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Vorbemerkung

„Today’s look is Nachhaltigkeit“ – so warb unlängst der Bekleidungshersteller C&A für seine Frühjahrskollektion. Nachhaltigkeit scheint also, allen Unkenrufen zum Trotz, nach wie vor en vogue zu sein. Es ist sogar, in der Sprache der Werbekampagnen, ein „Prestigewort“, mit dem sich zu schmücken Umsatzsteigerungen verspricht. Natürlich können wir aber auch gerade diese Entwicklung als Zeichen dafür nehmen, dass Nachhaltigkeit derart dehnbar geworden ist, dass sich ein Unternehmen wie C&A keine größeren Sorgen machen muss, bei genauerer Prüfung dem aufgestellten Anspruch nicht gerecht werden zu können. Selbstverständlich wäre eine solche Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff wohlfeil. Daher soll mit dieser Anekdote lediglich auf die Bedeutung eines bewussten Umgangs mit Begriffen hingewiesen werden. Um in diesem Sinne mit gutem Beispiel voranzugehen, möchte ich ganz knapp mein Verständnis von „Nachhaltigkeit“ oder, genauer, von „nachhaltiger Entwicklung“ vorstellen.

1 Grundverständnis von nachhaltiger Entwicklung

An den Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs ist schon oft erinnert worden. Er findet sich das erste Mal prominent in der Forstwirtschaftslehre des Carl von Carlowitz (1713). Dieser formulierte im Kern ein ressourcenökonomisches Paradigma: Es darf nur so viel an natürlichen Rohstoffen verbraucht werden, wie nachwachsen oder sich regenerieren kann. Der jüngere Nachhaltigkeitsdiskurs ist dagegen stark vom entwicklungspolitischen Leitbild der sogenannten Brundlandt Kommission geprägt. Hier steht das Leitbild einer gesellschaftlichen Entwicklung im Zentrum, die die Bedürfnisse der heutigen Generationen in Einklang mit denen künftiger Generationen bringt (Hauff 1987, S. 46).

In den letzten Jahren ist nun eine produktive Bewegung in die Begriffsdebatte gekommen. Eine klare Richtung, die sich dabei abzeichnet, ist, nachhaltige Entwicklung nicht nur als vage normative Referenz zu benutzen, sondern den Begriff gehaltvoll zu definieren – gerade wenn es darum geht, ihn im Kontext von Wissenschaft und Forschung zu verwenden. Auch das ISOE hat sich damit beschäftigt und einen entsprechenden Vorschlag zur Diskussion gestellt.Footnote 1 Er geht davon aus, dass Entwicklungsfähigkeit die Grundbedingung menschlicher Existenz und gesellschaftlichen Zusammenhalts ist. In der Tradition des ressourcenökonomischen Paradigmas wird jedoch auch heute noch prominent die Idee vertreten, durch technische und organisatorische Mittel eine in gewissem Sinne geschlossene Zukunft als Zustand herzustellen, in dem ein stabiles Gleichgewicht zwischen Nutzung und Erneuerung natürlicher Ressourcen herrscht. Wie jedoch schon die Grundgesetze der Physik zeigen, ist ein stationäres System nicht mehr entwicklungsfähig. Hier setzt das evolutionäre Grundverständnis des ISOE an.

In ihm werden die beiden Kernelemente des über 200 Jahre alten Nachhaltigkeitsdiskurses – das Erhalten und das Erneuern – in einer Prozessvorstellung aufgehoben. Nachhaltige Entwicklung wird dann als ein langfristig fortsetzbarer, gesellschaftlicher Prozess verstanden, der seine natürlichen Ressourcen und kulturellen Voraussetzungen beständig erhält und erneuert (Becker 2012). Aus wissenschaftlicher Perspektive hat dieses Verständnis zunächst einen offensichtlichen Vorteil: Anstatt positiv bestimmen zu müssen, wann eine Entwicklung nachhaltig ist, ermöglicht es uns, solche Grenzbedingungen zu bestimmen, unter denen sie nicht-nachhaltig ist. Das Konzept der Planetary Boundaries ist ein prominentes – und durchaus auch kritisierbares – Beispiel für einen solchen Versuch (Rockström et al. 2009; zur Kritik vgl. Görg 2016; Raworth 2017).

