Zusammenfassung
Die Industrialisierung kennzeichnet nicht nur eine Zeit des Paradigmenwechsels, der das gesamte menschliche Zusammenleben betraf, sondern ebenso ambivalente Prozesse der Disziplinierung, die mit der Umformung des Arbeitsverhaltens einhergingen. Die Ambivalenz des Anpassungsprozesses wird durch die Beschreibung des gesamtgesellschaftlichen Wandels der Fremd- und Selbstkontrollen mit besonderem Fokus auf die Fabrikarbeit und seine funktionale Bedeutung für die Arbeitsorganisation erarbeitet. Da sich innerhalb der Fabriken neben neuen Arbeitsordnungen und -strukturen ein neues identitätsstiftendes Arbeitsethos entwickelte, das sich durch die Selbstkontrolle und Selbstdisziplinierung der Arbeitskräfte auszeichnete und besonders auch außerhalb des Kontexts Arbeit Wirkung zeigte, ist dieser Prozess der Disziplinierung als eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu verstehen. Aus arbeits- und organisationstheoretischer Perspektive wird dabei die Frage diskutiert, wie sich langfristig verschiedene Konzepte entwickelten, Arbeit und Technik wettbewerbsorientiert zu transformieren und den Produktionsprozess zu kontrollieren.
Mein Dank gilt Stefanie Ernst und Elisabeth Instinsky für hilfreiche Anregungen und das kritische Lektorat des Textes.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Fabrik- bzw. Arbeitsordnungen galten als formalisierte Rechtsgrundlage für Arbeitsverhältnisse und enthielten schriftlich fixierte Arbeitsbedingungen und Verhaltensansprüche in Form von Ge- und Verboten sowie Sanktionen bei Nichteinhaltung. Später wurden sie durch individuelle Arbeitsverträge ersetzt (Flohr 1981).
- 2.
Un- und angelernte Arbeiter*innen bildeten die Mehrheit der Belegschaft (Bauern, Arme und Straffällige).
- 3.
Kruse hält eine ideologiekritische Untersuchung mit dem Verständnis von Arbeit für notwendig, denn mit ihr kann die Instrumentalisierung des Normen-und Wertegefüges von Arbeit durch die gesellschaftlichen Schichten aufgedeckt werden.
- 4.
Nach 1850 gab es erste Tendenzen für eine Massenproduktion. Mit einer Intensivierung der Nachfrage nach Produkten wurde die führende Produktion nach Auftrag mehr und mehr durch eine Produktion auf Lager ergänzt. Damit ging auch eine langsam beginnende Standardisierung einher, die die individualisierten Produkte verdrängte. Es ging vor allem um die Nutzung ökonomischer Vorteile der sich durchsetzenden spezialisierten Werkzeugmaschinen mithilfe der Verwendung austauschbarer Teile im Fall eines Verschleißes oder Defekts. Voraussetzung war eine fortgeschrittene Arbeitsteilung (funktionale Differenzierung) und eine anspruchsvolle Masse von sich wiederholenden und immer gleichen Produkten und Herstellungsvorgängen (Kocka 1990, S. 441 f.).
- 5.
Sekundärmacht ergibt sich nicht nur aufgrund der Stärke von Belegschaften, also der Primärmacht, sondern auch „aus den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes“ (Minssen 1999, S. 149).
- 6.
„Primärmacht ist im historischen Prozess ersetzt, ergänzt, überlagert worden von kollektiv erkämpften Macht- und Einflusspositionen von Belegschaftsgruppen und betrieblichen sowie gewerkschaftlichen Interessenvertretungen“ (Jürgens 1984, S. 64).
- 7.
Weber dagegen fragt in seinen Ausführungen zur Rationalisierung und zur Entstehung der protestantischen Ethik nicht danach, „welche Fremdzwänge hinter diesem harten Selbstzwang stehen“ (Goudsblom 1984, S. 135). Er befasst sich in Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (Weber 2010 [1920]) mit einer spezifischen Episode des europäischen Zivilisationsprozesses (Goudsblom 1984, S. 134).
