Zusammenfassung
Der Beitrag stellt die Unterscheidung zwischen explizierbarem und nicht-explizierbarem Wissen und zwischen den daran jeweils anschließenden Handlungsformen der ‚Objektivierung‘ und ‚Subjektivierung‘ ins Zentrum, zur Auslotung der Grenzen der digitalen Substitution von Arbeit. Dieser Zugang ermöglicht differenziertere Antworten auf zentrale Fragen der Digitalisierung von Arbeit: Wie wirkt sich die Informatisierung auf Arbeit und Arbeitskraft, Tätigkeiten und gefragte Kompetenzen aus? Wie kann die Interaktion zwischen Mensch und Technik/Maschinen, wie kann überhaupt digitalisierte Arbeit nachhaltig und menschengerecht gestaltet werden? Anhand von Beispielen aus der Arbeitspraxis wird argumentiert, dass auch bei komplexen sozio-technischen Systemen und (teil-)autonomer intelligenter Technik weiterhin von einer Art Arbeitsteilung zwischen Mensch und Technik auszugehen ist, um den Potenzialen von Mensch und Technik gerecht zu werden. Auf dieser Basis kann typisch menschliches Arbeitsvermögen ermächtigt und eine Humanisierung der Arbeit (z. B. lernförderliche Arbeit) eher erreicht werden als durch eine Angleichung der Technik an den Menschen, die die Besonderheiten menschlichen Handelns systematisch ignoriert. Aus dieser Perspektive werden Folgerungen für die Technikgestaltung abgeleitet.
Überarbeiteter Beitrag basierend auf Huchler (2016). Die Grenzen der Digitalisierung. Neubestimmung der hybriden Handlungsträgerschaft zwischen Mensch und Technik und Implikationen für eine humane Technikgestaltung, HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik Heft 307, 53(1):109–123.
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Notes
- 1.
Mit dem Fokus auf disruptive Innovation wird z. B. unterstellt, dass sich Berufe wie der Zahntechniker durch den 3D-Druck auflösen werden. Jedoch betonen Fachexperten (Zahntechniker, Verband Dental Industrie etc.) eher eine inhaltliche Verschiebung oder sogar eine Aufwertung des Berufs durch neue Technogien und integrierte Prozessketten, wie auch bisherige (technische) Veränderungen im Medizinbereich nahe legen und betonen weiterhin Fachkräftemangel (heraeus-kulzer 2015).
- 2.
Zum Beispiel gilt Go (im Vergleich zu Schach) aufgrund der enormen Komplexität als intuitives Spiel (immer noch in einem sehr eng kontrollierten Setting). Um diese Komplexität zu beherrschen, greift nun KI bzw. ein lernendes Programm auf statistische/mathematische Methoden (u. a. Monte Carlo Tree Search) zurück. Mittels extrem vieler (40 × 103) parallel durchgeführter Zufallspartien werden für bestimmte Stellungen Zugkombinationen mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit identifiziert. Zudem Greift das System auf Meta-Daten zurück, die durch zwei gegenseitig trainierte lernende Systeme ständig. Dies gelingt auf Basis neuer Methoden, einer stark gestiegenen Rechenleistung und natürlich der vorhandenen Daten, ohne die die KI nicht handlungsfähig wäre. Menschliche Spieler können auf diese Weise gar nicht agieren, die letztlich nichts mit Intuition zu tun hat. Intuition wird hier nicht einmal technisch simuliert, sondern nur funktional ersetzt. Vielmehr agiert die KI auf eine andere Weise, bei der die Technik (z. B. der Taschenrechner) dem Menschen schon lange überlegen ist: die Durchführung formaler Rechenoperationen. Ähnliches gilt für Sprach- und Gesichtserkennungsprogramme, die auf Gefühle reagieren. Auch sie simulieren nicht einmal Empathie (ggf. die Aktivität von Spiegelneuronen), sondern ersetzen diese Kompetenz.
- 3.
Die drei zufällig herausgegriffenen Beispiele aus 2016 – Störungen der Internettelefonie mit weitreichenden Folgen inklusive Bahnverkehr, HR-System beurlaubt alle Piloten einer US-Airline über Weihnachten, alle Bewerber eines Studiengangs werden zugelassen – verweisen auf die Typik kleiner Fehler mit weitreichenden Folgen. Auch blieben bereits jetzt weitaus die meisten KFZ wegen Softwareproblemen liegen. Mit einer zunehmenden Vernetzung kommen zumindest noch weitere Risikoquellen für Störungen hinzu.
- 4.
Digitalisierung kann als besondere Form der Informatisierung verstanden werden. Sie tritt in die Fußstapfen der ‚Verschriftlichung‘ als zentrale Methode der Bürokratisierung.
- 5.
Denn gerade weil der Schwerpunkt der aktuellen Entwicklungstendenz mit der Digitalisierung auf der Formalisierungs- bzw. Explizierungslogik liegt, wird das Informelle relevanter, da es den notwendigen Teil der Praxis repräsentiert, der ausgeblendet wird.
- 6.
Ein solches Handeln wird auch als „situiertes“ Handeln (Suchman 2007) bezeichnet.
- 7.
Wie BigData-Algorithmen oder die KI ‚Watson‘ von IBM mit ihrer ‚massively parallel probabilistic evidence-based architecture‘ (DeepQA).
- 8.
Diese Sicht zeigt sich aktuell besonders deutlich bei Unternehmen wie Amazon und Hitachi. Dort werden Trackingsysteme (z. T. mit Audioaufzeichnung) zur Leistungskontrolle genutzt. Mitarbeiter müssen sich rechtfertigen, wenn sie unvorhergesehen wenige Minuten an einer Stelle verharren oder in Kontakt mit anderen treten. Bei Hitachi stößt anhand solcher Daten ein Programm sogar personelle Entscheidungen an (Welt 2015).
- 9.
Auch hier kann auf die Gefahr verwiesen werden, dass z. B. mit dem autonomen Fahren auf vermeintliche Sachzwänge verwiesen wird, die letztlich auf eine strengere Regulierung von Verkehrsteilnehmer und Verhalten und eine Einschränkung von Vielfalt hinauslaufen.
- 10.
„MiMiK – Der Mensch im Mittelpunkt des KMU-Netzwerks im Kontext der Industrie 4.0 “, gefördert durch das Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), betreut durch den Projektträger Karlsruhe (PTK-PFT), Laufzeit: 5/2014 bis 3/2016. http://www.isf-muenchen.de/projektdetails/154.
- 11.
Wie das Anlernen von KI-Systemen im Umgang mit Texten/Worten und Bildern und selbst lernende Systeme durch eigenständige Hypothesenentwicklung und -überprüfung auf Basis von Wahrscheinlichkeiten – wie ‚neuronale Netze‘ oder ‚deep learning‘-Systeme.
- 12.
Als Beispiel kann der boomende Markt an digitalen HR-Analyse-Tools im Personalmanagement genannt werden, z. B. den Einsatz von digitalen HR-Programmen auf Basis der Analyse von Schriftstücken, Mimik und Gestik oder eine beliebigen gesprochenen Textes. Sie neigen zur übersteigerten Typisierung und sind – einmal in ihrer statischen Logik der MMI durchschaut – höchst manipulationsanfällig.
- 13.
So könnte z. B. die Anforderung an die Schnittstellengestaltung von Navigationsgeräten gestellt werden, die Nutzer möglichst einfach an ein Ziel zu führen, aber zugleich ihr Orientierungs-/Navigationsvermögen zu fördern und diese nicht zu de-qualifizieren. Eine solche lernförderliche Perspektive würde den Nutzer nicht nur mit seinen kurzfristigen Bedürfnissen adressieren, sondern auch nachhaltig ermächtigen.
- 14.
Statt z. B. in der Produktion Leichtbauroboterarme mit sieben Gelenken auf die Bewegungen und die Hebekraft eines menschlichen Arms künstlich zu beschränken (um Unfälle zu vermeiden und Vertrauen zu erzeugen), könnte es die Handhabung des ‚Werkzeugs‘ und die Bindung zu ihm verbessern, wenn der ‚Nutzer‘ sich gerade die besonderen ergänzenden Möglichkeiten der Technik aneignen kann, um Dinge zu tun, die er nicht von selbst kann. Die teils starke (auch emotionale) Bindung zum privaten KFZ, zum großen Bagger, zum gut in der Hand liegenden Hammer (als ‚verlängerter Arm‘) etc. wird eben dadurch hergestellt, dass man durch das Objekt zu ansonsten unmöglichen Handlungen befähigt wird und zum Ausdruck von Kompetenzen, die sonst brach liegen würden. Ein weiteres Beispiel sind Hebehilfen (z. B. Exoskelette) in der Logistik oder ähnliche Systeme in der Pflege (anstelle von Pflegerobotern), die es ermöglichen, dass weiterhin der Mensch im Mittelpunkt der (sozialen) Interaktion mit dem Patienten steht.
- 15.
Z. B. kann es zielführender sein, wenn ein mobiles System immer entweder nach rechts ausweicht oder stehen bleibt, als dass es die Bewegungen des menschlichen Gegenübers ‚interpretiert‘.
- 16.
Es handelt sich maximal um eine paternalistische Sicht auf die Nutzer, indem auf deren kurzfristiges Nutzererlebnis abgezielt wird. Ähnliche Leitsätze gehen weiter und sprechen direkt von der Erschaffung von Bedürfnissen beim Kunden und auch von Nutzererziehung.
- 17.
So macht z. B. an der Kundenschnittstelle oder in der unternehmensinternen Kommunikation ein systematisches, an den jeweiligen Vorteilen orientiertes Nebeneinander verschiedener Kommunikationsmedien (z. B. face-to-face, Mail, Web 2.0, Datenbank, KI etc.) mehr Sinn, als der Fokus auf eine – vermeintlich moderne – Form (vgl. den Ansatz der Intermedialität).
- 18.
Ob es damit mittelfristig zu einer Aufwertung dieser Arbeit kommt, bleibt fraglich (vgl. soziale Gewährleistungsarbeit wie Erziehung und Pflege).
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Huchler, N. (2018). Die Grenzen der Digitalisierung. In: Hofmann, J. (eds) Arbeit 4.0 – Digitalisierung, IT und Arbeit. Edition HMD. Springer Vieweg, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21359-6_9
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