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Ethnographische Wissenschaftsforschung

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Handbuch Soziologische Ethnographie
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Zusammenfassung

Für den Wahrheits- und Geltungsanspruch wissenschaftlichen Wissens werden in der Regel naturalistische oder konstruktivistische Argumente ins Feld geführt. Grundlage beider Argumentationen ist eine Konzeption von Wissenschaft im Sinne von science-as-made, die Wissenschaft in Bezug auf ihre Ergebnisse betrachtet. Sie berücksichtigen nicht die Herstellungsprozesse – das science-in-the-making. Erst die Laborstudien haben sich den Herstellungs- und Konstruktionsprozessen wissenschaftlicher Objekte und Tatsachen durch die involvierten menschlichen und nicht-menschlichen Akteure gewidmet. Wissenschaftliche Objekte werden in Bezug auf ihre Objektivierungspraxis sichtbar gemacht, Objektivierung wird hierbei als eine Verbindung von ‚Dingen von Belang‘ betrachtet, auf der der Wahrheitsanspruch wissenschaftlicher Aussagen beruht. Die Ethnographie stellt eine geeignete Untersuchungsmethode dafür dar, Laborpraxis als ‚Fremdpraxis‘ zu beobachten. Um Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand zu bewahren, plädieren wir für eine experimentelle Ethnographie in der soziologischen Wissenschaftsforschung.

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Notes

  1. 1.

    Es ist keinesfalls so, dass die, die sich auf ‚alternative Fakten‘ berufen, die gleichen epistemologischen Grundlagen haben wie die soziologische Wissenschaftsforschung. Die einzige Übereinstimmung ist das Primat der kollektivierten Überzeugung.

  2. 2.

    Siehe hierzu auch Keller (2006).

  3. 3.

    Der Begriff der Kultur ist etwas irreführend, weil damit der Eindruck erweckt wird, dass es immer schon existierende Deutungsgefüge von Lebenswelten gäbe. Hier wird er nur im pragmatischen Sinne benutzt als ‚kollektivierte Nachahmungsprozesse‘.

  4. 4.

    Insbesondere die Arbeiten der Chicago School haben die Ethnographie als Methode der Feldforschung im Kanon soziologischer Forschung etabliert (Legewie 1991, S. 190).

  5. 5.

    Der Lebensweltbegriff, auf den hier Bezug genommen wird, orientiert sich an dem Lebensweltkonzept von Alfred Schütz (Hitzler und Honer 1991).

  6. 6.

    Vgl. hierzu z. B. Lynch (1985); Latour und Woolgar (1979); Knorr Cetina (2002).

  7. 7.

    In diesem Sinne prägen die Laborstudien einen neuen Ansatz innerhalb der Wissenschaftsforschung. Die klassische Wissenssoziologie, die damals insbesondere durch die Arbeiten von Robert K. Merton geprägt war, untersuchte in erster Linie die normativen und institutionellen Rahmenbedingungen von Wissenschaft (Merton 1973). Im Gegensatz dazu stellen die Laborstudien sowohl das lokale Geschehen in konkreten Forschungssituationen als auch die Produktion wissenschaftlichen Wissens in den Fokus.

  8. 8.

    Die ethnographische Verankerung von Objektivierung in wissenschaftlichen Praxen zeigt auch, dass es hier nicht um eine überörtliche magische Leistung der allsehenden Augen des Beobachters geht. Ethnographische Wissenschaftsforschung kann nur wissenschaftlich sein, wenn sie verkörpert und verortet ist (Haraway 1988). Die Schwierigkeit der Ethnographie im Allgemeinen als auch der Laborethnographie im Besonderen ist mit der Notwendigkeit des persönlichen Vor-Ort-Seins verbunden. Dies ist ein Anspruch, der sich aus unterschiedlichen Gründen nicht immer realisieren lässt. Es wird immer eine Praxis geben, die zeitlich oder räumlich so situiert ist, dass die Beobachterin nicht anwesend ist. In diesem Sinne kommt Christine Hine (2001, S. 74) zu dem Schluss, dass jede Ethnographie notwendigerweise partiell ist.

  9. 9.

    Siehe in Bezug zum allgemeineren Thema einer „experimentellen Soziologie“ Poferl (1999).

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van Loon, J., Schär, W. (2022). Ethnographische Wissenschaftsforschung. In: Poferl, A., Schröer, N. (eds) Handbuch Soziologische Ethnographie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26405-5_12

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