Schlüsselwörter

1 Wohlbefinden und Soziale Medien

Wohlbefinden stellt ein komplexes und multidimensionales Konzept dar, das unterschiedlich definiert werden kann. Allgemein wird Wohlbefinden als Balance zwischen den Ressourcen einer Person und den sich ihr stellenden Herausforderungen verstanden. Bestehen in einer gegebenen Situation, die psychisch, sozial und/oder körperlich herausfordernd ist, jedoch keine entsprechend ausreichenden Ressourcen, ist das Wohlbefinden einer Person bedroht (Dodge et al. 2012). Keyes et al. (2002) unterscheiden zwei Betrachtungsweisen von Wohlbefinden. Hedonistisch subjektiv ist Wohlbefinden durch Lebenszufriedenheit, positive Affekte und weitgehende Abwesenheit negativer Emotionen definiert. Demgegenüber berücksichtigt die eudaimonische Sicht das psychologische Wohlbefinden, und damit nicht nur um das Erleben von Glück, sondern zudem um die Verwirklichung von Potenzialen, die als grundlegende psychologische Bedürfnisse Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit umfassen (Deci und Ryan 2000). Die hedonistischen und eudaimonischen Aspekte von Wohlbefinden werden nach Su et al. (2014) unter dem Begriff des Thriving zusammengefasst, der als Zustand positiven Funktionierens mentale, psychische und soziale Elemente einschließt. Thriving beinhaltet nach Su et al. (2014) mit Beziehung, Engagement, Können, Autonomie, Sinn, Optimismus und subjektivem Wohlbefinden insgesamt sieben Komponenten.

Vor dem Hintergrund der ständig steigenden Popularität sozialer Medien wird in der Forschung seit einiger Zeit die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der zunehmend intensiveren Nutzung dieser Medien und dem Wohlbefinden der Nutzerinnen und Nutzer gestellt. Allerdings sind die derzeit vorliegenden Ergebnisse uneinheitlich. So werden etwa Studien berichtet, in denen insbesondere die nächtliche Nutzung sozialer Medien sowie ein hohes Maß an emotionaler Involviertheit in diese Medienangebote zu schlechterem Schlafverhalten, geringerem Selbstwertgefühl sowie größerer Ängstlichkeit und Depression führte (Woods und Scott 2016). Andere Studien sehen speziell die Nutzungshäufigkeit von Instagram negativ an depressive Symptome, Selbstwert, das generelle und körperliche Erscheinungsbild sowie Körperzufriedenheit gekoppelt, wobei insbesondere einer starken sozialen Vergleichsorientierung eine vermittelnde Funktion zukommen soll (Sherlock und Wagstaff 2019). Durchaus beeindruckend sind die Befunde zweier repräsentativer Studien mit insgesamt über 500.000 Adoleszenten in den Vereinigten Staaten, die starke Zusammenhänge zwischen der Nutzung neuer Medien und psychischen Gesundheitsproblemen nahelegen (Twenge et al. 2018). Demgegenüber liegt jedoch auch eine Reihe an Befunden vor, die eine solche negative Korrelation nicht nachweisen konnten. So erwies sich die generelle Nutzung sozialer Medien nicht als signifikanter Prädiktor für psychische Gesundheit (Berryman et al. 2018). Zudem wiesen Orben und Przybylski (2019) mithilfe eines statistischen Verfahrens (Specification Curve Analysis) nach, dass der korrelative Nachweis aus den vorstehenden Befunden einer genaueren Analyse nicht standhält. Die Autoren gehen daher davon aus, dass der negative Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Technologien und dem Wohlbefinden von Jugendlichen tatsächlich zu klein ausfällt, um entsprechende Warnungen bezüglich der Nutzung auszusprechen.

Allen genannten Studien gemein ist jedoch ihre querschnittliche, wenn auch z. T. repräsentative Natur, die zudem keine kausalen Inferenzen erlaubt. Demgegenüber bietet die Studie von Heffer et al. (2019) eine längsschnittliche Betrachtung. Anhand zweier Stichproben, in denen Jugendliche bzw. junge Bachelorstudierende über zwei bzw. sechs Jahre beobachtet wurden, konnte keinerlei Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und depressiver Symptomatik nachgewiesen werden. Dieser Befund zeigte sich unabhängig vom Geschlecht der Teilnehmer*innen. Im Unterschied zudem ausgebliebenen Sozialisationseffekt konnten die Autor*innen jedoch einen Selektionseffekt nachweisen, nach dem das Vorliegen einer depressiven Symptomatik mit einer stärkeren sozialen Mediennutzung bei adoleszenten Mädchen einherging.

2 Videospiele und Wohlbefinden

Neben der Nutzung sozialer Medien steigt seit mehreren Jahren weltweit auch die Zahl an (insbesondere jungen) Menschen, die sich in ihrer Freizeit mit Videospielen beschäftigen (Entertainment Software Association 2018). Im Jahr 2018 spielten in Deutschland 58 % der 12- bis 19-Jährigen mindestens mehrmals pro Woche, und zwar durchschnittlich 103 min pro Wochentag (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018). Die steigende Nutzung von Videospielen veranlasste auch die psychologische Forschung sich hauptsächlich mit den negativen, aber auch den positiven Aspekten von Gaming im Zusammenhang mit jugendlichem Wohlbefinden zu beschäftigen. Insbesondere Kinder und Jugendliche wurden hinsichtlich ihrer Videospielgewohnheiten befragt, da sie als Hochrisikogruppe für dysfunktionale psychosoziale Entwicklungen gesehen werden.

Am bekanntesten ist diesbezüglich sicher die fortgesetzte Debatte um Transfereffekte gewalthaltiger Videospiele auf Aggression und Sozialverhalten (Anderson et al. 2010; Ferguson 2015; Prescott et al. 2018), die aufgrund widersprüchlicher Befunde weiterhin ungeklärt ist. So konnte eine längsschnittliche Studie zwar zeigen, dass eine längere Spielzeit mit erhöhten emotionalen Problemen bei Kindern zusammenhängt, aber keine Beziehung zwischen gewalthaltigen Videospielen und psychosozialen Veränderungen bei Kindern nachweisbar ist (Lobel et al. 2017). Andere Studien belegen zwar den Zusammenhang zwischen Bildschirmzeiten und Verhaltensproblemen bei Kindern, allerdings nur für längeren Fernsehkonsum, nicht aber für Videospiele (Parkes et al. 2013).

