Zusammenfassung
In der boomenden Beschäftigung mit den Erscheinungsformen, Entstehungsweisen und Veränderungen digitalmedialen Handelns kursieren verschiedene Konzepte, die weitestgehend eine bestimmte Sinnesmodalität und Sinnestätigkeit privilegieren: Sichtbarkeit und Sehen. Dieser Beitrag sensibilisiert demgegenüber für eine systematische Berücksichtigung des Zusammenspiels von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und der damit verbundenen Zeitlichkeit von Wahrnehmung. Er stellt damit eine Erweiterung der gegenwartssensiblen Erforschung und Theoretisierung der aktiven Herstellung von Zugehörigkeit bzw. zum Zugehörigkeitsmanagement in Aussicht. Die visuell-temporale Ordnung von Zugehörigkeit im Kontext digitalmedialer Kommunikation wird am empirischen Fall einer Freundinnengruppe im Forschungsfeld Schule und deren Aneignung zweier zeitaktuell verbreiteter Apps – Instagram und Snapchat – entfaltet. Dabei wird nachgezeichnet, dass und inwiefern digitalmediale Kommunikation – zum einen – eine spezifische Inszenierungsressource für Zugehörigkeit auf Vorder- und Hinterbühnen darstellt und – zum anderen – inwiefern die Sinne in Kombination mit dem Digitalen eine Analyse des Ineinandergreifens von Apperzeption und Interpretation notwendig machen. Die Beschreibung eines gegenwärtig (wieder) symptomatischen, emphemeren Blicks veranschaulicht dieses Ineinandergreifen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
im Rekurs auf den Begriff „floating identity“ von Venkatesch 2015.
- 2.
Es handelt sich um das Dissertationsprojekt von Maria Schlechter mit dem Titel „Boundaries in Transition – Jugendkulturen unter Mediatisierungsbedingungen an der Schnittstelle zwischen Schule und Freizeit“, das im Rahmen eines DOC-Stipendiums von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert wird.
- 3.
Zugleich sind diese „Zwischenräume“ nicht ohne die Strukturierung der Organisation Schule zu denken.
- 4.
Wir wechseln in diesem Teilabschnitt, der ethnographischen Forschungsanlage wegen, in die Erzählform der ersten Person.
- 5.
2015/16 wurden alle Hauptschulen in Österreich in ‚Neue Mittelschulen‘ umbenannt.
- 6.
Die dritte Klasse in der Neuen Mittelschule entspricht der siebenten und die vierte der achten Schulstufe.
- 7.
Konkret bedeutet das, dass ich entsprechende Apps herunterladen und ein Smartphone erwerben musste, das mit diesen kompatibel ist.
- 8.
Bei den im Folgenden mit doppelten Anführungszeichen versehenen Auszügen handelt es sich um Feldzitate aus einem Gespräch mit Meryam und Betül. Alle hier und folgend verwendeten Namen wurden anonymisiert.
- 9.
In der Linguistik wird ein Kommunikationsakt als ‚phatisch‘ bezeichnet, der nicht auf den Inhalt, sondern auf die ‚soziale Funktion‘ zielt (vgl. bereits Malinowski, 1923, S. 315).
- 10.
Im hier zitierten englischen Original heißt es „front stage“ (Goffman, 1956, S. 78).
- 11.
Im hier zitierten englischen Original heißt es „backstage“ (Goffman, 1956, S. 69).
- 12.
Wir verstehen das Bühnenkonzept Goffmans keineswegs statisch, und so ist es ebenso denkbar, dass beide Medien bzw. sozio-medialen Handlungsräume sowohl Vorder- als auch Hinterbühnenqualitäten besitzen.
- 13.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Version 10.29.5.0 (1681) von Snapchat, die am 13.04.2018 erschienen ist.
- 14.
Einige dieser Bearbeitungsoptionen sind auch auf Instagram verfügbar. Auf Snapchat ist die Auswahl an Bearbeitungsoptionen allerdings vielfältiger und wechselt in kurzen Intervallen.
- 15.
Als ich von den ersten Snaps, die ich erhalten hatte, Screenshots zur Dokumentation der Forschung anfertigte, wurde ich von den Versender_innen darauf angesprochen, warum ich das tun würde. Später wurde mir erklärt, dass das Erstellen von Screenshots nicht nur unüblich sei, sondern dass jeder wüsste, dass man so etwas schlicht nicht tut.
- 16.
Sozio-linguistisch handelt es sich hier um den, oben bereits erwähnten, phatischen Kommunikationsakt, der nicht auf den Inhalt, sondern auf die soziale Funktion bzw. Gemeinschaftsstiftung abzielt (vgl. bereits Malinowski, 1923, S. 315).
Literatur
Arendt, H. (1959). The human condition. Doubleday.
Benkel, T. (2012). Die Strategie der Sichtbarmachung: Zur Selbstdarstellungslogik bei Facebook. kommunikation@gesellschaft 13(Sonderausgabe), 1–11.
Blumer, H. (1954). What is wrong with social theory? American Sociological Review, 18, 3–10.
