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Kritische Theorie

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Handbuch Sozialwissenschaftliche Gedächtnisforschung
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Zusammenfassung

Obwohl die Erforschung von Gedächtnis, Erinnern und Vergessen nicht zum paradigmatischen Kern der Kritischen Theorie gehört, haben einzelne Vertreter dieser Theorietradition, vor allem Walter Benjamin, aber auch Theodor W. Adorno und Axel Honneth, wichtige Beiträge zu einem kritischen Verständnis der Thematik geleistet. Benjamin findet das kritische Prinzip des Historischen Materialismus in der Aktualisierung des Vergangenen und begreift Erinnern als „destruktive“ Unterbrechung der historischen Kontinuität. Ausgehend von Adorno beschäftigt sich ein zweiter Theoriestrang mit den Zusammenhängen von Vergessen und Verdinglichung, ohne diese bisher überzeugend aufgeklärt zu haben.

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Notes

  1. 1.

    Zumeist wird entweder zwischen „älterer“ (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Walter Benjamin und andere) und „neuerer“ (Jürgen Habermas, Axel Honneth und andere) Kritischer Theorie oder, noch etwas differenzierter, zwischen unterschiedlichen „Generationen“ der Kritischen Theorie unterschieden. Habermas wird dabei der zweiten, Honneth der dritten „Generation“ zugeordnet.

  2. 2.

    Bemerkenswerterweise sieht Benjamin den Unterschied zwischen Erzählung und medialer Information nicht allein darin, dass letztere heterogen und zusammenhanglos, sondern auch, dass sie immer schon mit Erklärungen „durchsetzt“ ist (Benjamin 1936, S. 444–445). Sie bietet, anders als die Erzählung, keinen Raum für fortlaufende Interpretation und Reflexion.

  3. 3.

    An dieser Stelle setzt die Diskussion zwischen Adorno und Benjamin über das Verhältnis von unwillkürlichem Erinnern und Vergessen ein, auf die ich unten (Abschn. 3) zurückkomme.

  4. 4.

    „Gute“ Verdinglichung scheint für Adorno möglich (und notwendig) zu sein, weil auch das „Dinghafte“ zwei widersprüchliche Momente vereinigt: „das Unidentische des Objekts und die Unterwerfung der Menschen unter (…) ihren eigenen, ihnen unkenntlichen Funktionszusammenhang“ (Adorno 1966, S. 192). Während die zweite, „schlechte“ Form von Dinghaftigkeit aufzulösen sei, könnten die Dinge als das Unidentische oder Nichtidentische das menschliche Subjekt vor Selbstüberhöhung und Selbstentfremdung bewahren. „Vergessen“ werden müsste dazu der selbstzerstörerische Herrschaftsanspruch des Subjekts; an dessen Stelle würde in der „Liebe zu den Dingen“ (Adorno 1966, S. 191) die Anerkennung des Fremden, Anderen treten, ohne es dem Subjekt gleich machen zu wollen.

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Wehling, P. (2021). Kritische Theorie. In: Berek, M., et al. Handbuch Sozialwissenschaftliche Gedächtnisforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26593-9_39-1

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