Es gibt jedoch einen Preis für diesen Vorteil: den Verlust an Anschaulichkeit. Denn wenn wir das ressourcenökonomische durch ein evolutionäres Nachhaltigkeitsverständnis ablösen, handeln wir uns das Problem der grundsätzlich offenen Zukunft ein: Jetzt geht es nämlich darum, mit Brüchen und kritischen Schwellen (tipping points), mit Emergenz und mit dem Unbekannten umzugehen. Mit anderen Worten: Wir müssen Komplexität gestaltend managen. Für die Gesellschaft, aber auch für die Wissenschaft, steckt darin die zentrale Herausforderung. Diese wird sich als roter Faden durch meinen Beitrag ziehen, weswegen ich ihn, in Abwandlung des eingangs zitierten Werbeslogans, auch unter das Motto „Today’s challenge is Nachhaltige Entwicklung“ stellen könnte.

Dafür versuche ich zunächst knapp zu skizzieren, was unter Nachhaltigkeitsforschung verstanden werden kann und was deren wesentliche Charakteristika sind. Im Anschluss werde ich darlegen, warum eine kritisch angelegte Transdisziplinarität der geeignete Modus für Nachhaltigkeitsforschung ist und welche methodischen Herausforderungen damit einhergehen. Daran anschließend möchte ich etwas genauer auf die Frage nach den Qualitätskriterien einer solchen Forschung eingehen. Abschließen möchte ich mit einem Blick auf die institutionellen Constraints, mit denen wir es bei der praktischen Umsetzung von Ansätzen einer transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung zu tun haben.

2 Nachhaltigkeitsforschung

Was ist nun eigentlich Nachhaltigkeitsforschung und wie unterscheidet sie sich eventuell von anderer Forschung? Darüber gibt es weder in der Wissenschaft noch in der Wissenschaftspolitik einen ausgesprochenen Konsens. Diesem Beitrag möchte ich daher eine Definition zugrunde legen, die sich lose an die bekannte Frascati-Definition von Forschung der OECD anlehnt: Nachhaltigkeitsforschung arbeitet Disziplinen übergreifend an konkreten Problemen im Kontext nachhaltiger Entwicklung mit dem Ziel, methodisch geleitet Wissen zu erarbeiten und zu vermitteln, das die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Umgang mit diesen Problemen erhöht (Jahn 2013, S. 8).

Sicher kann diese Definition nicht den Anspruch erheben, einen ausdrücklichen Konsens abzubilden. Sie deckt sich jedoch weitestgehend mit dem, was im internationalen akademischen Kontext formuliert wird (vgl. Jahn und Keil 2015). Zwei zentrale Charakteristika von Nachhaltigkeitsforschung sind hier unmittelbar angelegt: Der Problembezug und der Gestaltungsanspruch einer jeden Forschung, die sich auf nachhaltige Entwicklung als ein (umstrittenes) normatives Leitbild bezieht. Dieser doppelte Bezug auf ein gesellschaftliches Problem und ein normatives Leitbild bedeutet für die Wissenschaft, sich auf den heterogenen und kontroversen gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskurs zu beziehen und ihn für die jeweilige konkrete Problemstellung kritisch zu rekonstruieren. Dafür ist es hilfreich, drei Diskursebenen zu unterscheiden (s. Abb. 1), die zwar empirisch nicht immer leicht auseinanderzuhalten sind, konzeptionell aber klare Unterscheidungen ermöglichen (vgl. Becker 2002).

Abb. 1
figure 1

(Quelle: eigene Abbildung, in Anlehnung an Becker 2002)

Drei Ebenen des Nachhaltigkeitsdiskurses.

