Zusammenfassung
Johann Plenges Beiträge zum Ausbau der Allgemeinen Beziehungslehre – ein soziologischer Ansatz, den vor allem Leopold von Wiese vertrat – und zur Organisationssoziologie sind heute weniger bekannt als seine Schriften im Ersten Weltkrieg, von denen 1789 und 1914. Die symbolischen Jahre in der Geschichte des politischen Geistes (1916) immer wieder kritische Auseinandersetzungen herausfordert. In den Kriegsschriften ging es, wie zuvor in seinem viel diskutierten Buch, Marx und Hegel (1911), um sein vordringliches Anliegen: Die historisch zwingend erforderliche Durchsetzung des Organisationsgedankens und des organisatorischen Sozialismus. Seine 1920 eingerichtete „Erste Staatswissenschaftliche Unterrichtsanstalt“, die diesen Zielen als Erziehungsaufgabe für Studierende und Funktionäre aus allen Gesellschaftsbereichen dienen sollte, hatte nur kurzfristig Erfolg. Nach ihrer Auflösung 1923 wurde Plenge vom Preußischen Kultusministerium das „Forschungsinstitut für Organisationslehre und allgemeine und vergleichende Soziologie bei der Universität Münster“ eingerichtet. Er nutzte dessen Möglichkeiten nicht, sondern wandte sich der Kunstwissenschaft zu. 1935 wurde das Institut geschlossen; Plenge wurde zwangsemeritiert.
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Notes
- 1.
Von 1960 bis Anfang 1963 war ich Plenges letzte studentische Hilfskraft. Da es keine Nachkommen gab, vermachte er sein Haus und den gesamten Besitz seiner zuvor adoptierten Haushälterin. Sie bat mich, für den schriftlichen Nachlass Sorge zu tragen. Prof. Helmut Schelsky, dessen Wissenschaftlicher Assistent ich ab Mai 1965 war, hatte als Gründungsrektor der Universität Bielefeld die Möglichkeit, ihn in die im Aufbau befindliche UB zu geben.
- 2.
Über das Tafelwerk, das sich im Nachlass Plenges in der UB Bielefeld befindet, gibt es wegen seiner mit neu geprägten Latinismen und Gräzismen überhäuften, sehr komplexen Darstellung viele Kommentare (zusammenfassend Busch 2019: 576, 584). Ohne Plenges Erläuterungen sei es unverständlich gewesen.
- 3.
Zu erinnern ist daran, dass es soziologische Institute in Deutschland erst ab 1919 gab, beginnend mit Köln und Leopold von Wiese als erstem Lehrstuhlinhaber (für Nationalökonomie und Soziologie). Zu den soziologischen Instituten der 1920er Jahre in Deutschland vgl. Moebius (2021: Abschn. 2.2 und 2.3).
Literatur
Busch, Michael (2019): Der Gesellschaftsingenieur Johann Plenge (1874–1963), Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster, Bd. 13, Münster: Aschendorff Verlag.
König, René (1967 [1958]): Art. „Organisation“, in: Fischer-Lexikon Soziologie, hg. von René König, Frankfurt: Fischer Verlag, S. 234–241.
Moebius, Stephan (2021): „Soziologie in der Zwischenkriegszeit in Deutschland“, in: Karl Acham/Stephan Moebius (Hg.), Soziologie der Zwischenkriegszeit. Ihre Hauptströmungen und zentralen Themen im deutschen Sprachraum, Bd. 1, Wiesbaden: Springer VS, S. 31–176.
Pieper, Josef (1976): Noch wusste es niemand. Autobiographische Aufzeichnungen 1904–1945, München: Kösel.
Plenge, Johann (1910): „Marx oder Kant?“, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 66, S. 213–239.
Plenge, Johann (1911): Marx und Hegel, Tübingen: Laupp.
Plenge, Johann (1916): 1789 und 1914. Die symbolischen Jahre in der Geschichte des politischen Geistes, Berlin: J. Springer.
Plenge, Johann (1918): Die Revolutionierung der Revolutionäre, Leipzig: Der Neue Geist-Verlag.
Plenge, Johann (1919): Drei Vorlesungen über die allgemeine Organisationslehre, Essen: G. D. Baedeker.
Plenge, Joahnn (1920) Das erste Staatswissenschaftliche Unterrichtsinstitut. Seine Einrichtungen und Aufgaben, Essen: G. D. Baedeker.
Plenge, Johann (1931a): „Zum Ausbau der Beziehungslehre (L. von Wiese gewidmet). I: Beziehungsrichtungen“, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie IX, S. 271–288.
Plenge, Johann (1931b): „Zum Ausbau der Beziehungslehre. II: Der Beziehungsbogen“, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie IX, S. 448–493.
Plenge, Johann (1933): „Die Philosophie des ‚Wir‘ als Tiefenbegründung der Soziologie“, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie XI (2), S. 135–138.
Plenge, Johann (1932): „Zum Ausbau der Beziehungslehre. III: Gang und Aufbau der isolierten Beziehung“, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie X, S. 320–354.
Schäfers, Bernhard (Hg.) (1967a): Soziologie und Sozialismus. Organisation und Propaganda. Abhandlungen zum Lebenswerk von Johann Plenge. Mit einem Anhang von Johann Plenge: Obtinenz und Realität. Über Wirklichkeitssysteme, an Erich Rothacker, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag.
Schäfers, Bernhard (1967b): „Soziologie und Wirklichkeitsbild. Plenges Beitrag zur deutschen Soziologie um 1930“, in: Ders. (Hg.), Soziologie und Sozialismus, Organisation und Propaganda. Abhandlungen zum Lebenswerk von Johann Plenge, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, S. 61–122.
Schäfers, Bernhard (1969): „Voraussetzungen und Prinzipien der Gesellschaftsplanung bei Saint-Simon und Karl Mannheim“, in: Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster (Hg.), Zur Theorie der allgemeinen und der regionalen Planung, Bielefeld: Bertelsmann Universitätsverlag, S. 25–40.
Schildt, Axel (1987): „Ein konservativer Prophet moderner nationaler Integration. Biographische Skizze des streitbaren Soziologen Johann Plenge (1874–1963)“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 35 (4), S. 523–570.
Schrader, Einhard (1967): „Theorie und Praxis. Johann Plenges Programm eines organisatorischen Sozialismus“, in: Bernhard Schäfers (Hg.), Soziologie und Sozialismus, Organisation und Propaganda. Abhandlungen zum Lebenswerk von Johann Plenge, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, S. 17–44.
Schumacher, Kurt (1973): Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie. hg. von Friedrich Holtmeier, mit einem Geleitwort von Herbert Wehner, Stuttgart et al.: Verlag W. Kohlhammer.
Vierkandt, Alfred (Hg.) (1931): Handwörterbuch der Soziologie. Stuttgart: F. Enke Verlag. (Eine von Helmut Schelsky veranlasste Neuausgabe erschien 1959, in gleicher Aufmachung und im gleichen Verlag.)
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Schäfers, B. (2022). Johann Plenge als Wegbereiter der Organisationssoziologie und des organisatorischen Zeitalters. In: Acham, K., Moebius, S. (eds) Soziologie der Zwischenkriegszeit. Ihre Hauptströmungen und zentralen Themen im deutschen Sprachraum. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31401-9_12
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