Breckner, R. (2010). Sozialtheorie des Bildes. Bielefeld: Transcript.
Bucher, T. (2012a). Want to be on the top? Algorithmic power and the threat of invisibility on Facebook. New Media & Society 14(7), 1164–1180.
Bucher, T. (2012b). Programmed sociality. A software studies perspective on social networking sites. Unveröff. Dissertation, Kopenhagen.
Butler, J. (2016). Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung. Suhrkamp.
Boyd, D. (2011). Social network sites as networked publics. In Z. Papacharissi (Hrsg.), A Networked Self. Identity, Community, and Culture on Social Network Sites. S. 39‒58.
De Boer, H., Deckert-Peaceman, H. (2009). Schulische Ordnung und Peerkultur. In H. De Boer, H. Deckert-Peaceman (Hrsg.), Kinder in der Schule. VS, S. 319–328.
Eberle, T. (2017). Fotografie und Gesellschaft. Thematische Rahmung. In T. Eberle (Hrsg.), Fotografie und Gesellschaft Phänomenologische und wissenssoziologische Perspektiven (S. 11–70). transcript.
Eisewicht, P., & Grenz, T. (2010). Frei und auf den Beinen und gefangen will ich sein. Über die ‘Indies’. Archiv der Jugendkulturen.
Eisewicht, P., Nowodworski, P., Scheurer, C., & Steinmann, N. (2018). Inszenierung von Zugehörigkeit – eine ethnografische Perspektive. In Jubri (Hrsg.), Szenen, Artefakte und Inszenierungen. Interdisziplinäre Perspektiven. Springer VS, S. 175–214.
Goffman, E. (1956). The presentation of Self in Everyday Live. University of Edinburgh. Social Science Research Centre. Monograph No. 2.
Grenz, T., & Eisewicht, P. (2019). Herausforderungen einer materialitätssensiblen Wissenssoziologie. In R. Hitzler, J. Reichertz, & N. Schröer (Hrsg.), Kritik der Hermeneutischen Wissenssoziologie. Problematisierungen, Entwicklungen und Weiterführungen (S. 216–229). Weinheim: Beltz Juventa.
Grenz, T., & Eisewicht, P. (2012). Taking the leap of faith. In P. Eisewicht, T. Grenz, & M. Pfadenhauer (Hrsg.), Techniken der Zugehörigkeit (S. 239–259). KIT Scientific Publishing.
Grenz, T., & Möll, G. (Hrsg.). (2014). Unter Mediatisierungsdruck. Änderungen und Neuerungen in heterogenen Handlungsfeldern. Springer VS.
Grenz, T., & Pfadenhauer, M. (2017). Einleitung. In M. Pfadenhauer & T. Grenz (Hrsg.), De-Mediatisierung: Diskontinuitäten, Non-Linearitäten und Ambivalenzen im Mediatisierungsprozess. Springer.
Henne, H. (1986). Jugend und ihre Sprache. Walter de Gruyter Co.
Hepp, A., & Krotz, F. (2012). Zur Einleitung. In F. Krotz & A. Hepp (Hrsg.), Mediatisierte Welten (S. 7–23). Springer.
Hepp, A., Hjarvard, S., & Lundby, K. (2015). Mediatization. Theorizing the Interplay between media, culture and society. Media, Culture & Society, 37(2), 1–11.
Hilbig, N., & Titze, I. (1981). Kritzeleien auf der Schulbank. Turnier Verlag.
Hirschauer, S., & Amman, K. (Hrsg.). (1997). Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie. Suhrkamp.
Hitzler, R. (1998). Posttraditionale Vergemeinschaftung. Berliner Debatte Initial, 9(1998), 81–89.
Hitzler, R., & Eisewicht, P. (2020). Lebensweltanalytische Ethnographie – im Anschluss an Anne Honer. Beltz Juventa.
Hitzler, R., & Pfadenhauer, M. (1998). Eine posttraditionale Gemeinschaft. In F. Hillebrandt, G. Kneer, & K. Kraemer (Hrsg.), Verlust der Sicherheit? (S. 83–102). Westdeutscher Verlag.
Hitzler, R., Honer, A., & Pfadenhauer, M. (2008). Zur Einleitung „Ärgerliche“ Gesellungsgebilde? In R. Hitzler, A. Honer, & M. Pfadenhauer (Hrsg.), Posttraditionale Gemeinschaften. Wiesbaden: VS, S. 9–31.
Knoblauch, H. (2013). Grundbegriffe und Aufgaben des kommunikativen Konstruktivismus. In R. Keller, H. Knoblauch, & Jo. Reichertz (Hrsg.), Kommunikativer Konstruktivismus (S. 25–47). Springer.
Krotz, F., Despotovic, C., & Kruse, M. (Hrsg.). (2017). Mediatisierung als Metaprozess. Transformationen, Formen der Entwicklung und die Generierung von Neuem. Wiesbaden: Springer VS.
