Zusammenfassung
Der folgende Beitrag greift die Frage danach auf, wie eine systemische Beratungshaltung – jenseits der Aneignung von Fachwissen, des begleiteten Übens während der Ausbildung und des professionellen Handelns in unterschiedlichen Beratungsfeldern – angeeignet, entwickelt und erprobt werden kann. Ausgehend davon, dass die diskursive Auseinandersetzung mit konkreten Fällen vielfältige Möglichkeiten zur Erprobung systemischer Beratungsperspektiven bietet, wird hier der Versuch unternommen, das hohe Anregungspotenzial von Märchen, einem sehr ungewöhnlichen Typ von Fallgeschichten, für die Entwicklung systemischen Denkens und Handelns aufzuzeigen.
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Notes
- 1.
Das Phänomen der Haltung im Allgemeinen sowie der pädagogisch-professionellen Haltung im Besonderen ist gleichermaßen prominent wie unbestimmt. Es gibt eine Vielzahl divergierender theoretischer und empirischer Zugänge sowie teils synonym, teils konträr benutzter Begrifflichkeiten (vgl. Schwer et al. 2014), sodass ein „breit konsensfähiges theoretisches Konstrukt zum Begriff ‚professionelle, pädagogische Haltung‘ […] erst noch entwickelt werden [muss, SB]“ (Kuhl et al. 2014, S. 80). Der vorliegende Beitrag zielt nicht auf eine grundlegend-definitorische Klärung des Haltungsbegriffs im Allgemeinen, sondern versucht diesen eher nebulösen Begriff inhaltlich zu füllen.
- 2.
Zur Konstruktion von Systemen und den Merkmalen sozialer Systeme siehe bspw. Schwing und Fryszer (2015, S. 22 ff.).
- 3.
Multiperspektivität ist nicht nur Voraussetzung und Ziel für systemisches Handeln, sondern für jedes pädagogisch-professionelle Handeln (vgl. exemplarisch Müller 1997).
- 4.
Eine neugierige Grundhaltung ist allerdings nicht nur auf die Klient*innen ausgerichtet. Vielmehr fordert Neugier die Berater*innen dazu heraus, ihr eigenes Beratungshandeln kontinuierlich und immer wieder aufs Neue selbstreflexiv und im Austausch mit Kolleg*innen zu erschließen (vgl. Schwing und Fryszer 2015, S. 338).
- 5.
Diese Grundhaltung wiederum ermöglicht es Berater*innen, kontext-, einzelfall- und prozessphasenspezifisch zwischen den Rollen des Teachers, Faciliators, Consultants und Evaluators zu changieren (vgl. Schwing und Fryszer 2015, S. 333 ff.). Selbst wenn Berater*innen grundsätzlich alle diese verschiedenen Rollen situationsangemessen einnehmen können, so bleiben sie dennoch – ebenso wie ihre Klient*innen – Individuen und haben somit einen je eigenen Stil. Um einerseits authentisch und andererseits respektvoll gegenüber Klient*innen auftreten zu können, ist es nicht nur erforderlich, den eigenen Stil zu kennen und zu reflektieren, sondern den Klient*innen ggf. auch transparent zu machen (vgl. Cecchin 2016, S. 196 f.).
- 6.
Die Hinwendung zur Antagonistin stellt für (angehende) Praktiker*innen eine besondere Herausforderung dar, da sie dazu aufgefordert werden, bestehende Zuschreibungen und Gewissheiten und damit letztlich ihre eigenen, selbstverständlichen Bewertungen infrage zu stellen.
- 7.
Das Hineinschlüpfen der Berater*innen in die Rolle der Pro- und Antagonist*innen unterscheidet sich an dieser Stelle sehr deutlich vom Experimentieren der Kinder im Rollenspiel. Während das kindliche Rollenspiel darauf abzielt, sich sanktionsfrei innerhalb des Gut-und-Böse-Spektrums auszuprobieren, dient das Rollenspiel den Berater*innen dazu, das Gut-Böse-Spektrum im besten Falle aufzulösen.
Literatur
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Benedetti, S. (2020). „… und wenn die 13. Fee gar nicht böse war?“ – Märchen als Möglichkeit zur Herausbildung systemischer Beratungsperspektiven?. In: Benedetti, S., Lerch, S., Rosenberg, H. (eds) Beratung pädagogisch ermöglichen?!. Lernweltforschung, vol 33. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25917-4_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-25917-4_3
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