Skip to main content

Staatsbürgerschaft und Ideologie. Auf dem Weg zu einer gesellschaftstheoretisch reflektierten politischen Theorie von politischer Mitgliedschaft und ihren Grenzen

  • Chapter
  • First Online:
Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion

Part of the book series: Studien zur Migrations- und Integrationspolitik ((SZMI))

Zusammenfassung

Im Zentrum der modernen politischen Theorie steht die Frage nach der Legitimität der Institutionen politischer Gemeinwesen, die sowohl räumlich als auch in Bezug auf die politische Mitgliedschaft als begrenzt gedacht werden. Die damit direkt verbundene Frage nach der Legitimität eben dieser Grenzen und ihrer Durchsetzung wird dagegen nur selten als Problem ernst genommen und ausführlich diskutiert. Seyla Benhabibs deliberativ-demokratietheoretische Reflexionen der Aushandlung von politischer Zugehörigkeit stellen einen vielversprechenden Ansatz zu einer politischen Theorie politischer Grenzen und Mitgliedschaft dar. Die Pointe ihrer Überlegungen besteht darin, dass die Grenzen und das Ausmaß ihrer Durchlässigkeit nicht durch die politische Theorie selbst legitimiert werden können, sondern nur durch reale politischen Auseinandersetzungen, an denen teilzuhaben auch die betroffenen Nichtbürgerinnen berechtigt sein müssen. Jedoch zeigen Benhabibs eigene Fallstudien, dass solche Aushandlungen dazu führen können, dass politische Ausschlüsse aufrechterhalten oder gar verstärkt, aber nicht aufgeweicht werden. Daher plädiere ich in meinem Beitrag dazu, ihren politisch-theoretischen Ansatz durch eine gesellschaftstheoretische Reflexion der sozialen Dynamiken zu supplementieren, die mit den von ihr geforderten politischen Aushandlungen einherzugehen pflegen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 34.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 44.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Similar content being viewed by others

Notes

  1. 1.

    Ich danke den Herausgeberinnen, der Reviewerin und Franziska Paulmann für Kommentare, Kritik und Korrekturen.

  2. 2.

    Für eine idealtypische Aufstellung verschiedener migrationspolitischer Positionen s. Forschungsgruppe Staatsprojekt Europa (2014, S. 64–80).

  3. 3.

    Freilich gibt es zahlreiche weitere politisch-theoretische oder staatsrechtstheoretische Diskussionen von Menschenrechten, Migration und politischer Mitgliedschaft, an die sich anknüpfen ließe, wie zum Beispiel Rancière (2004), Miller (2007, S. 201–230), Carens (2013), Fine und Ypi (2016) oder Debenheuer und Grabenwarter (2016). Benhabibs Ansatz bietet für mein Vorhaben zweierlei Vorteile: Weil Benhabib explizit in der Tradition normativer politischer Theorie schreibt, ist ihre Theorie besser immanent kritisierbar als beispielsweise Rancières radikale Demokratietheorie; weil Benhabib reale diskursive Aushandlungen in den Mittelpunkt ihrer Theorie stellt, bietet sie einen guten Ausgangspunkt für die von mir geforderte gesellschaftstheoretische Supplementierung politischer Theorie.

  4. 4.

    Bei diesen Kritiken knüpfe ich an einige Überlegungen Benhabibs an. Jedoch gehe ich in meiner Kritik etwas weiter: Während Benhabib (2008, S. 14–15) insbesondere auf einen Widerspruch zwischen liberal-universalistischem Menschenrechtsprinzip und republikanisch-kommunitaristischem Souveränitätsprinzip zielt, lege ich dar, dass liberale und republikanische Ansätze auch für sich genommen Paradoxien produzieren, wenn sie Fragen von politischer Mitgliedschaft und politischen Grenzen diskutieren.

  5. 5.

    Der Einfachheit halber verwende ich das generische Femininum. Wenn es der Kontext nicht anders impliziert, schließen weibliche Formen alle ein, unabhängig davon, ob sie sich als weiblich identifizieren. Männer sind mitgemeint.

  6. 6.

    Hobbes Staatsmodell ist absolutistisch, nicht liberal. Die Methode seiner Staatsrechtfertigung ist aber liberal, weil sie bei der Freiheit der Individuen ansetzt.

  7. 7.