Literatur
Bahrdt, Hans P. 1983. Arbeit als Inhalt des Lebens. In Krise der Arbeitsgesellschaft? Verhandlungen des 21. Deutschen Soziologentages in Bamberg 1982, Hrsg. Joachim Matthes, 120–137. Frankfurt a. M.: Campus.
Bogner, Artur. 1989. Zivilisation und Rationalisierung. Die Zivilisationstheorien Max Webers, Norbert Elias’ und der Frankfurter Schule im Vergleich. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Boyer, Robert, und M. Freyssenet. 2003. Produktionsmodelle. Eine Typologie am Beispiel der Automobilindustrie. Berlin: Edition Sigma.
Braun, Rudolf, W. Fischer, H. Großkreutz, und H. Volkmann. 1973. Gesellschaft in der industriellen Revolution. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Braverman, Harry. 1977. Die Arbeit im modernen Produktionsprozess. Frankfurt a. M.: Campus.
Deutschmann, Christoph. 1985. Der Weg zum Normalarbeitstag. Die Entwicklung der Arbeitszeiten in der deutschen Industrie bis 1918. Frankfurt a. M.: Campus.
Doerling, Peter. 2006. Ahnenforschung und Geschichte im Kreis Stormann, ca. 1550–1900. http://www.peter-doerling.de/Geneal/Geschichte/Arbeitsordnung.html. Zugegriffen: 23. Nov. 2006.
Eckermann, Erik. 1984. Vom Dampfwagen zum Auto. Motorisierung des Verkehrs. Reinbek: Rowohlt.
Eggebrecht, Arne, J. Flemming, G. Meyer, A. von Müller, A. Oppolzer, A. Paulinyi, und H. Schneider. 1980. Geschichte der Arbeit Vom alten Ägypten bis zur Gegenwart. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Ehmer, J., und G. Meißl. 1984. Der dressierte Mensch. Rekrutierung. Qualifizierung und Disziplinierung der Arbeitskraft. In Der dressierte Arbeiter. Geschichte und Gegenwart der industriellen Arbeitswelt, Hrsg. Walter Sauer, 28–54. München: Beck.
Elias, Norbert. 1997a. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1939).
Elias, Norbert. 1997b. Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1939).
Elias, Norbert. 2003. Die Gesellschaft der Individuen. GS, Bd. 10. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1987).
Elias, Norbert. 2004a. Was ist Soziologie? Weinheim: Juventa (Erstveröffentlichung 1970).
Elias, Norbert. 2004b. Über die Zeit. GS, Bd. 9. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1984).
Elias, Norbert. 2006. Technisierung und Zivilisation. Beitrag für den Deutschen Soziologentag am 30. September 1986. GS: Aufsätze und Gesammelte Schriften III, Bd. 16, 182–234. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1986).
Ernst, Stefanie. 2006. Freelancer, Jobnomaden und Alleindienstleister. Neue Spielräume in Arbeit, Organisation und Geschlechterverhältnissen? Antrittsvorlesung an der Universität Hamburg. ZÖSS Discussion Paper No. 10, Universität Hamburg, Hamburg.
Ernst, Stefanie. 2007. Verdichtung, Flexibilisierung und Selbstvermarktung. Fremd- und Selbstzwänge in modernen Beschäftigungsfeldern. In Arbeit und Geschlecht im Umbruch der modernen Gesellschaft. Forschung im Dialog, Hrsg. B. Aulenbacher, M. Funder, H. Jacobsen, und S. Völker, 131–148. Wiesbaden: VS Verlag.
Ernst, Stefanie. 2010. Prozessorientierte Methoden in der Arbeits- und Organisationsforschung. Wiesbaden: VS Verlag.
