Schlüsselwörter

Ganz schön viel los in der Welt – oder werden die aktuellen Veränderungen nur deutlicher wahrgenommen? Ist das so, weil ihre Auswirkungen immer klarer und konkreter vor Ort, d. h. in den Regionen, Städten und Gemeinden, in den Nachbarschaften und Kiezen, zu spüren sind? Werden die Veränderungen wahrgenommen, weil der Umgang mit ihnen Erprobtes und Bewährtes zunehmend infrage stellt und Veränderungen erforderlich macht? Oder ist die Aufmerksamkeit einfach größer geworden? Dass die natürlichen Lebensgrundlagen immer stärker in Gefahr geraten, dass sich die Zusammensetzung der Bevölkerung kontinuierlich wandelt, dass das Leben zunehmend digitaler wird und sich etablierte Formen des Miteinanders verändern,– um nur einige Beispiele zu nennen –, sind zwar eigentlich Binsenweisheiten, aber die globalen, nationalen und regionalen Veränderungen sind – wenn auch manchmal mit Verzögerungen – in den Kommunen direkt und deutlich spürbar. Dort verändern sie das Leben der Menschen, wirken (un)mittelbar auf die Lebensqualität vor Ort. Dort müssen lokal angepasste Lösungsansätze verhandelt und vor allem auch umgesetzt werden.

Städte und Gemeinden sind dabei nicht nur gefordert, Anforderungen aus den globalen Veränderungen in kommunalen Planungen und Projekten zu berücksichtigen. Sie müssen sich zudem der Aufgabe stellen, Konzepte für eine oft schwer zu prognostizierende Zukunft zu entwerfen und ihre Umsetzung auf den Weg zu bringen. Dabei ist „die Stadt“ keine homogene Akteurin. Vielmehr setzt sie sich aus vielfältigen Gruppen zusammen: Politik, Verwaltung, Wirtschaft, organisierte Zivilgesellschaft und jede*r einzelne Bürger*in bilden – in unterschiedlichen Rollen mit unterschiedlichen Erwartungen und Zielen – gemeinsam „die Stadt“, „die Gemeinde“ oder „die Region“. Entsprechend vielfältig sind die Positionen und Erwartungen an die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft, die vor Ort ausgehandelt und abgestimmt werden sollten.

Die wachsende Komplexität der zu bearbeitenden Themen trifft zugleich auf zurückgehende Ressourcen in den Kommunen. Nicht nur die finanzielle Situation, sondern auch die Ausstattung mit qualifiziertem Personal wird vor allem in vom Strukturwandel betroffenen Kommunen zunehmend schwieriger. Eine wachsende Überforderung der kommunal Verantwortlichen ist vielerorts die Folge. Die Komplexität der Herausforderungen macht somit eines deutlich: „Gesellschaftliche Herausforderungen können nicht mehr vom Rathaus alleine bewältigt werden, sondern bedürfen der Zusammenarbeit mehrerer Akteure“ (Löffler 2015, S. 318).

Aus diesem Grund werden veränderte Formen der Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in den Gemeinden, Städten und Regionen immer stärker thematisiert und praktiziert. Sie erscheinen notwendig, um tragfähige Lösungen in gemeinsamen Prozessen entwickeln zu können. Dieser Weg schließt an bereits vorhandene Entwicklungspfade an: Die Beteiligung von Bürger*innen ist in deutschen Kommunen schon lange erprobt, ehrenamtliches Engagement trägt seit langem zur Funktionsfähigkeit von Kommunen und zur Lebensqualität in den Quartieren bei.

Neu hinzu kommen Kooperationsformen, die unter dem Begriff „Koproduktion“ zusammengefasst werden. Verbunden ist mit Koproduktion die Erwartung an eine Zusammenarbeit mit neuen Akteuren, die Aufgaben übernehmen, die die Kommune nur noch schwer alleine erfüllen kann. Sie steht für die Suche nach weitergehenden Ansätzen und Modellen, mit denen beispielsweise im demografischen Wandel Angebote der Daseinsvorsorge aufrechterhalten und neuen Bedarfen angepasst, mit denen Mobilität in ländlichen Regionen gewährleistet, mit denen leerstehende Gebäude neu belebt und soziale und kulturelle Angebote erhalten werden können. Innovative Lösungen für Kommunen, die angesichts demografischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungen unter Druck stehen, können – so die Annahme – von Kommunen nur mit neuen Partner*innen aus der Zivilgesellschaft und mit der Bevölkerung vor Ort gemeinsam erdacht und umgesetzt werden.

Doch was „Koproduktion“ genau bedeutet und was sie unterscheidet von der bisherigen Mitwirkung von und der Zusammenarbeit mit Bürger*innen – das ist vor Ort meist unklar und soll in diesem Band genauer beleuchtet werden. Da Koproduktion Teil einer Beteiligungskultur in den Städten und Gemeinden ist und auf der gewachsenen Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft und Bürgerschaft basiert, ist Beteiligung ein wichtiger Baustein, der in den ersten Beiträgen des Bandes reflektiert wird (Teil I). Die darauf aufbauenden Formen der Zusammenarbeit, ihre Chancen und Grenzen werden im zweiten Teil vertieft (Teil II).

