Zusammenfassung
Längst sind ehemals jugendkulturelle Ausdrucksformen zu Symbolen des verjugendlichen Lifestyles von Erwachsenen wie von Kindern geworden und erscheint Jugend(-lichkeit) als ein kulturelles Leitbild, das nicht auf eine Lebensphase beschränkt ist. Jugendkulturelle Stile und Ausdrucksweisen, die ehemals auch als Ausdruck des Generationenkonflikts galten, sind längst ‚vergesellschaftet‘ und in ihrem provozierenden Charakter nivelliert worden. So sind generationale Konflikte, die sich etwa um die Geschmacksvorlieben (Kleidung, Medien, Musik) der jugendlichen Kinder oder um elterliche Vorbehalte gegenüber den Freunden der Jugendlichen drehen, rar geworden. Beziehungen zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kindern scheinen egalitär und freundschaftlich zu sein, und Musik-, Medien- und Modepräferenzen werden geteilt. Ferchhoff (2011) spricht davon, dass der Generationenkonflikt abgelöst wurde bzw. sich „mindestens entschärft“ (ebd., S. 383) hat. Ähnlich argumentieren auch Ecarius et al. (2017). Vor diesem Hintergrund thematisiert der Beitrag das „Problem der Generationen“ (Mannheim 1964, urspr. 1924) in der verjugendlichten Gesellschaft. Nicht so sehr die Frage, ob es den Generationenkonflikt noch gibt, interessiert dabei als vielmehr die Frage danach, worin generationale Konflikte gegenwärtig eigentlich zum Ausdruck kommen, wenn offensichtlich das Jugendkulturelle an Sprengkraft in Bezug auf das Problem der Generationen verliert.
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Notes
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Die Erweiterte Oberschule (EOS) war die Schulform im DDR-Bildungssystem, die bis 1983 über vier Jahrgänge (9. bis 12. Klasse) und danach über zwei Jahrgänge (11./12. Klasse) im Anschluss an die allgemeinbildende Polytechnische Oberschule (POS) zum Abitur führte.
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Nach Helsper und Kramer (1998) sind es hier vor allem die Lehrer*innen, die bereits vor 1989 an der EOS als Lehrer*innen gearbeitet haben, die die Schulkultur als generationale Ordnung im Sinne eines modern-traditionalen Generationenverhältnisses mit einer Konzeption von Jugend als Bildungszeit forcieren (ebd., S. 228). Diese Lehrer*innen werden hier als die ‚alten‘ Lehrer*innen bezeichnet.
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Den Hinweis auf dieses Lied verdanken wir Tim Wiezorek, der vor Jahren seine Mutter mit dem Hinweis darauf aufmerksam machte, dass sie so sehen könne, wie es um seine Generation steht.
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In einer Kritik des ,Spiegel‘ wurde diesem Video „deutlich mehr Sprengstoff als in anderen Grenzüberschreitungen der Musikvideogeschichte“ (Gernert 2008) bescheinigt: „In dokumentarischer Anmutung wird ein Amoklauf gezeigt, ein Gewaltrausch, der sich kongenial mit der aufrüttelnd-aggressiven Elektro-Musik verträgt. Es wirkt sogar, als befeuerten die Beats die Handlungen. Zunächst entsteht deshalb der Eindruck, das Gezeigte würde glorifiziert, die naive Kamera feiere die Ausraster. […] [Erst fast am Ende; d.A.] wird endgültig deutlich, wie der Clip beschaffen ist: Es sind nicht die Jugendlichen selbst, die das Geschehen aufnehmen, sondern sie werden von einem Team begleitet. Erst in den letzten Sekunden erklärt sich die mediale Inszenierung der Schreckensbilder“ (ebd.).
