Zusammenfassung
In ihrer langen Amtszeit hat Angela Merkel den Gang des europäischen Integrationsgeschehens geprägt wie noch kein deutscher Kanzler vor ihr. Nachdem der Lissabonner Vertrag mit ihrer starken Unterstützung finalisiert und in Kraft gesetz werden konnte, erfassten zahlreiche Krisen die EU. Merkels zahllose Beiträge zur Linderung oder Lösung dieser Krisen haben der EU ihren Stempel aufgedrückt, so insbesondere bei der sog. Euro- und Flüchtlingskrise. Dabei wurden Merkel und ihren vier Koalitionsregierungen oft ein ausgeprägter, interessensgeleiteter Pragmatismus sowie Visionslosigkeit zugeschrieben. Dennoch hat Angela Merkel sehr Wesentlich zum Zusammenhalt der EU beigetragen. Auch letzthin hat Kanzlerin Merkel der EU einen immens großen Dienst erwiesen, indem sie zusammen mit Frankreich das Next Generation EU-Programm initiierte, das einen Ausweg aus Klima- und Coronakrise eröffnet. Damit gelang es der „Kanzlerin Europas“, ihrem europapolitischen Vermächtnis eine dezidiert solidarische und innovative Note hinzuzufügen.
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Notes
- 1.
Der Begriff stammt ursprünglich vom Brüsseler European Policy Center, wurde aber von Juncker publik gemacht.
- 2.
Diese Aspekte werden regelmäßig vertieft in den Beiträgen des jährlich von Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels herausgegebenen „Jahrbuch der Europäischen Integration“ behandelt, die Deutschland gewidmet sind.
- 3.
Vgl. dazu die einschlägigen Beiträge im „Jahrbuch der Europäischen Integration“.
- 4.
Lech Kaczynski übernahm am 23.12.2005 das Amt des Staatspräsidenten, sein Zwillingsbruder Jaroslaw trat am 14.07.2006 als Premierminister an.
- 5.
Bei dieser Rechnung wurde Deutschland zu den Ratifizierern gezählt, obwohl Bundespräsident Köhler wegen einer anhängigen Klage vor dem BVerfG das Zustimmungsgesetz zum VVE nicht unterzeichnet hatte. Es wurde argumentiert, dass das Parlament den VVE im Mai 2005 mit deutlicher Mehrheit angenommen hatte.
- 6.
Alle hier erwähnten Dokumente der Bundesregierung sind abrufbar unter: http://www.bundesregierung.de/ und werden im Literatur- und Quellenverzeichnis nicht einzeln aufgelistet.
- 7.
Allerdings stellten Polen und Tschechien sofort nach der Unterzeichnung der Berliner Erklärung deren Selbstverpflichtungscharakter und Terminplan wieder in Frage.
- 8.
Vgl. die Übersicht „Verfahren im Vergleich“ bei Rüger (2007, S. 117).
- 9.
Polen war äußerst ungehalten darüber, dass Berlin in seinem Entwurf des Mandats für die Regierungskonferenz, den es unmittelbar vor dem Gipfeltreffen zirkulieren ließ, die Forderungen aller anderen Mitgliedstaaten, so z. B. die britischen und die niederländischen, aufgegriffen hatte, nicht aber die polnischen nach einer Veränderung der Stimmgewichtung.
- 10.
Vgl. Teil III, Abschn. 2.2.1 dieses Bandes.
- 11.
- 12.
Um den Widerstand Polens und Spaniens gegen die doppelte Mehrheit zu überwinden, hatte die Regierungskonferenz 2004 die Quoren erhöht: War ursprünglich die Zustimmung von 50 % der Staaten, die 60 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, für das Zustandekommen eines qualifizierten Mehrheitsentscheids erforderlich, so müssen es künftig 55 % der Staaten, die 65 % der Bevölkerung vertreten, sein.
- 13.
