gemeinschaft zum Wohle anderer zu leisten (Mettenberger und Küpper 2019, S. 3). Freiwilliges Engagement kann verschiedene Formen annehmen (BMFSFJ 2017, S. 6). Diese reichen vom formellen Engagement in Vereinen (dem traditionellen Ehrenamt), zum Beispiel als Trainer*innen im Sportverein, bis hin zu einem eher informellen Charakter in Form von Initiativen, Interessengruppen oder Bürgerprojekten (Mettenberger und Küpper 2019, S. 3; Kummel 2020, S. 7), wo eine breite Öffentlichkeit erreicht werden möchte. Eine andere Form des Engagements ist die informelle Unterstützung. Diese findet abseits des öffentlichen Raumes statt und entspricht dem Charakter nach privatem Engagement, da sie vor allem im engen Freundes- und Nachbarschaftskreis außerhalb der Kernfamilie stattfindet (vgl. Brauer 1999; Kummel und Nadler 2018). Dazu zählen zum Beispiel die Versorgung bewegungseingeschränkter Nachbar*innen (Mettenberger und Küpper 2019, S. 3; Simonson et al. 2016, S. 17), die Pflege von Freund*innen, Nachbar*innen und Verwandten. Allerdings merken Kausmann et al. (2017, S. 44) zur Kinderbetreuung folgendes an: „Informelle Kinderbetreuung und instrumentelle Hilfeleistungen sind private Unterstützungsleistungen [sprich privates Engagement (Anmerkung der Autorin)]. Diese werden ebenso wie das Engagement freiwillig und unentgeltlich ausgeübt, zählen aber im Deutschen Freiwilligensurvey nicht als freiwilliges Engagement“, da dieses im öffentlichen Raum stattfindet. Deshalb wird in diesem Beitrag von privatem Engagement gesprochen, wenn Unterstützungsleistungen für Nachbar*innen, Freund*innen, Bekannte und Familienmitglieder privat organisiert werden und auch im privaten Raum stattfinden. Somit umfasst privates Engagement sowohl die informelle Unterstützung im Sinne des Freiwilligensurveys als auch die informelle Kinderbetreuung durch Freunde oder Familienmitglieder außerhalb der Kernfamilie, die nicht im Freiwilligensurvey erfasst wird. Gerade Frauen engagieren sich in diesem Bereich, wie im Abschn. 2.2 näher erläutert wird. Mit dieser Definition grenzt sich das private Engagement, obwohl freiwillig erbracht, vom freiwilligen Engagement ab, da es nicht im öffentlichen, sondern im privaten Rahmen stattfindet. Somit bildet das private Engagement für Männer und Frauen die Möglichkeit, sich abseits des öffentlichen Raumes zu engagieren, und stellt damit einen nicht zu unterschätzenden Faktor im Engagement.

2.1 Thematische Einordnung des freiwilligen Engagements

Zum Engagement in Deutschland gibt es zahlreiche Berichte, Surveys und Fachpublikationen. So werden seit 1999 im fünfjährigen Turnus (2004, 2009, 2014, 2019 [zurzeit noch nicht veröffentlicht]) Freiwilligensurveys zu aktuellen Entwicklungen und Trends von Engagement (Simonson et al. 2016, S. 25) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) durchgeführt. Die Engagementberichte der Bundesregierung greifen bestimmte Themenbereiche auf: junges Engagement im digitalen Zeitalter (3. Engagementbericht 2020), demografischer Wandel (2. Engagementbericht 2017) und Kultur und Mitverantwortung (1. Engagementbericht 2012) (BMFSFJ 2020). Im Engagementatlas 2009 und 2015 der AMB Generali Holding AG werden ebenfalls themenbezogen die aktuellen Trends des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland dargestellt.

Fachpublikationen betrachten häufig das Thema Engagement im Zusammenhang mit raumstrukturellen Aspekten, etwa die unterschiedliche Ausprägung in Kleinstädten, Großstädten, Dörfern oder im peripheren ländlichen Raum (Scherger et al. 2004; Steinführer et al. 2016). Meist erfolgt diese Betrachtung unter dem Einfluss des demografischen Wandels und als Beitrag zur kommunalen Daseinsvorsorge (Reim und Schmidthals 2008; Klie und Marzluff 2012; Maretzke 2013; Steinführer und Moser 2016). Dabei wird davon ausgegangen, dass unter Schrumpfungs- und Alterungsprozessen der Bevölkerung freiwilliges Engagement eine bedeutende Sinnzuschreibung als verbindendes Element der Gesellschaft und als Form der gesellschaftlichen Teilhabe an der Ausgestaltung der kommunalen Daseinsvorsorge erfährt (Olk und Gensicke 2014; Küpper und Steinführer 2017; Kummel und Nadler 2018).

Gerade in der Bereitstellung von weggefallenen freiwilligen Daseinsvorsorgeleistungen können im Sinne von Koproduktion zwischen der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Hand durch freiwilliges Engagement Lücken teilweise geschlossen werden. Denn Koproduktion bedeutet, laut Boyle und Harris (2009, S. 3), das Zusammenarbeiten von Anbieter*innen und Nutzer*innen öffentlicher Dienstleistungen in „gleichberechtigten Partnerschaften“. Munoz et al. (2014) verstehen Koproduktion als eine freiwillige Tätigkeit mit hohem Engagement, die zudem ein gewisses Maß an bürgerschaftlicher Einflussnahme und Kontrolle beinhaltet. Dieses „staatlich-gesellschaftliche Engagement“ bietet demnach eine umfassendere Vorstellung von Koproduktion als die Definition von Boyle und Harris im Sinne von „gemeinschaftlich lösungsgenerierenden Prozessen“ wie Wissensaustausch und Vernetzung (Watson 2014, S. 13).

In der Debatte um den Beitrag des Engagements zur kommunalen Daseinsvorsorge wird auf den Anspruch der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ hingewiesen, die auf dem Dorf wie in der Stadt gewahrt bleiben müssten (Maretzke 2013; BBSR 2017). Tatsächlich wurden in von Schrumpfung betroffenen Kommunen durch Sparmaßnahmen aufgrund fehlender Steuereinnahmen Leistungen im Bereich der freiwilligen kommunalen Pflichtaufgaben gekürzt. Dazu zählen unter anderem Kultur-, Kinder- und Jugendfreizeitangebote. Auch Pflichtaufgaben mit Weisung, wie Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Abfallentsorgung oder Brandschutz, wurden häufig an Dritte vergeben (Barlösius und Neu 2008; Aring 2013; Nadler 2017).

Zudem werden Unterschiede in der Zahl und der Form des Engagements zwischen Ost- und Westdeutschland und nach Regionen thematisiert. Die Zahl der engagierten Ostdeutschen ist geringfügig niedriger als die der engagierten Westdeutschen. Zudem erfreut sich die Vereinsarbeit in Westdeutschland größerer Beliebtheit, während in Ostdeutschland die informelle Unterstützung im Freundes, Nachbarschafts- und Verwandtenkreis häufiger vorkommt (Erlinghagen 2009; Olk und Gensicke 2014). Auch die zivilgesellschaftliche Zusammensetzung wird beleuchtet. Zum Beispiel zeigen Zivilgesellschaften mit hoher Arbeitslosenquote niedrigere Engagementzahlen als mit niedriger Arbeitslosenquote (Kleiner und Klärner 2019). Häufig wird im Zuge des demografischen Wandels von gesellschaftlichen Überalterungsprozessen und Abwanderung jüngerer Altersgruppen gesprochen, welche sich wesentlich auf die Engagementquoten und die Form des Engagements auswirken (Nadler 2017; Brauer 2009; Kleiner und Klärner 2019). Angehörige der unteren sozialen Schicht engagieren sich seltener als die der mittleren sozialen Schicht, Gebildete häufiger als Ungebildete (Brauer 2009, S. 176).