Auf der normativen Ebene wird mit der Frage „Was sollen wir tun?“ eine normative Setzung vorgenommen, die das gesellschaftlich Wünschenswerte und die darauf gerichteten Handlungsziele bestimmt. Leitlinien des Diskurses sind hier z. B. Konzepte wie inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Auf dieser Diskursebene wird Orientierungswissen benötigt, um Ziele und nicht-wünschenswerte oder wünschenswerte Entwicklungen zu vereinbaren und zu bewerten. Dieses Orientierungswissen dient der Bestimmung von Gestaltungs- und Entscheidungsspielräumen. Auf dieser Ebene wird wissenschaftliches Wissen mit gesellschaftlichen Erwartungen zusammengebracht.

Auf der zweiten, operativen Ebene wird die Frage gestellt: „Was können wir tun?“ Um diese Frage zu beantworten, braucht es Transformationswissen, mit dessen Hilfe steuerbare und finanzierbare Lösungen gesellschaftlicher Probleme gestaltet werden können. Im Vordergrund steht hier die Entwicklung von umsetzbaren Konzepten. Die besonderen Herausforderungen dabei sind die Integration von wissenschaftlichem und praktischem (politischem, institutionellem, unternehmerischem, etc.) Wissen sowie ein zielgruppenspezifischer Wissenstransfer.

Die dritte, deskriptive Ebene geht von der Frage aus „Was ist der Fall?“. Um zu bestimmen, welche Entwicklungen überhaupt möglich sind, braucht es Systemwissen (also insbesondere Wissen über Dynamik sozial-ökologischer Systeme). Auf dieser Diskursebene geht es vor allem darum, ein besseres wissenschaftliches Verständnis komplexer Wirkungszusammenhänge zu erlangen, um konkrete Sachverhalte analysieren zu können (vgl. Jahn 2012).

Wie diese kurze Schilderung des Nachhaltigkeitsdiskurses deutlich macht, kann die Wissenschaft die anstehenden großen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht im Alleingang lösen. Vielmehr ist sie ein Akteur unter vielen, die ihre Stimme in die Verhandlung darüber einbringen, wie wir unsere Gegenwart und Zukunft gestalten wollen. Aber natürlich ist die Wissenschaft ein besonderer Akteur mit einer besonderen Rolle und Verantwortung in dieser „Verhandlung“. Darüber, was diese besondere Rolle und Verantwortung ausmacht, ließe sich viel sagen. Was ich hier lediglich hervorhoben möchte ist, dass aus diesem Befund eine besondere Aufgabe für die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung erwächst, eine, die spezifische methodische Herausforderungen mit sich bringt: die Aufgabe der Integration. Bevor ich näher darauf eingehe, was das genau bedeutet, möchte ich noch einen kurzen Zwischenschritt einfügen. Er soll eine Orientierung dafür geben, wann ein wesentliches Element transdisziplinärer Forschung besonders zum Tragen kommt: die Partizipation nicht-wissenschaftlicher Akteure am Forschungsprozess (sogenannte Praxisakteure).

Ein Schema, das Ende der 1990er Jahre vom US-amerikanischen Committee of Scientists entwickelt wurde (1999, S. 131), unterscheidet vier Problemtypen in Abhängigkeit von der Stärke des Konsenses über Wissen und Werte (s. Abb. 2). In diese Matrix lassen sich die drei zuvor genannten Wissensformen eintragen, sodass sich folgende Typologie ergibt, die den Charakter von Nachhaltigkeitsproblemen verdeutlicht (Jahn et al. 2012, S. 65):

Abb. 2
figure 2

Problemtypologie nach der Stärke des Wissens- und Wertekonsenses (Jahn 2012, S. 57)

  1. 1.