Die Ioannina-Klausel war 1994 im Kontext der Norderweiterung der EU zum Schutz kleiner Mitgliedstaaten vor der Majorisierung durch die Großen eingeführt worden; sie räumt einer qualifizierten Minderheit, die die vertraglich fixierte Blockademinderheit nur knapp verfehlt, ein suspensives Veto gegen Mehrheitsentscheidungen des Rats ein. Der VVE hatte ein Auslaufen dieser Klausel vorgesehen, doch der ER vom Juni 2007 verlängerte diesen Minderheitenschutz für die Zeit nach dem definitiven Ende des Nizzaer Systems 2017 unbefristet. Außerdem senkte er die Schwellenwerte der Ioannina-Klausel ab, so dass künftig eine Blockademinderheit einfacher zustande kommt als bisher (vgl. Erklärung Nr. 7, Abschnitt 2, Artikel 4 zum Lissabonner Vertrag).
- 14.
Der Begriff „Popularitätsgewinn“ ist insofern zu korrigieren, als Merkel bereits 10 Wochen nach ihrer Wahl so beliebt wie kein Kanzler je zuvor war; 80 % der Bundesbürger waren Anfang 2006 mit ihrer Arbeit zufrieden (Focus, Februar 2006).
- 15.
Symptomatischerweise hielten nur 8 % der befragten Amerikaner Merkel für den wichtigsten Politiker Europas, während 23 % für Gordon Brown optierten.
- 16.
Überflüssigerweise wird garantiert, dass der Vertrag von Lissabon das irische Abtreibungs- und Familienrecht nicht berührt; auch die Garantie, dass der Vertrag die irische Neutralität nicht aushebelt, ist überflüssig.
- 17.
Die Hypo Real Estate wurde im Oktober 2009 gar verstaatlicht.
- 18.
Dies wurde noch unter der großen Koalition Merkel/Steinmeier beschlossen.
- 19.
Ursprünglich wollte Sarkozy einen Separat-Gipfel nur der Euro-Länder einberufen; Merkel lehnte dies jedoch vehement ab, um die Nicht-Euro-Staaten, die zudem besonders hart von der Krise betroffen waren, nicht auszugrenzen. Schließlich gab Sarkozy der Kanzlerin nach.
- 20.
Legendär ist Steinbrücks Wort von der Kavallerie im Zusammenhang mit Steuerparadiesen. „Dass eine solche Liste erarbeitet werden könnte, […] ist umgangssprachlich formuliert, die siebte Kavallerie im Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann. Aber die muss nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt“ (Steinbrück zitiert nach Rohr 2009). Vor allem in der Schweiz löste dies Empörung aus.
- 21.
Gegen diese strengen Regeln meldete Steinbrück allerdings Bedenken an. Dies empörte EU-Kommissar Verheugen; er könne den Finanzminister nicht verstehen, zumal Deutschland „Weltmeister in riskanten Bankgeschäften gewesen“ sei; nicht einmal in Amerika hätten sich „die Banken mit größerer Bereitschaft in unkalkulierbare Risiken gestürzt“, sagte Verheugen am 18.05.2009 der Süddeutschen Zeitung.
- 22.
- 23.
Auch all diese Staaten erhielten Hilfen, was hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden kann.
- 24.
Bereits in dieser Regierungserklärung forderte Merkel „wirkliche Reformen hin zu einer neuen Stabilitätskultur“ die auch Vertragsreformen erforderlich machen.
- 25.
Die FDP hatte sich im Wahlkampf 2009 explizit gegen jegliche Hilfestellungen für höchstverschuldete Eurozonen-Staaten gewandt. Auf dem FDP-Parteitag im April 2010 – inzwischen war die FDP in der Regierung – scheiterte ein Antrag auf Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone nur knapp (Wendler 2015, S. 598).
- 26.
Weiterhin forderte die SPD die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer sowie von Eurobonds (Zimmermann 2015, S. 363). Merkel stimmte sowohl solch einer Steuer als auch einem Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit zu. Dies sollte sich auszahlen, denn bei der Abstimmung vom 29.6.2012 über den ESM-Vertrag (Europäischer Stabilitätsmechanismus) und die Fiskalunion verfehlte Angela Merkel wegen Gegenstimmen und Enthaltungen in den eigenen Reihen die sog. Kanzlermehrheit (Zimmermann 2015, S. 366–367).
- 27.
- 28.
Dies war wegen der Nichtteilnahme Großbritanniens und Tschechiens erforderlich.
- 29.
Der VSKS trat zum 01.01.2013 in Kraft, nachdem 12 Euro-Staaten (und die meisten Nicht-Euro-EU-Staaten) ihn ratifiziert hatten.