Die Beiträge sind im Kontext der Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entstanden. In ihrem Rahmen entwickeln, erproben und erforschen Kommunen gemeinsam mit Wissenschaftspartner*innen und lokalen Akteuren Ansätze und Konzepte für einen Umgang mit den räumlichen Auswirkungen des demografischen Wandels. Einleitend sollen deshalb zunächst die kommunalen Herausforderungen skizziert und deren Folgen für ausgewählte Handlungsfelder erläutert werden, die der Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ und den Beiträgen dieses Bandes zugrunde liegen.

1 Wachsende Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit von Kommunen

Sowohl globale als auch lokale Veränderungen wirken sich mittel- oder unmittelbar auf das Leben in den Städten, Gemeinden und Regionen aus. Deshalb sind die Kommunen – als unmittelbares Lebensumfeld ihrer Bewohner*innen – gefordert, Lösungen für die häufig als „Krisen“ bezeichneten Veränderungen zu entwickeln und Antworten auf die komplexen Herausforderungen zu finden.

Seit der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im Jahr 2011 seinen Bericht „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ veröffentlicht hat, steht in der Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen der Zukunftsgestaltung der Begriff der „Transformation“ im Zentrum. Der WBGU bezeichnet „den nachhaltigen weltweiten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft als ‚Große Transformation‘“ (WBGU 2011, S. 5). Das Konzept der Transformation beschreibt die zumeist als Entwicklungssprung zu verstehenden Veränderungen in der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder technologischen Entwicklung hin zu einer nachhaltigeren Welt und verweist auf die dazu notwendigen Lern- und Suchprozesse. Seitdem bezieht sich ein Großteil der Nachhaltigkeitsforschung, u. a. des Bundesforschungsministeriums, auf diese Transformationsprozesse.

Deutlich benannt wird die Rolle der Kommunen in diesem Kontext in dem 2016 erschienenen Folgegutachten des WBGU zur transformativen Kraft der Städte (WBGU 2016), in dem unter dem Begriff der „urbanen Transformation“ globale Urbanisierungsprozesse beleuchtet werden. Im Fokus stehen Städte und ihre Bewohner*innen als Treiber und Betroffene globaler Umweltveränderungen. Zentrale Zukunftsfragen, so das Gutachten, werden sich in den Städten entscheiden. Deshalb heben die Autor*innen die Bedeutung der in den Städten in den nächsten Jahrzehnten getroffenen Entscheidungen für die Transformation hervor und verweisen auf den Paradigmenwechsel hin zu „transformativen Änderungen mit strategischem, langfristigem Blick auf die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit und die Schaffung von Urbanität, die menschliche Lebensqualität dauerhaft befördert“ (WBGU 2016, S. 3). Dies gilt nicht nur für globale Megacities und die Metropolregionen in Europa, sondern – vor allem im deutschen Kontext – auch für die von Bevölkerungsrückgang stark betroffenen Städte in strukturschwachen und ländlichen Regionen. Auch diese müssen sich mit Anforderungen an eine sozial-ökologische Transformation auseinandersetzen und sich für notwendige Veränderungsprozesse fit machen. Deutlich wird: Ob demografische Veränderungen, Zuwanderung, Energie- und Mobilitätswende oder die nahezu alle Lebensbereiche verändernde Digitalisierung: Die Aufgaben der Kommunen werden größer und komplexer.

Von den Herausforderungen sollen im Folgenden drei beispielhaft betrachtet werden: der fortschreitende demografische Wandel, die zunehmenden regionalen Disparitäten und die enger werdenden kommunalen Handlungsspielräume. Alle drei Entwicklungen sind weder neu noch kurzfristig lösbar. Als lange Entwicklungslinien beeinflussen sie sich gegenseitig und führen auf der lokalen Ebene zu jeweils spezifischen Ausprägungen.

1.1 Weiterhin relevant: der demografische Wandel

Weniger, älter und diverser – mit diesen Stichworten werden die Herausforderungen des demografischen Wandels zumeist kurz und knapp beschrieben. Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung und Wanderungsbewegungen sind dabei die Grundlagen der Bevölkerungsprognosen (Destatis 2019). Auch wenn die Bevölkerungszahl Deutschlands seit 1972 aufgrund eines positiven Saldos der Zuzüge gewachsen ist, gehen Prognosen langfristig von einem Rückgang aus, den auch eine weitere Zuwanderung aus dem Ausland nicht stoppen wird. Im Zeitraum von 2012 bis 2030 wird für Deutschland zunächst ein geringer Rückgang der Bevölkerungszahl um 0,7 % erwartet, von 80,5 auf 79,97 Mio. Einwohner*innen (Bertelsmann Stiftung 2015, S. 182). Bis zum Jahr 2060 wird die Bevölkerungszahl dann – so die weitere Annahme – auf rund 78,2 Mio. Menschen bzw. bei einer prognostizierten schwächeren Zuwanderung auf rund 74,4 Mio. zurückgehen (Destatis 2019, S. 17).

Aufgrund der Wanderungsgewinne der letzten Jahre schrumpft die Bevölkerungszahl etwas langsamer als erwartet, im Unterschied dazu setzt sich die Alterung der Gesellschaft jedoch ungebrochen fort. Alle Varianten der Bevölkerungsprognosen stimmen darin überein, dass ab Anfang der 2030er-Jahre der Anteil junger Menschen an der Bevölkerung – auch bei steigender Geburtenhäufigkeit und einer dauerhaft hohen Nettozuwanderung – nicht weiter wachsen wird. Im Gegenzug wird der Anteil der 67-Jährigen und Älteren zunehmen. Im Folgezeitraum von 2040 bis 2060 wird insbesondere der Anteil der Menschen, die über 80 Jahre alt sind, größer werden. Ihr Anteil wird von heute 4 % auf 13 % im Jahr 2060 wachsen.