    Walzer deutet einen Absatz im Leviathan so, dass „Menschen wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht im eigenen Land verdienen können, das Recht haben auszuwandern ‚in unterbesiedelte Länder‘“ (Walzer 2006, S. 84, mit Zitat von Hobbes). Tatsächlich spricht Hobbes (1970, S. 288) jedoch in einer Passivformulierung davon, dass diesen Menschen „weniger besiedelte Länder angewiesen [engl: be transplanted] werden“ müssten und überschreibt das Kapitel als „Aufgaben und Pflichten des Oberherrn“ (278). Daher ist zweifelhaft, ob es hier wirklich um ein Recht auf Migration zwischen Staaten geht und ob Hobbes dem Souverän eines dünn besiedelten Landes die Pflicht auferlegt, Immigration zu dulden.

  8. 8.

    Zum Ideologiebegriff in Bezug auf politische Theorie s. Jaeggi (2009).

  9. 9.

    Eine andere Position vertritt Walzer in Bezug auf politische Nichtmitglieder, die als Arbeitskräfte in ein Land geholt wurden. Diese ökonomische Verstrickung erzeuge weitergehende Ansprüche – wenn auch kein absolutes Recht auf Einbürgerung (Walzer 2006, S. 92–104).

  10. 10.

    Zudem ist nicht immer klar, wie seine Theorie, deren wichtigste Argumentationsfigur nicht in einer rationalen Verallgemeinerbarkeitsprüfung besteht, sondern darin, dass er von der weiten Verbreitung bestimmter Normen auf ihre legitime Geltung schließt, Relativismus einerseits und naturalistische Fehlschlüsse andererseits vermeidet. In Bezug auf Migration drückt sich dieses Problem so aus, dass er die Gerechtigkeit einer Begrenzung von Zuwanderung letztlich damit begründet, dass Menschen es als gerecht empfänden, wenn dies geschähe. Ob dieses Gerechtigkeitsempfinden womöglich nur eine ideologische Verbrämung der Verteidigung nicht rechtfertigbarer Privilegien sein könnte, fragt er nicht (Walzer 2006, S. 70–80). Wenn er konstatiert, dass Staaten eher bereit sind, denen Asyl zu gewähren, die sie als Angehörige der eigenen Kultur verstehen, fragt er nicht, ob dies eine ungerechte partikulare Einschränkung eines Menschenrechts ist, sondern erklärt den Partikularismus selbst kurzerhand zu einer universellen Gerechtigkeitsnorm (Walzer 2006, S. 78–80, 88–91).

  11. 11.

    Dieses souveräne Recht qualifiziert Benhabib (2008, S. 51) insofern, als sie – im Gegensatz zu Walzer – ein Gebot der Nichtdiskriminierung formuliert.

  12. 12.

    Ein Beispiel für solche Prozesse sind die Kämpfe von Sans Papiers in Frankreich (Löw 2013).

Literatur

  • Alba, R. D., & Foner, N. (2015). Strangers no more. Immigration and the challenges of integration in North America and Western Europe. Princeton: Princeton University Press.

    Google Scholar 

  • Alexander, J. C. (2006). The civil sphere. Oxford: Oxford University Press.

    Book  Google Scholar 

  • Arendt, H. (2013). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. München: Piper.

    Google Scholar 

  • Benhabib, S. (2002). The claims of culture. Equality and diversity in the global era. Princeton: Princeton University Press.

    Google Scholar 

  • Benhabib, S. (2006). Another Cosmopolitanism. Oxford: Oxford University Press.

    Book  Google Scholar 

  • Benhabib, S. (2008). Die Rechte der Anderen. Ausländer, Migranten, Bürger. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Benhabib, S. (2011). Dignity in adversity. Human rights in turbulent times. Cambridge: Polity Press.

    Google Scholar 

  • Benz, M., & Schwenken, H. (2005). Jenseits von Autonomie und Kontrolle. Migration als eigensinnige Praxis. Prokla, 35(140), 363–377.

    Article  Google Scholar 

  • Biskamp, F. (2016a). Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit. Antimuslimischer Rassismus aus Sicht postkolonialer und neuerer kritischer Theorie. Bielefeld: transcript.

    Google Scholar 

  • Biskamp, F. (2016b). Antimuslimischer Rassismus als systematisch verzerrtes Kommunikationsverhältnis. Das Sprechen über den Islam zwischen Befreiung und Festschreibung. In H. Kellershohn & W. Kastrup (Hrsg.), Kulturkampf von rechts (S. 180–193). Münster: Edition DISS.

    Google Scholar 

  • Buckel, S. (2013). ‚Welcome to Europe‘. Die Grenzen des europäischen Migrationsrechts. Juridische Auseinandersetzungen um das ‚Staatsprojekt Europa‘. Bielefeld: transcript.

    Google Scholar 

  • Carens, J. (2013). The ethics of immigration. Oxford: Oxford University Press.