Eine Vielzahl von Studien beschäftigt sich außerdem mit dem Suchtpotential von Videospielen (z. B. Gentile et al. 2017), welches schließlich 2019 zu einer eigenständigen Klassifizierung als Abhängigkeitserkrankung unter dem Namen „Gaming disorder“ im ICD-11 führte (World Health Organization 2019). Dabei schwankt die Prävalenz von Computerspielabhängigkeit je nach untersuchter Population (Allgemeinbevölkerung vs. Gamern) zwischen 0.7 % bis 27.5 % (Feng et al. 2017; Mihara und Higuchi 2017). Insgesamt scheinen Männer, junge Menschen und asiatische Populationen stärker betroffen zu sein (Sussman et al. 2018). Am Beispiel des beliebten Online-Multiplayer-Spiel World of Warcraft (Blizzard Entertainment 2004) ließ sich zeigen, das Spieler*innen dieses bevorzugt bei geringerem Wohlbefinden (d. h. hoher Stress und ein niedriges Selbstwertgefühl) nutzen, um vor Problemen im Alltag in die virtuelle Welt zu entfliehen (Kardefelt-Winther 2014). Dass diese eskapistische Motivation wiederum einen direkten Einfluss auf das Wohlbefinden der Spieler hat, konnte ebenfalls für Online-Multiplayer gezeigt werden (Kaczmarek und Drazkowski 2014). Zusammen mit fehlender Selbstregulation könnte diese ungünstige Form des Coping durch Eskapismus als Negativspirale wiederum zu exzessiver Nutzung und sogar Abhängigkeitssymptomatik führen (Kardefelt-Winther 2014; LaRose et al. 2003).Demgegenüber belegen empirische Studien aber auch einen positiven Effekt der Videospielnutzung auf die Entwicklung von Jugendlichen. Bei einer Befragung von Highschool-Schüler*innen schnitten regelmäßige Spieler*innen besser bei Variablen wie schulischem Engagement, psychischer Gesundheit, Selbstkonzept, familiärer Nähe, Freundschaften und Freizeitaktivitäten ab als Nicht-Spieler*innen (Durkin und Barber 2002). Weiterhin fanden Studien mit Stichproben aus dem asiatischen Raum Indizien für eine Aufwärtsspirale von prosozialen und kooperativen Videospielen und realem prosozialem Verhalten bei Jugendlichen (Gentile et al. 2009). Andere Untersuchungen belegen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Videospielgenres und erhöhter Kreativität, Problemlösefähigkeit, räumlicher Wahrnehmung und Aufmerksamkeitsleistungen, positiven Emotionen und Entspannung sowie sozialen Kompetenzen und Prosozialität (Granic et al. 2014). Weiterhin konnte durch die motivierende und ablenkende Wirkung von lernorientierten Spielen, den sogenannten Serious GamesFootnote 1, im Medizinsektor eine Verbesserung für Krebs, Schmerz- und Angstpatient*innen erreicht werden (Kato 2010). Schließlich bestätigte Jugendforschung zu ExergamesFootnote 2 den positiven Effekt der Nutzung solcher aktivierender Spiele auf die Gesundheit sowie die sozialen und schulischen Fähigkeiten (Staiano und Calvert 2011).

Diese gemischte Studienlage verdeutlicht, dass generelle Aussagen zum Zusammenhang von Videospielen und jugendlichem Wohlbefinden derzeit nicht möglich sind. Vielmehr müssen unterschiedliche Variablen genauer betrachtet werden: Aus welcher Motivation heraus spielen Kinder und Jugendliche? Welches Spiel wird wie gespielt (online vs. offline, kooperativ vs. kompetitiv, gewalthaltig vs. prosozial, etc.)? Welche Charakteristiken und Persönlichkeit bringen Spieler*innen mit?

Trotz der relativ umfangreichen Studienlage zu positiven und negativen Einflüssen von Videospielen sind Untersuchungen, die konkret das Wohlbefinden der Spieler*innen erfassen, bemerkenswert unterrepräsentiert. Nur eine der hier aufgeführten Studien erhebt subjektives Wohlbefinden durch ein direktes Maß (Steen Happiness Index; Kaczmarek und Drazkowski 2014). Häufig wird stattdessen indirekt von Drittvariablen (z. B., Aggression und prosoziales Verhalten: Anderson et al. 2010; Impulsivität: Gentile et al. 2012) auf das vermeintliche Wohlbefinden geschlossen. Daher empfiehlt es sich, diese Erkenntnislücke durch künftige Studien unter Einbeziehung des Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen als direkte Variable zu schließen.

3 Die Rolle von Geschlechterstereotypen

Nicht nur soziale Medien oder interaktive Medienangebote und deren Nutzung können eine Herausforderung für die individuelle Lebenszufriedenheit und das psychologische Wohlbefinden einer Person darstellen, sondern auch verallgemeinernde und stereotypisierende Zuschreibungen. Insbesondere Geschlechterstereotype sind in der Gesellschaft heutzutage weit verbreitet. Im Folgenden werden die Begriffe Genderstereotype oder Geschlechterstereotype sowie deren Auswirkungen auf die Lebensrealität und das Wohlbefinden junger Menschen beschrieben.

Genderstereotype werden in der Psychologie als kognitive Strukturen definiert, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern beinhalten (Eckes 2004). Vermittelt werden diese Schemata durch Eltern, Schule, Freunde, Medien, politische Vorgaben und gesellschaftliche Haltungen. Eingesetzt werden sie, um Personen in unserer Wahrnehmung als Teil einer sozialen Gruppe zu kategorisieren. Eigenschaften werden dabei einer ganzen Gruppe („die Frauen“), sowie einzelnen Individuen innerhalb der Gruppe („typisch Mann“) zugeschrieben, während zugunsten der Gruppenzugehörigkeit individuelle Eigenschaften ignoriert werden (Jussim et al. 1995).