Neben den Geburtenzahlen und Sterbefällen beeinflusst das Wanderungssaldo, d. h. die Differenz zwischen Zu- und Fortzügen, die künftige Bevölkerungsgröße und auch die Altersstruktur. Das positive Wanderungssaldo Deutschlands ist keine neue Entwicklung – Migration prägt die deutsche Gesellschaft seit Jahrzenten. Rund 21,1 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund (Destatis 2020a, S. 36) leben heute in Deutschland. Ende 2019 waren darunter ca. 11,2 Mio. ausländische Staatsbürger*innen, 2,9 % mehr als im Jahr zuvor. Diese Zuwanderung wird anhalten, da viele Menschen ihre Herkunftsländer aufgrund von Krieg, Verfolgung, Klimakatastrophen oder aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Da neben dem schwankenden Migrationspotenzial und Migrationsdruck in den Herkunftsgebieten vor allem die deutsche Migrationspolitik sowie europäische Entscheidungen zur Migration die zukünftige Zu- und Abwanderung bestimmen werden, sind Wanderungssalden jedoch kaum verlässlich zu prognostizieren (Destatis 2019, S. 41).

Abhängig von der Bevölkerungsgröße und der Zusammensetzung der Altersgruppen, aber auch von gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen werden sich auch Zahl und Zusammensetzung der Haushalte verändern. In den vergangenen 25 Jahren wuchs die Zahl der Haushalte in Deutschland um 6,1 Mio., d. h. um 17 %, auf 41,4 Mio. Ursache ist vor allem die Zunahme der Gruppe der älteren Menschen bei einem gleichzeitigen Rückgang der Zahl größerer Familienhaushalte. Diese Entwicklung wird sich – so eine Trendvariante der Haushaltsvorausberechnung 2020 – bis zum Jahr 2040 voraussichtlich nicht mehr so stark fortsetzen (Destatis 2020b). Prognostiziert wird für diesen Zeitpunkt eine Zahl von 42,6 Mio. Haushalten. Dies führt zu einer höheren Nachfrage nach Wohnraum, gleichzeitig verändert sich der Wohnraumbedarf qualitativ. Heute sind mehr als drei Viertel aller Haushalte Ein- und Zwei-Personen-Haushalte. Dieser Anteil wird sich bis zum Jahr 2040, so die weitere Annahme, nur noch geringfügig erhöhen – bei den Ein-Personen-Haushalten von 17,3 auf voraussichtlich 19,3 Mio., bei den Haushalten mit zwei Personen von 14,0 auf voraussichtlich 14,1 Mio. Die Zahl der Haushalte mit mehr Personen nimmt kontinuierlich ab.

1.2 Regionale Unterschiede nehmen zu

Bundesweite Prognosen zur Entwicklung und Zusammensetzung der Bevölkerung sind nur eine Seite – für Kommunen relevanter sind Prognosen zur konkreten räumlichen Verteilung der Bevölkerung. Entscheidend für die sich dabei abzeichnenden regionalen Unterschiede sind vor allem Wanderungsbewegungen. Sie sind die maßgebliche Ursache für das Wachsen und Schrumpfen einzelner Regionen und bestimmen somit die konkrete Zukunft der Städte und Regionen. Waren in den 1990er- und 2000er-Jahren noch flächendeckende Bevölkerungsverluste in den ländlichen Räumen Ostdeutschlands und ein Nebeneinander von Wachstums- und Schrumpfungsräumen im Westen zu beobachten (Wolff et al. 2020, S. 1), so differenzierte sich dies im vergangenen Jahrzehnt deutlich aus. Es entwickelten sich kleinteiligere Raummuster, die sich nicht mehr an den vermeintlichen Polen etwa von „Stadt und Umland“ orientieren (Bertelsmann Stiftung 2015; Wolff et al. 2020). Die klassische Stadt-Land-Dichotomie ist vielerorts durchbrochen, da sich unterschiedliche Trends überlagern. Zudem verringern sich auch die Unterschiede zwischen den Lebenslagen und Lebensstilen der Bevölkerung in ländlichen und städtischen Räumen.

Von einem weiteren Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung profitieren aktuell jedoch noch immer eher die städtischen und strukturstärkeren Regionen – sind doch sie es, die für viele Bevölkerungsgruppen attraktiv erscheinen und in die vor allem jüngere qualifizierte Menschen aus dem In- und Ausland auf der Suche nach Ausbildung und Arbeit zuziehen (Simons und Weiden 2015, S. 12 ff.). Inwieweit sich das während der Corona-Pandemie zu beobachtende Interesse am Leben auf dem Lande zu einem stabilen Trend entwickeln wird, lässt sich derzeit noch nicht einschätzen. Da sich das Wachstum somit in erster Linie auf strukturstarke Regionen sowie Städte und die Schrumpfung auf meist ländliche Räume konzentrieren, nehmen die Unterschiede zwischen diesen strukturell unterschiedlichen Räumen zu (Berlin-Institut 2019, S. 16). Die Kluft zwischen den prosperierenden Regionen auf der einen Seite und strukturschwachen Regionen auf der anderen wächst.