Ernst, S. 2013. Dass wir da als Männer und Frauen unterschiedlich unterwegs sind…. Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft 25:153–180.
Fischer, Wolfram. 1967. Innerbetrieblicher und sozialer Status der frühen Fabrikarbeiterschaft. In Die soziale Frage. Neuere Studien zur Lage der Fabrikarbeiter in den Frühphasen der Industrialisierung, Hrsg. W. Fischer und G. Bajor, 215–252. Stuttgart: K.F. Koehler.
Flohr, Bernd. 1981. Arbeiter nach Maß: Die Disziplinierung der Fabrikarbeiterschaft während der Industrialisierung Deutschlands im Spiegel von Arbeitsordnungen. Frankfurt a. M.: Campus.
Freyssenet, M. 1984. La requalification des opérateurs et la forme sociale actuelled’automatisation. Sociologie du travail 26 (4): 422–433.
Gerst, D. 1999. Gestaltungskonzepte für manuelle Montage. Selbstorganisierte versus standardisierte Gruppenarbeit? Angewandte Arbeitswissenschaft 162:38–54.
Goudsblom, Johan. 1984. Zum Hintergrund der Zivilisationstheorie von Norbert Elias: Das Verhältnis zu Huizinga, Weber und Freud. In Macht und Zivilisation. Materialien zu Norbert Elias’ Zivilisationstheorie 2, Hrsg. P. Gleichmann, J. Goudsblom, und H. Korte, 129–147. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Haipeter, Thomas. 2000. Mitbestimmung bei VW. Neue Chancen für die betriebliche Interessenvertretung?. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Herkner, H. 1916. Die Arbeiterfrage. Arbeiterfrage und Sozialreform, Bd. 1. Berlin: Guttentag (Erstveröffentlichung 1894).
Hirsch, Joachim, und R. Roth. 1986. Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Postfordismus. Hamburg: VSA.
Jürgens, Ulrich. 1984. Die Entwicklung von Macht, Herrschaft und Kontrolle im Betrieb als politischer Prozess. Eine Problemskizze zur Arbeitspolitik. In Arbeitspolitik. Materialien zum Zusammenhang von politischer Macht, Kontrolle und betrieblicher Organisation der Arbeit, Hrsg. U. Jürgens und F. Naschold, 58–91. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Jürgens, Ulrich. 2006. Weltweite Trends in der Arbeitsorganisation. In Produktionssysteme und Kompetenzerwerb. Zu den Veränderungen moderner Arbeitsorganisation und ihren Auswirkungen auf die berufliche Bildung, Hrsg. U. Clement und M. Lacher, 15–29. Stuttgart: Steiner.
Ketterer, Erich. 2000. Die Arther Ziegelhütte. http://www.arth-online.ch/geschichte/die-arther-ziegelhuette/. Zugegriffen: 23. Nov. 2006.
Kocka, Jürgen. 1990. Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert. Bonn: Dietz.
Kruse, Jan. 2002. Geschichte der Arbeit und Arbeit als Geschichte. Münster: Lit.
Manager Magazin. 1992. Schlanke Linie. Wie „Lean Production“ auch bei uns funktioniert – Drei Fallbeispiele. Manager Magazin 22 (4): 202–219.
Marrs, Kira. 2010. Herrschaft und Kontrolle in der Arbeit. In Handbuch Arbeitssoziologie, Hrsg. F. Böhle, G. Voß, und G. Wachtler, 331–356. Wiesbaden: VS Verlag.
Mayo, G.E. 1933. The human problems of an industrialized civilization. New York: Macmillan.
Minssen, Heiner. 1999. Direkte Partizipation contra Mitbestimmung? Herausforderung durch diskursive Koordinierung. In Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der industriellen Beziehungen, Hrsg. Walther Müller-Jentsch, 129–156. München: Hampp.