Schon von Kindheit an wird unsere Wahrnehmung von gesellschaftlich-normativen Konzepten der Maskulinität und Femininität beeinflusst (Zosuls et al. 2011). Strampelanzüge sind entweder blau, oder rosa, der Ritter rettet die Prinzessin und „Jungs weinen nicht!“. Im Rahmen der Sozialisierung werden geschlechterspezifische Normen und Werte von der Familie, den Medien und weiteren Bezugspersonen gelernt. Die Entwicklung von genderstereotypen Überzeugungen von Hilflosigkeit und Macht bzw. Dominanz wird durch solche Sozialisierungsprozesse unterstützt (Martin et al. 2002).

Im Rahmen individueller Entwicklungsprozesse werden soziale Stereotype aufgenommen und über die Zeit als kulturelle Normen, Überzeugungen und Erwartungen internalisiert und zum Bestandteil der Identität. Die Aktivierung von Geschlechterrollen und Genderstereotype erfolgt in der Regel unbewusst (z. B. was als „typisches“ Verhalten von Männern und Frauen bezüglich ihrer Rolle in Beruf und Familie oder ihrer äußeren Erscheinung gilt, Gill und Gill 2007). Menschen sehen sowohl sich selbst wie auch andere durch diesen Filter der aktivierten Stereotype, so dass sowohl Fremd-, als auch Selbstwahrnehmung beeinträchtigt werden. In den Sozialwissenschaften werden solche Prozesse oft auch als unconscious bias (unbewusste Verzerrung; z. B. Easterly und Ricard 2011) bezeichnet. Nachweise für die Auswirkungen von Stereotypen finden sich beispielsweise in den Bereichen Wahrnehmung und Bewertung anderer (z. B. Heilman 2012), Selbstwert und Körperbild (z. B. Pennell und Behm-Morawitz 2015), Stigmatisierung und Prävalenz von sexuellen Übergriffen (z. B. Hill und Marshall 2018), Verhalten gegenüber anderen sowie Entscheidungen bezüglich der eigenen Studien- und Berufswahl (z. B. Cheryan et al. 2013).

Als eine Form geteilten sozialen Wissens sind Stereotype nicht statisch und unveränderbar, zudem sind solche Vorstellungen nicht überall dieselben. Vorherrschende Stereotype und ihre Repräsentation in den Medien verändern sich über die Zeit und Kulturen hinweg (Valentova 2013). Zusammenfassend entstehen geschlechterbezogene Stereotype im frühen Entwicklungsalter, können von etlichen Einflussfaktoren geprägt werden und sich über die Jahre entfalten und verfestigen. Die spezifischen Inhalte von solchen Stereotypen mögen sich verändern, die negativen Konsequenzen persistieren jedoch (z. B. Hill und Marshall 2018).

Aus diesem Grund wurde im Jahr 2018 in Luxemburg eine psychologische Studie durchgeführt, mit dem Ziel spezifische Ansatzpunkt für präventive Maßnahmen insbesondere für die jüngere Generation zu ermitteln. Aufgrund der jungen Zielgruppe lag der Schwerpunkt dieser Studie zusätzlich auf dem medialen Konsum und den Neuen und Soziale Medien. Der jährlichen Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (2018) zufolge, haben so gut wie alle Menschen im jugendlichen und jungen Erwachsenenalter täglich Umgang mit diesen Medien. 97 % der Jugendlichen besitzen ein Smartphone, während 66 % eine Spielkonsole benutzen. Durchschnittlich sind Jugendliche unter der Woche 214 min online. Mädchen verbringen diese Zeit statistisch gesehen vorwiegend mit Kommunikation und sozialen Medien, während Jungs eher Interesse an Spielen und Unterhaltung zeigen. Sieht man die heutige Omnipräsenz und nahezu grenzenlose Verfügbarkeit neuer Medien im Alltag junger Menschen, ist es kaum überraschend, dass ein Fokus der Grundlagen- und Anwendungsforschung auf der Rolle von digitalen und sozialen Medien liegt, wenn es um den Kontext von Lernen und entwicklungsbezogenen Fragestellungen geht.

Die Forschung identifizierte Medien als einer der wichtigsten Faktoren für das soziale Lernen von Stereotypen (Scharrer 2013; Signorielli 2001). Dies geschieht über mediale Unterrepräsentation von Frauen (z. B. Greenberg und Worrell 2007; Signorielli 2001), sowie unrealistische Darstellungen der Geschlechter, was nachweislich zu negativen Konsequenzen für sowohl Männer und Frauen in den verschiedensten Bereichen führen kann, wie etwa Selbstbild und Körperwahrnehmung (Barlett et al. 2008; Groesz et al. 2002), sowie Beruf und Karrierechancen (World Bank 2011). Entsprechende Befunde liegen für verschiedene Medienformen von Fernsehen und Musikvideos (Turner 2011), bis hin zu Videospielen (Beasley und Collins Standley 2002; Melzer 2019) vor. In Anbetracht der stark zunehmenden Bedeutung sozialer Medien gerade für die jüngere Generation überrascht die für diese Medien eher geringe Menge an Forschung in diesem Bereich.

4 #Lëtzstereotype18 Studie

Im Rahmen der Beschreibung dieser Studie wird durchgängig von Teilnehmer*innen, Jungen/Mädchen oder Frauen/Männern berichtet. Die Studie beinhaltete selbstverständlich auch Teilnehmende, die sich nicht mit dem Genderbinär männlich-weiblich identifizierten. Jedoch war die Anzahl dieser Personen zu gering (Anzahl = 6) um im Rahmen einer Studie mit quantitativen Methoden statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu ermöglichen. Eine genauere Beschreibung der Ergebnisse dieser Gruppe kann dem Bericht der Studie (Melzer et al. 2019) entnommen werden.