- 30.
Bundesbankpräsident Axel Weber, der die EZB-Politik radikal ablehnte, war Anfang 2011 zurückgetreten. Gegen OMT sowie gegen weitere Aufkaufprogramme der EZB wurden vor dem BVerfG Klagen erhoben, vgl. Abschn. 8.2.4.
- 31.
- 32.
2013 war die „Alternative für Deutschland“ (AfD) von Bernd Lucke als im wesentlichen Anti-Eurorettungs-Partei gegründet worden. Bei den Bundestagswahlen im September 2013 verpasste sie mit 4,7 % knapp den Einzug in den Bundestag.
- 33.
- 34.
- 35.
Hollandes Forderung nach einer Wirtschaftsregierung gab sie aber nicht nach.
- 36.
Am Ende der rot-grünen Regierungszeit lag eine erste Asylverfahrensrichtlinie vor, die allerdings erst im Dezember 2005 verabschiedet wurde.
- 37.
Wie schon in Teil IV dieses Bandes dargelegt, besitzt die EU keine Zuständigkeit für legale Einwanderung; dieses Politikfeld verbleibt auch im Lissabon-Vertrag im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten; insbesondere Deutschland tritt seit jeher sehr stark dafür ein, dass über Fragen der legalen Zuwanderung, die ja zugleich den Zugang zum Arbeitsmarkt impliziert, der einzelne Mitgliedstaat und nicht die EU entscheidet.
- 38.
Schoen und Gavras arbeiten heraus, dass Merkels Flüchtlingspolitik zu nur moderaten Veränderungen der Bewertung der Regierungsarbeit durch die Bürger geführt habe, sie halten jedoch eine anhaltende Polarisierung in diesem Politikfeld fest (Schoen und Gavras 2019).
- 39.
Stand 06.09.2015; Quelle: http-_ichef-1.bbci.co.uk_news_624_cpsprodpb_179BD_production__85410769_syrian_refugees_62regions.jpg.
- 40.
Gemäß der Dublin III-Verordnung vom 26. Juni 2013 muss sich ein Asylsuchender in dem Land registrieren lassen, in dem er erstmals EU-Boden betritt. Dieser EU-Mitgliedstaat ist dann auch für sein Asylverfahren zuständig.
- 41.
Mit Vizekanzler Gabriel habe ein Telefonat Merkels mehr „den Charakter einer Unterrichtung“ gehabt, Hildebrand und Ulrich (2015).
- 42.
Allerdings nur vorübergehend, vgl. Schoen und Gavras 2019, S. 20.
- 43.
Zu dieser Rechtfertigungspolitik gehörte auch Merkels Auftritt vom 07.10.2015 in der Talkshow Anne Will; hier betonte sie wiederholt, die deutschen Grenzen nicht schließen zu wollen und „wir schaffen das“.
- 44.
Dies sagte Merkel erstmals bei einer Pressekonferenz mit ihrem österreichischen Amtskollegen Werner Faymann am 15.09.2015; sie wiederholte ihn mehrfach.
- 45.
Unter den Migranten waren viele Menschen (rund 140.00 in 2015) aus den Westbalkanstaaten, die EU-Beitrittskandidaten waren bzw. diesen Status anstrebten. Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina waren bereits im November 2014 zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden, Albanien, Kosovo und Montenegro folgen im Rahmen des Asylpaket I (Laubenthal 2019, S. 525).
- 46.
Insbesondere das Asylpaket II beschleunigte jedoch Abschiebungsverfahren für all jene Migranten, die keine gute Bleibeperspektive hatten und setzte den Familiennachzug für nur subsidiär Geschützte aus.
- 47.
Dabei spielten emotionale Momente, oft durch Fotos und Bildsequenzen untermauert, eine große Rolle; hier sei u. a. an das Foto erinnert, das am 03.09.2015 einen toten kleinen Jungen am Strand von Bodrum zeigte.
- 48.
Finnland enthielt sich, während Großbritannien, Irland und Dänemark wegen ihrer Opt-out im RFSR an der Entscheidung gar nicht beteiligt waren (Greubel 2018, S. 17).
- 49.
