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Essbar oder nicht-essbar – Eine soziologische Systemtheorie der Ernährungskommunikation

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Ernährungskommunikation
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Zusammenfassung

Die Ernährungskultur der Gegenwartsgesellschaft ist eine Ernährungskultur der Ernährungskulturen. Diese basieren auf Kommunikationsoperationen und stehen in einem permanenten Kommunikationsverhältnis zueinander. Mit der soziologischen Systemtheorie, die von der Prämisse ausgeht, dass Kommunikation die basale Operation allen sozialen Handelns darstellt und spezifische soziale Funktionssysteme ausdifferenziert, lässt sich die Kommunikation über die Ernährung des Menschen analysieren. Entscheidend ist dabei, dass sich Ernährungskommunikation stets um die Entscheidung der Frage dreht, was ist essbar und was ist nicht-essbar.

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Notes

  1. 1.

    Die soziologische Systemtheorie ist außerhalb des gesellschaftswissenschaftlichen Binnendiskurses vor allem durch den Soziologen Niklas Luhmann (1927–1998) berühmt geworden, wenngleich sie nicht durch ihn begründet worden ist. Ein prominenter Vorläufer der Systemtheorie Luhmann’scher Prägung ist diejenige von Talcott Parson (1902–1979), auf den Niklas Luhmann immer wieder Bezug nimmt. Einerseits um dessen Ansatz weiterzuentwickeln, andererseits um an entscheidenden Punkten völlig neue, andere Wege einzuschlagen. Aus der sogenannten „Luhmann Erbengemeinschaft“ wiederum sind unter anderem die theoretischen Arbeiten von Dirk Baecker, Peter Fuchs, Rudolf Stichweh und Athanasios Karafillidis zu nennen, die an einer systemtheoretischen Soziologie weitergearbeitet haben. Wobei anzumerken ist, dass gerade Dirk Baecker (2007) und Athanasios Karafillidis (2010) den systemtheoretischen Ansatz noch viel stärker als Niklas Luhmann zu einem formtheoretischen Ansatz umgebaut haben.

  2. 2.

    Leicht zu merken an bekannten Phrasen wie „Die Landkarte ist nicht das Territorium“ oder „Die Bezeichnung ist nicht das Bezeichnete“, wobei Letzteres sofort an das weltberühmte Bild La trahison des images („Der Verrat der Bilder“) des surrealistischen Künstlers René Magritte erinnert.

  3. 3.

    Auch diese selbstbezogenen, selbstreferenziellen Wortspiele sind ein bekanntes Merkmal der Systemtheorie: Beobachter des Beobachters, Begriff vom Begriff, die Wissenschaft der Wissenschaft, die Gesellschaft der Gesellschaft etc.

  4. 4.

    Und nicht mehr wie in anderen Theorieansätzen von „Subjekten“ und „Objekten“.

  5. 5.

    Sofern man denn von ‚Menschen‘ sprechen will – Niklas Luhmann wollte es nicht (2005a).

  6. 6.

    Der Einwurf von einem Euro führt dazu, dass ein Getränk ausgeworfen wird; gutes Zureden führt niemals dazu, dass man ein Getränk erhält.

  7. 7.

    Die Komplexität des Sachverhalts spielt stets eine Rolle. Es ist noch relativ einfach, die Information mitzuteilen, dass zum Beispiel ein Fachartikel für ein Buchprojekt bis zu einem gewissen Datum eingereicht werden soll. Der gregorianische Kalender genießt doch weitestgehend eine standardisierte, allgemeine Anerkennung. Aber schon hier mag dies für die einen bedeuten, dass sie den Artikel tatsächlich bis zu diesem Datum einreichen. Andere wiederum reichen ihn innerhalb einer Frist von vier Wochen nach und einigen wenigen überarbeiteten Autoren müssen die geduldigen und beharrlichen Herausgeberinnen der Publikationen monatelang auf den Fersen bleiben.

