Zusammenfassung
Ausgehend von der enormen Präsenz von Angst in gesellschaftlichen und soziologischen Diskursen sowie den Defiziten des bisherigen theoretisch-begrifflichen Durchdringens von Angst beschreibt der Text im Rahmen affekttheoretischen Denkens Angst als einen Affekt, dem eine spezifische Temporalstruktur inhärent ist. Angstaffekte verhelfen demnach Unsicherheiten und Ungewissheiten aufgrund erwarteter, zukünftiger Gefahren zum gegenwärtigen Sein, weshalb sie sich als körperliche Vergegenwärtigung und Präsenz zukünftiger Gefahren begreifen lassen. Angst ist insofern nicht Ursache, sondern Effekt von Politiken intensivierter Gefahren, die zunehmend unsichere Zukünfte imaginieren, simulieren und prozessieren. Der Text stellt vor diesem Hintergrund sechs Charakteristika des Affekts Angst ausführlich dar und argumentiert, dass die so unsicher und ungewiss erscheinende Zukunft nicht als factum brutum, sondern vielmehr als Resultat heterogener Präventionsdispositive anzusehen ist.
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Notes
- 1.
In der neueren Affektsoziologie bzw. den Affect Studies wird zuweilen auch das kulturelle Ordnungen irritierende, störende und emanzipative Potenzial von Affekten betont, als ein noch nicht eingehegtes Element (Slaby und Mühlhoff 2019, S. 37 ff.). Ein solches Potenzial des Affekts, wie es etwa Massumi (2010a, S. 80) betont, soll hier nicht in Abrede gestellt werden, doch liegt der Fokus auf den Mechanismen der (Re-)Produktion von kulturellen Ordnungen, die, das sollte deutlich geworden sein, auch affektiv sind.
- 2.
Dass Diamonds Angst Ausdruck der herrschenden, hier aufblitzenden kulturellen Ordnung ist, zeigt sich beispielsweise spiegelbildlich in der enormen medialen Aufmerksamkeit, die der Kolumnistin Skenazy (2008) zuteilwurde, als diese darüber schrieb, warum sie ihren neunjährigen Sohn allein die New Yorker U-Bahn fahren lässt. Als ‚America’s Worst Mom‘ ist sie in die jüngere (Medien-)Geschichte der USA eingegangen.
- 3.
Nach den Ereignissen 1999 im US-amerikanischen Littleton und 2002 im thüringischen Erfurt wurden beispielsweise neue Alarmpläne und auditive Alarmsignale „Amok“ in Grundschulen implementiert. Insbesondere im Kontrast zum differierenden Alarmplan und -signal „Feuer“ zeigt sich hier, wie Verhalten und (Selbst-)Führungen durch Präventionstechnologien affektiv strukturiert werden. Denn beide auditiven Warnsignale sollen zu gänzlich anderen Verhaltensweisen führen, für die das Subjekt trainiert werden muss. Dieses Beispiel demonstriert mithin auch die grundlegend affektive Dimension einer jeden (hegemonialen) kulturellen Ordnung.
- 4.
Der „Gefährder“ ist hier zunächst als analytische Kategorie zu verstehen. Es ist jedoch kein Zufall – und innerhalb der staatlich-präventiven Logik letztlich nur konsequent –, dass die Figur des „Gefährders“ im Diskurs innerer Sicherheit an Prominenz gewinnt, wo er Ausdruck einer spezifischen Rationalität der Kriminalitätskontrolle ist: den Gefahrenvorgriff; siehe dazu den folgenden Abschnitt und speziell zu dieser Figur Krasmann (2009).
- 5.
Aufhänger von Lakoffs (2007) Argumentation ist der Hurrikan Katrina, jene verheerende Naturkatastrophe Ende August 2005 in den südöstlichen Teilen der USA, und die Aussage „We are not prepared“ eines Reporters. Dieses gut gewählte Beispiel zeigt zum einen, dass alle Policies des Vorbereitet-seins in der realen Katastrophe gescheitert sind, dieses Scheitern aber gerade nicht dazu führt, den bisherigen Weg kritisch zu betrachten und ggf. neu zu justieren, sondern ein ‚noch mehr‘ provoziert. Zum anderen wird an dem Beispiel überdeutlich, dass die politische Rationalität auch dafür den Rahmen vorgibt, was überhaupt als politisch-relevantes Problem gesehen wird; so gelten beispielsweise Armut und eine geringe Rate an Menschen mit Krankenversicherung nicht als Faktoren des Vorbereitet-seins. Darüber hinaus ist der Hurrikan Katrina auch ein Beispiel für die rechtsstaatsaushebenden Kräfte der Praktiken des Gefahrenvorgriffs, wie sie sich anhand der Geschichte des syrisch-amerikanischen Handwerkers Zeitoun nachvollziehen lassen. Dieser rettete sich nicht durch Flucht, sondern wollte als rechtschaffender Bürger der Stadt New Orleans helfen – und geriet unter Terrorverdacht. Er wurde ohne Verdachtsmoment festgenommen, gänzlich seiner Rechte beraubt, erfuhr weder den Grund seiner Festnahme noch durfte er einen Telefonanruf tätigen, er wurde keinem Richter vorgeführt, aber verhört, misshandelt und gedemütigt (Eggers 2010). Im Vorfeld des Hurrikans hatte das US-amerikanische Heimatschutzministerium davor gewarnt, Terrorist*innen könnten die Naturkatastrophe für Anschläge nutzen, was im Zeichen des Gefahrenvorgriffs das Aushebeln rechtsstaatlicher Grundsätze im Grunde nicht nur rechtfertigt, sondern geradezu nötig macht.
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