Zur Zielsetzung des verstärkten Schutzes der EU-Außengrenzen gehört auch ein deutlicher Ausbau von Frontex. Die sich häufenden Anschuldigungen gegen die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (European Border and Cost Guard Agency), so die offizielle Bezeichnung, können hier nicht behandelt werden; es geht um illegale Pushbacks, die Frontex vorgeworfen werden.
- 50.
„Wir werden die Verhandlungen des neuen Migrations- und Asylpakets weiter voranbringen und uns dabei an einem integrierten, umfassenden europäischen Ansatz orientieren, der eine ausgewogene Sichtweise zwischen der Prävention irregulärer Migration, der Förderung von nachhaltigen, legalen Migrationswegen und der Integration der Migrantinnen und Migranten umsetzt und dabei die Menschenrechte schützt. Die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern ist zentraler Bestandteil dieses Ansatzes“, hieß es dort.
- 51.
So Markus Ferber, MdEP, in einer Podiumsdiskussion des Eurobüros Augsburg am 02.10.2020, an der auch die Verfasserin beteiligt war.
- 52.
Dazu hieß es: „Wir begrüßen, dass Beitrittsverhandlungen mit Kroatien aufgenommen worden sind. Wir halten fest an der europäischen Perspektive auch für die anderen Staaten des westlichen Balkans“.
- 53.
Von 1997 bis 2012 wurde die Türkei als defizitäre Demokratie eingeschätzt, von 2013 bis 2015 als hybrides Regime und von 2016 bis heute als moderate Autokratie eingeschätzt, vgl. Würzburger Demokratiematrix, https://www.demokratiematrix.de/matrixdarstellung#/chart1//Turkey/2020/core.
- 54.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP aus 2009 hieß es zum EU-Beitritt der Türkei: „Sollte die EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht in der Lage sein, alle mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen voll und ganz einzuhalten, muss die Türkei in einer Weise, die ihr privilegiertes Verhältnis zur EU weiterentwickelt, möglichst eng an die europäischen Strukturen angebunden werden.“ Und auch mit Blick auf die Balkanstaaten formulierte Schwarz-Gelb vorsichtig: „Wir stehen für eine Erweiterungspolitik mit Augenmaß. Abstriche bei den Kriterien oder gar einen Beitrittsautomatismus […] darf es nicht geben. Die Erweiterungsverhandlungen werden ergebnisoffen geführt. Die strikte Erfüllung der Kopenhagener Kriterien bleibt Voraussetzung für einen Beitritt.“
- 55.
Korrekt müsste es heißen: „Der Beitrittswunsch vieler Länder kann nicht immer erfüllt werden“.
- 56.
Im August 2014 fand die erste „Konferenz zum Westlichen Balkan“ in Berlin statt, die seither jährlich abgehalten wird. Diese Initiative, die maßgeblich auf Angela Merkel zurückgeht, wird seither als „Berliner Prozess“ bezeichnet (Deutscher Bundestag 2018, S. 6).
- 57.
Mit Serbien war es im Vorfeld der Ratifizierung des einem EU-Beitritt voraushegenden Stabilisierungs-und Assoziierungsabkommen (SAA) 2008 zum Eklat gekommen. Serbien wurde vorgeworfen, nicht in ausreichendem Maße mit dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) zu kooperieren. In der Tat waren die seit Jahren gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher Mladić und Karadžić damals noch immer flüchtig. Zwar wurde Karadžić bereits im Juli 2008 gefasst und nach Den Haag überstellt; Mladić aber erst im Mai 2011. Ein weiterer Kriegsverbrecher, Goran Hadzic, folgte im Juli 2011. Doch nun verhinderten Serbiens Grenzkonflikt mit dem Kosovo Fortschritte, vor allem Deutschland hatte sein Veto eingelegt. Erst der Europäische Rat vom 09.12.2011 „nimmt zur Kenntnis, dass Serbien bei der Erfüllung der vom Europäischen Rat in Kopenhagen vorgegebenen Kriterien und der Anforderungen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses beträchtliche Fortschritte erzielt und ein völlig zufriedenstellendes Maß der Zusammenarbeit mit dem IStGH erreicht hat“ (Europäische Rat 2012, S. 5). 2017 wurde Mladić dann vom ICTY zu lebenslanger Haft verurteilt; im Juni 2021 bestätigte ein Berufungsgericht dieses Urteil.