    Und wenn schon die Kommunikation einer solchen Datumsvereinbarung dermaßen kompliziert wird, so stelle man sich erst einmal vor, was in sozialen Zusammenhängen für Schwierigkeiten auftauchen, in denen man einer anderen Person sagen will, dass sie ganze (Ernährungs-)Kulturgewohnheiten neu justieren soll oder – sowieso die größte aller kommunikativen Herausforderungen – vielleicht, dass man sie liebt („Ich liebe dich!“ ist zwar ein netter Satz, aber drückt diese tausendmal gehörte Pralinenschachtelphrase wirklich dieses einzigartige, intensive Gefühl aus, welches Alter für Ego empfindet?). Oder wie steht es mit den komplexen Einsichten in eine sozial-ökologische Ernährungswende? Schwierig.

  8. 8.

    Wir benutzen den unscharfen Terminus „Mensch“ an dieser Stelle der Verständlichkeit willen ausnahmsweise und wir benutzen ihn als diejenige Kombination eines speziellen psychischen Systems mit einem speziellen organischen System (einem konkreten Körper), die in unterschiedlicher Intensität von sozialen Systemen in Anspruch genommen wird bzw. sich in ebenso unterschiedlicher Intensität auf diese sozialen Zusammenhänge einwirkend konstituiert.

  9. 9.

    Es differenzieren sich in der neuzeitlichen Hoch- und Spätmoderne viele unterschiedliche soziale Formen in Systemzusammenhängen oder zumindest in systemähnlichen Formen aus, so zum Beispiel auch ein System zum Pop (Heidingsfelder 2012).

  10. 10.

    Die Kulinaristik – die eigentlich genauer Gustatorik heißen sollte, was sich nicht durchgesetzt hat – operiert nach der Unterscheidung wohlschmeckend/nicht-wohlschmeckend.

  11. 11.

    Die Ernährungswissenschaften bilden einen sich ausdifferenzierten Hybrid aus diversen anderen Kommunikationszusammenhängen: der naturwissenschaftlichen Medizin, Biochemie, Militärwissenschaften und Haushaltslehre.

  12. 12.

    Hier aus der Perspektive eines in einer europäisch, katholischen omnivoren Ernährungskultur sozialisierten Autors. Ein jüdisch-vegan sozialisierter Autor würde das Phänomen – beobachterstandpunktabhängig – genau andersherum beschreiben.

  13. 13.

    Diese ‚gemeinsame Welt‘ ist nicht unerheblich. In früheren Zeiten konnte man schlicht darauf verweisen, dass es ‚eine völlig andere Welt‘ sei, in der die Schweinefleischesser oder die Nicht-Schweinefleischesser lebten. Man sah sich keineswegs in dem engen Vergleichszusammenhang, wie dies heutzutage der Fall ist. Und wenn man sich zu nahekam, versuchte man Konsens über das Abschlagen von Köpfen zu erreichen, was als Praxis glücklicherweise immer seltener Zustimmung erfährt.

  14. 14.

    Hierzu sollte man unbedingt den Klassiker des Kulinarischen Kinos Das große Fressen (1973, Marco Ferreri) anschauen, in dem sich die Protagonisten auf die köstlichste und moralisch hoch zweifelhafteste Art und Weise ‚zu Tode fressen‘.

  15. 15.

    Ob man das nun gut findet oder nicht. Aber selbst radikale Regionalisten oder neue Nationalbewegungen können nicht umhin festzustellen, dass es sich immer nur noch um Regionen oder Nationen in Differenz zu einer wirkmächtigen globalen Umwelt handelt.

  16. 16.

    Wenngleich nicht immer. Weder logische Konsistenz, gute Gründe oder eine Attraktivität sind Garanten dafür, dass sich eine ‚gute Idee‘ oder ein ‚besseres Argument‘ zwingend durchsetzen. Die Weltgeschichte ist voll von guten Argumenten, denen niemand folgen wollte, ebenso wie allerorten ‚dumme Ideen‘ zu beobachten sind, die Begeisterungsstürme und hohen Zuspruch erfahren. Auch hier gilt es, die normative Kraft des Faktischen anzuerkennen: Die Welt ist weder die „beste aller Welten“ (Leibniz) oder die „schlechteste aller Welten“ (Schopenhauer), sondern man muss mit Niklas Luhmann sagen: Sie ist die beste und schlechteste aller Welten zugleich.

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Kofahl, D. (2021). Essbar oder nicht-essbar – Eine soziologische Systemtheorie der Ernährungskommunikation. In: Godemann, J., Bartelmeß, T. (eds) Ernährungskommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27314-9_3

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-27313-2

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