    Sind der Wissens- und Wertekonsens stark, so wird vornehmlich Transformationswissen benötigt. Die Beteiligung von Praxisakteuren ist hier vor allem für die Vorbereitung von Umsetzungen wichtig. Das vorliegende Systemwissen wird für die Problembearbeitung als ausreichend erachtet und das Orientierungswissen bedarf aufgrund des starken Wertekonsenses keiner besonderen Aushandlung, sodass die Integrationsanforderungen vergleichsweise gering sind. Ein konkretes Beispiel dafür ist die in Deutschland eingeleitete Energiewende.

  2. 2.

    Ist der Wissenskonsens stark, der Wertekonsens aber schwach, wird neben Transformationswissen auch Orientierungswissen benötigt. Die Integrationsanforderungen steigen damit, da nun Konflikte bei der Aushandlung der Forschungsziele und bei der Bewertung der gesellschaftlichen Relevanz der Ergebnisse zu erwarten sind. Die direkte Beteiligung von Praxisakteuren ist daher vor allem bei der Problemformulierung zu Beginn des Forschungsprozesses sowie bei der Ergebnisintegration und -bewertung wichtig. Das Wasserrecycling – also die direkte Aufbereitung von Abwasser zu Trinkwasser und damit verbundene Abwehrreaktionen z. B. aus kulturellen Gründen – ist ein Beispiel für diesen Typ von Nachhaltigkeitsproblemen.

  3. 3.

    Ist hingegen der Wissenskonsens schwach und der Wertekonsens stark, so wird neben Transformationswissen vor allem Systemwissen benötigt. Die Integrationsanforderungen sind hier besonders bei der interdisziplinären Erzeugung neuen wissenschaftlichen Wissens hoch. Ein Beispiel hierfür ist der Artenschutz auf globaler Ebene. Praxisakteure können bei diesem Problemtyp eine wichtige Rolle dabei spielen, die gesellschaftliche Relevanz der wissenschaftlichen Ergebnisse zu bewerten.

  4. 4.

    Wenn sowohl der Wissens- als auch der Wertekonsens schwach sind, wird spezifisches Wissen in allen drei Kategorien erforderlich. Dies ist für die komplexen Probleme – die sogenannten wicked oder ill-defined problems – der Fall und trifft auf die meisten Probleme nachhaltiger Entwicklung zu. Entsprechend sind in diesem Fall die Integrationsanforderungen am höchsten und die Praxisakteure werden in allen Phasen des Forschungsprozesses beteiligt.

3 Transdisziplinarität als Forschungsmodus der Nachhaltigkeitsforschung

Der Begriff „Transdisziplinarität“ wurde bereits als implizite Behauptung eingeführt: Transdisziplinarität sei der genuine Forschungsmodus einer Wissenschaft, die sich analytisch, operativ und normativ auf Probleme einer nachhaltigen Entwicklung bezieht. Nicht nur die einschlägige internationale Literatur (vgl. Literaturüberblick in Jahn et al. 2012) bestätigt diese „Behauptung“ der transdisziplinären „Natur“ der Nachhaltigkeitsforschung, sondern auch ihre Praxis (Jahn 2013). Anstatt dies ausführlich zu untermauern, möchte ich mich an dieser Stelle darauf beschränken zu erläutern, was diesen Forschungsmodus auszeichnet.

Transdisziplinarität wird heute als Prinzip oder Modus der Organisation einer Forschung an konkreten gesellschaftlichen Problemen konzipiert. In diesem Konzept verbindet sich gutes wissenschaftliches Arbeiten (Stichwort „wissenschaftliche Exzellenz“) mit dem Erzeugen von gebrauchsfähigem, anwendungsnahen Wissen (Stichwort: „gesellschaftliche Relevanz“). Das am ISOE entwickelte Modell eines idealtypischen, transdisziplinären Forschungsprozesses (s. Abb. 3) wurde in zahlreichen Forschungsprojekten auch außerhalb des ISOE praktisch erprobt. Es geht von der Grundannahme aus, dass gesellschaftliche Probleme in der Regel auf Lücken im verfügbaren wissenschaftlichen Wissen verweisen. Durch die damit implizierte Verknüpfung gesellschaftlicher Probleme mit originären wissenschaftlichen Problemen wird es möglich, Beiträge zum gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt als epistemisches Ziel einer einzigen Forschungsdynamik zu betrachten. In diesem Ansatz ist damit die spannungsreiche Frage nach der Relevanz von Forschung allgemein und von Nachhaltigkeitsforschung im Besonderen aufgehoben.