Hinsichtlich der Bereiche, in die sich gemeinnützig eingebracht wird, werden Form und Regelmäßigkeit von Engagement in Vereinen, politischen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Initiativen thematisiert. Die Gewichtung der zentralen Bereiche Sport, Kultur, Bildung, Gesundheit, Soziales, Religion, Natur- und Umweltschutz hängt unter anderem von infrastrukturellen Rahmenbedingungen, Missständen, Traditionen oder geschlechterspezifischer Präferenzen ab (Brauer 2005; Gundert 2010; Steinführer et al. 2012; Olk und Gensicke 2014; Kummel und Nadler 2018; Kleiner und Klärner 2019).

Die Engagementverläufe werden von Hollstein (2015) und Ehrhardt (2011) betrachtet, die zu dem Schluss kommen, dass Engagementbiografien nicht immer geradlinig verlaufen, sondern sich dynamisch zeigen, abbrechen und wieder aufgenommen werden können. Hollstein und Eckhardt sprechen daher von perforierten Engagementverläufen. Aber auch die unterschiedlichen Faktoren zur Motivation wie Gemeinsinn, Eigensinn, eigene Betroffenheit, Spaß und Freude spielen bei Aufnahme und Dauer von Engagement eine entscheidende Rolle (Kelemen et al. 2017; Mettenberger und Küpper 2019). Hemmende Rahmenbedingungen, wie Ressourcenknappheit oder private Veränderungen, können sogar zum Abbruch des Engagements führen (Kummel 2020).

2.2 Freiwilliges Engagement bei Frauen

Häufig wird auch auf die unterschiedlichen Protagonisten im freiwilligen Engagement eingegangen. Jüngere Generationen beteiligen sich eher an informellen Engagementformen und zeitlich begrenztem Engagement (Kleiner und Klärner 2019). Ältere Bevölkerungsgruppen engagieren sich vorzugsweise im traditionellen Ehrenamt (Kocka und Brauer 2009). Allerdings engagieren sich Junge wie Alte kaum oder selten ohne entsprechende Anregungen und Motive und sollten dementsprechend auf spezifische freiwillige Aktivitäten angesprochen werden (Brauer 2009). Wie Mettenberger und Küpper (2019) anmerken, ist freiwilliges Engagement nur ein Teil der Beschäftigungen jüngerer Senior*innen, da ihre Prioritäten eher in Freizeitaktivitäten, Reisen, Zeit für sich selbst und für den Partner und die Enkelkinder liegen (S. 17). Die engagiertesten Männer und Frauen sind Jugendliche zwischen 14 und 29 Jahren und Erwachsene zwischen 35 und 49 Jahren mit fast 50 % (Kummel 2020, S. 5).

Wie in der Einleitung angerissen, engagieren sich Frauen jedoch im Laufe ihres Lebens weniger als Männer. Je nach Altersgruppe unterscheidet sich das Engagement zwischen Frauen und Männern deutlich. Frauen im Alter zwischen 25 und 29 Jahren engagieren sich zu 37,8 % und Männer zu 42,6 %. In der Altersgruppe von 30 bis 34 Jahren nimmt der Unterschied ab und liegt bei 40,1 % engagierter Frauen und 42,3 % engagierter Männer (Kausmann et. al 2017, S. 16). In ländlich-peripheren Räumen engagieren sich Frauen zudem prozentual weniger als in Städten (Kleiner und Klärner 2019, S. 19). Betrachtet man weitere Unterschiede im Engagement zwischen Frauen und Männern, so unterscheiden sich auch die Bereiche, in denen sie aktiv sind. Während Männer im Sport deutlich häufiger engagiert sind, beteiligen sich Frauen häufiger in Schule und Kindergarten und im religiösen Bereich. Auch in Leitungspositionen im Ehrenamt finden sich signifikant mehr Männer als Frauen (bei der Altersgruppe von 30 bis 34 Jahren: Frauen 18,2 % und bei den Männern 30,5 %) (Kausmann et al. 2017, S. 16, 21).

Gabler et al. (2016) sehen die Ursachen für diesen Unterschied zum einen in der sozialen Marginalisierung der Frauen, zum anderen in geringen Verwirklichungsräumen qualifizierter Frauen. Dennoch schaffen sie sich eigene Räume der Unabhängigkeit und bringen neue Impulse für neue Formen freiwilligen Engagements ein (S. 5). Von engagierten Frauen wird berichtet, dass im Verlauf ihres Engagements hierarchische Strukturen und Vereinnahmung ihrer Ideen, aber auch Zeitmangel durch berufliche und private Herausforderungen zu demotivierenden, verzögernden Phasen in ihrer freiwilligen Arbeit geführt haben (Kummel 2020, S. 12). Zudem leiden Frauen unter einer höheren Arbeitsbelastung, da ihnen Multitasking abverlangt wird, um Beruf und Familie zu vereinbaren (Gabler 2019, S. 430). So ist es nicht verwunderlich, dass Frauen sich weniger stark engagieren.

Dennoch sind, laut der Sonderauswertung zur Genderspezifik des Freiwilligensurvey 2014, gerade Kinder ein Schlüssel zu freiwilligem Engagement. In Haushalten ohne Kinder fällt das Engagement aufgrund weniger Zugangsmöglichkeiten zum Ehrenamt geringer aus. Allerdings führt das Alter der Kinder zu Unterschieden zwischen Frauen und Männern. Befinden sich Kinder unter drei Jahren im Haushalt, engagieren sich zu 4,7 % häufiger Männer als Frauen. Erreichen die Kinder ein Alter von 6 bis 14 Jahren, engagieren sich 3,8 % mehr Frauen als Männer, vorzugsweise in kinderrelevanten Bereichen wie Schule und Freizeitaktivitäten (Kausmann et al. 2017, S. 16, 24–26). Vergleicht man nun das Maß der beruflichen Tätigkeit mit dem Engagement, so sind Frauen in Teilzeit viel häufiger engagiert als Frauen in Vollzeit (Frauen in Vollzeit 42,8 % und in Teilzeit 55,3 %). Frauen in Teilzeit mit Kindern unter 14 Jahren im Haushalt sind am engagiertesten (Frauen mit Kindern in Vollzeit: 55,7 %, in Teilzeit 62,5 %), da sie erleichterten Zugang zu Engagementmöglichkeiten durch die Kinder haben (ebenda, S. 26–31). Dabei übernehmen Frauen häufig die private Kinderbetreuung für nicht-verwandte Kinder, die eine bedeutende Ergänzung zum institutionellen Betreuungsangebot darstellt. So engagieren sich 45 % der vollerwerbstätigen Mütter und 43,3 % der Mütter in Teilzeit in der privaten Kinderbetreuung. Damit verbinden sie häufig die Betreuung der eigenen Kinder unter 14 Jahren (ebenda, S. 44). Dazu äußert sich der Freiwilligensurvey 2014, dass auch außerhalb der institutionellen Kinderbetreuung Betreuungsbedarf aufgrund beruflicher Verpflichtungen besteht (Vogel und Tesch-Römer 2016, S. 255) Dabei übernehmen 19 % der Bevölkerung die Betreuung für Kinder von Nachbar*innen, Freund*innen und Bekannten und 18,6 % für Kinder aus dem Familienkreis. Die Pflege von Familienangehörigen übernehmen 9,8 % der Bevölkerung (ebenda, S. 274). Private Kinderbetreuung und Pflege wird dabei häufiger von Frauen übernommen (Kummel und Nadler 2018, S. 58). Die Doppelbelastung der Frauen zeigt sich in der Häufigkeit des ausgeübten Engagements, da auch vollbeschäftigte Frauen in einer Partnerschaft einen größeren Teil der Hausarbeit übernehmen und somit über weniger freie Zeit verfügen als Männer (Kausmann et al. 2017, S. 50). Laut Kausmann et al. (2017, S. 58) sind diese Zeitrestriktionen ausschlaggebend für das geringere freiwillige Engagement von Frauen.