Moldaschl, Manfred. 2010. Organisierung und Organisation von Arbeit. In Handbuch Arbeitssoziologie, Hrsg. F. Böhle, G. Voß, und G. Wachtler, 263–300. Wiesbaden: VS Verlag.
Müller-Jentsch, Walther. 2007. Strukturwandel der industriellen Beziehungen. ,Industrial Citizenshop‘ zwischen Markt und Regulierung. Wiesbaden: VS Verlag.
Pöhler, Willi, und G. Peter. 1982. Erfahrungen mit dem Humanisierungsprogramm. Köln: Bund.
Pollard, Sidney. 1967. Die Fabrikdisziplin in der industriellen Revolution. In Die soziale Frage. Neuere Studien zur Lage der Fabrikarbeiter in den Frühphasen der Industrialisierung, Hrsg. W. Fischer und G. Bajor, 159–185. Stuttgart: K.F. Koehler.
Rosa, Hartmut. 2005. Beschleunigung: Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Sauer, D. 2011. Von der „Humanisierung der Arbeit“ zur „Guten Arbeit“. Aus Politik und Zeitgeschichte 61 (15): 18–24.
Sauer, Walter. 1984. Fremde Arbeit – Fremde Häuser. Betriebsstätten und industrielle Arbeitsorganisation. In Der dressierte Arbeiter. Geschichte und Gegenwart der industriellen Arbeitswelt, Hrsg. Walter Sauer, 55–69. München: Beck.
Schmidt, Gert. 1982. „Humanisierung“ der Arbeit. In Einführung in die Arbeits- und Industriesoziologie, Hrsg. W. Littek, W. Rammert, und G. Wachtler, 163–183. New York: Campus.
Schumann, Michael. 1992. Bericht über das „Forum Automobilindustrie“. In Lean Production. Kern einer neuen Unternehmenskultur und einer innovativen und sozialen Arbeitsorganisation? Schriften der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 13, 168–171. Baden-Baden: Nomos, Hans-Böckler-Stiftung und Industriegewerkschaft Metall.
Sennett, Richard. 2000. Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin: Siedler Taschenbuchverlag.
Springer, R., und F. Meyer. 2006. Flexible Standardisierung von Arbeitsprozessen. Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis. In Produktionssysteme und Kompetenzerwerb. Zu den Veränderungen moderner Arbeitsorganisation und ihren Auswirkungen auf die berufliche Bildung, Hrsg. U. Clement und M. Lacher, 43–54. Stuttgart: Steiner.
Taylor, Frederick W. 1919. Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. Cornell University: R. Oldenbourg.
Taylor, Frederick W., und A. Wallichs. 1908. Über Dreharbeit und Werkzeugstähle. Berlin: Springer.
Thompson, Edward P. 1980. Plebeische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. Und 19. Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Ullstein.
Treibel, Annette. 2008. Die Soziologie von Norbert Elias – Eine Einführung in ihre Geschichte, Systematik und Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag.
Wachtler, Günter. 1979. Humanisierung der Arbeit und Industriesoziologie: Eine soziologische Analyse historischer Vorstellungen humaner Arbeitsgestaltung. Stuttgart: Kohlhammer.
Weber, Max. 1976. Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr (Erstveröffentlichung 1922).
Weber, Max. 2010. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. München: Beck (Erstveröffentlichung 1920).
Womack, James P., D.T. Jones, und D. Roos. 1991. Die zweite Revolution in der Autoindustrie: Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology. Frankfurt a. M.: Campus.
Wouters, Cas. 1999. Informalisierung: Norbert Elias’ Zivilisationsprozesse im 20. Jahrhundert. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2019 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Frerichs, M. (2019). Die Disziplinierungsgeschichte der Fabrikarbeit aus prozesstheoretischer Perspektive. In: Ernst, S., Becke, G. (eds) Transformationen der Arbeitsgesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22712-8_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-22712-8_2
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-22711-1
Online ISBN: 978-3-658-22712-8
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)