Abb. 3
figure 3

Transdisziplinärer Forschungsprozess (Jahn et al. 2012, S. 5, e. Ü.)

Das Modell unterscheidet drei Phasen innerhalb eines transdisziplinären Forschungsprozesses. In der ersten Phase wird ein gegebenes gesellschaftliches Problem so mit entsprechenden wissenschaftlichen Problemen verbunden, dass ein gemeinsamer Forschungsgegenstand entsteht. Dieser Prozess ist anspruchsvoll, weil sich das gesellschaftliche Problem unweigerlich verändert, wenn es auf den Bereich wissenschaftlicher Genauigkeit und Objektivität übertragen wird. Dies bedeutet aber auch, dass die Antworten auf die identifizierten wissenschaftlichen Probleme nicht automatisch eine Lösung für das ursprüngliche gesellschaftliche Problem liefern. Deshalb ist ein reflexiver und oft auch ein iterativer Prozess notwendig, der gesellschaftliche Problemwahrnehmungen und wissenschaftliche Problembeschreibungen über den gesamten Verlauf des transdisziplinären Forschungsprozesses eng miteinander verknüpft. Ein solcher Prozess muss bewusst durchgeführt und methodisch geleitet sein.

In der zweiten Phase des Modells wird neues Wissen erzeugt. Hier findet statt, was allgemein unter dem Stichwort „Interdisziplinarität“ diskutiert und praktiziert wird. Die Wissensintegration über unterschiedliche Disziplinen und Fächer ist hier von besonderer Relevanz. Darüber hinaus muss aber auch das außerwissenschaftliche, kontextspezifische Fallwissen eingebunden werden. Im Forschungsprozess muss reflektiert werden, wie dieses Wissen erzeugt wurde, wie es jeweils bewertet und wie es von denen, die es einbringen, in der Begründung ihrer Anliegen verwendet wird. Dies bildet die Voraussetzung, um die Vielfalt des wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Wissens für die Entwicklung anschlussfähiger Problemlösungen zu nutzen. Nur durch die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren kann der Bezug zu den wesentlichen Merkmalen des Ausgangsproblems trotz notwendiger disziplinärer Reduktionen erhalten bleiben.

In der dritten und letzten Phase des transdisziplinären Forschungsprozesses werden die integrierten Ergebnisse der zweiten Phase durch die am Forschungsprozess Beteiligten bewertet. Die leitenden Fragen lauten dabei: Wie valide und relevant sind die Ergebnisse für den Umgang mit dem ursprünglichen gesellschaftlichen Problem? Welche neuen Erkenntnisse konnten innerhalb der Disziplinen und darüber hinaus gewonnen werden? Wo sind neue Grenzen des Wissens und damit auch neue wissenschaftliche Probleme sichtbar geworden? Die Bewertung des neuen Wissens ist dabei als Prozess wechselseitiger Kritik zu organisieren, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Wie wir alle immer wieder schmerzhaft erfahren, ist KritikFootnote 2 ihrem Wesen nach zunächst einmal desintegrierend. Statt den Forschungsprozess zu schwächen, kann Kritik jedoch etwas realisieren, was als der besondere Mehrwert einer transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung gesehen werden muss: Nachdem die Forschungsergebnisse einer Prüfung aus unterschiedlichen epistemischen Perspektiven unterzogen wurden, findet gewissermaßen eine „Integration zweiter Ordnung“ statt. In dieser Phase, die auf praktische Umsetzbarkeit und Anwendung zielt, können die Forschungsergebnisse derart optimiert werden, dass sie für die jeweiligen Adressaten in Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft anschlussfähig sind und der Wissenschaft selbst neue Forschungsimpulse geben. Am ISOE wurde im Zuge der Weiterarbeit und zur Unterscheidung von anderen Verständnissen von Transdisziplinarität der Begriff der kritischen TransdisziplinaritätFootnote 3 geprägt.