3 Junge Frauen in ihren Alltagswelten – Wo bleibt die Zeit, sich zu engagieren?

Welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit junge Frauen sich freiwillig engagieren, welche Hürden den Frauen im Engagement begegnen und in welchen Bereichen sie sich engagieren, wird in diesem Kapitel durch empirische Befunde aus dem Forschungsprojekt „Kleinstadt_gestalten“ erläutert.

3.1 Die Kleinstadt Weißwasser in der Oberlausitz

Als Fallbeispiel im Projekt „Kleinstadt_gestalten“ (Kleinstadt macht Leute, Leute machen Kleinstadt: Innovative Anreizsysteme für aktive Mitgestaltung im demografischen Wandel am Beispiel Weißwasser/Oberlausitz) wurde die Kleinstadt Weißwasser im Norden des Landkreises Görlitz in Sachsen ausgewählt. Gefördert wurde das Projekt durch die Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2016–2019. Ziel dieses Projektes war es, die spezifischen Bedürfnisse der Bevölkerungsgruppen Jugendliche, junge Frauen und Rückkehrer/Zugezogene zu erforschen, die Anreiz- und Anerkennungskultur für deren Engagement auszubauen und mehr Möglichkeitsräume für sie zu schaffen. Damit sollten Anreiz- und Aktivierungsmechanismen für die drei Zielgruppen erprobt und ein kontinuierliches Engagement sichergestellt werden. Im Rahmen des Projektes wurden acht Bürgerprojekte initiiert und bei der Durchführung durch zwei Mitarbeiter eines Vor-Ort-Teams und durch einen Kleinprojektefonds, angebunden an die Stadtverwaltung, unterstützt.

Weißwasser wurde als Modellkommune ausgewählt, weil sich nach der politischen Wende 1990 ein enormer demografischer Wandel vollzog. Die Industriestadt, gewachsen durch die Glas- und Montanindustrie, schrumpfte von rund 38.000 Einwohner*innen 1989 auf rund 16.000 Einwohner*innen im Jahr 2018 (Kummel 2020, S. 6). Vor allem jüngere Bevölkerungsgruppen verließen die Stadt, und zurück blieb eine überalterte Bevölkerung (Stölzel 2019). Die rasanten demografischen Veränderungen stellen die Stadtverwaltung im Bereich der Daseinsvorsorge vor enorme Herausforderungen, zumal auch die kommunalen Finanzspielräume abnehmen. So musste die Stadt 2016 mehrere Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen, gleichzeitig entfielen freiwillige gewerbliche Zuschüsse im höheren sechsstelligen Bereich (Moeritz 2016). In dieser schwierigen Lage können freiwillige Aufgaben der Daseinsvorsorge nicht mehr im bisherigen Umfang von der Kommune getragen werden, weshalb auch auf die Unterstützung der Bevölkerung gesetzt wird. Aber dadurch, dass gerade jüngere Bevölkerungsschichten massiv abgewandert sind, fehlt die „kritische Masse“, wie eine interviewte Frau bemerkt: „Aber klar, es fehlt hier einfach, speziell in Weißwasser, an unserer Altersgruppe auch. An einer gebildeten Altersschicht so zwischen 30 und 45. Die Gruppe fehlt sowieso […]. Die sind auch tatsächlich weggezogen“ (Int. engagierte Frauen 03, 24.07.2017). Das Engagement wird dann auf die wenigen Schultern verteilt, die sich für das Gemeinwohl einsetzen: „Es bleibt immer an denen hängen, die eh schon immer zu tun haben“ (Int. engagierte Frauen 04, 21.03.2018).

3.2 Methodische Herangehensweise

Die Begleitforschung des Projektes „Kleinstadt_gestalten“ wurde als ethnografisch angelegte Einzelfallstudie durchgeführt (vgl. Flick 2012). Im Mittelpunkt stand die Prozessbegleitung der acht Bürgerprojekte hinsichtlich ihres freiwilligen Engagements und ihrer durchgeführten Aktionen, wie Upcycling Events, Meetings zum Ideenaustausch etc. Dabei wurden leitfadengestützte Einzelinterviews, Gruppendiskussionen und teilnehmende Beobachtungen durchgeführt und ein Feldtagebuch geführt (vgl. Patton 1990). Die Methodik der ethnografischen Studie wurde ausgewählt, weil sie detaillierte Einblicke in die Alltagswelt der Protagonist*innen erlaubt. Vor allem sollten Ermöglichungs- und Ausgestaltungsräume für die einzelnen Zielgruppen ausgelotet werden, wie sie freiwilliges Engagement in ihren Alltag integrieren. Die drei Zielgruppen wurden aber nicht nur innerhalb des Projektes interviewt, es wurden auch zielgruppenspezifische Interviews in der Stadtbevölkerung durchgeführt, um die Einstellung der vermeintlich kaum engagierten Bevölkerung zu freiwilligem Engagement abzubilden und sie der von engagierten Personen gegenüberzustellen. Dabei wurden zehn Personen pro Zielgruppe interviewt, die durch das Schneeballprinzip ausgewählt wurden. Da das Projektteam wahrnahm, dass sich bereits viele Frauen in Weißwasser engagieren, wurden zusätzlich vier engagierte Frauen interviewt, die nicht durch „Kleinstadt_gestalten“ unterstützt wurden, sondern sich in anderen Bereichen engagierten. Insgesamt wurden für diesen Beitrag 24 Einzelinterviews (zehn Interviews mit jungen Frauen aus der Bevölkerung, vier Interviews mit engagierten Frauen und jeweils zwei Interviews – Auftakt- und Abschlussinterview – mit fünf engagierten Frauen aus dem Projekt „Kleinstadt_gestalten“) und die Einträge des Feldtagebuchs ausgewertet. Als „junge“ Frauen wurden Frauen der Altersgruppen zwischen 20 und 45 Jahren verstanden, da diese Altersgruppe stark in die Kindererziehung von Säuglingen bis Grundschulkindern eingebunden ist und somit ein erhöhter Betreuungsbedarf der Kinder besteht, ergo laut Kausmann et al. (2017, S. 58) weniger Zeit für Engagement zur Verfügung steht.

