Zusammenfassung
In der Praxis sozialwissenschaftlicher Forschung und insbesondere bei der Analyse sozialwissenschaftlicher Umfragedaten sehen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen oftmals mit der Situation konfrontiert, dass für die empirische Erfassung eines theoretischen Konstrukts mehrere verschiedene Frageitems zur Verfügung stehen. Zur Beantwortung der Frage, ob verschiedene Items zur Messung ein und desselben theoretischen Konstrukts geeignet sind und zu einer gemeinsamen Skala zusammengefasst werden können, wird häufig auf das Verfahren der (explorativen) Faktorenanalyse zurückgegriffen. Der vorliegende Beitrag gibt eine allgemeine Einführung in die Grundlogik der Faktorenanalyse sowie deren wesentlicher Aspekte und Verfahrensschritte. Das Hauptaugenmerk des Beitrags liegt hierbei auf der Darstellung und Diskussion sämtlicher relevanter Überlegungen und Erwägungen, die bei der Frage nach einer möglichen Zusammenfassung mehrerer Frageitems zu einer gemeinsamen Skala zu beachten sind. Veranschaulicht werden die Faktorenanalyse und die Skalenkonstruktion hierbei am Beispiel sozialen und politischen Vertrauens auf Grundlage der Daten des European Social Surveys.
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Notes
- 1.
Die Begriffe „Konzept“ und „Konstrukt“ werden in der sozialwissenschaftlichen Literatur oftmals synonym verwendet. Schnell et al. (2013, S. 118) verweisen jedoch auf die Notwendigkeit einer Differenzierung, da Konstrukten bereits eine klare Definition zugrundeliegt, wohingegen Konzepte lediglich eine Art „unklare Vorstufe“ repräsentieren. Insbesondere in messtheoretischen Diskussionen, in deren Bereich ebenfalls die Faktorenanalyse und die Skalenkonstruktion fallen, ist der Begriff „Konstrukt“ gemeinhin geläufiger, weswegen er auch im vorliegenden Beitrag verwendet wird. Der Fokus liegt hierbei primär auf dem Charakteristikum der Nicht-Beobachtbarkeit latenter Konstrukte in Abgrenzung zu direkt beobachtbaren (manifesten) Items oder Variablen.
- 2.
Die Kommunalität eines Items ist auf den Wertebereich 0–1 normiert, wobei der Wert 1 angibt, dass sich 100 Prozent der Varianz eines Items auf gemeinsame Faktoren zurückführen lassen. Da die Hauptkomponentenanalyse kein Fehlermodell und somit auch keinerlei spezifische Varianz impliziert, sind hier die Kommunalitäten per definitionem auf 1 fixiert (Wolff und Bacher 2010, S. 348).
- 3.
Dieser Sachverhalt kann auch umgekehrt formuliert werden: Sind mehrere Items oder Variablen (stark) miteinander korreliert und sollen sie in weiterführenden Untersuchungen wie beispielsweise einer Regressionsanalyse als erklärende Variablen weiterverwendet werden, so sollten diese unbedingt in einer Skala oder mehreren Skalen zusammengefasst werden, um sogenannte Multikollinearitätsprobleme bei der Regressionsschätzung zu vermeiden (Williams et al. 2010, S. 5).
- 4.
Sollen ordinalskalierte oder dichotome Variablen einer Faktorenanalyse unterzogen werden, so können zunächst sogenannte polychorische bzw. tetrachorische Korrelationen berechnet werden und anschließend die auf diesen basierende Korrelationsmatrix als Input für die Faktorenanalyse verwendet werden (Wolff und Bacher 2010, S. 362; Kopp und Lois 2014, S. 94–95).
- 5.
Bei obliquen (schiefwinkligen) Rotationsverfahren werden von den gängigen Statistikprogrammen zwei verschiedene Faktorenlösungen ausgegeben, welche in der sogenannten Strukturmatrix bzw. der sogenannten Mustermatrix ausgewiesen werden. Für die inhaltliche Interpretation der resultierenden Faktoren werden die Ergebnisse der Mustermatrix herangezogen (Kopp und Lois 2014, S. 96).