Abschließen möchte ich diesen Punkt mit einer allgemeinen Definition von transdisziplinärer Forschung: „Transdisciplinarity is a critical and self-reflexive research approach that relates societal with scientific problems; it produces new knowledge by integrating different scientific and extra-scientific insights; its aim is to contribute to both societal and scientific progress […]“ (Jahn et al. 2012, S. 8 f.). Diese Definition nimmt nicht nur die wesentlichen Charakteristika der Nachhaltigkeitsforschung auf, sondern sie bringt auch die zentralen Merkmale von kritischer Transdisziplinarität zusammen:

  • die Problemlösungsorientierung und damit den Gestaltungsanspruch von transdisziplinärer Forschung (begründete Problembezüge),

  • Kontextabhängigkeit und Fallbezogenheit der Forschung durch den gesellschaftlichen Problembezug,

  • Integration als zentrale Aufgabe im Forschungsprozess (kognitiv, sozial-organisatorisch, kommunikativ),

  • Selbstreflexivität im Forschungsprozess (iterative Schleifen, kritische Reflexion der eigenen Wissensbasis, RollenklärungFootnote 4).

4 Qualitätskriterien

Ich komme nun zu meinem vierten Punkt, der Qualität von transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung. Die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung steht nicht nur unter dem (selbstgewählten) Anspruch, eine Forschung zu machen, die die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Umgang mit Problemen nachhaltiger Entwicklung erhöht. Sie wird auch an dem gemessen, was heute – nicht immer ganz bedeutungsscharf und bereits mit viel und zum Teil sehr berechtigter Kritik belegt – als wissenschaftlich exzellent gilt: „Outputorientierung“ oder, etwas schärfer, „Outputfixierung“, also die quantitative Messung der wissenschaftlichen Leistung zum Bespiel an der Anzahl der Publikationen in renommierten, internationalen Fachzeitschriften oder an der Höhe von eingeworbenen Drittmitteln bestimmter Fördergeber (vgl. Jahn und Keil 2015). Auch wenn es immer noch schwer ist, die Top-Journals für die Ergebnisse transdisziplinärer Forschung zu erwärmen, so ist doch in den letzten Jahren hier eine Öffnung zu beobachten. Zudem gibt es mittlerweile eine Vielzahl sehr guter, ausdrücklich inter- und transdisziplinärer Zeitschriften. Dennoch: Die Outputorientierung des Evaluationsbetriebs bleibt für die transdisziplinäre Forschung eine Hürde, weil sich ihre Ergebnisse einer einfachen Quantifizierung wenigstens zum Teil entziehen. Doch was macht die besondere Qualität einer transdisziplinären Forschung eigentlich aus?