Die Feldtagebuchnotizen und die Transkripte der Leitfadeninterviews wurden mit Hilfe der qualitativen strukturierten Inhaltsanalyse (Mayring 1994) ausgewertet, um sie verstehend zu interpretieren und ein realistisches Bild der Frauen aufzuzeigen. Danach wurden die Ergebnisse zusammengefasst und verglichen. Erkenntnisleitend waren folgende Fragen: Welchen Alltag haben die Frauen? Welche Engagementverläufe ziehen sich durch ihr Leben? Warum engagieren sich Frauen und warum nicht? Und wie engagieren sie sich?

Die Ergebnisse beziehen sich auf die Rahmenbedingungen und Umstände in Weißwasser und sind deshalb stark räumlich selektiv. Das heißt, eine Generalisierung oder Übertragung auf andere Kleinstädte kann nur bei ähnlichen Rahmenbedingungen und ähnlicher Struktur der Stadtbevölkerung stattfinden. Um aus den Erkenntnissen allgemeingültige Aussagen treffen zu können, müssen diese auch in anderen räumlichen Strukturen überprüft werden. Durch Systematisierung des Datenmaterials können folgende drei Gruppen von Alltag-Engagement-Beziehungen identifiziert werden: Kaum Engagement, Gelegenheitsengagement und Alltagsengagement.

3.3 Alltag-Engagement-Beziehungen

Um die drei Gruppen von Alltag-Engagement-Beziehungen nachzuzeichnen, wird exemplarisch für jede Art ein typischer Alltag beschrieben und steht stellvertretend für die jeweilige Gruppe. Das Beispiel wird deshalb als prototypische Alltagswelt aus der Gruppe an Interviews ausgewählt, um ein Verständnis für die jeweilige Entscheidung für das Engagement der erzählenden Frauen zu erzeugen. In die Alltag-Engagement-Beziehungen spielen die Kategorien Alltag und Häufigkeit des Engagements hinein. Die Gruppe „Kaum Engagement“ wird verstehend für die Gründe hinzugenommen, warum Frauen sich in gewissen Lebenssituationen nicht engagieren können. Die Namen der Frauen aus den Beispielen wurden fiktiv gewählt. Abb.1 gibt eine Übersicht über die drei Gruppen und wie sich diese hinsichtlich des Alters der Frauen und ihrer Kinder wie auch des Bildungs- und Berufsstands unterscheiden.

Einordnung der Interviewten in Gruppen von Alltag-Engagement-Beziehungen.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Einordnung der Interviewten in Gruppen von Alltag-Engagement-Beziehungen.

3.3.1 Kaum Engagement

Annas Alltagswelt steht stellvertretend für die Frauen, die kaum Kapazitäten für ein Engagement haben. Anna ist 34 Jahre alt und Mutter von drei kleinen Kindern im Alter von einem, drei und vier Jahren. Vor kurzem haben sie und ihr Mann sich ein Haus gekauft, welches dieser am Wochenende und in den Abendstunden renoviert. Annas Mann arbeitet in Vollzeit und pendelt jeden Tag eine bis anderthalb Stunden zur Arbeit. Beide sind angestellt im öffentlichen Dienst und Akademiker. Gerade befindet sich Anna in Elternzeit. Dadurch, dass Anna gerade ihre komplette Zeit der Kindererziehung widmet und auch nach der Elternzeit wieder in ihren Beruf in Teilzeit (30 Arbeitsstunden pro Woche) mit zusätzlich ein bis anderthalb Stunden Pendelzeit pro Tag einsteigt, sind gerade keine Kapazitäten für ein Engagement frei. Unterstützung findet die Familie in den beiden Großelternpaaren, die in Weißwasser selbst und in der Umgebung leben und teilweise durch die Uromas. Das Hobby, das sie auch schon während ihrer Schulzeit betrieben hat, möchten sie wieder aufleben lassen, um einen Ausgleich zum stressigen Alltag zu haben.

Auch die beiden anderen Frauen haben entweder noch ein Kleinkind oder haben einen stressigen Berufsalltag mit Abendveranstaltungen, in dem ein Engagement keinen Platz findet. Zudem haben beide Familien keine regelmäßige Unterstützung durch Familienangehörige. Die vollerwerbstätige Frau ohne Kinder integriert gelegentliche eine informelle Unterstützung durch die Beratung von Geflüchteten in ihre Arbeit. Die ausgeübten Hobbies sind ausschließlich auf die Abendstunden beschränkt.

3.3.2 Gelegenheitsengagement

Linda ist 32 Jahre alt, hat eine Lehre als Fachangestellte abgeschlossen und arbeitet nun in Teilzeit (30 Arbeitsstunden pro Woche) in der Nähe von Weißwasser. Dafür muss sie eine Stunde pro Tag pendeln. Sie hat zwei Kinder im Alter von vier und neun Jahren. Ihr Partner ist selbstständig und kommt erst am Abend nach Hause. Sie bringt die Kinder morgens zur Schule und in den Kindergarten und holt sie dann am Nachmittag wieder ab. Dadurch, dass sie Kinderbetreuung und Haushalt allein stemmen muss, findet sie kaum Zeit für ein Engagement. Ihre Eltern und ihre Tante unterstützen sie beim Hausaufgaben machen mit dem größeren Sohn. Am Wochenende pflegt sie mit ihrem Partner das Grundstück rund um ihr Haus. Dennoch findet sie Gelegenheit für ein Engagement, indem sie einen Familienkreis in der Kirche für einen Nachmittag im Monat mitorganisiert und einmal wöchentlich einem Hobby nachgeht.

Linda steht stellvertretend für die Frauen, die Kleinkinder haben, einen Partner in Vollzeitbeschäftigung und deren beruflicher Alltag einen großen Teil des Tages einnimmt. Sie gehen einem Hobby nach und können sich von Zeit zu Zeit engagieren, wenn es der Alltag zulässt. Zuweilen werden auch befreundete Kinder am Nachmittag mitbetreut, oder sie springen im Sportverein als Schiedsrichterin bei Wettkämpfen am Wochenende ein oder organisieren Weihnachtsaktionen für Kinder. Das Hobby wird ebenfalls als Ausgleich angesehen. Unterstützt werden sie von ihren Partnern, wenn diese am Abend und am Wochenende zu Hause sind, oder von den nächsten Verwandten. Ihr Engagement entzieht sich jedoch jeglicher Regelmäßigkeit und ist auf kurzfristige Gelegenheiten ausgerichtet, da diese besser in den herausfordernden Alltag zu integrieren und vor allem mit der Kinderbetreuung zu vereinbaren sind.

3.3.3 Alltagsengagement

In dieser Art der Alltag-Engagement-Beziehung findet Engagement am regelmäßigsten statt und ist in mancher Hinsicht Teil des Alltags geworden, wie bei Marie. Sie ist 44 Jahre alt, hat viele Jahre außerhalb Weißwassers studiert und gearbeitet. Der Familiengründung wegen kam sie zurück, hat geheiratet und hat zwei Kinder im Alter von acht und zehn Jahren. Marie ist angestellt in Teilzeit und arbeitet nebenher noch selbstständig. Vor zwei Jahren hat sie sich mit einer Freundin zusammen für ein Programm beworben, welches freiwilliges Engagement fördert. Sie haben die Förderung für ihr Projekt bekommen, für das sie wöchentlich fünf bis zehn Stunden tätig sind. Das Ziel des Projektes ist es, das Image der Stadt zu verbessern. Außerdem betreut Marie noch einmal in der Woche eine Schüler-AG in der Schule ihrer Kinder. Ihr älterer Sohn nimmt auch an der AG teil. Ihr Mann arbeitet in Schichten und kann tagsüber und am Wochenende bei den Kindern bleiben, wenn er nicht arbeiten muss. Weitere Unterstützung findet sie in der Schwiegermutter und ihren Eltern.