- 58.
Die Beziehungen zur Ukraine schob Juncker in das Feld der östlichen Nachbarschaft ab, obwohl zum Zeitpunkt seiner Rede der dortige Konflikt bereits ausgebrochen und die Krim von Russland bereits annektiert war.
- 59.
Um seiner Aussage, dass in seiner Amtszeit kein weiterer EU-Beitritt erfolgen werden, Nachdruck zu verleihen, vergab Juncker an Hahn den kryptischen Titel „Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen“.
- 60.
Im Kontext der Flüchtlingskrise hatte Deutschland die Westbalkan-Staaten bereits 2014 zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt (vgl. Abschn. 4.2).
- 61.
Der Ungar Varhelyi gilt als Vertrauter Viktor Orbans.
- 62.
Leider benennt der Eurobarometer nicht mehr die Staaten, die der EU beitreten wollen oder können. Auch wird seit 2008 nicht mehr explizit nach der Türkei gefragt (vgl. Abschn. 5.1.1). Damit sinkt die Aussagekraft der Zustimmungswerte aber beträchtlich.
- 63.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 12.03.2018 hieß es dazu: „Die Lage der Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Türkei hat sich seit längerem verschlechtert. Deshalb wollen wir bei den Beitrittsverhandlungen keine Kapitel schließen und keine neuen öffnen. Visa-Liberalisierung oder eine Erweiterung der Zollunion sind erst dann möglich, wenn die Türkei die notwendigen Voraussetzungen erfüllt.“
- 64.
Die Bezeichnung GSVP wurde mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt; zwischen 1999 und 2009 war die Bezeichnung Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gültig; hier wird durchgängig GSVP verwendet.
- 65.
- 66.
Im Zeitraum 2009 bis 2014 stellte Deutschland von europaweit entsandten 16.061 Einsatzkräften 1425 Personen für zivile GSVP-Missionen zur Verfügung.
- 67.
Berlin wurde in der Ukraine-Krise eine „significant leadership role within European foreign and security policy“ zugeschrieben. Deutschland habe eine „new willingness to provide political and strategic leadership in European foreign, security and defence policy“ gezeigt. „In Ukraine, Germany has both learnt how to lead, and become more comfortable with a more proactive leadership role in European foreign and security policy“ (Aggestam und Hyde-Price 2020, S. 9–10 und 19).
- 68.
- 69.
20180625-letter-of-intent-zu-der-europaeischen-intervetionsinitiative-data.pdf (letzter Zugriff 18.06.2021).
- 70.
- 71.
Deutschland hatte sich im Lissabonner Reformprozess für diesen substanziellen Schritt eingesetzt.
- 72.
Das Inkrafttreten des neuen EU-Sanktionssystems bei Menschenrechtsverletzungen zum 08.12.2020 (Council oft the EU 2020) hat diese Maßnahmen möglicherweise erleichtert.
- 73.
Das Kyoto-Protokoll, das Ende 1997 abgeschlossen wurde und 2005 in Kraft trat, verpflichtete nur die unterzeichnenden Industriestaaten zu konkreten Emissionsreduktionen, Schwellen- und Entwicklungsländer waren nicht gefordert.
- 74.
Das EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS) bzw. EU Emissions Trading System (EU ETS) wurde 2005 eingeführt. Durch eine Bepreisung der CO2- Emissionen sollen die Emissionen verringert werden. Das EU-EHS erfasst rund 45 % der CO2- Emissionen der EU. Für die verbleibenden 55 % der EU- CO2- Emissionen werden Reduktionsziele durch Lastenteilung vorgeschrieben. Für die Phase IV des EU-EHS wurde 2016 eine weitreichende Reform beschlossen.
- 75.
2007 hatte Deutschland auch den G8-Vorsitz inne. Damals war Russland noch Mitglied dieser Gruppe.
- 76.
Es werden sechs Treibhausgase erfasst, die in CO2-Äquivalenzen umgerechnet werden. Eine Tonne Methanemission beispielsweise entspricht 21 t CO2.
- 77.
Auf EU-Ebene wurde diese Weichenstellung mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus dem Jahr 2009 weiter konkretisiert (Fischer 2017, S. 232).