Bevor ich hierauf eine Antwort gebe, möchte ich zunächst feststellen, dass die Entwicklung von Qualitätskriterien für die Forschung eine innerwissenschaftliche Aufgabe ist und dies auch im Kontext von Nachhaltigkeitsforschung bleiben sollte. Wenn es jedoch darum gehen soll, die Forschung auch danach auszurichten, was für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und die Aushandlung informierter politischer Entscheidungen relevant ist, muss zu der genannten Outputorientierung etwas Neues hinzukommen. Auf den Punkt gebracht ist dieses Neue, die Frage nach der Qualität transdisziplinärer Forschung auf den Forschungsprozess zu konzentrieren und dabei vor allem den Akteursbezug zu betonen. Eine „gute“ Nachhaltigkeitsforschung ist demnach nur dann möglich, wenn Forschungsprozesse so gestaltet werden, dass die Interessen, Erwartungen, das Wissen und die Wissensbedarfe unterschiedlicher gesellschaftlicher (politischer, wirtschaftlicher, zivilgesellschaftlicher) Akteure nicht nur berücksichtigt, sondern systematisch in das Forschungshandeln integriert werden. Qualitätskriterien für die Nachhaltigkeitsforschung sollen also deren gesellschaftliche Relevanz vor allem daran messen, ob das gesellschaftliche Ausgangsproblem gut in einen bearbeitbaren Forschungsgegenstand übersetzt wurde und inwieweit das relevante (heterogene) Wissen gut integriert wurde. Zudem sollten sie sich zentral darauf beziehen, inwiefern während des Forschungsprozesses und womöglich darüber hinaus ein gemeinsamer Lernprozess zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik ermöglicht wurde.

Am ISOE wurden in den letzten Jahren grundlegende Arbeiten zur Entwicklung von Qualitätskriterien für eine transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung durchgeführt. Im Projekt „NaFo – Politikrelevante Nachhaltigkeitsforschung“ im Auftrag des Bundesumweltministeriums wurden Kataloge von Qualitätsanforderungen – so genannte Anforderungsprofile – für die Nachhaltigkeitsforschung erstellt. Das Besondere daran: Diese Anforderungsprofile richten sich nicht nur an die Wissenschaft. Denn zur Qualität eines exzellenten transdisziplinären Forschungsprozesses können und müssen alle Beteiligten beitragen – also neben den Forschenden auch die jeweils direkt beteiligten gesellschaftlichen Praxispartner und die Forschungsförderung (Jahn und Keil 2015).

Auf ein Ergebnis dieses Projekts möchte ich hier besonders hinweisen: Auf Basis einer Sichtung der einschlägigen internationalen Literatur der letzten Jahre wurden neun allgemeine Anforderungsdimensionen abgeleitet, auf die sich jede Nachhaltigkeitsforschung grundsätzlich beziehen sollte (s. Abb. 4). Die dort enthaltenen Begriffe haben die internationale Diskussion um Nachhaltigkeitsforschung in den letzten Jahren geprägt.

Abb. 4
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Allgemeine Anforderungsdimensionen der Nachhaltigkeitsforschung (Jahn und Keil 2015, e. Ü.)

Zuerst bilden die drei Dimensionen „systemisch“, „skalenübergreifend“ und „prospektiv“ die spezifische Problemstruktur ab, mit der Nachhaltigkeitsforschung konfrontiert ist. Hier geht es also um die Qualität der Forschungsprobleme. Die drei nächsten Dimensionen „kontext-spezifisch“, „integrativ“ und „methodenbasiert“ fokussieren dagegen auf die Qualität des Forschungsprozesses. Die Frage hier ist, wie im Forschungsprozess der Bezug zu konkreten gesellschaftlichen und politischen Problemen im Kontext nachhaltiger Entwicklung jeweils hergestellt und wie neues Wissen für den Umgang mit diesen Problemen erzeugt, verknüpft und bewertet wird. Die letzten drei Dimensionen „kritisch-reflexiv“, „normativ“ und „Impact- orientiert“ adressieren schließlich den Aspekt der Qualität von Forschungsergebnissen, indem sie zum Beispiel die Fragen aufwerfen, wo die Grenzen des erzeugten Wissens liegen, in welchem Maße sich die Ergebnisse auf die wertebezogenen Aspekte nachhaltiger Entwicklung beziehen und wie versucht wird, ihre Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit zu erhöhen.

