Zusammenfassung
Die zunehmende Digitalisierung gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse hat die Machtkonstellationen im Akteursdreieck aus Politik, (politischem) Journalismus und Bürger*innen verändert. Die Deutungshoheit über relevante Informationen und ihre Bewertung teilen sich Journalist*innen heute längst mit weiteren machtvollen Akteur*innen, die ihrerseits jedoch keinen gemeinwohlorientierten Auftrag verfolgen. Der kommunikative Erfolg der neuen Rechten entlarvt dabei nicht nur die Strukturanalogien zwischen Journalismus und Populismus, die rechtspopulistische Propaganda greift mit ihren Parolen zur „Lügenpresse“ auch die Glaubwürdigkeit der Massenmedien und damit das höchste Gut des Journalismus an.
Der Beitrag plädiert auf Basis dieser Diagnose für eine kritische Reflektion des journalistischen Selbstverständnisses und gibt einen Einblick in die aktuelle Forschung zu Berichterstattungsmustern, welche die Mehrdimensionalität journalistischer Praxis betonen. Abseits des neutralen Informationsjournalismus sind es vor allem die Varianten des anwaltschaftlichen oder konstruktiven Journalismus, die in ihrer Arbeitsweise unter Wahrung der professionellen Standards klare Haltung zeigen, lösungsorientiert berichten und gesellschaftlichen Minderheiten eine Stimme verleihen. Ein solcher Journalismus bietet die Chance, auch in Zeiten digitaler Fragmentierung, sprachlicher Verrohung und fremdenfeindlicher Narrative handlungsfähig zu bleiben und als gesellschaftliches Korrektiv wahrgenommen zu werden.
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Notes
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Der Begriff des Rechtspopulismus ist mittlerweile zu einem ausdruckslosen Allerweltsnarrativ geworden. Heitmeyer (2018, S. 231 ff.) schlägt daher vor, zwischen den Kategorien des Rechtspopulismus, des Autoritären Nationalradikalismus der AfD und des gewalttätigen Rechtsextremismus einschließlich neonazistischer Versionen zu unterscheiden. Wir teilen diese Notwendigkeit, bleiben aber in diesem Beitrag beim undifferenzierten Begriff des Populismus, auch weil in der Kommunikationswissenschaft bislang derartige begriffliche Unterscheidungen kaum existieren und der Gebrauch der Unterscheidung von Heitmeyer daher nicht unterstellt werden kann.
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Gesucht wurde nach den Wortstämmen Flucht*, Flücht*, Zuwander*, Migra* und Ausländ* in der pdf-Version des Parteiprogramms.
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