Für die Untersuchung der Entstehung geschlechterbezogener Stereotype bietet sich der luxemburgische Kulturraum, geprägt von unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, ganz besonders an. Deswegen wurde hierzu im Jahre 2018 im Auftrage des luxemburgischen Ministeriums für die Gleichstellung von Frauen und Männern (Ministère de l’Égalité des Chances) eine Studie zur Beurteilung der aktuellen Sachlage in Luxemburg durchgeführt. Nicht nur eine Erfassung des aktuellen Standes der vorherrschenden Rollenbilder und Stereotype in Bezug auf Geschlecht bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen war das Ziel der Studie #Lëtzstereotype18 (Melzer et al. 2019), sondern auch eine Analyse der Einflussfaktoren, wie z. B. Eltern, Peers, Medienkonsum, oder sozioökonomischer Hintergrund. Des Weiteren wurde geprüft, welche Alltagsbereiche die jungen Teilnehmer*innen am stärksten von diesen Stereotypen und Rollenbildern betroffen sehen.

Somit ergaben sich folgende Hauptfragen für die #Lëtzstereotype18 Studie:Footnote 3

  1. 1.

    Wie ist das Geschlechterbild junger Luxemburgerinnen und Luxemburger? Welche Einstellungen und Erwartungen haben sie in Bezug auf die unterschiedlichen Geschlechter?

  2. 2.

    Welche Konsequenzen ergeben sich aus Sicht der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus den wahrgenommenen geschlechtsbezogenen stereotypen Geschlechterüberzeugungen?

  3. 3.

    Was sind die von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen wahrgenommenen Haupteinflussfaktoren dieser Genderstereotype und Geschlechterrollen, und welches Gewicht ordnen ihnen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu?

Vom 8. November bis zum 31. Dezember 2018 wurden im Rahmen der Studie unter dem Titel #Lëtzstereotype18 Daten von insgesamt 396 Versuchspersonen erhoben, die online sowie auf Papierfragebögen in vier verschiedenen Sprachversionen (luxemburgisch, deutsch, französisch, portugiesisch) erfasst wurden. Tab. 1 zeigt die Alters- und Geschlechtsverteilung.

Tab. 1 Alters- und Geschlechtsverteilung der #Lëtzstereotype18 Studie.

Zusätzlicher Bestandteil der Studie war es, dass Versuchsteilnehmer*innen einen vermeintlich echten Post auf dem sozialen Netzwerk Instagram sahen. So sah die eine Hälfte der Teilnehmer*innen zufallszugewiesen ein Foto mit zwei Personen in „traditioneller“ stereotyper Verteilung der Rollen im Haushalt (d. h. der Mann trinkt Bier, während die Frau bügelt), wohingegen die andere Hälfte dieselbe Situation sah, in diesem Fall jedoch mit „vertauschter“, also nicht-stereotyper Verteilung der Rollen (d. h. die Frau trinkt Bier, während der Mann bügelt, vgl. Abb. 1). Beide Bilder waren als typische Social Media-Beiträge mit Hashtags versehen. Bei der Betrachtung des jeweiligen Bildes wurden individuelle emotionale Reaktionen (positiv und negativ) der Teilnehmer*innen auf das Foto erfasst. Hierzu wurden in einer Pilotstudie ausgewählte Items des Positive and Negative Affect Schedule (PANAS) (Watson et al. 1988) verwendet. Ziel dieser experimentellen Manipulation war es, Stereotype und Soziale Medien in einem typischen Kontext miteinander zu verbinden, indem stereotype beziehungsweise nicht-stereotype Rollenverteilungen in einem Bild dargestellt wurden, auf die spontan reagiert werden sollte, ohne dass explizit auf Stereotype verwiesen wurde. Dieses explorative Vorgehen diente der Erweiterung der im Folgenden beschriebenen expliziten Messung stereotyper Einstellungen: Inwieweit rufen Stereotype auch in einem solchen Kontext unterschiedliche Reaktionen hervor?

Abb. 1
figure 1

(Eigene Abbildung)

Instagram Post der #Lëtzstereotype18 Studie Version 1 mit stereotyper Rollenverteilung und Version 2 mit „vertauschter“ Rollenverteilung.

Während die emotionale Reaktion auf verschiedene Bilder von Geschlechterrollen ein eher implizites Maß darstellt, wurden die expliziten Geschlechterrollenbilder und Geschlechterstereotype in dieser Studie unter anderem mithilfe des Social Role Questionnaire (SRQ; Baber und Tucker 2006) erhoben, der Einstellungen zu sozialer Rollenverteilung in Bezug auf das Geschlecht misst (z. B. Verteilung der Tätigkeiten im Haushalt).

Es wurde außerdem erfragt, welche Lebensbereiche Jugendliche und junge Erwachsene in welchem Ausmaß durch geschlechterbezogene Stereotype beeinflusst sehen. Hierbei wurde unterschieden zwischen den eigenen Stereotypen und den Stereotypen anderer Menschen. Nicht nur die betroffenen Lebensbereiche waren von Interesse, sondern auch, welchen Ursprung junge Menschen ihren Stereotypen zuschreiben. Sie wurden gefragt, welchen subjektiv empfundenen Einfluss Faktoren wie etwa Eltern, Kultur, Religion oder soziale Medien auf ihre persönlichen Einstellungen in diesem Bereich haben.

Schließlich wurden Teilnehmer*innen nach ihrem Mediennutzungsverhalten gefragt. Neben der Häufigkeit der Nutzung diverser Medien, von Büchern bis Video-Streaming, wurden sie insbesondere nach Ihrer Nutzung bestimmter Social Media Plattformen sowie der Häufigkeit und dem Lieblingsgenre von Videospielen gefragt.