- 6.
Die Berechnung solcher gewichteter Summenwerte ist jedoch ausschließlich für deskriptive Zwecke relevant, da durch die Gewichtung lediglich eine lineare Transformation der Ausgangsitems durchgeführt wird, welche die Korrelationen mit anderen Variablen unberührt lässt.
- 7.
Die Korrektur der Korrelation ist nötig, da die jeweils betrachteten Items oder Variablen als Bestandteil der Gesamtskala immer auch mit sich selbst korreliert sind (Kopp und Lois 2014, S. 99).
- 8.
Die Daten des European Social Survey stehen nach einer Registrierung für wissenschaftliche Zwecke frei zur Verfügung und können auf der internationalen Homepage des ESS unter http://www.europeansocialsurvey.org/data/ heruntergeladen werden (siehe auch Schnaudt et al. 2014, S. 495).
- 9.
Zur Überprüfung der Normalverteilung der vorliegenden Items wurden sowohl der Kolmogorov-Smirnov-Test als auch grafische Überprüfungsverfahren wie der sogenannte Q-Q Plot herangezogen. Diese Verfahren sind in den gängigen Statistikprogrammen standardmäßig implementiert (siehe auch Kopp und Lois 2014, S. 95).
- 10.
Eine Addition der von den jeweiligen Faktoren erklärten Varianz in den Ausgangsitems ist nur bei einer orthogonalen Rotation der Faktorenlösung zulässig, da die extrahierten Faktoren hier statistisch unabhängig voneinander sind. Bei obliquen (schiefwinkligen) Rotationsverfahren können die jeweiligen Anteile erklärter Varianz nicht addiert werden, da die extrahierten Faktoren miteinander korrelieren und somit einen gemeinsamen Teil der Varianz der Ausgangsitems erfassen (Kopp und Lois 2014, S. 96).
- 11.
Diese Beobachtung gilt auch unter Verwendung eines obliquen (schiefwinkligen) Rotationsverfahrens.
- 12.
- 13.
Bei der Konstruktion der beiden Skalen für soziales und politisches Vertrauen wurden zur besseren Vergleichbarkeit (wie in allen Analysen dieses Beitrags) lediglich Befragte herangezogen, die über gültige Antworten auf allen zehn konstitutiven Items verfügen. Für einen alternativen Umgang mit fehlenden Werten bei der Skalenkonstruktion siehe Hildebrandt et al. (2015, S. 57).
- 14.
Im vorliegenden Anwendungsbeispiel wurden lediglich die Daten des ESS für Befragte aus Deutschland analysiert. Möchte man hingegen soziales und politisches Vertrauen über mehrere Länder oder verschiedene Gruppen (z. B. Altersgruppen) hinweg untersuchen und vergleichen, so empfiehlt es sich, die hier dargestellten Analysen für jedes dieser Länder bzw. jede dieser Gruppen separat durchzuführen (z. B. Schnaudt 2019). Auf diese Weise kann überprüft werden, ob die gefundenen Faktorenstrukturen für alle Länder oder Gruppen identisch sind und folglich ebenfalls identische Messinstrumente bzw. Skalen für diese Länder oder Gruppen verwendet werden können. Ist dies nicht der Fall, so kann es sich anbieten, zur Messung ein und desselben Konstrukts in verschiedenen Ländern oder Gruppen unterschiedliche Messinstrumente oder Skalen zu verwenden (z. B. Schnaudt und Weinhardt 2018).
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Schnaudt, C. (2020). Explorative Faktorenanalyse und Skalenkonstruktion. In: Tausendpfund, M. (eds) Fortgeschrittene Analyseverfahren in den Sozialwissenschaften. Grundwissen Politik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30237-5_7
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