Auch die Alterung der Bevölkerung vollzieht sich regional sehr unterschiedlich. In Regionen, die bereits von jungen Menschen in größerer Zahl verlassen wurden, ist die Alterung der Bevölkerung weit vorangeschritten. Dies betrifft vor allem dünn besiedelte und entlegene Landstriche, aber auch urbane Regionen, die mit Strukturwandel zu kämpfen haben. Das bedeutet, dass vorhandene Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland, die aus der Alterung oder der Abwanderung junger Menschen folgen, bestehen bleiben, gleichzeitig kommen aber neue kleinräumigere Unterschiede hinzu, wie z. B. das Wachstum einzelner ostdeutschen Großstädte oder die sich ausdifferenzierenden Probleme in einzelnen Stadtteilen westdeutscher Großstädte. Augenfällig ist auch die zunehmende Polarisierung innerhalb einzelner Bundesländer wie Bayern oder Hessen (Wolff et al. 2020, S. 11).

Langfristiger Bevölkerungsrückgang und abnehmende regionalwirtschaftliche Leistungsfähigkeit führen zur Peripherisierung meist ländlicher Räume in Ost- und Westdeutschland. Als „Peripherisierung“ wird dabei die zunehmende Schwächung sozial-räumlicher Entwicklungen dieser Regionen gegenüber prosperierenden Gebieten bezeichnet. Abwanderung ist häufig nicht nur Ursache dieser Entwicklung, sondern verstärkt Perspektivenarmut und regionale Stigmatisierung. Es folgt ein schleichender „Brain-Drain“ – die Abwanderung gut ausgebildeter oder junger Menschen – mit der Folge, dass die Zurückbleibenden älter und meist schlechter gebildet sind als diejenigen, die gehen. Sozialstrukturelle Probleme, Fachkräftemangel, Verlust von sozialen Bindungen sowie räumliche Folgen von Leerstand und unausgelasteten und unterfinanzierten Infrastrukturen befördern diese Entwicklungen weiter (Wolff et al. 2020). Die Verstetigung demografischer Prozesse in strukturschwachen Räumen führt perspektivisch zu weiterer Schrumpfung. Auch innerhalb der größeren und großen Städte nimmt die Differenzierung zu bis hin zu einer Peripherisierung einzelner Stadtteile und Quartiere.

Diese aktuellen Entwicklungen werden sich fortsetzen: „Auch wenn sich bis zum Jahr 2035 die Gesamtbevölkerungszahl Deutschlands kaum verändern dürfte, weiten sich die regionalen Unterschiede aus. Rund 60 % der Kreise und kreisfreien Städte werden der Prognose zufolge bis 2035 an Bevölkerung verlieren“ (Berlin-Institut 2019, S. 16). Übereinstimmend wird erwartet, dass dies vor allem die ländlichen Regionen im Osten und westdeutsche Regionen im Südosten Niedersachsens, in Nord- und Mittelhessen, in Südwestfalen, im Ruhrgebiet, in großen Teilen von Rheinland-Pfalz und im Saarland betreffen wird (Berlin-Institut 2019; Bertelsmann Stiftung 2015).

Dabei ist die Wahrung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eine staatliche Aufgabe mit Verfassungsrang, die in den letzten Jahren – nicht zuletzt bedingt durch ein vor allem in ländlichen Regionen der östlichen Bundesländer erkennbares Gefühl der Benachteiligung – sehr stark an politischer Bedeutung gewann. Im Juli 2018 setzte die Bundesregierung die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ein, die sich mit Möglichkeiten und Ansätzen gleichwertiger Entwicklungschancen und fairer Teilhabemöglichkeiten für die Menschen vor Ort befasste und erste Lösungswege erarbeitete.

1.3 Kommunale Haushalte unter Druck

Weitreichende neue Lösungsansätze zu entwickeln heißt: eingespielte Routinen überprüfen, vorhandene Ansätze reflektieren, erprobte Handlungsansätze anpassen oder weiterentwickeln und sie dann umsetzen. In den Kommunen setzt dies Ressourcen voraus und damit vor allem finanzielle Mittel. Ihre Handlungsspielräume sind somit unmittelbar abhängig von der Finanzsituation, die es mal mehr und mal weniger erlaubt, bestimmte Aufgaben im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zu übernehmen (BBSR 2019b, S. 26).

Leere Kassen und wachsende Schulden sind in vielen Kommunen kein neues Thema. Stetig zurückgehende Einnahmen bei gleichzeitig steigenden Ausgaben führten vielerorts zu einer Überschuldung. Und hier dreht sich das Problem im Kreis: Eine wachsende Zahl von Städten und Gemeinden vor allem in wirtschaftsschwachen Regionen kann seit langem ihre laufenden Aufgaben nur noch mithilfe ständig steigender Kassenkredite erfüllen – diese sind eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe gedacht (Bertelsmann Stiftung 2019, S. 51). Das Volumen der kommunalen Kassenkredite – die in vielen Fällen geringe Investitionen, harte Konsolidierungsauflagen und eingeschränkte Selbstverwaltung nach sich ziehen – wuchs zu Beginn der 2000er-Jahre in Deutschland um die Hälfte auf rund 50 Mrd. EUR. Auch wenn sich die Situation seit 2014 stabilisieren konnte, die Kommunen einen Überschuss erwirtschafteten und die Kassenkredite sanken, sind in strukturschwachen Regionen zahlreiche Städte, Gemeinden und Kreise weiterhin mit steigenden Defiziten und Verschuldung konfrontiert.