4.1 Ergebnisse

4.1.1 Wahrgenommenes Geschlechterbild, Einstellungen und Erwartungen in Bezug auf die unterschiedlichen Geschlechter

Die Ergebnisse des SRQ zeigen, dass im Mittel geschlechterübergreifende Aussagen (M = 5.55, SD = .60) signifikant größere Zustimmung fanden als geschlechtergebundene (M = 2.24, SD = .90). Allerdings unterschieden sich die Geschlechter deutlich (vgl. Abb. 2), da weibliche Versuchspersonen geschlechterübergreifenden Aussagen stärker zustimmten als männliche. Bei geschlechtergebundenen Aussagen lag ein umgekehrtes Meinungsbild vor, da männliche Teilnehmer hier signifikant höhere Zustimmung zeigten als weibliche.

Abb. 2
figure 2

(Eigene Abbildung)

Stärke der mittleren Zustimmung in % (0 = Lehne voll und ganz ab; 100 = Stimme voll und ganz zu) von weiblichen (w) und männlichen (m) Teilnehmer*innen zu geschlechterübergreifenden (z. B., „Aufgaben am Haushalt sollen net nom Geschlecht verdeelt ginn“) und geschlechtergebundenen (z. B., „Männer sin méi sexuell wie Fraen“) Aussagen.

Bei der Betrachtung der einzelnen Aussagen zeigten sich interessanterweise vor allem bei den geschlechtergebundenen Items der Erfassung des Grades der Zustimmung zu geschlechterstereotypen Aussagen signifikante Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Befragten. So stimmten männliche Teilnehmer der Aussage „Manche Arten von Arbeit sind für Frauen einfach nicht angemessen“ am stärksten zu (M = 3.30, SD = 1.71), während dies bei den Teilnehmerinnen für die Aussage „Männer sind sexorientierter als Frauen“ galt (M = 3.22, SD = 1.63).

4.1.1.1 Emotionale Reaktionen auf Darstellung von stereotypen Rollenbildern in Sozialen Medien

Bei der Auswertung der Reaktionen auf den angeblichen Instagram Post zeigten Personen bei stereotyper Genderrollendarstellung im Durchschnitt eine deutlich größere negative (M = 2.50, SD = 1.14) als positive (M = 1.26, SD = .46) emotionale Reaktion. Im umgekehrten Fall zeigten Personen, die das Bild mit den “umgekehrten“, d. h. nicht-stereotypen Geschlechterrollen sahen, im Durchschnitt eine stärkere positive (M = 2.07, SD = 1.05) als negative emotionale Reaktion (M = 1.55, SD = .81; vgl. Abb. 3). Obwohl der Durchschnitt der Antworten etwa bei den negativen Emotionen zu dem Bild der stereotypen Geschlechterrollen zwischen „ein bisschen“ und „einigermaßen“ lag, variierten die Antworten trotzdem, da einige Personen eher in Richtung „erheblich“ antworteten.

Abb. 3
figure 3

(Eigene Abbildung)

Stärke der mittleren positiven (z. B., interessiert, stolz, stark) und negativen (z. B., feindselig, bekümmert, beschämt) emotionalen Reaktion in % (0 = Gar nicht; 100 = Äußerst) auf stereotype und umgekehrte Geschlechterrollen.

Für die genauere Betrachtung dieser Ergebnisse wurden beide Versuchsbedingungen (stereotypes vs. „umgekehrtes” Bild) bezüglich möglicher Geschlechterunterschiede untersucht. Beim Betrachten des Bildes nicht-stereotyper Geschlechterrollen fiel die emotionale Reaktion der Frauen im Durchschnitt sowohl bei positiven als auch negativen Emotionen numerisch stärker aus als bei männlichen Teilnehmern.

Wurde der Instagram Post mit der stereotypen Geschlechterrollenverteilung gesehen, gaben Frauen im Durchschnitt deutlich stärkere negative Emotionen an (M = 2.63, SD = 1.14) als Männer (M = 2.15, SD = 1.11; vgl. Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

(Eigene Abbildung)

Stärke der mittleren negativen (z. B., feindselig, bekümmert, beschämt) emotionalen Reaktion von weiblichen (w) und männlichen (m) Teilnehmer*innen in % (0 = Gar nicht; 100 = Äußerst) auf stereotype Geschlechterrollen.

4.1.2 Einschätzung der Konsequenzen wahrgenommener, geschlechtsbezogen stereotyper Geschlechterüberzeugungen

Hinsichtlich der wahrgenommenen Folgen „typischer“ Geschlechterüberzeugungen wurden die Antworten für die verschiedenen Lebensbereiche in Bezug auf die eigenen Stereotype denen auf den in der Gesellschaft vorherrschenden entgegengestellt (vgl. Abb. 5). Hierbei zeigte sich, dass die Befragten den Einfluss ihrer eigenen geschlechterbezogenen Stereotype auf sämtliche Lebensbereiche signifikant höher einschätzten als denen, die sie der Gesellschaft zuschrieben.

Abb. 5
figure 5

(Eigene Abbildung)

Mittlere wahrgenommene Folgen von gesellschaftlichen und eigenen Stereotypen für verschiedene Bereiche in % (0 = hat keinen Einfluss; 100 = hat einen sehr starken Einfluss).

Während die Teilnehmerinnen ihr Selbstbild durch ihre eigenen Stereotypen am stärksten betroffen sahen (M = 3.47, SD = 1.71), galt dies für die männlichen Befragten in ihrem Verhalten gegenüber Fremden (M = 3.49, SD = 1.49; vgl. Abb. 10). Beide Geschlechter waren sich hingegen einig, dass gesellschaftliche Stereotype am stärksten das Bild beeinflussen, das andere von ihnen haben (Mm=w = 3.07, SDm = 1.57 und SDw = 1.63).

Bei der geschlechtergetrennten Betrachtung der Alltagsfolgen eigener Stereotype gab es lediglich einen signifikanten Geschlechterunterschied. Frauen sahen ihre Karrierechancen deutlich stärker durch ihre eigenen Stereotype beeinflusst (M = 3.19, SD = 1.58) als Männer (M = 2.67, SD = 1.60; vgl. Abb. 6). Interessanterweise war der Geschlechterunterschied in Bezug auf die Wahl des Berufs statistisch nicht signifikant. Während sich Frauen durch Stereotype nicht stärker als Männer bei der Berufswahl behindert sehen, sehen sie ihre Aufstiegschancen durch geschlechtsbezogene Vorurteile deutlich gefährdeter als Männer dies tun.