Die acht interviewten engagierten Frauen sind regelmäßig zwischen vier bis zehn Stunden wöchentlich ehrenamtlich tätig als Vorstandsmitglied im Verein, als Projektinitiatorinnen, als Förderin und Sponsorin des Ehrenamtes, als Elternvertreterin, als Leiterin von Bastelkreisen und Betreuerin der Ortsgruppe einer Gewerkschaft. Privat übernehmen sie an einigen Nachmittagen die Kinderbetreuung für Freunde und aus dem Familienkreis. So vielfältig ihr Engagement ist, so vielfältig sind ihre Lebensumstände: Einige Frauen haben noch ein Kleinkind zu betreuen, oder die Kinder gehen schon zur Schule. In dieser Gruppe finden sich auch ledige Frauen, die um die 30 Jahre alt sind und keine Kinder haben, aber im Berufsalltag stehen, sei es als Angestellte in Vollzeit oder als Selbstständige. Alle engagierten Frauen mit Kindern erfahren, wie Marie, eine starke Unterstützung in erster Linie durch ihre Partner und in zweiter durch die Großeltern. Zum Teil werden die Kinder auch zu den ehrenamtlichen Aktivitäten mitgenommen, sodass kein Betreuungsengpass entsteht. Durch eine berufliche Auszeit kann sich eine engagierte Frau nun verstärkt ehrenamtlichen Tätigkeiten widmen, zu denen sie aufgrund der früheren Arbeitsbelastung im Beruf und privat durch Hausbau und Geburt der Kinder nicht gekommen ist. Eine engagierte freiberufliche Frau berichtet, dass sich bei ihr Beruf und Engagement verbinden lassen: „[Wenn das Kind im Kindergarten ist], hat man sechs Stunden, die man effektiv arbeiten könnte. Das ist, wenn irgendwo ein großer Auftrag ist, dann nutze ich die Zeit, aber wenn natürlich kein Auftrag da ist, dann nutzt man das für ehrenamtliches Engagement und für Haushalt und solche Sachen. Das ist eine Mischform und geht ineinander über. Ich muss sagen, da wo ich mich ehrenamtlich engagiere, das überschneidet sich zum Großteil mit meinem Beruf.“ (Int. engagierte Frauen 03, 24.07.2017).

3.4 Charakteristika des Engagements von Frauen

In den vielfältigen Arrangements der Frauen, Alltag und Engagement zu verbinden, zeichnet sich ab, in welcher Alltagssituation welche Formen von Engagement möglich sind. In diesem Kapitel werden die Engagementformen weiter vertieft, die Motivation, Engagementverläufe wie auch die Hemmnisse und Vorteile von Engagement innerhalb der Alltag-Engagement-Beziehungen beleuchtet. Vor allem die Engagementverläufe sollen aufzeigen, ob bereits in der Schul- und Jugendzeit ein Grundverständnis, sich freiwillig zu engagieren, gelegt wurde und sich somit auch im Erwachsenenalter fortsetzt.

3.4.1 Bereitschaft, Motivation und Auslöser für Engagement

Betrachtet man die Bereitschaft für ein Engagement in der Gruppe der Frauen, die bislang kaum engagiert sind, können sie sich entweder vorstellen, später ein Ehrenamt aus ihrem Hobby heraus im Sportverein zu übernehmen oder ihr Hobby weiter auszubauen, sobald die Kinder dem Kleinkinderalter entwachsen sind, woraus sich allerdings kein Engagement ergeben würde. Im Fall der vollerwerbstätigen Frau ohne Kinder ist derzeitig ein Engagement nicht vorstellbar, aber sie wächst in die lokalen Netzwerke hinein und kann sich später eventuell in ein Engagement einbringen. Betrachtet man die Engagementverläufe der Frauen dieser Gruppe, wurde auch in der Schule und in Lehre oder Studium kein Ehrenamt ausgeübt, sondern eher einem Hobby nachgegangen.

In der Gruppe des Gelegenheitsengagements erkennen viele Frauen nicht, dass sie sich bereits engagieren. Sie können sich aufgrund ihrer Alltagsbelastung kein regelmäßiges Engagement vorstellen und haben ihre bisherigen ehrenamtlichen Tätigkeiten sogar eingestellt. Sie würden sich allerdings, wenn die Kinder größer sind, wieder freiwillig engagieren, vor allem wenn sie ihr professionelles Wissen darin einsetzen können. Schaut man sich das frühe Engagement in dieser Gruppe an, so ist festzustellen, dass sich die Frauen zum Teil bereits in ihrer Kindheit oder Jugend engagiert haben, allerdings nicht in leitenden Positionen. Andere wiederum haben erst spät entschieden, sich zu engagieren.

Im Rahmen des Alltagsengagements wurden als Auslöser, ein freiwilliges Engagement zu beginnen, die verschiedenen Missstände in der Stadt aus Sicht der jeweiligen Frauen genannt. Sei es, um Wissen oder Informationen unter die Bevölkerung zu streuen, sei es der Vernetzungsgedanke, dass Ideen zur Mitgestaltung der Stadt reifen können, sodass wieder mehr Kultur in die Stadt gebracht wird oder sich jüngere Generationen stärker in die Mitgestaltung der Stadt einbringen. Eine engagierte Frau äußert sich zum Auslöser und zur Motivation, sich ehrenamtlich einzubringen folgendermaßen: „Also, ich glaube, man muss schon auch sehen, dass man irgendwo gebraucht wird. Wenn ich jetzt nicht das Gefühl gehabt hätte, okay, die bräuchten da eigentlich mal ein bisschen Unterstützung, das läuft das super gut, dann hätte ich das vielleicht gar nicht gemacht. […] Der Moment war da, wo man gedacht, okay, jetzt ist man an einem Ort, und da möchte man sich auch gerne engagieren. Da gibt es irgendwie ein Defizit. Da wird man gebraucht mit dem was man kann. Also ich muss jetzt nicht irgendwie mich verbiegen und was ganz Neues anfangen.“ (Int. engagierte Frauen 03, 24.07.2017).

Als weitere Auslöser, sich zu engagieren, werden aber auch persönliche Betroffenheit wie Krankheit oder Erinnerungen an die Kindheit genannt. Bei einem projektbasierten Engagement können zudem eigene Ideen umgesetzt werden, die im Rahmen eines Vereins nicht denkbar wären. Eine weitere Motivation der Frauen ist die Anerkennung ihrer Leistungen in Projekten, Aktionen und für ihr Engagement generell aus der Stadtbevölkerung. Eine zugezogene engagierte Frau äußert sich auf den positiven Zuspruch: „[…] es stärkt sogar das Gefühl, hier anzukommen“ (Int. engagierte Frauen 02, 26.07.2017). Ob der Grundstein für freiwilliges Engagement schon in der Kindheit und Jugend durch Ausübung von Ehrenämtern gelegt wurde, kann wie in der Gruppe Gelegenheitsengagement nur zum Teil bestätigt werden, denn ein Teil der Frauen hat erst in späteren Lebensphasen zum Engagement gefunden. Die Frauen der Gruppe Alltagsengagement, die sich schon in der Schulzeit engagierten, übernahmen dort teilweise auch führende Rollen, wie die der Klassensprecherinnen.

