Zusammenfassung
Aufgrund der historischen Belastung des Heimat-Begriffs sprießen Ängste und Sprechgebote aus dem Boden, wenn im gesellschaftspolitischen Diskurs vermehrt „die Heimat“ verhandelt wird. Während im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung über die Dresdner Protestbewegung pegida das Sprechen über Heimat intensiviert wurde und im Windschatten des elektoralen AfD-Erfolges bei der Bundestagswahl 2017 mit der Diskussion um ein „Heimatministerium“ einen vorläufigen Höhepunkt erreichte, geht die Autorin im Artikel der Frage nach, wie die sozial handelnden und interagierenden Individuen Heimat verstehen. Am Beispiel von pegida wird zunächst deren Heimatverständnis nachgezeichnet und im Anschluss danach gefragt, inwiefern die nationalistisch-völkischen Bedeutungsgehalte durch die gesellschaftliche Mehrheit aufgegriffen werden. Im Rahmen einer qualitativ-empirischen Studie wurde die Durchlässigkeit der rechtspopulistischen Semantik bei sächsischen Jugendlichen untersucht und deren Ergebnisse im Zusammenhang mit dem Sprechen über Heimat präsentiert. Es zeigt sich, dass die Heimat-Ideen und Semantiken von pegida bei den befragten jungen Menschen zunächst wenig verfangen, jedoch durchaus an die Imaginationen und Bedürfnisse einiger anschlussfähig sind.
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Notes
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Insofern ist es durchaus fraglich, ob die „einst zum Teil negative Interpretation von Heimat … längst ihre Kraft verloren“ habe, wie Jesse (2016, S. 9) angesichts der eingereichten Arbeiten eines studentischen Essaywettbewerbes über Heimat hervorhebt.
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Sofern es nicht anders gekennzeichnet ist, beziehen sich die Zitate in diesem und folgenden Absatz auf Aussagen von pegida (Gast-)Redner. Die Zitate wurden entweder eigenen Beobachtungsprotokollen vor Ort entnommen oder durch die Nachverfolgung der Veranstaltung via YouTube-Livestream festgehalten.
- 3.
Die hier präsentierten Ergebnisse beruhen auf insgesamt vier am Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen durchgeführten Forschungsprojekten zu pegida im engeren Sinn (Geiges et al. 2015) und zur Performance in den sozialen Medien (Die Büchse der Pandora 2016) sowie über die Gegendemonstrationen (Marg et al. 2016) und die Effekte der Protestformation (Schenke et al. 2018).
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Auffällig ist in diesem Zusammenhang der große Abstand zu Platz vier. „Eine starke Führungspersönlichkeit“ forderten lediglich 16,7 % der Befragten (Büchse der Pandora 2016, S. 30).
- 5.
Die Materialien und Ergebnisse, auf die an dieser Stelle Bezug genommen wird, stammen aus einem von April 2016 bis Februar 2018 vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend geförderten Forschungsprojekt am Göttinger Institut für Demokratieforschung mit dem Titel: „Die Jugend im Bann von pegida. Zur Erforschung einer neuen zivilgesellschaftlichen Gefahr für die Demokratie“. Projektmitarbeiter waren vor allem Julian Schenke, Christopher Schmitz, Katharina Trittel sowie die Verfasserin. Die aus dem Projekt entstandene Monografie ist erschienen unter dem Titel: Pegida-Effekte? Jugend zwischen Polarisierung und politischer Unberührtheit (Schenke et al. 2018).
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Im Folgenden entstammen – soweit nicht anders angegeben – alle Zitate aus den am Göttinger Institut für Demokratieforschung erhobenen, transkribierten und ausgewerteten Fokusgruppen.
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Marg, S. (2019). „Deutschland – meine Heimat, meine Liebe.“. In: Hülz, M., Kühne, O., Weber, F. (eds) Heimat. RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24161-2_20
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