Abb. 6
figure 6

(Eigene Abbildung)

Mittlere wahrgenommene Folgen von eigenen Stereotypen für Karrierechancen in % (0 = hat keinen Einfluss; 100 = hat einen sehr starken Einfluss) aufgeschlüsselt für weiblichen (w) und männliche (m) Teilnehmer*innen.

Einen solchen signifikanten Geschlechterunterschied gab es nur in Bezug auf die Alltagsfolgen der eigenen Stereotype, bei den Folgen der Stereotype anderer antworteten Frauen und Männer im Durchschnitt recht ähnlich.

Wie Abb. 5 zeigt, wurden sämtliche Lebensbereiche, die im Fragebogen als möglicherweise von Stereotypen betroffen vorgeschlagen wurden, auch von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als durch Stereotype beeinflusst wahrgenommen.

4.1.3 Die Entstehung von Genderstereotypen und Geschlechterrollen: Wahrgenommene Haupteinflussfaktoren und deren Gewichtung

Die Befragten schrieben hier ihren Eltern den stärksten Einfluss auf die eigenen geschlechterbezogenen Stereotype zu (M = 4.13, SD = 1.58), während sie Religion (M = 1.91, SD = 1.48) und Videospielen (M = 1.91, SD = 1.44) den geringsten Einfluss unterstellten (vgl. Abb. 7). Bemerkenswert ist erneut, dass alle Mittelwerte deutlich über dem Minimalwert 1 lagen, sodass alle zu beurteilenden Größen als prinzipiell relevante Einflussfaktoren wahrgenommen wurden.

Abb. 7
figure 7

(Eigene Abbildung)

Mittlerer wahrgenommener Einfluss verschiedenen Kategorien auf Stereotype in % (0 = hat keinen Einfluss; 100 = hat einen sehr starken Einfluss).

Bei der getrennten Betrachtung der Geschlechter zeichneten sich einige signifikante Unterschiede ab (vgl. Abb. 8). Männer schrieben ihren Mitschülern*innen und Kollegen*innen einen größeren Einfluss zu (M = 3.33, SD = 1.47) als es Frauen taten (M = 2.82, SD = 1.41). Darüber hinaus fühlten sich Männer (M = 2.20, SD = 1.55) auch deutlich stärker durch Videospiele in ihren Stereotypen beeinflusst als Frauen (M = 1.81, SD = 1.40).

Abb. 8
figure 8

(Eigene Abbildung)

Mittlerer wahrgenommener Einfluss von Mitschüler*innen und Kollegen*innen auf Stereotpye in % (0 = hat keinen Einfluss; 100 = hat einen sehr starken Einfluss) aufgeschlüsselt für weiblichen (w) und männliche (m) Teilnehmer*innen.

Der größte Geschlechterunterschied bei der Bewertung der Einflussfaktoren lag für den Faktor Soziale Medien vor, dem Teilnehmerinnen signifikant größeren Einfluss in Bezug auf ihre Geschlechterstereotypen zuweisen (M = 3.46, SD = 1.67) als männliche Teilnehmer (M = 2.79, SD = 1.60).

Obwohl die befragten Teilnehmer*innen Videospielen und Sozialen Medien subjektiv einen Einfluss auf ihre Stereotype zuschrieben, gab es keine signifikante Korrelation zwischen der Nutzungshäufigkeit von Sozialen Medien oder Videospielen und den stereotypen und egalitären Einstellungen (gender-linked und gender-transcendent Subskalen des SRQ). Dies galt sowohl für weibliche, als auch für männliche Teilnehmende.

4.1.3.1 Mediennutzung

Angesichts der Befunde zu Medien als Einflussfaktor überraschte es nicht, dass die Teilnehmerinnen angaben, soziale Medien generell signifikant häufiger zu nutzen als männliche. Einer im Durchschnitt „sehr häufigen“ Nutzung sozialer Medien durch die Teilnehmerinnen steht eine im Durchschnitt nur „häufige“ Nutzung der männlichen Befragten gegenüber. Zudem sahen Jungen/Männer Videospiele nicht nur als stärkeren Einflussfaktor auf Stereotype, sondern nutzen diese signifikant häufiger (M = 3.85, SD = 1.82) als Frauen (M = 2.13, SD = 1.52).

Auch bei den Fragen zur Nutzung spezifischer Sozialer Medien gab es klare Geschlechterunterschiede. So wird die Videostreaming-Plattform YouTube beispielsweise im Durchschnitt bedeutend häufiger von Männern (M = 5.32, SD = .82) genutzt als von Frauen (M = 4.90, SD = 1.18). Dasselbe gilt für die Streaming-Plattform Twitch, (Männer: M = 1.82, SD = 1.36; Frauen: M = 1.24, SD = .84). Dies ist jedoch aufgrund der verschiedenen Nutzungshäufigkeiten von Videospielen wenig überraschend, da es sich hierbei um eine Social Media Plattform für das Streaming von Videospielen handelt. Frauen wiederum berichteten im Durchschnitt deutlich häufiger, das speziell auf das Teilen von Bildmaterial spezialisierte Instagram zu benutzen (M = 4.92, SD = 1.61) als Männer (M = 3.50, SD = 2.06). Auch die Online-Pinnwand Pinterest für Grafiken und Fotos nutzen Frauen signifikant häufiger (M = 2.61, SD = 1.55) als Männer (M = 1.57, SD = 1.11).