- 78.
Zu den Details der Energie- und Klimabeschlüssen vgl. Rat der Europäischen Union: Energie und Klimawandel – Bestandteile des endgültigen Kompromisses, vom 12.12.2008.
- 79.
Atom- und Kohleausstieg bedingen, dass Deutschland nach alternativen Lösungen zur Garantie seiner Energieversorgungssicherheit suchen musste: Hier kommen die Nord-Stream 1 Pipeline ins Spiel, die 2011 in Betrieb ging, sowie Nord-Stream 2. Diese Nordsee-Pipeline hatte in den vergangenen Jahren regelmäßig für höchstes internationales Konfliktpotenzial gesorgt. Die USA hatten ein umfassendes Sanktionsregime errichtet, um die Fertigstellung und Inbetriebnahme von Nord-Stream 2 zu unterbinden. Doch am 19.05.2021 kündigte die Biden-Administration überraschend an, künftig auf Sanktionen verzichten zu wollen. Biden, so die Kommentierung, ordne seine gesamte Außenpolitik dem Ziel unter, den Kampf mit China um die Weltführung zu gewinnen. Da seien ihm gute Beziehungen zu Deutschland wichtiger als Sanktionen gegen Nord-Stream 2 (Kornelius 2021). Ruisseau dagegen verweist darauf, dass Biden vor allem an Moskau ein versöhnliches Signal aussenden wollte (2021).
- 80.
Im Kontext des Pariser Klimaabkommen findet sich auch häufig die Bezeichnung INDCs: Intended Nationally Determined Contributions.
- 81.
Auch nach dem Brexit blieb das Unionsziel von −20 % Ziel gültig. Ohne Großbritannien lag der Ausstoß 2018 in der EU-27 bei −20,7 %. Und auch ohne Großbritannien gab es 2019 einen starken Einbruch von −3,7 %. Die EU-27 erreichte in 2019 −24 %. Insgesamt konnte sie das Minderungsziel für 2020 also auch ohne das U.K. erreichen (European Environment Agency 2020, S. 14).
- 82.
In diesem Dokument schlug die Kommission auch eine Reform des Emissionshandelssystems inklusive einer Ausweitung auf weitere Sektoren sowie die Erstellung von Nationale Pläne für wettbewerbsorientierte, sichere und nachhaltige Energie vor.
- 83.
2005 hatte der EU-Anteil noch 12,8 % und 2012 9,8 % betragen, Dröge (2015, S. 15).
- 84.
Die USA sagten zu, bis 2025 28 % weniger Treibhausgase zu emittieren als 2005; damit wählte Washington ein „günstiges“ Referenzjahr; da die amerikanischen Emissionen 2005 auf Höchststand waren, belaufen sich die angekündigten CO2-Reduktionen auf lediglich 14 % bezogen auf 1990. China, das in der Vergangenheit jeglichen Beitrag zum internationalen Klimaschutz verweigert hatte, da es sich als Entwicklungsland bezeichnet, hielt in seinen INDC für das Pariser Abkommen fest, ab 2030, eventuell auch früher, seine Emissionen zu senken, vgl. Müller-Brandeck-Bocquet und Rüger (2015, S. 331).
- 85.
Vgl. Anhang 1 der Verordnung (EU) 2018/842 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018.
- 86.
Diese Dynamik ist auch auf das Ergebnis der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament zurückzuführen: Im Mai 2019 kamen die „Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA)“ inklusive der britischen Abgeordneten auf 74 von 751 Sitze (9,9 %). Nach dem Brexit und einigen Neuzugängen verfügte die Fraktion im Mai 2021 über 73 von 705 Mandate (10,4 %).
- 87.
Das deutsche Klimaziel für 2020 konnte Ende 2020 aufgrund der Corona-Pandemie dann doch erreicht bzw. übererfüllt werden. Statt der anvisierten 751 Mio. t CO2 emittierte Deutschland 2020 722 Mio. t. Ohne Corona hätte der Ausstoß mutmaßlich rund 770 Mio. t CO2 betragen. Im Endergebnis jedoch sanken die deutschen Emissionen im Zeitraum 1990 bis Ende 2020 um 40,8 %.
- 88.