Da die beschriebenen kleinräumigen Wachstums- und Schrumpfungsprozesse die finanzielle Situation in den Kommunen beeinflussen, werden die regionalen Unterschiede weiter wachsen. So unterscheiden sich beispielsweise die Steuereinnahmen – die bedeutsamste Einnahmeart – wesentlich zwischen west- und ostdeutschen Kommunen. Städte und Gemeinden im Osten sind häufig steuerschwach und deshalb in höherem Maße auf Zuweisungen der Länder angewiesen (Bertelsmann Stiftung 2019, S. 15). Die Gestaltungsspielräume sind somit unterschiedlich, und die zunehmende Schere zwischen starken und schwachen Städten und Regionen wirkt sich unmittelbar auf die Lebenschancen der dort lebenden Menschen aus. In schrumpfenden Kommunen, die im Fokus der BMBF-Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ stehen, verschärft diese Ausgangslage, verbunden mit dem demografischen Ausblick, die Rahmenbedingungen für Transformation.

Eine weitere Verschärfung der Finanzsituation erfahren die Kommunen durch die Corona-Pandemie. Betraf die schwierige Haushaltslage bislang eher Kommunen in strukturschwachen Regionen, so zeichnet sich mit der Corona-Krise für die meisten Kommunen eine Zäsur ab. Statt mit Haushaltsüberschüssen und sinkender Verschuldung rechnen die meisten Kommunen nun mit einem Einnahmeneinbruch, wachsenden Ausgaben und einer erneut ansteigenden Verschuldung (Raffer und Scheller 2021, S. 5). Wie sich dies langfristig auswirken wird, ist derzeit jedoch noch nicht absehbar: „Mit Blick auf die weitere konjunkturelle und fiskalische Entwicklung des laufenden Jahres herrscht derzeit noch weitreichende Unsicherheit. Für dieses und die kommenden Jahre erwarten fast 80 % der Kommunen eine Verschlechterung der eigenen Finanzsituation. Erstmals seit 2014 stiegen auch die Kassenkredite im Jahr 2020 wieder an, die als Alarmsignal für eine defizitäre Haushaltslage gelten“ (Raffer und Scheller 2021, S. 1). Sowohl für das Jahr 2020 als auch für die Folgejahre rechnet jede zweite Kommune mit steigenden Ausgaben in allen relevanten Haushaltsbereichen. Das bedeutet, dass wachsenden und vor allem auch komplexeren Aufgaben ein immer geringerer finanzieller Handlungsspielraum gegenübersteht.

2 Was bedeuten diese Entwicklungen für Städte und Regionen?

Die skizzierten Veränderungen und die dazu erforderliche urbane Transformation vergrößern das Aufgabenspektrum und die zu bewältigenden Anforderungen in den Städten, Gemeinden und Regionen. So müssen nicht nur die Endlichkeit der natürlichen Lebensgrundlagen stärker in den Blick genommen und Extremwetterereignisse (Hochwasser, Hitze, Stürme) bewältigt werden, sondern auch langfristig klimaangepasste Bau- und Planungsprojekte entwickelt und umgesetzt werden. Die Suche nach Lösungen für den Umgang mit sozialen Veränderungen, wie soziale Ungleichheiten, die Pluralisierung und Individualisierung von Wohn- und Lebensformen und die Folgen ökonomischer Veränderungen, steht ebenso auf der Agenda wie die Konsequenzen, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Im Folgenden liegt der Fokus auf den Themen flächenschonende Siedlungsentwicklung sowie tragfähig ausgerichtete Daseinsvorsorge und Infrastrukturausstattung, die für die Sicherung der Lebensqualität in vom demografischen Wandel betroffenen Kommunen von besonderer Bedeutung sind.

2.1 Eine tragfähige Zukunft der Daseinsvorsorge sichern

Daseinsvorsorge ist als zentrale kommunale Aufgabe eine entscheidende Stellschraube für die Sicherung der Lebensqualität in dünn besiedelten ländlichen und strukturschwachen Regionen, sie steht für die Zukunftsfähigkeit der Kommunen in diesen Regionen (BBSR 2019a, S. 65). Zur Daseinsvorsorge zählen Güter und Dienstleistungen mit besonderem öffentlichen Interesse. Dies umfasst die Versorgung mit Energie, Wasser, Telekommunikation, den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, die Post sowie die Abfall- und Abwasserentsorgung. Im sozialen Bereich werden Kulturangebote, Gesundheitsdienste, Einrichtungen der Kinderbetreuung, der Schulausbildung und der Altenpflege zur Daseinsvorsorge gerechnet. Wurde Daseinsvorsorge zunächst von Staat und Gemeinden organisiert und angeboten, so liegt nach zahlreichen Liberalisierungs- und Privatisierungsschüben ihre Bereitstellung nicht mehr allein in öffentlicher Hand, sondern wird arbeitsteilig von privatem und öffentlichem Sektor erbracht. Staat und Kommunen sind nicht mehr für die Erfüllung, sondern für die Gewährleistung der Daseinsvorsorge verantwortlich, d. h. die öffentliche Hand garantiert nicht die eigentliche Leistungsproduktion, sondern gewährleistet „nur noch“, dass Leistungen zu bestimmten Qualitäts- und Preisstandards bzw. an bestimmten Standorten und mit einer vorgegebenen Qualität angeboten werden (Hermes 1998; Schuppert 2005). Diese Verschiebung war mit veränderten Formen des Zusammenwirkens und der Verantwortungsverteilung verbunden.