3.4.2 Bevorzugte Formen von Engagement

In der Gruppe des Gelegenheitsengagements findet kaum organisiertes Engagement statt. Wenn es die Zeit erlaubt, wird eingesprungen, oder man hilft bei freiwilligen Aktionen mit und beteiligt sich am Engagement im öffentlichen Raum. Es wird keine Verantwortung im Sinne von Leitungs- oder Entscheidungspositionen übernommen. In dieser wie auch in der Gruppe des Alltagsengagements findet vielfach informelle Unterstützung oder sogenanntes privates Engagement statt. Zum Teil werden die Kinder befreundeter Familien oder die Stiefkinder am Nachmittag mitbetreut. Zwei Frauen haben ihre Großeltern zu Hause gepflegt und somit ein- bis zweimal am Tag private Zeit den Großeltern gewidmet. Wie Kummel und Nadler (2018, S. 58) bereits festgestellt haben, wird dieses private Engagement nicht als Engagement wahrgenommen, weil es nicht im öffentlichen Raum stattfindet, dennoch wirkt diese Form des Engagements vielfach gesellschaftlich unterstützend.

Die Gruppe der Frauen des Alltagsengagements übernehmen Verantwortung für ein Engagement, indem sie ihre eigenen Projekte leiten oder sich ihr freiwilliges Engagement selbst organisieren. Allerdings sind die wenigsten langfristig freiwillig in einem klassischen Verein mit festen Zeiten tätig. Sie übernehmen befristete Kurse, die im Rahmen von Vereinen oder an Schulen angeboten werden, oder verwirklichen ihre eigenen freiwilligen Projekte im Rahmen eines Förderprogrammes, sind Elternsprecherinnen oder im Elternrat der Schule. Denn sie leiden unter Zeitnot und möchten selbst über die Dauer, Häufigkeit und den Inhalt ihres Engagements bestimmen. Diese Freiheiten sehen sie im festgefügten Rahmen eines Vereins nicht gegeben: „… es war schon auch immer mal die Überlegung, zum Beispiel in einen Verein einzutreten, und dann wäre man ja automatisch dann mit drin, aber dann spielen immer die Zeiten dann eine Rolle“ (Int. engagierte Frauen 02, 26.07.2017). Allerdings wird die Vereinstätigkeit, wenn sie mit dem eigenen beruflichen Profil, Wissen oder Können übereinstimmt, als attraktiv eingeschätzt: „Da wird man gebraucht mit dem was man kann.“ (Int. engagierte Frauen 03, 24.07.2017) Aber auch die Förderung von Ehrenamt durch Sponsoring und Beratung ist eine Form von Engagement, die von einer interviewten engagierten Unternehmerin genannt wird.

3.4.3 Hemmnisse und Vorteile des Engagements

Auch wenn die wenige Zeit und der Balanceakt zwischen Beruf und Kinderbetreuung bei den engagierten Frauen das größte Hemmnis für ihr Engagement darstellen, gibt es auch noch andere hemmende Faktoren, die vor allem von den Interviewten der Gruppe Alltagsengagement angebracht wurden. Wie in Abschn. 3.1 dargestellt, fehlt häufig die „kritische Masse“, damit den Einzelkämpferinnen die Last der Verantwortung genommen und auf mehrere Schultern verteilt wird und somit auch der Zeitmangel kompensiert werden kann.

Beim projektbasierten Engagement stellen die Vorgaben des Fördermittelgebers eine Belastung dar, der seinen eng getakteten Zeitplan einhalten möchte. Dies gilt sowohl bei den Frauen, die sich im Rahmen von „Kleinstadt gestalten“ engagiert haben, als auch für die engagierten Frauen, die durch andere Programme gefördert werden. Wenn die Projekte kaum Unterstützung erhalten und ihnen keine Wertschätzung für die freiwillig geleistete Arbeit entgegengebracht wird oder sogar das Projekt für andere Zwecke vereinnahmt wird, führen diese scheinbar unüberwindbaren Hürden zu Stagnation oder zum Abbruch des Engagements. Eine engagierte Frau merkt zu den Hürden im projektbasierten Engagement folgendes an: „Man muss auch einfach mal sagen, wir machen das hier alles freiwillig, wir müssen das nicht machen, und dann sollte es jetzt auch egal sein, was jetzt andere da von uns erwartet hätten, oder was weiß ich was, dass man sich da einfach mal ein bisschen freimacht von irgendwelchem Druck. Gerade in dem Bereich denke ich, steht uns das zu, dass wir da unser Tempo hier haben und, ja, für uns agieren und nicht um anderen gerecht zu werden.“ (Int. engagierte Frauen 01, 25.07.2017) Auch die aufwendige Kommunikation zwischen Projektpartnern, Beteiligten und anderen lokalen Projekten wird als zusätzlicher Zeitfaktor unterschätzt. Große Vorteile haben hingegen jene Frauen, die im Projektmanagement, im Schreiben von Anträgen und in Buchhaltung versiert sind, da die Antragstellung, die Projektdurchführung und die Abrechnung Vorkenntnisse voraussetzen.

Mehrere interviewte Frauen merken zudem an, dass es sehr viele Projekte mit ähnlichen Zielen in Weißwasser gibt, die aber eine Beteiligung der Bürger*innen voraussetzen. Leider verlieren diese durch die Vielzahl an ähnlichen Angeboten den Überblick und fühlen sich überfordert. Laut einer engagierten Frau fehlt eine Koordinierung der Projekte und des Engagements durch die Stadt, die ein Interesse haben sollte, dass sich die Bürger*innen aktiv einbringen (Int. engagierte Frauen 02, 26.07.2017). Eine andere engagierte Frau bestärkt diese Forderung: „Wir haben viel zu viele Projekte, die alle das gleiche wollen und nebenher laufen. Wir müssten viel mehr die Kräfte bündeln. Viel mehr zusammenführen. Jetzt kocht jeder sein eigenes Süppchen für irgendein Ziel. Und das funktioniert nicht.“ (Int. engagierte Frauen 04, 21.03.2018).

Von mehreren interviewten Frauen wird außerdem zur Sprache gebracht, dass unter der Stadtbevölkerung das freiwillige Engagement nicht anerkannt, stattdessen kritisiert wird und eine generelle Unzufriedenheit („Meckerei“) herrscht. Diese Unzufriedenheit motivierte wiederum einige Frauen, sich in einem eigenen Projekt zu engagieren.

Die Vereinstätigkeit selbst ist der Gefahr der Überalterung ausgesetzt. Eine engagierte Frau, die in einem Vorstand eines Vereins tätig ist, beschreibt, dass sie die einzige Frau und die einzige Person jüngeren Alters sei (Int. engagierte Frauen 03, 24.07.2017).

