Zuammenfassung
Im Interview mit dem SPIEGEL im Sommer 1990 sagte Heiner Müller, er werde „misstrauisch“, wenn das Wort „Volk“ falle, und er habe „gerade im Herbst vorigen Jahres“ (also 1989, Ch.K.) sehr gut verstehen können, warum Bertolt Brecht immer von „Bevölkerung“ habe sprechen wollen.
„Massen mißtrauen den Intellektuellen nicht mehr, weil sie die Revolution verraten, sondern weil sie sie wollen könnten, und bekunden damit, wie sehr sie der Intellektuellen bedürften“.
(Adorno, 1951, S. 302)
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Notes
- 1.
Mit Salzborn (2018) verstehe ich Rechtspopulismus als eine strategische Form des Rechtsextremismus.
- 2.
Im englischen Original heißt es „people“, was das weniger eindeutig aufgeladen ist als das deutsche „Volk“ und in der Bedeutung zwischen „Bevölkerung“ und „Volk“ steht.
- 3.
An anderer Stelle schreibt Freud bezüglich des „Weibes“, dass die Psychoanalyse sich nicht dafür interessiere, was das Weib sei, sondern wie es dazu geworden sei (vgl. Freud 1933a, S. 124).
- 4.
Er versucht dieses Phänomen auch gleich psychodynamisch zu erklären: Die Masse mache dem Einzelnen den Eindruck einer „unbeschränkten Macht und einer unbesiegbaren Gefahr“ (ebd.). Das ist der Widerspruch, aus dem sich die Spannung und Dynamik faschistischer Bewegungen ergibt: Man selber ist als Teil der Bewegung unglaublich mächtig und gleichzeitig konfrontiert mit einer eigentlich unüberwindlichen Gefahr, etwa: „Tausendjähriges Reich“ gegen allmächtige jüdische Weltverschwörung. Die Kombination aus Omnipotenzphantasien und imaginierter Gefahr steigert den Affekt.
- 5.
Auch in „linken“ Bewegungen lassen sich (nicht nur) in den letzten Jahrzehnten ähnliche Phänomene beobachten, etwa wenn in schnellem Tempo und mit schlafwandlerischer Sicherheit antisemitische Klischees reproduziert oder zeitgemäß abgewandelt werden, das Ressentiment gegen eine angeblich herrschende Clique zum verbindenden Moment einer Bewegung wird.
- 6.
Melanie Klein ist keine Theoretikerin der Nachträglichkeit. Es kann an dieser Stelle nicht geleistet, nur angedeutet werden, dass viele Unklarheiten und wenig nachvollziehbare Setzungen, die sie macht – die sie aufgrund der Vorsprachlichkeit des von ihr konzipierten auch nur nachträglich postulieren kann – sich lösen würden, würde man sie unter Einbezug der Nachträglichkeit in der Konstitution des Psychischen reformulieren.
Literatur
Adorno, T. W. (1961). Philosophie und Lehrer. Gesammelte Schriften, 10.2. 474–494. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Adorno, T. W. (1986). Max Horkheimer. Gesammelte Schriften, 20.1. 149–151. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Adorno, T. W. (1995). Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag.
Adorno, T. W. (1951). Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Gesammelte Schriften Bd. 4. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
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Freud, S. (1923b). Das Ich und das Es. Gesammelte Werke, Bd. XIII, 237–289. London: Imago.
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Klein, M. [1957] (2000). Neid und Dankbarkeit. Eine Untersuchung unbewusster Quellen. In R. Cycon (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Bd III, S. 279–368. Stuttgart: Frommann-Holzboog.
Le Bon, G. [1895] (2016). Psychologie der Massen. Köln: Anaconda.
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Müller, H. (1990). „Jetzt ist da eine Einheitssoße “. Der Spiegel, 44, 136–141.
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Salzborn, S. (2018). Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. Nomos Verlag.
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Kirchhoff, C. (2022). „Ich bin Volker“. Metapsychologische Überlegungen zu Masse, Identifikation und Solidarität. In: Brunner, M., König, HD., König, J., Lohl, J. (eds) Sozialpsychologie der Massenbildung. Kritische Sozialpsychologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35693-4_6
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