Zusammenfassung
„Experten im (…) üblichen Verständnis – als Bezeichnung eines ‚Sachverständigen‘ (ursprünglich im 19. Jahrhundert: vor Gericht) – weisen sich als Experten aus insbesondere über Zertifikate, die ihnen Kompetenzen (Kenntnisse und Fähigkeiten) bescheinigen, welche sie sich über eine relativ voraussetzungsvolle, lang dauernde und inhaltlich umfangreiche Ausbildung – in typischerweise ‚öffentlichen‘ Einrichtungen – erworben haben“ (Hitzler 1994, S. 14).
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Notes
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August Comte war der Überzeugung, dass die sozialen Wissenschaften sich aus ihrem proto-wissenschaftlichen Zustand befreien und sich, ebenso wie die Naturwissenschaften, zu exakten Gesetzeswissenschaften entwickeln sollten. Nur dann, so seine Überzeugung, könnten die von ihnen gewonnenen Ergebnisse legitimer Weise auf die Gesellschaft einwirken. Nur eine „soziale Physik“würde “perhaps convince men worthy of the name of statesmen that there is a real and eminent utility in labors of this kind, worthy of the anxious attention of men who profess to devote themselves to the task of resolving the alarming revolutionary constitution of modern societies“ (Comte 1855, S. 400).
- 2.
In den „Soziologischen Grundbegriffen“ greift Max Weber das Problem statistisch gefundener sozialer Gesetze auf. Für ihn stellen solche aus „Erfahrungsbeobachtungen“ gewonnenen zunächst „rational evidente Deutungen“ ex post dar , die ansonsten aber nicht die gleiche erklärende Funktion aufweisen, wie etwa Naturgesetze.
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Darüber hinaus könnte gefragt werden, wie die „Nachfrage“ und die „Annahmebedingungen“ für wissenschaftliches Wissen gesellschaftlich organisiert sind. Wissenschaftliche Befunde und Sachverstand können gezielt genutzt, aber auch aus strategischen Gründen ignoriert werden, um normative Positionen zu stützen und politische Argumentationen zu stärken (vgl. hierzu ausführlicher: Ruser 2018a, S. 775 ff.).
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Whitehead beschreibt diese „Durchdringung“ auch als Elitenbewegung. Erst nachdem sich das „wissenschaftliche Denken“ in ökonomisch und sozial privilegierten Kreisen durchgesetzt hatte, verbreitete sich die Vorstellung einer „wissenschaftlichen Autorität“ langsam, ohne dass dieser Prozess als abgeschlossen betrachtet werden kann (Whitehead 1925, S. 3 ff.).
- 5.
Eine ausführliche Diskussion der Probleme der Gewinnung und insbesondere der Verbreitung klimawissenschaftlicher Erkenntnisse findet sich in Doyle 2011, S. 18 ff.
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Ganz grundlegend kann die Kritik der Klimaskeptiker in drei Kategorien eingeordnet werden. Zum einen wird der Klimawissenschaft vorgeworfen, als relativ „junge“ Disziplin, die sich mit einem sehr komplexen Gegenstand befasst voreilige Schlüsse zu ziehen. Zweitens wird die Verwendung von „Modellen“ und „Simulationen“ als methodisch ungeeignet kritisiert. Zuletzt wird auf den enormen Forschungsaufwand und die daraus resultierende Abhängigkeit von Mittelzuwendungen verwiesen, welcher „alarmistische“ Befunde zur Sicherung des Mittelflusses provozieren würde. Für eine ausführliche Auseinandersetzung siehe: Ruser 2018b, S. 28 ff.
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Weber expliziert den Unterschied zwischen Gesinnungsethikern, die lediglich die normative Haltung zur Handlung, nicht aber die Folgen derselben ins Kalkül ziehen und Verantwortungsethikern, welche vor allem die Folgen des Handelns zum Maßstab ethischen Handelns machen am Beispiel der Politik. Nach Weber fühlt sich der gesinnungsethisch handelnde Politiker lediglich der Idee verpflichtet, ungeachtet der konkreten oder möglichen Konsequenzen (Weber 1994 [1919], S. 80).
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Will Potter fasst diese anti-regulatorische Lesart umweltwissenschaftlicher und umweltpolitischer Befunde unter dem Schlagwort „green is the new red“ (Potter 2011) zusammen. Damit verweist er zum einen auf die Parallelen zu „anti-sozialistischen“ Rhetorik (die vor allem in den USA zur Verhinderung kollektiver sozialer Sicherungssysteme eingesetzt wurde und wird) und unterstreicht zum anderen die ideologische Aufladung der (Anti-) Umweltbewegung, die mit einfachem Dissens hinsichtlich der wissenschaftlichen Befunde nicht vollständig erklärt werden kann.
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Ruser, A. (2021). Kopfarbeit für die Gesellschaft oder die „Gesellschaft im Kopf“. Klimaexperten, Klimaleugner und die Aktualität der Heidelberger Kontroverse um die gesellschaftliche Rolle von Wissenschaft. In: Bachmann, U., Schwinn, T. (eds) Theorie als Beruf. Studien zum Weber-Paradigma. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32000-3_7
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