Krausse, J. (1995). Ephemerisierung. Wahrnehmung und Konstruktion. In B. J. Dotzler & E. Müller (Hrsg.), Wahrnehmung und Geschichte. Markierungen zur Aisthesis materialis (S. 135–164). Berlin: Akademie Verlag.
Krausse, J. (2010): Ephemer. In: K. Barck, M. Fontius, D. Schlenstedt, B. Steinwachs, F. Wolfzettel (Hrsg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch. Bd. 2, 2. Aufl. Studienausgabe. Stuttgart: Metzler, S. 240–260.
Krotz, F., Despotović, C., & Kruse, M.-M. (2014). Die Mediatisierung sozialer Welten. Springer VS.
Lamont, M., & Molnár, V. (2002). The study of boundaries in the social sciences. Annual Review of Sociology, 28, 167–195.
Malinowski, B. (1923): The problem of meaning in primitive languages. In C. K. Ogden, & I. A. Richards (Hrsg.), The Meaning of Meaning. A Study of the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism. Supplementary Essays by B. Malinowski and F. G. Crookshank. Harcourt, S. 315.
Marcus, G. E. (1995). Ethnography in/of the world system: The emergence of multi sited ethnography. Annual Review of Anthropology, 24, 95–117.
Pfadenhauer, M. (2002). Auf gleicher Augenhöhe reden. Das Experteninterview – ein Gespräch zwischen Experte und Quasi-Experte. In A. Bogner, B. Littig, & W. Menz (Hrsg.), Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung (S. 113–130). Leske + Budrich: Opladen.
Pfadenhauer, M., & Grenz, T. (2012). Mediatisierte Fitness? Über die Entstehung eines Geschäftsmodells. In F. Krotz & A. Hepp (Hrsg.), Mediatisierte Welten (S. 87–109). Springer VS.
Pink, S. (2009). Doing sensory ethnography. Sage.
Poe, E. A. (1952 [1840]). The man of the crowd. In: Poe, E. A. (Hrsg.), Tales, Poems, Essays, with an introduction by Laurence Meynell. Collins.
Reichertz, J., & Bettmann, R. (Hrsg.). (2018). Kommunikation – Medien – Konstruktion: Braucht die Mediatisierungsforschung den Kommunikativen Konstruktivismus? Wiesbaden: Springer VS.
Reichertz, J. (1992). Beschreiben oder Zeigen – über das Verfassen Ethnographischer Berichte. Soziale Welt, 43(3), 331–350.
Reichertz, Jo. (2014). Flüchten oder Standhalten? Avancierte Medientechnik als permanente persönliche Herausforderung. In M. Pfadenhauer & T. Grenz (Hrsg.), De-Mediatisierung: Diskontinuitäten, Non-Linearitäten und Ambivalenzen im Mediatisierungsprozess (S. 193–205). Springer VS.
Reißmann, W. (2014). Bildhandeln und Bildkommunikation in Social Network Sites. Reflexionen zum Wandel jugendkultureller Vergemeinschaftung. In K.-U. Hugger (Hrsg.), Digitale Jugendkulturen (2. Aufl., S. 89–104). VS.
Scheffer, T., Meyer, C. (2011). Tagungsbericht. Tagung: Soziologische vs. Ethnologische Ethnographie. Forum Qualitative Sozialforschung 12(1), Art. 25.
Schreiber, M., & Kramer, M. (2016). „Verdammt schön“. Methodologische und methodische Herausforderungen der Rekonstruktion von Bildpraktiken auf Instagram. Zeitschrift Für Qualitative Forschung, 17(1–2), 81–106.
Schütz, A. (2003). Theorie der Lebenswelt 2. Die Kommunikative Ordnung der Lebenswelt, Alfred Schütz Werkausgabe (Bd. 2). UVK.
Schlobinski, P., & Heins, N.-C. (Hrsg.). (1998). Jugendliche und ‚ihre‘ Sprache. Empirische Studien. Westdeutscher Verlag.
Srubar, I. (2017). Typus, Zeichen und Bildpräsenz. In T. Eberle (Hrsg.), Fotografie und Gesellschaft Phänomenologische und wissenssoziologische Perspektiven (S. 411–424). transcript: Bielefeld.
Strauss, A., & Corbin, J. (1998). Basics of qualitative research: Grounded theory procedures and techniques. Sage.
Zinnecker, J. (1978). Die Schule als Hinterbühne oder Nachrichten aus dem Unterleben der Schüler. In G.-B. Reinert & J. Zinnecker (Hrsg.), Schüler im Schulbetrieb. Rowohlt.
Zöller, W. W. (1977). Bankkritzeleien. Befunde, Anmerkungen, Anregungen. Die Deutsche Schule., 3(77), 168–175.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2021 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Schlechter, M., Grenz, T. (2021). Die Sinne im Digitalen: Digital-mediales Zugehörigkeitsmanagement am Beispiel einer Schulethnographie. In: Eisewicht, P., Hitzler, R., Schäfer, L. (eds) Der soziale Sinn der Sinne . Erlebniswelten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31573-3_14
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-31573-3_14
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-31572-6
Online ISBN: 978-3-658-31573-3
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)