Zusammenfassung
Der Beitrag nähert sich der Frage nach Bewertungspraktiken mit einer spezifischen Perspektive auf soziale personenbezogene Dienstleistungsorganisationen. Im Mittelpunkt des Interesses steht das normalisierend bewertende Einwirken auf DienstleistungsnehmerInnen. Diese Bewertungen werden als Subjektivierungspraxis gefasst, mit deren Hilfe Aktivierungspolitik praktisch entweder flexibel- oder protonormalistisch durchgesetzt wird. Auf Basis unterschiedlicher ExpertInneninterviews mit Jobcenter-, Jugendamts- und KrankenkassenmitarbeiterInnen werden formalisierte Bewertungspraktiken und informelle Normalitätsstandards empirisch herausgearbeitet und als Teil spannungsreicher Bewertungskonstellationen gefasst. In einem letzten Schritt geht es darum, den Übergang von der Normalisierung in eine Pathologisierung nachzuvollziehen. Daraus wird der Schluss gezogen, dass sich die Aktivierungslogik immer weiter ausbreitet und immer höhere Integrationsanforderungen für die gesellschaftliche Teilhabe geschaffen werden.
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Notes
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Es handelt sich um eine Auswahl aus einem Interviewpool von 36 ExpertInneninterviews mit unterschiedlichen BeraterInnen, die sowohl inner- als auch außerhalb von Organisationen tätig sind (außerhalb von Organisationen waren dies z. B. WeiterbildungsberaterInnen, PaartherapeutInnen, UnternehmensberaterInnen und RechtsberaterInnen), die im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojekts Aporien der Perfektionierung in der beschleunigten Moderne. Gegenwärtiger kultureller Wandel von Selbstentwürfen, Beziehungsgestaltungen und Körperpraktiken (APAS), geführt wurden.
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Dies gilt auch für zu ehrgeizige Abweichungen nach oben. So finden sich in unseren Interviews beispielsweise diverse Aussagen zum „Frühförderwahn“ von Eltern, der in den Kitas normalisiert werden muss. Darüber hinaus finden sich Äußerungen über ehemalige Selbstständige in Jobcentern, die wieder lernen müssen ihre Führungsambitionen aufzugeben und sich als Angestellte unterzuordnen, neben einem generellen Interesse der Krankenkassen an geringen Arbeitsbelastungen ihrer Versicherten zur Burnout Prävention.
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Unerwähnt gelassen wurde in diesem Kontext der Einfluss der KlientInnen selbst. Die KlientInnen prägen die Zusammenarbeit mit den OrganisationsmitarbeiterInnen jedoch auf vielfältige Weise mit. Sie formulieren Ansprüche, verweigern Problemeinsichten und wehren sich gegen die Beurteilungen der MitarbeiterInnen (vgl. Lindner 2016). Gleichzeitig bewerten sie auch das Vorgehen der MitarbeiterInnen. Insofern ist der Bewertungsprozess grundsätzlich ein wechselseitiger Prozess, der sich empirisch jedoch am besten situativ im Rahmen von ethnographischen Studien beobachten lässt. Diese Forschungshaltung kann generell Aufschluss darüber geben, welchen Stellenwert Bewertungspraktiken im Verlauf der Dienstleistungsproduktion haben, es können aber auch informelle Allianzbildungen offengelegt werden, die z. B. zu einer Unterwanderung formaler Vorgaben führen.
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Lindner, D., Sasse-Zeltner, U. (2021). Institutionalisierte Subjektivierung: normalisierende Bewertungsvorgänge in organisationalen Dienstleistungspraktiken. In: Meier, F., Peetz, T. (eds) Organisation und Bewertung. Organisationssoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31549-8_11
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