3.4.4 Bündelung des Engagements in einem „engagierten Netzwerk“

Das freiwillige Engagement lässt nicht zu unterschätzende Vorteile erkennen. Durch die freiwillige Arbeit lernt man Leute kennen, man vernetzt sich stark und man ist präsenter in der Stadt, da auch die Stadtverwaltung ein Interesse am freiwilligen Engagement bekundet. Die Stadtverwaltung selbst stellt sich als Netzwerk-Unterstützer zur Verfügung. Beispielsweise sind die Stadtpolitik und die Verwaltung Teil des „engagierten Netzwerkes“. Dieses Netzwerk wurde im Rahmen eines geförderten Projektes durch regelmäßige Treffen mit engagierten Akteuren aus der Stadt von der Stadtverwaltung ins Leben gerufen. Die engagierten Frauen erhalten durch dieses „engagierte Netzwerk“ viele wertvolle Informationen und Wissen, um ihre freiwilligen Projekte weiter voranzubringen. Es ermöglicht einen Wissensaustausch und die Bündelung engagierter Kräfte. Vor allem die engagierten Einzelkämpfer*innen kommen so in den Austausch mit anderen Engagierten und finden Unterstützung. Nicht zuletzt eröffnet das Netzwerk mancher freiwillig Engagierten Chancen auf neue berufliche Projekte. Im Falle Weißwassers entstand das Netzwerk durch die regelmäßigen Projekttreffen, zu denen auch Engagierte außerhalb des Projektes eingeladen wurden. Es sind aber auch andere „Hosts“ aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich denkbar, ein solches Netzwerk aufzubauen oder weiterzuführen.

4 Koproduktion durch „engagierte Netzwerke“

Im Folgenden werden die beiden in der Einleitung gestellten Fragen auf Basis der empirischen Befunde aus den Abschn. 3.3 und 3.4 beantwortet.

4.1 Engagementbereiche der Frauen in Weißwasser

Die erste Frage, wie und in welchen Bereichen junge Frauen ihre Kleinstadt mitgestalten, ist vielschichtig und verlangt einen Rückblick auf die Formen des Engagements, die Frauen bevorzugen. Das sichtbare öffentliche Engagement der Frauen, sei es in ihren projektbasierten Engagements, in Vereinen oder als Sponsorin, prägt die Vielfalt Weißwassers, gerade in den Bereichen Kultur, Informationsaustausch, Schule/Kindergarten, Geschichte, Gewerkschaft und Sport. Die Stadtgesellschaft nimmt ihr Engagement wahr und erkennt sie positiv an. Dadurch wirken sie als Multiplikatorinnen und ziehen weitere Interessierte an, wie eine engagierte Frau treffend formuliert: „Das ist ein Selbstläufer dann. Da müssen welche ins Tun kommen und müssen vormachen, die müssen Vorreiter sein, und dann ziehen sie so etwas auch nach.“ (Int. engagierte Frauen 04, 21.03.2018) Dabei bevorzugen die Frauen das zeitlich befristete, projektbasierte Engagement, da sie hier zum einen ihre eigenen Ideen umsetzen können und es zum anderen in einem zeitlich befristeten Rahmen stattfinden kann, um bestimmten Lebensphasen gerecht zu werden. Die Bevorzugung des befristeten Engagements entspricht dem Trend, den jüngere Generationen laut Kleiner und Klärner (2019) als Engagementform für sich entdeckt haben. Dies hat für die Stadtgesellschaft – und für die Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen – wiederum zur Folge, dass diese Frauen nicht permanent für ein Engagement zur Verfügung stehen. Die Einbindung der engagierten Frauen in die „engagierten Netzwerke“ könnte eine Lösung sein, sie dauerhafter für andere projektbasierte Engagements zu gewinnen, sofern Engagementthema und Alltagsumstände zusammenpassen.

Durch die Mitwirkung der Frauen in den „engagierten Netzwerken“ werden sie nicht nur zu aktiven Mitgestalterinnen, sondern auch zu Koproduzentinnen für das Gemeinwohl im Sinne Watsons (2014, S. 13), indem „lösungsgenerierende Prozesse“ und Wissensaustausch in einem Netzwerk angestoßen werden. So sind diese „engagierten Netzwerke“, in denen sich die engagierten Frauen in Weißwasser bewegen, höchst ergiebig für alle Beteiligten aus der Stadtverwaltung, den Vereinen und der Zivilgesellschaft, die für ihre Arbeit die Synergieeffekte, die sich aus der Vernetzung ergeben, nutzen. Im Zusammenwirken der Akteure entstehen also ein Wissens- und Informationsaustausch, Unterstützung im Engagement und Ressourcen (z. B. Räumlichkeiten) werden geteilt. Nicht zuletzt bedeutet es eine Chance auf Verstetigung der ehemals geförderten Projekte, in diesem Netzwerk Unterstützung zu finden, benötigte Ressourcen zur dauerhaften Nutzung zur Verfügung zu stellen, wie zum Beispiel durch etablierte Vereine (Kummel 2020, S. 12).

Frauen, die sich gelegentlich engagieren, wirken unterstützend und helfen in gewissem Maße, die Arbeit (aber nicht die Verantwortung) auf mehrere Schultern zu verteilen. Sie sind allerdings nicht Teil des Netzwerkes. Dennoch bilden sie ein wichtiges zukünftiges Potenzial, befinden sich also in einer Art „Warteposition“ für ein späteres Engagement, wenn der Alltag sich wieder stärker mit einem Engagement verbinden lässt. Sie zeigen eine Bereitschaft zum Engagement, und dadurch, dass sie durch ihr gelegentliches Engagement in bestehende Strukturen integriert sind, ist der leichte Zugang zu einem regelmäßigen Engagement gegeben.

Privates Engagement in Form von informeller Kinderbetreuung oder Pflege von Freunden und Verwandten außerhalb der Kernfamilie findet zum Großteil als Gelegenheitsengagement und zum Teil als Alltagsengagement und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Damit ist privates Engagement weder für die Zivilgesellschaft noch für die Stadtpolitik sichtbar. Dennoch ist sie von hohem sozial-gesellschaftlichem Wert für die Stadt, da hier viele Daseinsvorsorgeleistungen erbracht werden, wie Kinderbetreuung für den Freundes- und Verwandtenkreis oder Pflege von älteren Familienangehörigen. Würden diese Leistungen von städtischen oder marktbasierten Einrichtungen erbracht statt privat organisiert, würde dies administrative als auch private Ressourcen sprengen (vgl. Vogel und Tesch-Römer 2016, S. 275). In der privaten Kinderbetreuung und Pflege gibt es bislang keine raumstrukturellen Unterschiede. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Anteil an Personen, die ihre nächsten Verwandten pflegen, in strukturschwachen Regionen höher sein dürfte als in prosperierenden Regionen, da Pflege auch immer eine Frage finanzieller Ressourcen ist. Demzufolge birgt auch das private Engagement ein großes Potenzial, Betreuungs- und Pflegebedarfe zu decken, die laut Freiwilligensurvey aufgrund des demografischen Wandels in den nächsten Jahren steigen werden (Vogel und Tesch-Römer 2016, S. 275), gerade in strukturschwachen Regionen.