Zu Erinnerung: Für 2030 lag das EU-Minderungsziel im Jahr 2019 noch bei −40 %; der Europäische Grüne Deal jedoch hatte bereits – 55 % ins Spiel gebracht.
- 89.
Welche Rolle bei der Verschärfung der deutschen Klimapolitik der im Oktober 2018 veröffentlichte Sonderbericht „Global Warming of 1.5 °C“ des gerne als Weltklimarat bezeichneten IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) spielte, muss hier offenbleiben. Der Bericht zeigte schonungslos die kolossalen Folgen der Erderwärmung auf und forderte schnelleres Handeln.
- 90.
Beispielsweise wurde Anfang 2021 eine Bepreisung von CO2-Emissionen aus fossilen Heiz- und Kraftstoffen eingeführt (Bauchmüller 2021a).
- 91.
Hier ist an die zeitgleich ablaufenden heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der großen Koalition zum deutschen Klimaschutzgesetzt zu verweisen. Der Nebensatz der Kanzlerin auf dem Petersberg weist aber zugleich auf ihr Einschwenken auf die Klimaneutralität und damit die Position von Umweltministerin Schulze hin.
- 92.
Allerdings konnte der Streit um die sog. Taxonomie noch nicht beigelegt werden, also die heftigen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten darüber, welche Energiegewinnungsart als nachhaltig eingestuft werden kann. Kann Nuklearenergie als nachhaltig, weil CO2-frei, eingestuft werden, wie es beispielsweise Frankreich fordert? Andere wollen Erdgas als nachhaltig eingestuft wissen. Noch nie habe er so gegensätzliche Positionen zu einem Thema erlebt, sagte der zuständige Kommissar Valdis Dombrovskis. Die Kommission vertagte Ende April 2021 die Taxonomie-Entscheidung auf später (Malingre 2021a). Ebenso wurde die Entscheidung über die konkrete Lastenverteilung der Minderungsziele auf die einzelnen Mitgliedstaaten vertagt; man wolle ein umfangreiches Gesetzespaket abwarten, das die Kommission im Juli 2021 vorlegen wird (Finke 2021a). Die neuen Minderungsziele jedoch wurden am 25.6.2021 vom Europäischen Parlament definitiv beschlossen.
- 93.
De facto ist hier durchgängig der Zweiter Senat des BVerfG angesprochen, der als Staatsgerichtshof fungiert.
- 94.
Selbstredend hatte es auch ein Solange-I-Urteil gegeben; in seinem Urteil vom 29.05.1974 befand das BVerfG: Solange die EG über keinen Grundrechtschutzverfügt, der dem des GG adäquat ist, solange können vor dem BVerfG Normenkontrollverfahren stattfinden. Das war insofern angemessen, als die Römischen Verträge wenig grundrechtsrelevante Aspekte umfassten.
- 95.
Das am 22.09.2009 verabschiedete neue „Integrationsverantwortungsgesetz“ ist Teil des „Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union“ sowie der insgesamt fünf Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon (Deutscher Bundestag 2009, S. 1). Dazu gehört auch das faktisch bedeutsamere Gesetz EUZBBG.
- 96.
Art. 79 Abs. 3 GG lautet: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“
- 97.
Auch der Aufbau einer EU-Bankenunion, der seit 2013 betrieben wird, wurde vom BVerfG kontrolliert; nach Vorlage an den EuGH äußerte das Gericht mit Urteil vom 30.07.2019 jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
- 98.
Bereits 2012 hatte das BVerfG entschieden, dass nicht das sog. Neunergremium, sondern nur das Plenum des Bundestages solch ausgabenwirksame Beschlüsse fällen darf; damals ging es um Zustimmung zur temporären EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität), der Vorläuferin des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus).
- 99.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde am 03.03.2021 auch für das ganze Jahr 2022 ausgesetzt, seine nach wie vor anstehende Reform bleibt weiterhin umstritten.
- 100.
Neben dem Coronafonds umfasst die Initiative auch Vorschläge die „strategische Souveränität im Gesundheitssektor“ sowie die „Beschleunigung des Green Deal und der Digitalisierung“ betreffend; auch die „Stärkung der wirtschaftlichen und industriellen Widerstandsfähigkeit und Souveränität der EU“ wird gefordert.
- 101.