Die Ergebnisse der #Lëtzstereotype18-Studie zeigen, dass ein eher egalitäres und weniger stereotypes Geschlechterrollenbild Jugendlicher und junger Erwachsener in Luxemburg vorherrscht. Aufgrund des gesellschaftspolitischen Wandels sind ähnliche Ergebnisse in anderen Ländern des westlichen Kulturraums zu finden (Sani und Quaranta 2017; Valentova 2013). Dass Mädchen und Frauen dazu neigen, traditionellere, stereotype Denkweisen in Bezug auf Genderrollen stärker abzulehnen als männliche Teilnehmer und diesen auch im egalitären Denken in voraus sind, ist nicht neu und spiegelt auch die Ergebnisse der Originalstichprobe des hier verwendeten SRQ Fragebogens von Baber und Tucker (2006) vor fast 16 Jahren.

Offenkundig geht die Entwicklung generell in die positive Richtung hin zu mehr egalitärem Denken und weg vom Denken in veralteten traditionellen Rollenbildern, die gerade für junge Menschen schwerwiegende Folgen für ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden sowie ihre Lebenslaufbahn haben kann. Jedoch zeigen die Ergebnisse auch, dass sich einige Stereotype noch beharrlich in den Köpfen auch der jüngeren Generation halten. So halten selbst im Jahre 2018 viele männliche Teilnehmer der Studie nicht alle Arten von Arbeit für Frauen angemessen.Footnote 4

Solche moralisch-normative Konnotationen, dass sich manche Dinge oder Verhaltensweisen für das ein oder andere Geschlecht „nicht gehören“, bringen geschlechterbezogene Stereotype grundsätzlich mit sich, da die Gesellschaft dem jeweiligen Geschlecht entsprechende typische soziale Normen und Rollen zuweist (Gill und Gill 2007). Die Befunde zeigen auch, dass trotz positiver Veränderungen insbesondere bei männlichen Personen noch Entwicklungspotential vorhanden ist, was eine wichtige Information und einen Ansatzpunkt für Arbeit im Bereich der Prävention und Intervention liefert – gerade auch vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung für Lebenszufriedenheit und psychologische Wohlbefinden. Um solche Informationen und Ansatzpunkte auch für eine spezifisch jüngere Zielgruppe zu haben, wurden in der #Lëtzstereotype18 Studie auch Daten zur Mediennutzung erhoben. Die diesbezüglichen Befunde stehen im Einklang mit Ergebnisse der JIM Studie (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018), einer der bekanntesten jährlichen Studien zur Mediennutzung Jugendlicher im Nachbarland Deutschland. Darüber hinaus zeigt sich in der luxemburgischen Studie, dass Teilnehmer*innen interessanterweise auch selbst einen Bezug zwischen ihrer Mediennutzung und der Entwicklung ihrer eigenen Stereotype herstellen. So nutzen Jungs nicht nur Videospiele und soziale Medien mit Videospielbezug (z. B. Twitch) häufiger als Mädchen, sondern bewerten diese auch als größere Einflussfaktoren, wenn es um die Entstehung eigener Stereotype geht. Diese Einsicht ist insofern bedeutsam, da besonders in Videospielen die Darstellung von weiblichen Charakteren oft sehr problematisch ist. Vor allem in den Spielen, die am häufigsten genutzt werden (wie Action- und Adventure Spiele, die auch in dieser Studie zu den beliebtesten gehörten), sind weibliche Charaktere stark unterrepräsentiert und werden meist in übersexualisierter Darstellung gezeigt (z. B. Glaubke et al. 2001; Jansz und Martis 2007). Solche stereotypen Darstellungen finden sich auch in der Wahrnehmung junger Menschen; sie tragen überdies wesentlich zur Sozialisierung der Geschlechterbilder bei (z. B. Dill und Thill 2007).

Die Teilnehmerinnen der Studie hingegen nutzen stärker soziale Medien als männliche Teilnehmer und schreiben diesen auch einen stärkeren Einfluss zu, wenn es um ihre Geschlechterstereotype geht. Jedoch werden Frauen und Mädchen in diesem Kontext oft als nach männlicher Aufmerksamkeit strebende, sexualisierte Objekte präsentiert (Bailey et al. 2013). Das ist insofern problematisch, als dass stereotype Selbstdarstellungen im sozialen Medien Kontext von Frauen oder Mädchen selbst als vielversprechend für sozialen Erfolg und Popularität gesehen werden (Bailey et al. 2013). Leider befinden sich Frauen und Mädchen in der Onlinewelt in einer Zwickmühle, da sie häufig mit Kritik konfrontiert werden, nämlich dann, wenn sie den stereotypen Erwartungen nicht gerecht werden, aber auch, wenn sie online in ihrer Selbstdarstellung zu offen sind (z. B. öffentliches Profil, Preisgabe von persönlichen Informationen,…; Bailey et al. 2013). Dies hat auch eine negative Auswirkung auf ihr Wohlbefinden, da gerade bei weiblichen Jugendlichen der Selbstwert oft stark mit der sozialen Akzeptanz einhergeht (Hagborg 1993).

Dass sich der Einfluss von Videospielen und Sozialen Medien zwar in der Selbsteinschätzung, jedoch nicht im Zusammenhang mit der angegebenen Nutzungshäufigkeit zeigt, muss nicht bedeuten, dass keine Korrelation zwischen der Nutzung moderner Medien und der Entwicklung von Stereotypen besteht. Wie oben erläutert, gibt es sowohl theoretische Überlegungen wie auch empirische Belege, die einen Zusammenhang nahelegen. Die Messung in der vorliegenden Studie beschränkte sich jedoch auf die reine Nutzungshäufigkeit. Neuere Studien in der Medienpsychologie deuten darauf hin, dass gerade in Bezug auf Soziale Medien die Qualität und Motivation der Nutzung in vielen Bereichen viel entscheidender sind als die reine Quantität der Nutzung (z. B. Stein et al. 2019). Daher ist für die Stereotypentwicklung zu vermuten, dass das Wie und das Wieso der Mediennutzung einen sehr viel bedeutenderen Einfluss auf die Entwicklung von Stereotypen hat als das Wieviel.

Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem sich die jungen Teilnehmerinnen selbst stark negativ durch ihre eigenen Stereotype beeinträchtigt sehen, ist der Beruf. Hier sehen sie jedoch weniger ihre Berufswahl, sondern vielmehr ihre späteren Chancen für einen Karriereaufstieg eingeschränkt. Dies könnte mitunter daran liegen, dass junge Frauen durchschnittlich ein geringeres Selbstwertgefühl besitzen als junge Männer, etwa in Bezug auf ihre eigenen Leistungen (Hackett et al. 1989; Maiano et al. 2004).

Die Tatsache, dass Frauen und Mädchen den sozialen Medien eine solch große Bedeutung und starken Einfluss beimessen, stellt aufgrund der dort präsentierten Stereotype eine Herausforderung mit möglichen negativen Folgen in Bezug auf ihr allgemeines Wohlbefinden dar. So ist nicht nur eine negative Beeinträchtigung des Selbst- und Körperbilds durch Stereotype denkbar, sondern auch ihrer beruflichen Bestrebungen sowie ihrer Überzeugungen hinsichtlich tatsächlich erbrachter Leistungen. Ein Teufelskreis selbsterfüllender Prophezeiungen kann wiederum dazu führen, dass sich die negativen Einstellungen in Bezug auf ihre Karrierechancen tatsächlich bestätigen. Vor diesem Hintergrund ist Grundlagenforschung vor allem im Bereich der neuen Medien überaus wichtig, speziell im Hinblick auf effektive Präventions- und Interventionsmaßnahmen.

Doch soziale Medien sind nicht per se schlecht, böse, oder gefährlich für junge Menschen, im Gegenteil. Beispiele wie die Fridays-for-Future- oder die #MeTooFootnote 5 Bewegung zeigen deutlich, wie gut junge Menschen heutzutage in großer Zahl und flächen-, sowie plattformübergreifend durch Online- Bewegungen und -Kampagnen erreicht werden können. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass eine stereotype „Sexorientiertheit“ der Männer bei weiblichen Teilnehmerinnen der #Lëtzstereotype18-Studie auf die größte Zustimmung traf. Sowohl soziale Medien als Werkzeug und Kontext, als auch spezifische Stereotype, wie die in der vorliegenden Studie untersuchten, sollten in Hinblick auf Aufklärungskampagnen oder Interventionsmaßnamen unbedingt weiter erforscht und in Betracht gezogen werden. Auch die starken emotionalen Reaktionen auf die in der Studie verwendeten stereotypen (vermeintlichen) Instagram-Posts sprechen als Indikator hierfür. Besonders Frauen reagierten stark verärgert auf diese stereotypen sozialen Medieninhalte, während sie mit Interesse und teilweise sogar Begeisterung auf die Version mit vertauschten Rollen reagierten.

Nicht zuletzt, da diese Studie auch deutlich gezeigt hat, wie viele Lebensbereiche junger Menschen von Stereotypen beeinträchtigt sind, sollte der Forschungsfokus darauf liegen, wie moderne Medien genutzt werden können, um Stereotype erfolgreich aufzubrechen und ein egalitäreres Geschlechterrollenbild junger Menschen zu fördern und dessen Bedeutung für das Wohlbefinden zu erfassen.

Besonders interessant und relativ unerwartet war das Ergebnis, dass es vor allem die eigenen Stereotype der Teilnehmer*innen sind, denen der größte Einfluss auf die verschiedenen Lebensbereiche zugesprochen wurde. Dass alle vorgeschlagenen Lebensbereiche als sowohl von eigenen, als auch von gesellschaftlichen Stereotypen beeinträchtigt gesehen werden zeigt, wie bewusst es den jungen Menschen ist, welche große Bedeutung Stereotype für ihr Leben und Wohlbefinden haben. Der Fakt, dass sie zudem den eigenen Stereotypen eine größere Bedeutung beimaßen, belegt ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit und Selbstwirksamkeit. Dieser Befund stellt einen vielversprechenden Ansatzpunkt für mögliche Präventions- und Interventionskampagnen dar.

Auch wenn das Denken im westlichen Kulturraum immer egalitärer wird, sind Stereotype offensichtlich immer noch präsent im Alltag und spielen eine wichtige Rolle im Leben von jungen Menschen. Somit beeinträchtigen sie auch weiterhin ihr Wohlbefinden. Für die zukünftige Forschung wäre es im nächsten Schritt zielführend, weitere Methoden zu implementieren, um Stereotype und die zugrunde liegenden Prozesse genauer ergründen und besser verstehen zu können. Über die kognitive und emotionale Ebene hinaus, ist das Erfassen weiterer Daten auf der physiologischen sowie der Verhaltensebene sinnvoll. Auch experimentelle Variationen verschiedener Bedingungen, ähnlich wie die in der vorliegenden Studie vorgenommene Variation der Instagram-Posts, könnten an dieser Stelle einen signifikanten Mehrwert an Informationen bringen. Ein tieferes Verständnis dieser Prozesse ist vor allem wichtig, da sie stark abhängig von rapiden und dynamischen Verläufen, wie medien- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen sind. Nur wenn junge Menschen auf der aktuellen Ebene in ihrer Entwicklung und zielgerecht im relevanten Kontext erreicht werden können, sind Interventionsmaßnahmen und präventive Arbeit wirklich erfolgreich. Die hier besprochene Datengrundlage zeigt, dass neben dem Elternhaus, der Schule und Peers, insbesondere auch Soziale Medien als Zielfaktor vielversprechend sein können. Dieses Potenzial sollte unbedingt genutzt werden.

Wie zu Beginn bereits erläutert, ist Wohlbefinden ein Zustand, in dem es eine Balance gibt, zwischen den Ressourcen einer Person und den sich ihr stellenden Herausforderungen. Moderne Medien sind Teil der Lebensrealität der jungen Generationen und werden in Zukunft eher an Bedeutung und Einfluss gewinnen, als verlieren. Um im Zeitalter der neuen Medien also nach Wohlbefinden zu streben, sollten wir diese Medien nicht nur unter dem Aspekt der Herausforderungen sehen, die sie in vielen Bereichen mit sich bringen, sondern auch als mögliche Ressourcen, zum Beispiel im Kampf gegen Stereotype und ihre Auswirkungen.