    Google Scholar 

  • Debenheuer, O., & Grabenwarter, C. (Hrsg.). (2016). Der Staat in der Flüchtlingskrise. Zwischen gutem Willen und geltendem Recht. Paderborn: Schöningh.

    Google Scholar 

  • Fine, S., & Ypi, L. (Hrsg.). (2016). Migration in Political Theory. The Ethics of Movement and Membership. Oxford: Oxford University Press.

    Google Scholar 

  • Forschungsgruppe Staatsprojekt Europa. (Hrsg.). (2014). Kämpfe um Migrationspolitik. Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung. Bielefeld: transcript.

    Google Scholar 

  • Habermas, J. (1998). Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Habermas, J. (1999). Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Heimeshoff, L.-M., Hess, S., Kron, S., Schwenken, H., & Trzeciak, M. (Hrsg.). (2014). Grenzregime II. Migration. Kontrolle. Berlin: Assoziation A.

    Google Scholar 

  • Hess, S., & Kasparek, B. (Hrsg.). (2010). Grenzregime. Diskurse. Praktiken. Institutionen in Europa. Berlin: Assoziation A.

    Google Scholar 

  • Hobbes, T. (1970). Leviathan. Erster und zweiter Teil. Stuttgart: Reclam.

    Google Scholar 

  • Jaeggi, R. (2009). Rethinking ideology. In C. F. Zurn, B. de Bruin, (Hrsg.), New Waves in Political Philosophy (S. 63–86). Basingstoke: Palgrave.

    Chapter  Google Scholar 

  • Kant, I. (1970). Zum ewigen Frieden. In I. Kant (Hrsg.). Werke in sechs Bänden: Bd. 6. Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik (S. 191–251). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

    Google Scholar 

  • Löw, N. (2013). Wir leben und wir bleiben hier! Die Sans Papiers im Kampf um ihre Rechte. Münster: Westfälisches Dampfboot.

    Google Scholar 

  • Mecheril, P. (2017). Flucht, Sex, Diskurs. Gastrede im Rahmen des Neujahrsempfangs der Stadt Bremen. In B. Milbradt, Y. Albrecht, F. Biskamp, & L. Kiepe (Hrsg.), Ruck nach rechts? Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und die Frage nach Gegenstrategien (S. 99–106). Opladen: Barbara Budrich.

    Chapter  Google Scholar 

  • Miller, D. (2007). National responsibility and global justice. Oxford: Oxford University Press.

    Book  Google Scholar 

  • Rancière, J. (2004). Who is the subject of the Rights of Man? South Atlantic Quarterly, 103(2/3), 297–310.

    Article  Google Scholar 

  • Rawls, J. (1979). Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Rawls, J. (2002). The law of peoples. Cambridge: Harvard University Press.

    Google Scholar 

  • Rawls, J. (2003). Politischer Liberalismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Rommelspacher, B. (1995). Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht. Berlin: Orlanda.

    Google Scholar 

  • Rousseau, J.-J. (2004). Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Stuttgart: Reclam.

    Google Scholar 

  • Schwenken, H. (2006). Rechtlos, aber nicht ohne Stimme. Politische Mobilisierungen um irreguläre Migration in die Europäische Union. Bielefeld: transcript.

    Google Scholar 

  • Terkessidis, M. (2004). Die Banalität des Rassismus Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive. Bielefeld: transcript.

    Google Scholar 

  • Vasilache, A. (2007). Der Staat und seine Grenzen. Zur Logik politischer Ordnung. Frankfurt a. M.: Campus.

    Google Scholar 

  • Walzer, M. (1995). Die kommunitaristische Kritik des Liberalismus. In Honneth, A. (Hrsg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften (S. 157–180). Frankfurt a. M.: Campus.

    Google Scholar 

  • Walzer, M. (2006). Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit. Frankfurt a. M.: Campus.

    Google Scholar 

  • Wimmer, A. (2004). Nationalist exclusion and ethnic conflict. Shadows of modernity. Cambridge: Cambridge University Press.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Floris Biskamp .

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2019 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Biskamp, F. (2019). Staatsbürgerschaft und Ideologie. Auf dem Weg zu einer gesellschaftstheoretisch reflektierten politischen Theorie von politischer Mitgliedschaft und ihren Grenzen. In: Grünendahl, S., Kewes, A., Ndahayo, E., Mouissi, J., Nieswandt, C. (eds) Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. Studien zur Migrations- und Integrationspolitik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_4

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-25534-3_4

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-25533-6

  • Online ISBN: 978-3-658-25534-3

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics