Zusammenfassung
Über die tiefenhermeneutische Rekonstruktion einer 1951 von Mitarbeitern des Frankfurter Instituts für Sozialforschung mit »Kriegskindern« geführten Gruppendiskussion werden die mentalitäts- und emotionsgeschichtlichen Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf der affektiven und unbewussten Ebene erschlossen. Insbesondere wird betrachtet, wie die jungen Erwachsenen in diesem Kontext ihre Erfahrungen mit der amerikanischen Besatzung und der jungen Bundesrepublik verarbeiten. Überprüft wird anhand des historischen Materials unter anderem eine bekannte These von Alexander und Margarete Mitscherlich: Ihnen zufolge habe es in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft eine Rückkehr zu einem vor-nationalsozialistischen Über-Ich gegeben, dass von den Alliierten psychisch repräsentiert wurde.
Abstract
A reconstruction of a group discussion with the method of depth-hermeneutics is presented. The group discussion was part of the »Gruppenexperiment«, a research project at the Frankfurt Institute for Social Research in 1951. The reconstruction of a discussion with »children of war« figures out the consequences of National Socialism on affective and unconscious levels. It showes how young adults deal with their experiences with the American occupation and the young Federal Republic. On the basis of the reconstruction a well-known thesis by Alexander and Margarete Mitscherlich is critically examined. According to Mitscherlichs, there was a return to a pre-nationalsocialistic Super-ego in the post-war society, which was represented by the allies.
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Lohl, J., Winter, S. (2019). „Deutschland … ist ja das letzte Bollwerk“. In: König, J., Burgermeister, N., Brunner, M., Berg, P., König, HD. (eds) Dichte Interpretation. Kritische Sozialpsychologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21406-7_5
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