Die Entwicklung von erweiterten Qualitätskriterien steht noch am Anfang und kann nur in einem iterativen Prozess gelingen – ein Prozess der gewissermaßen bottom-up aus der Wissenschaft heraus angestoßen und dann gemeinsam mit einer Vielzahl von Akteuren – wie Forschungsförderung, Politik und Zivilgesellschaft – vorangetrieben werden muss. So geschehen im vom BMBF geförderten und vom ISOE geleiteten Forschungsprojekt TransImpact – Wirkungsvolle transdisziplinäre Forschung (vgl. www.td-academy.org).Footnote 5 Ob es schließlich irgendwann gelingt, allgemein anerkannte Qualitätskriterien zu etablieren hängt bei solch einem Verfahren naturgemäß von vielen Faktoren ab. Ein nicht unwesentlicher Faktor ist dabei die institutionelle Festigung einer Transdisciplinary Research Community.Footnote 6

5 Ausblick und Praktische Herausforderungen

Abschließend soll hier auf zwei ganz praktische Herausforderungen der transdisziplinären Forschung eingegangen werden: Die Förderung von transdisziplinären Projekten und Karrieremöglichkeiten von transdisziplinären Wissenschaftler*innen. Zwar gibt es immer mehr Fördermöglichkeiten für transdisziplinär ausgerichtete Projekte, insbesondere durch das BMBF und die EU, bei denen die Einbeziehung von Praxispartnern für viele Fördermaßnahmen sogar eine Bedingung ist. Allerdings stehen hier die Anforderungen und die Ausstattung häufig in einem Missverhältnis. Für die Forschungsförderung ist es nämlich trotz des immer lauter werdenden Rufs nach Disziplinen übergreifender Zusammenarbeit bisher alles andere als selbstverständlich, angemessene Ressourcen bereitzustellen für das worum es im Kern bei transdisziplinärer Forschung immer geht: nämlich um das Bearbeiten der zusätzlichen Integrationsaufgaben in ihrer kognitiven, organisatorischen und kommunikativen Dimension. Die Finanzierungsfrage betrifft auch die oft fehlenden Mittel für Forschung zu den methodischen und theoretischen Grundlagen der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass in der an Exzellenz orientierten Forschungsförderung die transdisziplinäre Forschung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das liegt vor allem auch an fehlenden Bewertungskriterien, nach denen transdisziplinäre Leistungen wie etwa die zielgruppenorientierte Aufbereitung und Vermittlung von Forschungsergebnissen positiv zu Buche schlagen würden.

Die an disziplinärer Exzellenz ausgerichtete Bewertung von Forschungsleistungen ist auch ein Problem für transdisziplinär forschende Nachwuchswissenschaftler*innen, deren akademische Karrieremöglichkeiten durchaus unsicher sind. Erfahrungen zeigen, dass sich selbst mit einer interdisziplinären Ausrichtung nach wie vor an Hochschulen nur schwer Kariere machen lässt – von einer transdisziplinären Ausrichtung ganz zu schweigen. Dass diese systemische Blockade ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Potenziale disziplinübergreifender Zusammenarbeit unerschlossen bleiben und eine wirkliches Mainstreaming transdisziplinärer Forschung ausbleibt, ist hinlänglich bekannt. Zudem bedeutet die Entscheidung für die transdisziplinäre Forschung unter den gegenwärtigen Bedingungen oft auch immer noch auch eine riskante Entscheidung für eine wissenschaftliche Karriere außerhalb der Universitäten.

Was es meines Erachtens bräuchte, um diese strukturellen Hindernisse für die Etablierung transdisziplinärer Forschung zu überwinden, ist zum einen ein funktionales Äquivalent zu den disziplinären Fachgemeinschaften, um besonders die Bewertungsproblematik systematisch angehen zu können. Zum anderen ist eine Veränderungsbereitschaft im Wissenschaftssystem erforderlich, das immer noch von einer starken horizontalen Versäulung geprägt ist und wenig Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Sektoren in der Wissenschaftslandschaft oder auch den Disziplinen zulässt. Schließlich benötigen wir langfristig womöglich auch neue Orte, an denen sich Wissenschaft, Gesellschaft und Politik treffen, um informierte Entscheidungen im Umgang mit Problemen im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung vorzubereiten.