Zusammenfassung
In der Bundesrepublik Deutschland bereitete die Regierungsbildung lange Zeit kaum Probleme. Sie folgte dem Muster von Mehrheitskoalitionen einer Großpartei und ihres Juniorpartners aus demselben politischen Lager auf Basis umfassender Koalitionsverträge. Da sich dieses alte Format des Regierens infolge der Parteiensystempluralisierung immer seltener als gangbar erweist, stellt sich die Frage nach neuen Formaten des Regierens. Alternativen, die bereits auf der Länderebene oder in anderen politischen Systemen erprobt wurden oder aus der Wissenschaft vorgeschlagen wurden, werden in diesem Beitrag diskutiert entlang der einzelnen Elemente des alten Formats: der Zwei-Parteien-Lagerkoalition, der Mehrheitsregierung, der Rollenverteilung „Senior/Junior“ und der umfassenden politikinhaltlichen Verständigung.
Notes
- 1.
Die Koalitionsforschung behandelt CDU und CSU in der Regel als eine Partei.
- 2.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet, gleichwohl sich die Angaben stets auf alle Geschlechter beziehen (m/w/d).
- 3.
Rote-rote Zweierbündnisse (wie in Mecklenburg-Vorpommern 1998–2006, Berlin 2001–2011, Brandenburg 2009–2019) sind hingegen nicht länger mehrheitsfähig.
- 4.
Hier konnte an ein gemeinsames Regieren der SPD mit der FDP von 1991 bis 2006 angeknüpft werden. Anfang der 1990er-Jahre gab es zudem zwei Ampelkoalitionen in Brandenburg und Bremen.
- 5.
Leider ist hier die Terminologie wenig trennscharf; meist wird für beide Modelle von einer Tolerierung gesprochen. Das Stützmodell firmiert in der Literatur zum Teil auch als contract parliamentarism (Bale und Bergman 2006).
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