Vorsichtigerweise sprach Merkel „mit Blick auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts“ auch den noch erforderlichen Eigenmittelbeschluss des Bundestages an.
- 102.
Große Bedeutung messen Boutelet und Wieder (2020) dem Wechsel von Ludger Schuknecht zu Jakob von Weizsäcker, ehemaliges MdEP, im Amt des Chefvolkswirts des Bundesministeriums der Finanzen bei.
- 103.
Von großer Bedeutung für das Zustandekommen des Deals war auch die Gewährung und konkrete Ausgestaltung der Beitragsrabatte zugunsten einzelner Nettozahler, darunter an Deutschland (Becker 2020, S. 276).
- 104.
Das Europäische Parlament muss dem MFR zustimmen, ändern kann es ihn nicht. NGEU hingegen erfordert nicht seine Zustimmung. Demgegenüber bedarf die Ermächtigung der Kommission, im Namen der EU Schulden aufzunehmen, der Zustimmung der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten, eines sog. Eigenmittelbeschlusses.
- 105.
Orbán und seinem Umfeld werden solche schwerwiegenden Steuervergehen und Bereicherungen auf Kosten der EU vorgeworfen (Chastand 2020).
- 106.
Bereits kurz nach Beginn der Verhandlungen hatten Ungarn und Polen ihren Widerstand gegen eine Verknüpfung von EU-Geldern und Rechtstaatlichkeit angekündigt, den sie im Zeitverlauf konstant erhöhten. Als sie im Juli 2020 den einschlägigen Beschlüssen zustimmten, hatten sie wohl nicht damit gerechnet, dass es tatsächlich zu einem Rechtsstaatmechanismus mit derart breiter Anwendungsmöglichkeiten kommen würde; Orbán und Morawiecki hatten sich schlicht „verzockt“ (Kolb 2020).
- 107.
Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen gewisse Geschehnisse in der EVP auf den Umgang mit Orbán haben könnten. Denn nachdem die EVP als Partei die Fidesz, bereits im März 2019 suspendiert hatte, gab sich im März 2021 die EVP-Fraktion eine neue Geschäftsordnung, die nun ebenfalls die Suspendierung bestimmter Gruppen ermöglicht. Um einem „Rauswurf“ der Fidesz-MdEP zuvorzukommen, zog Orbán am 03.03.2021 die 12 Abgeordneten aus der EVP-Fraktion ab, die mithin nur mehr 175 Mitglieder zählt, aber stärkste Fraktion bleibt. Da Armin Laschet als CDU- und Markus Söder als CSU-Vorsitzender den EVP-Beschluss von 2019 mitgetragen hatten (Kahlweit und Kolb 2021a), kann darüber spekuliert werden, ob die Deutschen sich nach der Ära Merkel in der EVP deutlicher gegen illiberale Machthaber positionieren werden. In dieser Frage hatte Angela Merkel zweifelsohne über lange Jahre hinweg deutlich zu nachgiebig agiert bzw. zu sehr den Macherhalt für die EVP im Blick gehabt.
- 108.
Dieses Projekt zog die Kommission zurück, nachdem sich die G20 am 09./10.07.2021 in Venedig eine international abgesprochene Unternehmensbesteuerung von 15 % geeinigt hatte.
Literatur
Alle erwähnten Dokumente der Bundesregierung sind abrufbar unter: http://www.bundesregierung.de.
Alle erwähnten Dokumente der EU-Institutionen sind abrufbar unter: https://europa.eu/european-union/documents-publications/official-documents_de.
Abels, Gabriele. 2021. Die Rolle des Bundestages in der deutschen Europapolitik aus politologischer Perspektive. In Handbuch zur deutschen Europapolitik, Hrsg. Kathrin Böttger und Mathias Joop, 129–146. Baden-Baden.
Aggestam, Lisbeth, und Adrian Hyde-Price. 2020. Learning to lead? Germany and the leadership paradox in EU foreign policy. German Politics 1:8–24.
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Müller-Brandeck-Bocquet, G. (2021). Deutsche Europapolitik in der Ära Angela Merkel 2005–2021: Enge Gestaltungsspielräume in Krisenzeiten. In: Müller-Brandeck-Bocquet, G. (eds) Deutsche Europapolitik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35340-7_5
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