Mit dem Wandel der Bevölkerungsstruktur verändern sich die Ansprüche an die soziale und technische Versorgung. Der Bevölkerungsrückgang in periphereren Regionen und die damit einhergehende Alterung der Bevölkerung führen häufig zur Unterauslastung von Angeboten der Daseinsvorsorge, die wiederum technische, wirtschaftliche und auch ökologische Probleme nach sich zieht. So verringert sich die Effizienz der Nutzung natürlicher Ressourcen, zum Beispiel müssen Abwasserleitungen häufiger gespült werden, wenn die Auslastung bestimmte Mindestwerte unterschreitet (Naumann 2009). Die notwendigen finanziellen Spielräume für innovative Anpassungen der Ver- und Entsorgungssysteme fehlen in diesen Regionen. In der Folge steigen die Preise und die „zweite Miete“, d. h. die Wohnnebenkosten, werden zu einem ernsthaften Problem. Angloamerikanische Debatten thematisieren in diesem Zusammenhang Aspekte wie Energiearmut und verminderte Wohnqualität (Woods 2011, S. 231 f.). Da neu errichtete Infrastrukturen in ländlichen Räumen vor allem Anlagen der Energieversorgung sowie der Strom- und Wärmeversorgung in den Städten dienen, drohen ländliche Regionen zu „Installationsräumen“ einer großstädtischen Energieversorgung zu werden (Gailing und Röhring 2015), während vor Ort benötigte Anpassungen fehlen (Kelly-Reif und Wing 2016).

Die Diskussion um neue, flexible Angebotsformen sowie neue Organisations- und Finanzierungsmodelle ist nicht neu. Bereits Mitte der 1970er-Jahre begann in Westdeutschland ein intensiver Diskurs über die Möglichkeiten infrastruktureller Daseinsvorsorge bei rückläufiger Bevölkerungszahl. Die dabei benannten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind vergleichbar: eine Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik, eine Einengung der fiskalischen Handlungsspielräume der öffentlichen Hand sowie die Prognose einer mittelfristig schrumpfenden Bevölkerungszahl. Verändert haben sich seitdem jedoch nicht nur die prognostizierten Altersstrukturen und die erwartete Zusammensetzung der Bevölkerung, auch veränderte Arbeitsformen und -weisen führten zu einer Ausdifferenzierung der Lebensstile und vielfältigen Bedarfe an die Gestaltung von Wohnen, Wohnumfeld und Freizeit.

Zukunftsweisende Organisationsformen kommunaler Angebote und innovative Lösungen zur Neuausrichtung von Infrastrukturen und Leistungsangeboten sind erforderlich. Es geht unter anderem um neue, klimafreundliche Mobilitätskonzepte und regional angepasste Beförderungsangebote, um nachhaltige Ansätze für Grün- und Freiflächen, um vielfältige Kultur- und Freizeitgestaltung.

2.2 Stadtzentren und Ortskerne als lebendige Wohn- und Lebensorte stärken

In der Erwartung, den Auswirkungen des demografischen Wandels etwas entgegensetzen zu können, konkurrieren Kommunen mit zurückgehender Bevölkerungszahl immer stärker um Einwohner*innen und Unternehmen. Mit neu ausgewiesenen Flächen sollen neue Bewohner*innen und Gewerbetreibende angezogen und positive Effekte für die kommunalen Haushalte erzielt werden (Bock et al. 2011, S. 26). Neu entwickelte Gewerbestandorte sollen als attraktiver Standortfaktor Unternehmen halten oder anziehen. Trotz bereits sichtbarer Leerstände, Baulücken und Brachflächen im bestehenden Siedlungsbereich wird dieser Ansatz vor allem in schrumpfenden Regionen verfolgt (BBSR 2017, S. 4) mit dem Ergebnis, dass rund 80 % der Neuflächeninanspruchnahme derzeit außerhalb der Ballungsräume stattfindet (BSBK 2018). Dass mit der Erschließung neuer Flächen zwar kurzfristig Einnahmen erzielt werden können, aber langfristig hohe Kosten für die Instandhaltung der Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur einhergehen, wird kaum berücksichtigt (Siedentop 2002).