4.2 Fördernde und hindernde Rahmenbedingungen bei engagierten Frauen

Zur Beantwortung der zweiten Frage nach den Rahmenbedingungen, die junge Frauen an der Ausübung einer freiwilligen Arbeit hindern oder sie fördern, werden vor allem die Erkenntnisse aus den Alltag-Engagement-Beziehungen, zu Bereitschaft und Motivation und zu Hemmnissen und Vorteilen des Engagements einbezogen. Im privaten Bereich sind vor allem die zeitlichen Restriktionen, Beruf und Familie zu vereinbaren (Kausmann et al. 2017, S. 58; Gabler 2019, S. 480), ein wesentliches Hemmnis, vor allem bei Familien mit Kleinkindern, die einen hohen Betreuungsbedarf haben. Da laut Kausmann et al. (2017, S. 26–31) gerade Frauen mit Kindern in Teilzeit am engagiertesten sind, sollte dies auch in Weißwasser der Fall sein. Tatsächlich haben alle interviewten Frauen, die Kinder haben, eine Teilzeitstelle. Sie sind zwar tendenziell engagiert, dabei stellt aber die Unterstützung durch den Partner und die Großeltern einen bedeutenden Faktor dar. Ist diese Anerkennung und Unterstützung der Familie, für ein freiwilliges Engagement Zeit „freizugeben“, in zu geringem Umfang gegeben, kann kein regelmäßiges Engagement stattfinden. Bei Frauen ohne Kinder sind es die herausfordernden beruflichen Bedingungen, die kein Engagement zulassen, die eher zu einem Ausgleich zum stressigen Alltag durch Hobbies führen. Vermutlich sind die zusätzlichen Pendelzeiten zum Arbeitsplatz ebenfalls ausschlaggebend, da Frauen, die zu ihrem Arbeitsplatz pendeln, sich entweder kaum oder nur gelegentlich engagieren. Unter diesen beruflich-privaten Rahmenbedingungen und in diesen Lebensphasen erscheint ein Engagement kaum möglich.

Dennoch besteht bei den kaum und vor allem bei den gelegentlich engagierten Frauen die Möglichkeit, sich stärker zu engagieren, wenn sie bereits früher ein Engagement ausgeübt haben. Hier spielen auch die perforierten Lebensläufe nach Hollstein (2015) und Ehrhardt (2011), die eher dynamisch als geradlinig verlaufen (siehe Abschn. 2.1), mit hinein. Je nach Lebensphase wird das Engagement ausgesetzt oder wieder aufgenommen. Laut Müller und Tesch-Römer (2016, S. 167) sind 63,1 % der derzeit nicht engagierten Männer und Frauen, die in früheren Lebensphasen engagiert waren, bereit, sich wieder zu engagieren. Die Bereitschaft der noch nie Engagierten, sich zu engagieren, unterscheidet sich mit 56,1 % jedoch signifikant von den früher Engagierten. Pavlova et al. (2016) bekräftigen die Aussage, dass die Entscheidung von jungen noch nie Engagierten eher zugunsten eines Hobbies ausfällt, welches Geselligkeit und andere persönliche Vorteile bietet, als auf die Ausübung eines Engagements.

Betrachtet man den Rahmen, in dem freiwilliges Engagement junger Frauen stattfindet, so wählen sie im Falle der interviewten engagierten Frauen kaum die Vereinstätigkeit, sondern das projektbasierte Engagement, da sie hier ihre Ideen entfalten können und sich dadurch Ermöglichungsräume schaffen, die sie im Rahmen von Vereinen vermutlich nicht in der Form schaffen könnten. Hier spielen Formen von Vereinnahmung (Kummel 2020) wie auch Geschlechter- und Generationenaspekte (vgl. Weber und Fischer 2016, S. 33) eine Rolle. Denkt man diese Ermöglichungsräume im Sinne der Koproduktion, so versteht Bovaird (2007, S. 856) darunter eine „Dienstleistungserbringung“ und „einen Prozess der sozialen Konstruktion, bei dem Akteure in selbstorganisierenden Systemen Regeln, Normen und institutionelle Rahmenbedingungen aushandeln, anstatt die Regeln als gegeben hinzunehmen“. Dies entspricht auch der Aussage von Gabler et al. (2016), dass sich Frauen ihre eigenen Räume der Unabhängigkeit schaffen und so neue Impulse in die Gesellschaft hineinbringen.

Dieser institutionelle Rahmen, im Falle Weißwassers die Stadtverwaltung, schafft durch das Netzwerken die Chance, weitere Mitstreiter*innen oder Vereine zu finden, um dem Hindernis der Einzelkämpferin zu entkommen, was gerade in schrumpfenden Gesellschaften ein Problem darstellt. Von engagierten Frauen wird zudem von der Stadtverwaltung eine Koordinierung der Förderprojekte gefordert, um die Engagementstrukturen besser zu bündeln und nicht parallel laufen zu lassen.

5 Fazit

Die jungen Frauen in Weißwasser gestalten ihre Stadt in vielfältiger Weise mit und haben sich durch v. a. projektbasiertes Engagement ihre eigenen Verwirklichungsräume geschaffen. Ihr regelmäßiges Engagement können sie jedoch nur dauerhaft umsetzen, wenn sie aus ihrem privaten Umfeld, aus der Stadtbevölkerung und auch von öffentlichen oder zivilgesellschaftlichen Institutionen Unterstützung erfahren.

Eine wichtige Rolle spielt dabei das geschaffene Netzwerk rund um die Stadtverwaltung Weißwasser. Es sollte als „engagiertes Netzwerk“ langfristig etabliert werden, um die Engagierten mit Akteuren der Stadtverwaltung und relevanten zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Vereinen, zu vernetzen. So sollte die Forderung nach einer Koordinierung des Engagements, um Projekte besser aufeinander abzustimmen und auch unter der Bevölkerung zu kommunizieren, umgesetzt werden. Diese Koordinierung sollte langfristig angelegt sein, damit sich Engagement als zivilgesellschaftliche Kraft in strukturschwachen Regionen etablieren kann. Nicht zuletzt können sich das „engagierte Netzwerk“ und die Koordination zur Anlaufstelle für alle jene entwickeln, die sich wieder oder zum ersten Mal engagieren möchten – und generell eine intensivere Teilhabe der Stadtbevölkerung in Stadtentwicklungsprozessen anstoßen.

Dieser Beitrag hat verdeutlicht, dass privates Engagement es vor allem Frauen mit starken Zeitrestriktionen ermöglicht, sich in ihrem engeren Umfeld, z. B. in der Kinderbetreuung und in der Pflege von Familienangehörigen, zu engagieren. Die Vorteile, sich privat zu engagieren, wurden in den Alltag-Engagement-Beziehungen deutlich: Sie können zeitlich flexibel ohne größeren organisatorischen Aufwand wahrgenommen werden und lassen sich in den Alltag integrieren. So leisten durch ihr privates Engagement die Frauen einen wichtigen Beitrag zur Daseinsvorsorge. Es sollte von der Politik mit dieser Bedeutung wahrgenommen und anerkannt werden, wenngleich es nicht sichtbar in Erscheinung tritt. Es besteht Forschungsbedarf bezüglich der Bedeutung privaten Engagements in den verschiedenen siedlungsstrukturellen Lagen. Zudem ist noch weitgehend unerforscht, wie sich privates Engagement in der Stadtgesellschaft oder Dorfgemeinschaft widerspiegelt und welche Effekte es auf den nachbarschaftlichen Zusammenhalt hat, wenn Nachbarschaftshilfe gegeben wird.