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Entstanden ist die Jugendweihe im Zuge der Etablierung freidenkerischer Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Eng am zeremoniellen Charakter der evangelischen Konfirmation angelehnt, aber losgelöst von religiös-christlichen Bezügen wurde an der Idee einer rituellen Erzeugung des Übergangs festgehalten: Mit der Schulentlassung – dem historischen Datum für die Konfirmation – wurde der Eintritt ins Erwachsenenalter feierlich begangen (Döhnert 2000, S. 32). In der DDR stellte die Jugendweihe ein quasi obligatorisches Ritual dar, das der symbolischen Aufnahme der Jugendlichen in die sozialistische Gesellschaft diente und insofern einen Übergang markierte: An die Zusicherung von Loyalität gegenüber dem Staat durch das Gelöbnis in der Jugendweihefeier war bspw. die Möglichkeit gebunden, zum Abitur, zum Studium, aber auch einer Reihe von Berufen zugelassen zu werden (ebd., S. 121). Eine solche Übergangsmarkierung findet sich in der Jugendweihefeier heute, an der jährlich ca. 35.000 Jugendliche teilnahmen (Jugendweihe Deutschland e. V. 2019), im Unterschied etwa zur Konfirmation, mit der symbolisch der Statuswechsel zum mündigen Gemeindemitglied vollzogen wird, nicht mehr (Eulenbach et al. 2018).
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An den im Folgenden dargelegten Überlegungen haben auch Thorsten Fuchs, Regina Soremski und Dariuš Zifonun entscheidenden Anteil.
Literatur
Döhnert, A. (2000). Jugendweihe zwischen Familie, Politik und Religion. Studien zum Fortbestand der Jugendweihe nach 1989 und die Konfirmationspraxis der Kirchen. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.
Ecarius, J., Berg, A., Serry, K., & Oliveras, R. (2017). Spätmoderne Jugend – Erziehung des Beratens – Wohlbefinden. Wiesbaden: Springer VS.
Eisewicht, P., & Wustmann, J. (2019). Vom Ende der Jugendkulturforschung? Gegenwartsdiagnostische Herausforderungen und konzeptionelle Probleme bei der Erforschung jugendlicher Gesellungsgebilde. In A. Heinen, C. Wiezorek, & H. Willems (Hrsg.), Entgrenzung der Jugend und Verjugendlichung der Gesellschaft. Zur Notwendigkeit einer „Neuvermessung“ jugendtheoretischer Positionen (S. 178–196). Weinheim: Juventa.
Eulenbach, M., & Soremski, R. (2018). „Erwachsenwerden feiern“ – Zur performativen Herstellung von Übergängen im Jugendalter am Beispiel einer nicht-konfessionellen „Jugendfeier“. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 13(3), 277–289.
Eulenbach, M., & Wiezorek, C. (i. E.). Generationale Ablösungsprozesse in der Fernsehserie „Gilmore Girls“. Ein Beitrag zur Illustration und Irritation des theoretischen Blicks auf Generationenbeziehungen. In A. Berg, T. Fuchs, & A. Schierbaum (Hrsg.), Jugend, Familie und Generationen im Wandel – Erziehungswissenschaftliche Facetten. Wiesbaden: VS.
Eulenbach, M., Fuchs, T., Soremski, R., & Wiezorek, C. (2018). Jugendweihe – Übergangsritual oder gesellschaftlich-kultureller Raum intergenerationaler Praxis? In E. Glaser, H. C. Koller, W. Thole, & S. Krumme (Hrsg.), Räume für Bildung. Räume der Bildung. Beiträge zum 25. Kongress der DGfE (S. 149–158). Opladen: Barbara Budrich.
Ferchhoff, W. (2011). Jugend und Jugendkulturen im Jahrhundert Lebensformen und Lebensstile. Wiesbaden: VS Verlag.
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Helsper, W., & Kramer, R. T. (1998). Pädagogische Generationenverhältnisse und -konflikte in der gymnasialen Schulkultur. Eine exemplarische Fallstudie an einem ostdeutschen Gymnasium. In J. Ecarius (Hrsg.), Was will die jüngere mit der älteren Generation? (S. 207–237). Opladen: Leske + Budrich.
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Kraftklub (2011). Zu jung. Lied und Videoclip. https://www.youtube.com/watch?v=MuWtfL8MH3s. Zugegriffen: 6. Aug. 2019.
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Wiezorek, C., Eulenbach, M. (2020). Generationenkonflikte? Zum „Problem der Generationen“ in der verjugendlichten Gesellschaft. In: Gibson, A., Hummrich, M., Kramer, RT. (eds) Rekonstruktive Jugend(kultur)forschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25094-2_18
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