Mit der Ausweisung von Wohn- und Gewerbestandorten an den Ortsrändern wird die Zersiedlung befördert, und die bereits schrumpfende Bevölkerung verteilt sich infolge der Ausweisung neuer Wohngebiete auf einer größeren Fläche. Die Bevölkerungsdichte nimmt ab, in der Konsequenz vergrößert sich das Mobilitätsaufkommen (BBSR 2017, S. 17). Erschwerend wirken sich die Abwanderung von Teilen der Bevölkerung sowie grundsätzlich veränderte Konsum-, Mobilitäts- und Lebensgewohnheiten auf die Ortskerne aus (Reuß und Schmettow 2012). Angebote des täglichen Bedarfs sind zunehmend weniger gefragt, kleinere Anbieter müssen sich zurückziehen: Der Bäcker schließt, die Ärztin findet keine Nachfolge, die Besucher*innen in der Bücherei reichen nicht mehr aus, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Wenn sich keine neuen Nutzungen oder Konzepte für diese Einrichtungen finden, folgt Leerstand, und eine nur schwer aufzuhaltende Abwärtsspirale beginnt. Es kommt zu einem weiteren Attraktivitätsverlust der Ortskerne (Bundesregierung 2017), verbunden mit einem mangelnden Fokus auf die Entwicklung des Gebäudebestands (UBA 2009). Diese Stadt- und Ortszentren können dann ihren Beitrag zur Identifikation und Lebensqualität der Bewohner*innen kaum noch leisten. Gerade in Klein- und Mittelstädten kommt den Ortszentren aber eine wesentliche Ankerfunktion zur Bereitstellung der sozialen Infrastruktur zu (Henger et al. 2014). Kommunen stehen daher vor der Herausforderung, die Ortskerne als Identifikationsort und Treffpunkt zu stärken, um den Flächenverbrauch und die Zersiedlung an den Orträndern zu verringern – aus umwelt- und sozialpolitischen Gründen gleichermaßen.

Alternativen zum Flächenverbrauch im Außenbereich gibt es: Die Flächenpotenziale im Bestand. Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ermittelte bundesweit Innenentwicklungspotenziale in einer Größenordnung von ca. 120.000 bis 165.000 ha (BBSR 2013). Hier setzt Innenentwicklung an. Diese „umfasst neben der Reduzierung der Flächeninanspruchnahme auch Maßnahmen zur Aufwertung der Ortskerne, der Sicherung und Aufwertung der Daseinsvorsorge und die Umnutzung örtlicher Bausubstanz“ (Kötter und Langer 2014, S. 156).

Gebäude umzunutzen oder zu sanieren, Baulücken zu schließen und Brachflächen zu bebauen, benötigt, wie die langjährige Praxis zeigt, kaum neue (Planungs-)Instrumente, sondern vor allem innovative Ansätze, die den Boden für den wirkungsvollen Einsatz dieser Instrumente bereiten (vgl. UBA 2009). Grundstückseigentümer*innen, Hausbesitzer*innen, Mieter*innen etc. müssen für Innenentwicklung und ihre Möglichkeiten sensibilisiert, das Engagement der Eigentümer*innen aktiviert und die Bürger*innen an Prozessen der Innenentwicklung beteiligt werden. Die Zusammenarbeit ist ein wichtiger Schlüssel für einen erfolgversprechenden Umgang mit Innenentwicklung.

2.3 Wie weiter? Neue Kooperationsformen sind gefragt

Die Herausforderungen und stetig komplexeren Rahmenbedingungen, mit denen Städte und Gemeinden sich auseinandersetzen müssen, können angesichts der vorhandenen Ressourcen nicht mehr allein von Verwaltung und Politik bewältigt werden. Zudem erfordert die beschriebene Transformation gemeinsame Aushandlungs- und Umsetzungsprozesse. Notwendig sind deshalb Kooperationsformen von Kommunen mit der Zivilgesellschaft, den Bürger*innen und der Wirtschaft, damit diese ihr Wissen und Know-how, aber auch neue Ideen einbringen und Kommunen handlungsfähig bleiben. Eine wachsende Zahl von Städten und Gemeinden nimmt – unterstützt von wissenschaftlichen Einrichtungen und Forschungsinstitutionen – diese Herausforderung an und sucht nach neuen Ansätzen des Miteinanders. Dabei gilt es in einem ersten Schritt, gemeinsame Wege, kreative Formate und kooperative Projekte zu entwickeln und zu erproben. Für diese Experimente und Probephasen brauchen Kommunen jedoch Ressourcen – personelle und finanzielle, die in den Städten und Gemeinden oftmals nur begrenzt vorhanden sind. Umso wichtiger werden zusätzliche Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten, die die notwendigen Prozesse erst ermöglichen.

3 Kommunaler Experimentierraum „Kommunen innovativ“

Demografischer Wandel, regionale Disparitäten und kommunal beschränkte Handlungsspielräume bilden als zentrale Herausforderungen auch den Ausgangspunkt der Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“. Mit der im Frühjahr 2016 gestarteten Maßnahme fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Kommunen und Regionen im demografischen Wandel und unterstützt sie dabei, jenseits der Handlungsroutinen zukunftsweisende Ansätze zu erforschen und neue Instrumente und Methoden zu erproben. Die Zusammenarbeit von Kommunen und Forschungseinrichtungen soll dazu beitragen, bisher kaum bekannte Verfahrensweisen, Prozesse und Themen mit der kommunalen Praxis zu bearbeiten. Gefördert werden Forschungsteams aus kommunalen und wissenschaftlichen Partnern, die gemeinsam Ansätze einer auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Stadt- und Regionalentwicklung entwickeln und erproben. Von 2016 bis 2020 erarbeiteten in den ersten beiden Förderrunden 30 Verbundprojekte Ansätze, Konzepte und Strategien für den Umgang mit den räumlichen Auswirkungen des demografischen Wandels (www.kommunen-innovativ.de).

„Kommunen innovativ“ verfolgt den Ansatz, dass innovative Lösungen und Konzepte nur dann einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung vor Ort leisten können, wenn lokale Entscheidungsträger*innen und Akteure von Beginn an einbezogen werden. D. h. der Förderschwerpunkt verortet sich im Kontext transdisziplinärer Forschung. Angesichts der Komplexität ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen im Kontext der urbanen Transformation bildet die Forschungs-Praxis-Kooperation aus Kommunen, Wissenschaft, zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Bürger*innen somit die Grundlage der geförderten Vorhaben. Wissenschaftliche und kommunale Partner arbeiten zumeist arbeitsteilig und gleichberechtigt. An „Kommunen innovativ“ wirken insgesamt über 130 Kommunen mit. Das Spektrum reicht von kleinen Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohner*innen über Kleinstädte in peripheren Regionen und Landkreisen an der Nordsee und dem Bayerischen Wald bis zu vom demografischen Wandel betroffenen Großstädten (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Projekte und Kommunen der BMBF-Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ (Stichtage 1 und 2, 2016–2021).

3.1 Forschungsfokus: Zentrale Themen

So vielfältig die Ausgangslage der an der Fördermaßnahme beteiligten Städte, Gemeinden und Regionen war, so vielfältig sind die Fragestellungen und Themen, die bearbeitet werden. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie mit ihren Projekten zu den bundespolitischen Zielen der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse sowie der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie beitragen. Vier Themen stehen deshalb im Fokus. Unter dem Stichwort „Innen entwickeln“ zeigt „Kommunen innovativ“, dass es Alternativen zum Flächenverbrauch im Außenbereich gibt und wie diese umgesetzt werden können. Bei „Daseinsvorsorge sichern“ geht es um die weiter oben beschriebene Anforderung, Quantität und Qualität der technischen und sozialen Einrichtungen zu sichern und neuen Bedarfen anzupassen. Um die Zukunft in peripheren Regionen zu sichern, ist es in einem dritten Themenfeld „Beschäftigungspotenziale erschließen“ insbesondere von Bedeutung, Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten zu erhalten und auszubauen. So werden Konzepte entwickelt, mit denen junge Menschen über Praktika an den regionalen Arbeitsmarkt herangeführt, Unternehmen bei der Suche nach Betriebsnachfolger*innen unterstützt oder Unternehmensgründungen von Migrant*innen im ländlichen Raum durch Netzwerke und niedrigschwellige Beratungsangebote gefördert werden. Da für strukturschwächere und von Abwanderung betroffene Regionen der Zuzug neuer Bevölkerungsgruppen ein wichtiger Impuls sein kann, werden in dem vierten Themenfeld „Vielfalt leben“ die mit einer vielfältigen Gesellschaft verbundenen Herausforderungen aufgegriffen.

3.2 Forschungsfokus: veränderte Arbeits- und Verfahrensweisen

Die in „Kommunen innovativ“ geförderten Vorhaben richten einen besonderen Fokus auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Prozessen, die Transformation voranbringen, und deren konkrete Erprobung vor Ort. Betrachtet werden dabei unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit: entweder Kommunen übergreifend mit anderen Kommunen und/oder innerhalb einer Stadt oder Region mit anderen, nichtkommunalen Akteuren. Die erarbeiteten Ansätze der interkommunalen Zusammenarbeit setzen daran an, dass Lösungen, Konzepte und Angebote nicht von jeder Kommune alleine erarbeitet und umgesetzt werden müssen. Die Vorhaben zeigen, wie in einer Region ein gemeinsamer Kooperationswillen entstehen kann, auf dem eine Vertrauenskultur der interkommunalen Zusammenarbeit aufgebaut und Spielregeln der Zusammenarbeit entwickelt werden können.

Vor allem aber – und damit schließt sich der Kreis zum Beginn dieser Einleitung – zeigt „Kommunen innovativ“, dass Lösungen für aktuelle Herausforderungen und die Gestaltung der Transformation in neuen Kooperationsformen mit der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung in den Städten, Gemeinden und Regionen liegen. Themenübergreifend nehmen die Projekte Fragestellungen der Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik und organisierter und unorganisierter Zivilgesellschaft, d. h. den Menschen in den Kommunen, auf und befassen sich mit Beteiligung, Kooperation und Koproduktion. Es geht darum, neue „Allianzen zu bilden“ und gemeinsam „Experimente zu wagen“.

Die Ergebnisse aus Forschung und Praxis aus „Kommunen innovativ“ legen nahe, dass eine zukunftsfähige Stadt- und Regionalentwicklung Impulse und Initiativen einer am Gemeinwohl orientierten Zivilgesellschaft und engagierter Bürger*innen benötigt, die sich über ihre eigenen Interessen hinaus für das Gemeinwesen einsetzen. Von der Förderung bürgerschaftlichen Engagements, der Aktivierung „stiller“ Bevölkerungsgruppen über die stärkere Verzahnung kommunaler und zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Verstetigung von Nachbarschaftsprojekten, die gemeinsam von Kommunen und Bürger*innen getragen werden, bis zum Engagement in Genossenschaften, in denen Kommune und Bürger*innen gleichberechtigt zusammenarbeiten: Die Bandbreite der im Rahmen von „Kommunen innovativ“ erforschten und erprobten Allianzen ist groß. Die Projekte reflektieren Chancen und Grenzen bürgerschaftlichen Engagements, entwickeln und erproben Konzepte zur Beteiligung und Mitgestaltung bei Fragen kommunaler Zukunftsentwicklung und entwerfen Organisations- und Finanzierungsmodelle für koproduktive Projekte. Diese Themen dienen als roter Faden der Beiträge dieses Bandes.